Texte zum Rätekommunismus
Transkribiert und herausgegeben von
Hans-Peter Jacobitz
und
Thomas Königshofen
DANKSAGUNG
Wir bedanken uns bei der “Association Archives Antonie Pannekoek (a.a.a.p.)”, die uns die Reproduktionen des “Pressedienst” der Gruppe Internationaler Kommunisten zur Verfügung stellte.
Während der Bearbeitung der Dokumente entstand eine enge Zusammenarbeit mit der Association, ohne deren Hilfe das Projekt nicht erfolgreich hätte zu Ende geführt werden können.
Ein besonderer Dank gilt Frederik Fuß und Norbert Hinrichs vom Medienvertrieb Syndikat-A. Sie haben die Veröffentlichung durch ihre tatkräftige Hilfe bei der Drucklegung, dem Vertrieb und der Finanzierung maßgeblich gefördert.
Das ganze Projekt steht und fällt - wie unter kapitalistischen Bedingungen üblich - mit der Finanzierung. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat uns großzügig unterstützt.
IMPRESSUM
© 2021 by Thomas Königshofen
Syndikat A - anarchosyndikalistischer Medienvertrieb
Bismarckstr. 41a
47443 Moers
Die Produktion, Erfassung der Texte und
die Digitalisierung wurden von
der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert.
Alle Rechte vorbehalten
Transkription und redaktionelle Überarbeitung: die Herausgeber
Umschlaggrafik unter Verwendung des Titels des PRESSEDIENSTES und von Textausschnitten der Ausgabe 1928, Nr. 6.
ISBN: 978-3-949036-01-9
KONTAKT
E-Mail: keyserjoachim@gmail.com
REDAKTIONELLE HINWEISE
Wir haben uns bemüht, die Beiträge des Pressedienstes weitgehend in Übereinstimmung mit den derzeit gültigen Regeln der deutschen Rechtschreibung zu bringen. Offensichtliche Fehler in der Orthographie, Interpunktion und Grammatik haben wir - so weit sie uns aufgefallen sind - korrigiert. Im Einzelfall haben wir sprachliche Besonderheiten belassen, wenn sie zeittypisch oder dem Umstand geschuldet waren, dass die Muttersprache der Autoren niederländisch war.
Unsere Hinzufügungen zum besseren Verständnis des Textes sowie unleserliche und fehlende Textstellen haben wir mit eckigen Klammern gekennzeichnet.
Quellenbelege sind teilweise aus der jeweiligen Originalfassung übernommen worden und beziehen sich auf Veröffentlichungen vor fast 100 Jahren. Antiquariate, Universitätsbibliotheken und das Internet können bei der Suche nach den Quellen äußerst hilfreich sein.
Alle Fußnoten haben die Herausgeber zum besseren Verständnis der Texte hinzugefügt.
Inhalt
Eine historische Referenz für Forschung und politische Inspiration
Die Kritik der Gruppe Internationaler Kommunisten
Der Pressedienst der Gruppe Internationaler Kommunisten
Pressedienst der GIK Nr. 1 vom 15. September 1928
Revolutionäre Gewerkschaftsbewegung in Holland I.
Pressedienst der GIK Nr. 2 vom 22. September 1928
Revolutionäre Gewerkschaftsbewegung in Holland II.
Wie revolutionäre Einheit “gemacht” wird.
Pressedienst der GIK Nr. 3 vom 6. Oktober 1928
Revolutionäre Gewerkschaftsbewegung in Holland III.
Der “Kampf ums Brot” und die Selbstbewusstseinsentwicklung
Pressedienst der GIK Nr. 4, 1928
[Revolutionäre Gewerkschaftsorganisationen in Holland]
Pressedienst der GIK Nr. 5 vom 25. Oktober 1928
An die Konferenz der IWW am 11 November 1928 in Chicago
Pressedienst der GIK Nr. 6 vom 10. Dezember 1928
Die Holländische Sozial-Demokratie und ihre linke Strömung I.
Der Reformismus als “natürliche” Ideologie
Spaltungsseuche oder ideologischer Klärungsprozess
Die Gruppe der Internationalen Kommunisten
Pressedienst der GIK Nr. 7 vom 6. Januar 1929
Die holländische Sozial-Demokratie und ihre linke Strömung II.
Der Kampf gegen die Gewerkschaften in England
Pressedienst der GIK Nr. 8 vom 13. Januar 1929
Die holländische Sozial-Demokratie und ihre linke Strömung III.
Französischer Hafenarbeiterstreik
Pressedienst der GIK Nr. 9 vom 27. Januar 1929
Angriff auf die Labourpartei in Glasgow
Die holländische Sozial-Demokratie und ihre linke Strömung IV.
Wie die holländische Bourgeoisie die deutsche Sozialdemokratie beurteilt
Neue sozialistische Partei in Holland
Pressedienst der GIK Nr. 10 vom 11. Februar 1929
Die holländische Sozial-Demokratie und ihre linke Strömung V.
Die Entwicklung zur Warenproduktion.
Pressedienst der GIK Nr. 11, 1929
Die holländische Sozial-Demokratie und ihre linke Strömung VI.
Die Selbstorganisation der Dorfkommunen
Einheitsfront von den Katholiken bis zu den Anarcho-Syndikalisten der IAA
Spaltungsversuche oder ideologischer Klärungsprozess
Pressedienst der GIK Nr. 12, 1929
Pressedienst der GIK Nr. 13, 1929
Der Fortschritt in der Problemstellung
“Geben nach Fähigkeiten und nehmen nach Bedürfnissen”
Die Verteilung der Konsumgüter
Zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt
Pressedienst der GIK Nr. 14, 1929
Pressedienst der GIK Nr. 15, 1929
Wie wird die Krise sich fortsetzen? Was werden die unmittelbaren Krisenfolgen sein?
Holländische Gemütlichkeit - Streik der Holzarbeiter
“Betriebsübernahme oder Neuschaffung der Gesellschaft?”
Pressedienst der GIK Nr. 1, Februar 1930 fehlt
Pressedienst der GIK Nr. 2, Februar 1930
Pressedienst der GIK, Juli 1930 [1]
Das Proletariat in der ersten Phase der chinesischen Revolution
Die Bauern in der ersten Phase der chinesischen Revolution
Die zweite Phase der chinesischen Revolution
Vielleicht doch zum Sozialismus?
Lenin über die Genossenschaften und kollektiven Betriebe
Die Maßnahme der “Sowjetmacht”
Pressedienst der GIK, Juli 1930 [2]
Die Akkumulation des Kapitals in Sowjetrussland
Die Sowjet-Staatsmänner jubeln!
Der zweite Bericht eines Arbeiterkorrespondenten lautet:
Das Gesetz über die Reform des Kreditwesens in Russland
Nach der Einführung des neuen Gesetzes
Pressedienst der GIK, September 1930
Agrarpolitische Bemerkungen (Aus “Kampfruf” Nummer 30, 1930)
Großes Besitztum - Kleinbetrieb
Kleines Eigentum - Großunternehmen
Landwirtschaft und Kapitalismus
Die Sozialisierung der Landwirtschaft
Die Sozialisierung der Landwirtschaft I.
Die Verballhornungen des Marxismus.
Scheinbare Lösungen des “L-€˜Ouvrier Communiste”
Die Sozialisierung der Landwirtschaft II.
Die Zusammenfassung der Betriebe
Die natürlichen Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft
Die Sozialisierung der Landwirtschaft III. (Schluss)
Die Bildung der Landarbeiterräte
Funktion und Struktur der Räte
Die Funktion der Betriebsorganisation und der Betriebsrat
Pressedienst der GIK, März 1931
Die Unterschiede zwischen den Auffassungen der IWW Amerika und der AAU in Deutschland I.
Die Unterschiede zwischen den Auffassungen der IWW Amerika und der AAU in Deutschland II.
Struktur und Zielsetzung der IWW
Struktur und Ziel der Rätebewegung
Kann man der AAUD in diesem Punkt vertrauen?
Pressedienst der GIK, April 1931
Der Unterschied in den Auffassungen der IWW und der Rätebewegung in Deutschland III. (Schluss)
Wir bauen die Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten.
Die Rätebewegung und der Kommunismus
Pressedienst der GIK, Dezember 1931
Die Rolle der CNT in der spanischen Revolution
II. Die CNT als Gewerkschaft (CNT - nationale Föderation der Arbeit) a>
IV. Die anarchistische Opposition
Pressedienst der GIK vom 19. Dezember 1931
Die Gruppe Internationaler Kommunisten Hollands zum Programmentwurf der AAU
Doppelorganisation und Fraktionsbildung in der Unionsbewegung
Zur Frage der Doppelorganisation II.
Und nun das Wort Doppelorganisation.
Zur Frage der Doppelorganisation III.
Pressedienst der GIK, Jahrgang 1932 fehlt
Pressedienst der GIK, Nr. 1, April 1933
Pressedienst der GIK Nr. 2, Mai 1933
Die Umwälzungen in Deutschland
I. Die Katastrophe der Sozialdemokratie
Pressedienst der GIK, Nr. 3, Juni 1933
Die Umwälzungen in Deutschland
II. Das Ende der kommunistischen Partei
Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation
Pressedienst der GIK Nr. 4, 1933 fehlt
Pressedienst der GIK, Nr. 5, September 1933
Nachschlag I: Entwicklungslinien in der Landwirtschaft, 1930
I. Die Entwicklung der “Waren”produktion
II. Die Entwicklung des Bodenertrags in Europa
IV. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften
V. Die Bedeutung des Anstiegs der Anzahl kleiner Unternehmen in Ost -Europa
VI. Die Bauerngenossenschaften in Russland: die NEP
VII. Die Vergesellschaftung im Allgemeinen
Nachschlag II: J. Harper (Anton Pannekoek): The Role of Fascism
Die Association Archives Antonie Pannekoek (a.a.a.p.) bezweckt historische Materialien zugänglich zu machen, vornehmlich, doch nicht ausschließlich, von der Holländisch-Deutschen Kommunistischen Linken, einer politischen Strömung, die während der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhundert einflussreich war und die ein bestimmtes Wiederaufleben am Ende der 1960er und am Anfang der 1970er Jahre gekannt hat.
Die Aktivitäten des Vereins werden durch eine kleine Zahl freiwilliger Mitarbeiter getragen, die von der historischen und politischen Bedeutung dieses Materials überzeugt sind.
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“Die Revolution klopft an die Tür der Geschichte, wenn die Illusionen von der Demokratie und den Verbesserungen der Lebensbedingungen innerhalb des Kapitalismus gebrochen sind und der anhaltende Druck auf die Massen so gewaltig geworden ist, dass nicht die geringste Hoffnung auf einen Ausweg übrig bleibt.” (Pressedienst[1] der GIK 1931)
Die Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) beschrieb zwei Grundbedingungen für eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft: zum einen die Einsicht der breiten Massen, dass ein auskömmliches Leben im Kapitalismus nicht gewährleistet ist, zum anderen das Elend, das die Menschen zu revolutionären Taten nötigt.
Vor 90 Jahren, als die Rätekommunisten aus Holland ihre Kritik am Kapitalismus niederschrieben, war die Welt von den Turbulenzen der Wirtschaftskrise des Jahres 1929 geprägt. Die ökonomische Entwicklung war ins Stocken geraten, Millionen Arbeitslose bevölkerten die Straße, in den Familien des Proletariats war die Not nicht mehr zu übersehen. Große Teile der arbeitenden Bevölkerung bekamen wegen der finanziellen Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von den USA die Auswirkungen der Krise besonders zu spüren. Sie mussten die Pleiten, mangelnden Absatzmöglichkeiten, die verschärfte Konkurrenz zwischen den Kapitalisten und Nationen mit dem Verlust ihrer Arbeit und ihres Einkommens ausbaden.
Viele Kommunisten sahen in der Wirtschaftskrise das Endstadium des Kapitalismus, das vom Proletariat mit einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft beantwortet werden sollte. Den überall in Europa aufkommenden Faschismus interpretierten manche Marxisten als das letzte Aufbäumen der Bourgeoisie gegen ihren drohenden Untergang: Eine Art Staatskapitalismus faschistischer Prägung sollte für sie die Rettung bedeuten, so die Einschätzung der Kritiker. Man stritt sich dann darum, ob diese Phase längerfristiger Natur oder nur ein Intermezzo vor der Machtergreifung des Proletariats sei.
Alle Kommunisten sahen im Faschismus/Nationalsozialismus eine Bedrohung der Arbeiterbewegung. Jedoch unterschieden sie sich in der Art und Weise der Bekämpfung. Während die Moskau-treuen Kommunisten die Einheitsfront mit der jeweiligen Bourgeoisie ihres Landes im Kampf gegen die Faschisten präferierten, mussten die Rätekommunisten konstatieren, dass ein Zusammengehen mit dem “Klassenfeind” den Selbstmord der Arbeiterbewegung bedeute.[2]
Heutzutage ist der Faschismus besiegt, und die Demokratie ist die weltweit einzig anerkannte Regierungsform des Kapitalismus, wenn auch die faschistische Gefahr, so die Ansagen der regierenden Demokraten, ständig um die Ecke lugt und im Rechtspopulismus eine demokratische Verkleidung wählt. Von revolutionären Bestrebungen in Richtung Sozialismus oder Kommunismus ist weit und breit kaum etwas zu sehen, obwohl die Zerwürfnisse überall auf der Welt genügende Anlässe bieten, über eine Alternative zum Kapitalismus und seiner Herrschaft zumindest nachzudenken.
Auf Basis der Annahme, es gebe gute Gründe für weite Teile der Bevölkerung, sich gegen ihre ruinöse Benutzung im Geschäftsleben oder der Verwaltung durch die Standorthüter zu wehren und einer Herrschaft die Stirn zu bieten, die die Verhältnisse, so wie sie sind, eingerichtet hat, stellen sich Kommunisten immer wieder die Frage, warum die Massen es nicht tun.
Als Erstes müsste man einwenden, dass es Kritik und Widerstand gegen die Verlaufsformen kapitalistischer und staatlicher Herrschaft zuhauf gibt. Jedoch eint diesen Protest eine untertänige Grundhaltung, die die gerechte Behandlung von den sie beherrschenden Institutionen einfordern will.
Wie schon die GIK vor 90 Jahren bemerkte, gibt sich ein Großteil der Bevölkerung, die mit den herrschenden Umständen unzufrieden sein müssten, der Illusion hin, Demokratie und Kapitalismus seien perfekte Lebensmittel, wenn sie nur von den richtigen Leuten verantwortet und betrieben würden. Auch trifft man die selbstkritische Variante an, dass man sich selbst beschuldigt, unzureichende Beiträge zum gesellschaftlichen Fortschritt zu leisten, und so es auch verdiene, umgekehrt “angemessen” behandelt zu werden. Besonders radikal gesinnte Staatsbürger vermuten gar im obrigkeitsstaatlichen Handeln, dem sie partout keinen Nutzen für sich und ihresgleichen entlocken können, landesverräterische Ambitionen.
Die Gruppe Internationaler Kommunisten setzte gegen die staatsbürgerliche Kritik die kommunistische, die der ausgebeuteten und unterdrückten Bevölkerung den Vorschlag unterbreitet, doch ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Dazu hatte sie ein im Detail ausgearbeitetes Konzept vorgelegt, wie eine Gesellschaft ohne Herrschaft sich selbst organisieren könne.[3] Dass der Weg hin zu dieser Gesellschaft nicht ohne Schwierigkeiten beschritten werden könne, war der Gruppe nicht unbekannt. In der kapitalistischen Gesellschaft mit ihrer bürgerlichen Herrschaft würden lukrative Interessen einer Minderheit bedient, die zum Schaden der Mehrheit gereichen. Die revolutionäre Umwälzung ist also mit Kämpfen der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen gegen die in Politik und Ökonomie Herrschenden verbunden.
Im Sinne des Ziels einer selbstorganisierten Gesellschaft müsse folglich auch der Weg dorthin selbst organisiert sein. Die Gruppe Internationaler Kommunisten schlug vor, dass sich die Betroffenen bei ihrem Kampf in Betriebsorganisationen organisieren und Räte bilden, die ausdrücklich nicht hierarchisch oder zentralistisch organisiert sind: Alle Beschlüsse werden von den Basisorganisationen selbst gefasst.
Die Kritik der Gruppe Internationaler Kommunisten steht im Gegensatz zu den Vorstellungen der Kommunisten im Umkreis der russischen Oktoberrevolution. Dort setzte sich - auch begünstigt durch die besonderen, rückständigen Verhältnisse - ein Staatssozialismus durch, der die zu befreiende Bevölkerung durch einen übermächtigen Staat dirigierte und zu seiner lohnarbeitenden Mannschaft funktionalisierte, die Mittel in einer sozialistischen Akkumulation sein sollte.
Mit den hoch angesehenen Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft, dem Parlament und den Gewerkschaften, konnten die Internationalen Kommunisten auch nicht viel anfangen. Während sie im Parlament das politisch beschließende Organ der herrschenden Klasse sahen, dienten die Gewerkschaften lediglich der Befriedung der Arbeiter, damit sie sich in das System der Lohnknechtschaft willig integrieren können.
Die deutschsprachige Ausgabe des “Persdienst van de Groepen van Internationale Communisten”, der “Pressedienst”, erschien von 1928 bis 1933. Er wurde im Jahre 1934 von der ebenfalls deutschsprachigen “Internationale Rätekorrespondenz”[4] abgelöst. Themengebiete waren die Selbstorganisation des Proletariats, die Kritik des Kapitalismus und seiner politischen Herrschaft und die Grundfragen der Organisation der kommunistischen Gesellschaft, sowie die Kritik des Leninismus/Stalinismus und des Anarchismus.
Die ersten Ausgaben des “Pressedienstes” beschränkten sich noch weitgehend auf die Auseinandersetzungen mit der holländischen Sozialdemokratie und den Gewerkschaften. Inhaltlich zeigen sie die kompromisslose Strategie der “Internationalen Kommunisten” zur revolutionären Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft. Allerdings wird bisweilen auf eine intensive theoretische Erklärung verzichtet und stattdessen auf eine stillschweigende Übereinkunft mit dem Leser gesetzt. Erst in späteren Ausgaben der Zeitung tritt die für die Agitation wichtige Auseinandersetzung mit Argumenten der “Linken” in den Vordergrund, und die Vorstellungen der Rätekommunisten werden klar formuliert und begründet.[5]
Hier müssen besonders hervorgehoben werden die ausführlichen Bemerkungen zur Landwirtschaft im Kapitalismus. Mehrere Artikel beschäftigen sich mit den Besonderheiten der landwirtschaftlichen gegenüber der herkömmlichen industriellen Warenproduktion. Aus diesem Grunde haben wir zur Vertiefung im Anhang “De ontwikkeling van het boerenbedrijf. (1930). Ontwikkelingslijnen in de landbouw” (“Entwicklungslinien in der Landwirtschaft”.) der Gruppe Internationaler Kommunisten aus dem Niederländischen übersetzt und - nach unserem Wissen - erstmalig in deutscher Sprache veröffentlicht.
Ebenfalls im Anhang findet sich ein Aufsatz von Anton Pannekoek - hier unter dem Pseudonym J. Harper - zum Faschismus. Die Beiträge im Pressedienst aus dem Jahre 1933 sind die ersten Einschätzungen der holländischen Kommunisten zum Nationalsozialismus in Deutschland und dessen Auswirkungen auf die etablierte Arbeiterbewegung. Mit einigem Abstand hat Pannekoek sich im Jahre 1936 an eine Analyse der Ursachen und Perspektiven des Faschismus und Nationalsozialismus gewagt. Die ursprüngliche Version des Aufsatzes wurde in englischer Sprache in der “International Council Correspondence” (USA) unter dem Titel “The Role of Fascism”[6] veröffentlicht.
Der “Pressedienst” wurde weit über die Grenzen Hollands zur Kenntnis genommen und in seiner Fortführung, der “Internationalen Rätekorrespondenz”, zur Grundlage des Rätekommunismus bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Leider ist ein erheblicher Teil der Ausgaben des “Pressedienst” verschollen. Dennoch bieten die noch verfügbaren Exemplare im “International Institute of Social History” (IISG) in Amsterdam einen guten Überblick über die Vorstellungen der Gruppe Internationaler Kommunisten.
PIC
PERSMATERIAAL VAN DE GROEPEN VAN
INTERNATIONALE COMMUNISTEN
SECRETARIAAT: KAPELSTR. 3, BUSSUM
Deze mededeelingen worden toegezonden aan de Rev. pers. Men wordt verzocht te plaatsen wat voor de lezers van belang kan zijn. Op aanvraag krijgt ieder deze mededeelingen geregeld toegezonden. Gaarne ontvangt het secretariaat de uitgaven der verschillende organisaties als ruilmateriaal.
[Diese Mitteilungen werden an die revolutionäre Presse gesendet. Es wird um Veröffentlichung gebeten, was für die Leser von Interesse sein könnte. Jeder erhält diese Mitteilungen regelmäßig auf Anfrage. Das Sekretariat würde sich freuen, die Ausgaben der verschiedenen Organisationen als Austauschmaterial zu erhalten.]
Ohne Zweifel ist es ein bedenkliches Unternehmen, von einer REVOLUTIONÄREN GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG zu sprechen, seit Revolution und Gewerkschaften zu unüberbrückbaren Gegensätzen geworden sind. Und wir wollen denn auch gleich sagen, dass es eine solche Bewegung nur dem Namen nach gibt. Die Gewerkschaften, welche sich mit diesem Namen schmücken, gehören hier in Holland zum Moskau’schen, syndikalistischen und anarchosyndikalistischen Typ.
Über den Moskau’schen Typ haben wir schon früher berichtet in der KAZ[7]. Es war das NAS (Nationaal Arbeids Secretariaat), das früher alle syndikalistischen Gewerkschaften umfasste, aber mit
DER EROBERUNG DURCH DIE KOMMUNISTEN AUSEINANDER FIEL. (1922)
Die Moskoviten haben insoweit wenig Freude an ihrer Eroberung erlebt, als das NAS sich von der hiesigen KPH loslöste und die Mitglieder bemerkten, dass die Kommunisten die Absicht hatten, das NAS allmählich den freien Gewerkschaften auszuliefern. Dass die Mitglieder sich hier durchsetzen konnten, findet seinen Grund hierin, dass auch die Interessen der Führerschaft einer derartigen Überführung widersprachen. Die kommunistischen Führer waren so in Gegensatz zu ihrer Partei gekommen, und selbstverständlich gebrauchten sie den Gewerkschaftsapparat als Werkzeug gegen die Parteileitung. So sind die heutigen Führer keine Syndikalisten, sondern Kommunisten, und so versteht es sich, dass in den letzten Jahren gründlich aufgeräumt wurde mit den syndikalistischen Tendenzen, welche von früher her vorhanden waren. Um diese “revolutionäre” Gewerkschaft zum brauchbaren Werkzeug in den Händen der Führer zu machen, wurde der Apparat völlig zentral aufgezogen. Der Hauptmacher ist der früher tüchtige Revolutionär SNEEVLIET, der jetzt “seine” Gewerkschaft gebraucht, um “seine” Differenzen mit seinen moskovitischen Brüdern auszufechten. Bei den kommenden Wahlen wird er gegenüber der Wahlliste der KPH eine andere stellen, um die Gewerkschaftler ins Parlament zu bringen.
SO HABEN SICH DIE IDEOLOGISCHEN VERHÄLTNISSE IN DEM VORMALIGEN SYNDIKALISTISCHEN NAS VÖLLIG GEÄNDERT.
Es ist jetzt parlamentarisch eingestellt, bewegt sich auf dem Terrain der kollek-tiven Arbeitsverträge, während jetzt auch darauf gepaukt wird, dass er “nicht ganz ablehnend” stehen kann gegenüber dem sog. “INDUSTRIELLEN FRIEDEN”. Was alles nicht hinwegnimmt, dass diese Gewerkschaften sich noch immer “revolutionär” nennen.
Betrachten wir jetzt die Gewerkschaften des “syndikalistischen” Typs. Diese haben sich zusammengeschlossen in dem NSV (Nederlandsch Syndikalistisch Verbond[8]) unter Führung eines Brot-Syndikalisten, der Lansink heißt. Diese Gewerkschaftszen-trale ist eine Absplitterung vom NAS.
Als 1922 das NAS nach Moskau segelte, machten verschiedene Gewerk-schaften nicht mit, und sie sollten dann den “reinen” Syndikalismus in ihrer neuen Zentrale, dem NSV, hochhalten. Das Geschäft hat aber nicht flo-riert. In der Praxis konnte von dem “reinen” Syndikalismus natürlich nichts kommen. Stehend auf dem Boden der “Besserung der Arbeitsbedin-gungen” konnten sie nur in Wettbewerb stehen mit den konkurrierenden Organisationen der freien, christlichen und NAS-Gewerkschaften. Daraus musste die dreckigste Koalitionspolitik hervorgehen. Ihre Losungen DIREKTE AKTION, ANTIPARLAMENTARISMUS UND SELBSTTÄTIGKEIT DER ARBEITER konnten sich hierbei nicht anders als Farcen auswirken. Sie lebten und leben immer in “Interessengemeinschaft” mit katholischen, christlichen und freien Verbänden, weil eben sonst keine “Verbesserungen” für die Arbeiterschaft zu erkämpfen sind. Viel zu unbedeutend, um selber “Politik” zu machen, müssen sie also von der KOALITIONSPOLITIK leben. Findet der ökonomische Parlamentarismus seinen Ausdruck in der Bereitschaft zum Abschluss von kollektiven Verträgen, auch der politische Parlamentarismus ist nur dem Namen nach da. Es gibt in Holland eine Körperschaft, welche die Minister informiert und Ratschläge gibt bei der Zusammensetzung der Arbeits-gesetze. In dieser Körperschaft hat der antiparlamentarische NSV auch einen Vertreter, um mit diesen Gesetzen zu machen, was davon eben zu machen ist.
Aus allen diesen Dingen geht schon hervor, dass dieser NSV eine Führerbewegung vom reinsten Wasser sein muss. Dies ist tatsächlich der Fall. Wie unglaublich es klingen möge: DIESER “REINE” SYNDIKALISTISCHE NSV MIT SEINEN 4 000 MITGLIEDERN VERFÜGT ÜBER NICHT WENIGER DENN 14 BEZAHLTE FÜHRER, WELCHE Fl. 26 000 PRO JAHR EINHEIMSEN!
Obwohl wir noch weiter auf die finanziellen Schwierigkeiten im NSV eingehen könnten, glauben wir, dass dies genügt, um einsehen zu können, dass der Zustand unhaltbar war. Für die Führer, meine ich. Der NSV ist schwer mit Schulden belastet, und also sind die Führer direkt in ihrer Existenz bedroht. Es musste also nach Mitteln umgesehen werden, ihre Existenz zu sichern, was dann in der üblichen Sprache heißt, dass die “Kampforganisation” besser gefestigt werden muss. Wie diese Perle in der Krone der IAA das auffasste, wollen wir das nächste Mal sehen.
(Wir denken, ungefähr sechs informierende Artikel über obiges Thema abzudrucken. Anfragen für dieses Material sind zu richten an obenstehende Adresse.)
Es war unseren 14 bezahlten Führern vom NSV ein Dorn im Auge, dass in Holland zwei revolutionäre “syndikalistische” Gewerkschaftszentra-len nebeneinander existierten. So etwas ist für bezahlte Gewerkschafts-bonzen, seien es auch syndikalistische, nicht mit ihrem revolutionären Gewissen zu vereinbaren. Obendrein: Von den 8 000 Mitgliedern, welche bei der Absplitterung vom NAS da waren, blieben nur noch 4000 übrig. Und was sollen Generäle anfangen ohne Soldaten? Im Interesse der revolutionären Einheit musste also die Verschmelzung vom zentralistisch-kommunistischen NAS mit dem sog. “reinen” syndikalistischen NSV zu Stande kommen.
Und ehrlich gesagt, lag auch kein Grund vor, die Scheidung noch länger aufrechtzuhalten. Parlamentarisch waren beide und Koalitionspolitik trieben sie auch; die Notwendigkeit kollektive Arbeitsverträge abzuschließen, sahen beide ganz gut ein, nur war das NAS bei der RGI angeschlossen und der NSV bei der Berliner IAA. Aber ein Nörgler, der auf solche Kleinigkeiten achtet! Prinzipienerklärungen sind doch eben auch NUR Papierfetzen!
Demnach wurde von der Führerschaft des NSV beschlossen, die Besprechungen über die Verschmelzung mit den Führern des NAS einzuleiten. Zwar hat die Mitgliedschaft nie einen Antrag in diese Richtung gegeben; aber man kann diese doch nicht mit aller organisatorischen Kleinarbeit belästigen.
Selbstverständlich kam die Einheit in den höheren Rängen zustande. Die “reinen” Syndikalisten waren gewillt, ihre “Kampfesbrüder” mit Haut und Haar in die zentralistisch-kommunistischen Gewerkschaften, das heißt an den politischen Zentrismus, auszuliefern. Nun musste aber schließlich doch noch die Mitgliederschaft befragt werden. Und dass die Dinge nicht ohne innerliche Stöße verlaufen konnten, ist ja selbstredend. So wurde denn eine Urabstimmung eingeleitet, mit dem Erfolg, dass tatsächlich die Mehrheit, sei es auch eine kleine, sich für die Verschmelzung aussprach.
Ihr meint vielleicht: Jetzt große Freude bei den Bonzen! Völlig geirrt, meine Lieben. Das NAS ist doch auch geschäftstüchtig. Es wollte den “Beamtenapparat” wohl mit übernehmen, aber nicht NUR den “Apparat”. Und so viel war im Voraus zu sehen, dass der NSV mit so einer Urabstimmung bei dem Übergang auseinanderfallen würde. Also stellte die NSV-Führerschaft fest, dass die Zeit der “Festigung der Kampforganisation” noch nicht gekommen sei, und damit nahm sie sich die Freiheit, den Beschluss der Urabstimmung nicht auszuführen. -Alles Bonzenpolitik wohin wir blicken!
So viel ist aber klar, dass damit der NSV nicht gerettet wird. Als erster Erfolg sind denn auch verschiedene Gewerkschaften ausgetreten und haben den Beschluss selbst durchgeführt; sie suchten Unterkunft beim NAS, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden. Diese Verschmelzungsversuche haben dem NSV bis jetzt weitere 2 000 Mitglieder gekostet, und also sind noch 2 000 vorhanden. So wird bei uns revolutionäre Einheit gemacht.
Bevor wir die weiteren Geschehnisse im NSV skizzieren können, müssen wir nun die ANARCHOSYNDIKALISTISCHE GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG betrachten. Es ist hier vor ein paar Jahren eine neue revolutionäre Gewerkschaftsbewegung entstanden, welche ihren Ausgangspunkt bei den Amsterdamer Elektrizitätsarbeitern hatte. In ganz kurzer Zeit wussten diese eine kräftige Organisation zu gründen, welche völlig auf dem Betrieb aufgebaut ist. Der Aufbau entspricht den revolutionären Betriebsorganisationen, wie diese in Deutschland bekannt sind. Außer in der B.O. der Elektrizitätsarbeiter wird dieses Organisationsprinzip mit ziemlich gutem Er-folg auf die anderen städtischen Betriebe wie Wasser- und Gaswerke, Müllabfuhr usw. übertragen. Die ganze Föderation der B.O.’s arbeitet ohne jeden bezahlten Angestellten.
Es handelt sich hier um eine eigentümliche Erscheinung, wofür wir keine genügende Erklärung geben können. Wie bekannt, werden die Arbeitsbedingungen dieser Arbeiter von dem Gemeinderat festgesetzt. Daneben gibt es dann einen ganzen offiziellen Apparat von Schlichtungsausschüssen mit Interessenvertretungen von Seiten der Gewerkschaften und der Verwaltung der Betriebe, an welchen dann auch alle Gewerkschaften, ausgenommen die obengenannten B.O.’ s, teilnehmen. Hier ist in dem Kampf um die “Besserung der Arbeitsbedingungen” also der Weg der “Demokratie” voll ausgebaut, und gerade hier bilden sich für Holland die ersten Ansätze des Selbsthandelns der Arbeiter. Man kann sagen, dass die Arbeiter ihre Organisation völlig in der Hand haben.
Wie oben schon bemerkt, können wir keine genügende Erklärung für diese Entwicklung geben. Man kann darauf hinweisen, dass die Praxis der ausgebauten “Demokratie” gleich ihre Unzulänglichkeit bewiesen hat. Doch ist das nicht genügend, die mehr revolutionäre Gesinnung der städtischen Arbeiter zu erklären. Ihre Arbeitsbedingungen sind etwas besser als in den “privaten” Betrieben, ihre “Rechtsposition” ist besser gesichert, sie werden nicht so stark von den Schwankungen der “Konjunktur” betroffen. In Beziehung zur “Privatwirtschaft” haben sie ohne weiteres etwas zu verlieren.
Eine experimentelle Untersuchung nach den ideologischen Verhältnissen bei diesen Arbeitern ist durchaus wichtig.
Der Form nach haben diese Arbeiter also die revolutionäre B.O. verwesentlicht, dem Inhalt nach aber noch lange nicht. Diese Bewegung ist als revolutionäre Bewegung schließlich auch zum Tode verurteilt, weil sie bis jetzt doch nicht MEHR als eine Gewerkschaftsbewegung ist. Wie sie jetzt schon auf das tote Gleis geschoben wird, untersuchen wir nächste Woche.
Wie bedauerlich es auch sein möge, dass die erwähnten Betriebs-organisationen der Amsterdamer städtischen Arbeiter aufs tote Gleis geraten sind, so ist es doch nicht verwunderlich. Ideologisch sind sie noch völlig auf den Gewerkschaftsstandpunkt des “täglichen Kampfes ums Brot” eingestellt, welcher eben “mit mehr revolutionären Mitteln” geführt werden soll. Die B.O. offenbart sich dazu als die beste Waffe. Das Organisationsprinzip nach Betrieben entspricht hier noch nicht der klaren Einsicht, dass diese Organisation die Handhabe ist für die Entfaltung des Selbstbewusstseins zur Durchführung der sozialen Revo-lution. Leitmotiv des Handelns bleibt immer noch “der Kampf ums Brot” und nicht das Schaffen der Vorbedingungen der Revolution, wo dieser Kampf NICHT als Ziel erscheint, sondern als unmittelbare Schule für die Selbstorganisation und das Selbsthandeln des Proletariats.
Dies zeigt sich z. B. auch an den von den Betriebsorganisationen angesetzten Bestrebungen, in die IAA aufgenommen zu werden. Diese Internationale steht zwar der Prinzipienerklärung nach auf dem Boden des Räteprinzips, aber … so weit wir wissen, hat nicht eine einzige der angeschlossenen Gewerkschaften dieses Prinzip verwesentlicht. Es sind alles gewöhnliche Berufsverbände, welche ganz gewöhnliche Koalitionsgewerkschaftspolitik treiben, welches nichts anderes sein kann als Führerpolitik. Darum wird hier der erste Grundsatz der Entfaltung des Selbstbewusstseins verletzt. Die Amsterdamer B.O.’s wissen auch sehr gut, dass die IAA den Standpunkt der “Notwendigkeit des Abschließens von kollektiven Arbeitsverträgen” einnimmt, was wiederum auf der Koalition von Kapital und Arbeit beruht und wiederum nur FÜHRERPOLITIK sein kann. Obwohl sie also sehr gut wissen, dass sie nicht mehr als eine Führergewerkschaftszentrale ist, bewerben sie sich mit einem Fleiß, einer besseren Sache würdig, bei diesem Hemmschuh für die Entwicklung der B.O.’s aufgenommen zu werden. Das sind die Konsequenzen, wenn der “Kampf ums Brot” Richtschnur des Handelns ist.
Die erste Anfrage um Aufnahme in die IAA wurde aber abge-lehnt, weil das NSV in Holland schon angeschlossen war. Die einzige Lösung war also Anschluss beim NSV. Davon konnte aber keine Rede sein, was ein jeder verstehen kann, wenn man unsere Betrachtungen über diese Bonzen-Bande gelesen hat.
Der Zersetzungsprozess im NSV kam aber zu Hilfe. Nach dem Kuhhandel betreffend Verschmelzung mit der zentralistisch-kommunistischen NAS fiel das NSV auseinander. Und die B.O.-€˜s. benutzten die Gele-genheit, eine neue Gewerkschaftszentrale zu gründen: das SYND.VERBOND VAN BEDRIJSFSORGANISATIES (SVB) (1 April 1928).
So haben wir jetzt drei “revolutionäre” Gewerkschaftszentralen: eine kommunistische (NAS), eine syndikalistische (NSV) und eine sog. anarcho-syndikalistische (SVB).
Bei dem Zusammenbruch des NSV sind die beiden anderen Zentralen selbstverständlich als Geier rund um das Aas geflogen. Beide versuchten möglichst große Stücke aus dem Kadaver zu reißen mit der Folge, dass das NSV vergangene Woche nur noch 1500 Mitglieder hatte. Die Zentrale der B.O.-€˜s tat also auch das Ihre und forderte die syndikalistischen Gewerkschaften auf, zu ihr überzusiedeln. Der “Kampf ums Brot” als Zielsetzung führte also zur Untergrabung ihrer eigenen Existenzberechtigung. Es wurden ganz gewöhnliche Koalitionspolitik treibende Führergewerkschaften aufgefordert, der Zentrale der Betriebsorganisationen beizutreten. Und das will dann noch den Namen haben, gegen den opportunistischen Reformismus und reformistischen Opportunismus zu kämpfen! Gerade bei der IAA wird ein Name missbraucht, um eine versumpfte Ladung von altmodischer Arbeiterbewegung zu decken. Während eine neue Arbeiterbewegung ganz klar im Wort und vor allem in der Tat zeigen muss, dass nur das Rätesystem Grundlage des Klassenhandelns sein kann und dadurch nur die Führerpolitik beseitigt werden kann, wird hier dem organisatorischen Erweiterungstrieb nachgegeben und die eigenen Prinzipien verspottet.
Kehren wir jetzt zurück zu der Frage der Aufnahme in die IAA. Wurde man bei der ersten Anfrage einfach zum NSV verwiesen, nach den “Einheitsbestrebungen” dieser Zentrale lagen die Dinge anders. Und so waren dann auch die Anarcho-Kommunisten eingeladen, sich an dem in diesem Sommer abgehaltenen Kongress der IAA in Lüttich zu beteiligen. Die Vertreter des NSV waren auch dort und nahmen nun nicht gerade eine angenehme Position ein.
Es war den Anarcho-Syndikalisten ein Leichtes, diese Brüder als Gewerkschaftsschieber hinzustellen. Wichtig ist aber zu bemerken, dass der Kongress nicht ohne Weiteres die Schieber ausschloss, sondern eine Resolution annahm, in Holland einen “Einigungskongress” der Syndikalisten und Anarcho-Syndikalisten einzuberufen unter Präsidium der IAA und dass die “Differenzen” im laufenden Jahre geschlichtet sein müssen.
Diese Lösung ist für die Schieber ein gefundenes Fressen im wahren Sinne des Wortes. Der beabsichtigte Kongress hat vor einem Monat stattgefunden, und im Prinzip wurde die “Einigung” angenommen.
Eine Urabstimmung muss noch den endgültigen Beschluss fassen. Die Bonzen können bereits erleichtert aufatmen, denn damit sind sie der Drohung, dass sie von dem Zerfall des NSV selber kaltgestellt würden, entronnen.
Wir können den Gang der Ereignisse für die revolutionäre Bewegung nicht anders sehen als einen Schritt rückwärts. Nicht nur, dass die Propaganda für das Rätesystem jetzt unterbunden wird, weil es den Interessen der Führer widerspricht, aber nun ist es auch unmöglich, Koalitions- und Führerpolitik prinzipiell anzugreifen, weil diese schließlich die Politik der IAA ist.
Dieser Ausgang war nicht anders zu erwarten. Die neu entstandenen Betriebsorganisationen waren und sind ideologisch noch nicht weit genug fortgeschritten um einzusehen, dass ihre Existenzberechtigung gerade dort liegt, wo sie sich scharf gegenüber jeder Bewegung stellen, die nicht das Räteprinzip und das Selbsthandeln zum Ausgangspunk jeder proletarischen Tätigkeit macht. Man entschuldigt sich dann mit der Redewendung, dass die “Anderen” noch nicht so weit sind, und darum muss man den “Kampf ums Brot” führen und Kompromisse machen. Damit sind diese Betriebsorganisationen auf das tote Gleis gekommen.
Fassen wir unsere Betrachtungen über die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung in Holland zusammen, dann sehen wir, dass wir ruhig das Wort “revolutionär” weglassen können, womit nur der Sumpf übrigbleibt. Ein wesentlicher Fortschritt bleibt aber die Bildung der obenerwähnten Betriebsorganisationen. Mögen sie auch den wirklichen Charakter der Gewerkschaftsideologie noch nicht erkannt haben, Tatsache bleibt, dass die Arbeiter ihre Organisation in den Händen haben. … Es kann aber nicht mehr herauskommen als darin steckt. Propaganda für eine ideologische Neuformierung und für das aktive Eingreifen der Arbeiter ohne und gegen die Gewerkschaften bleibt also das Gebot.
In Holland gibt es drei verschiedene Faktoren, die den Prozess der Selbstaktivität und ideologischen Klärung beschleunigen. Unter den revolutionären Arbeitern gibt es in vereinzelten Betrieben einen kleinen, aber fest entschlossenen Kern, der seine Aufgabe versteht und die treibende Kraft zur Selbstaktivität ist. Schon mehrere Male haben sie die Belegschaft eines Betriebes zu geschlossenem Auftreten mit Beiseitestellung der Gewerkschaften gebracht. Die Arbeit dieser Genossen ist sicher als die wichtigste zu betrachten.
Der zweite Faktor, welche die ideologische Vorbereitung zur Bildung von Betriebsorganisation schafft, ist der “soziaal anarchistisch Verbond” (= SAV), dessen Prinzipienerklärung durch INO weiterverbreitet ist.
Der SAV wurde im Sommer diesen Jahres gegründet und ist selber das Produkt politischer Gärung der ideologischen Umformungen und Neubildungen innerhalb der anarchistischen Bewegung. In Holland war diese immer eine ungeordnete Zusammenwürfelung der meist auseinanderlaufenden Weltanschauungen. Es war immer eine Bewegung mit fast nur negativen Merkmalen. Es konnte nur angegeben werden, was sie nicht war. So war hier alles vertreten, was gegen die Gewalt, gegen den Staat, gegen die Unterordnung des Einzelwillens unter dem Willen der Gesamtorganisation, gegen Zentralismus war, und so waren auch viele Anarchisten gegen die anarchistischen Gewerkschaften, weil diese eine Unterbindung des Einzelwillens voraussetzen. Ideologisch fand man hier die meist verschiedenen Auffassungen, welche sich zum Beispiel auch hierin äußerten, dass man nie zu einer “Prinzipienerklärung” kam. Das allgemeine Bindemittel der heterogenen Masse waren ein paar Schlagwörter, welche jedes auf seine Weise interpretierte und in der Praxis des Klassenkampfes von keinem Nutzen waren.
Die revolutionären Zuckungen der proletarischen Massen in Russland und Mitteleuropa, die Besetzung der Betriebe in Italien haben aber ihren Einfluss auf die hiesige anarchistische Bewegung gehabt … und schließlich zu einer sehr gesunden Spaltung geführt, … ist sie auch unseres Erachtens noch nicht gesund genug. Der revolutionäre Klassenkampf setzte mit seiner Kritik der Schlagwörter ein. Der “individuellen” Freiheit setzte er ihre Grenzen, den “Gewaltlosen” wurde es ein bisschen kitzelig ums Herz, “die Waffen nieder” verwandelte sich bei vielen in “die Waffen her”. Kurz und gut: Es kamen mehr klare Vorstellungen in Bezug auf Führung und Ziel des Klassenkampfes. So findet man jetzt unter den Anarchisten kräftige Befürworter des Rätesystems, aufgebaut auf den Betrieben und selbst Vertreter der Diktatur des Proletariats, was dann selbstverständlich eine Klassendiktatur sein soll.
Es ist klar, dass diese Gärung und Klärung nicht “reibungslos” verlief. Wie gewöhnlich nahmen sie oft den Charakter des “Persönlichen” an, und die “echten”, “verbissenen” Anarchisten, bei welchen ihre “Prinzipien” zu Schrullen entartet waren, konnten dem tieferen Sinn der Zwistigkeiten auch nicht auf die Spur kommen.
Aber wie gesagt, es kam schließlich zu einer Spaltung in der anarchistischen Bewegung. Der SAV wurde gegründet im Gegensatz zu der bestehenden “Föderation anarchistischer Gruppen”. Wir wiesen eben schon auf die Prinzipien-Erklärung hin. Bemerkenswert waren die Diskussionen, welche dazu auf der Gründungsversammlung gehalten wurden. Obwohl die Versammlung in ihrer großen Mehrheit antigewerkschaftlich eingestellt war und auf dem Boden der Betriebsorganisation stand, wurde dies nicht in der Prinzipienerklärung festgelegt, weil dieses Thema in den früheren Gruppen nicht durchdiskutiert war und viele der Anwesenden keine genügend fundierte Meinung über Gewerkschaft - Betriebsorganisation hatten. Jedenfalls scheiterte der Versuch einer der Führer vom “syndicalistischen Verbond van bedrijfsorganisaties” in die Prinzipien-Erklärung des neuen SAV aufzunehmen, dass man sich auf den Boden der IAA stellen sollte, vollkommen. Der erste Angriff, den neuen anarchistischen Verband zu einem Werkzeug revolutionärer Gewerkschaftspolitik zu machen, wurde glänzend abgeschlagen.
Die Schwächen des neuen SAV sind vielerlei. Die Hauptschwäche meinen wir sehen zu müssen in seiner “Abstammung”, … welche von anderer Seite aus gesehen wieder gerade seine Kraft ist. Die “Abstammung” als Schwäche heißt dann, dass bei ihm der ökonomische Determinismus zu wenig Beachtung findet und daher die politischen und sozialen Erscheinungen in dem Lichte des historischen Materialismus gesehen werden. Daher bildet die anarchistische Neugruppierung des SAV denn auch noch keine geschlossene Einheit, sondern man begegnet hier nur kräftigen Tendenzen völliger Neuorientierung zum modernen Klassenkampf. Alles ist noch im Werden begriffen. Die Orientierung nach dem Rätesystem findet nicht an erster Stelle seinen Grund in den Produktionsverhältnissen des modernen Kapitalismus, sondern mehr in der Versumpfung der Gewerkschaften, auch in den sogenannten syndikalistischen, die im günstigsten Fall mit Worten den politischen Parlamentarismus ablehnen, um schließlich im ökonomischen Parlamentarismus ihren Existenzboden zu finden. Kurz gesagt: Aus der täglichen Praxis treten sie an die Dinge heran und nicht aus der Theorie.
Sehr stark tritt das zutage in der Frage der Diktatur. Zwar gibt es in der neuen Gruppierung einzelne Genossen, welche sich in ihrer Zeitung “OPSTAND” (=Aufstand) auf den Standpunkt der Klassendiktatur stellen, aber die Mehrheit schreckt vor solchen Begriffen, welche zu viel von den alten Phrasen der “individuellen Freiheit” abweichen, zurück. Und doch ist es für den Revolutionär schließlich Blödsinn, sich für oder gegen die Diktatur des Proletariats zu erklären, weil sie tatsächlich die Frucht der sozialen Umwälzungen ist. Das SAV wird ihre [?] eigenen Auffassungen der Gemeinwirtschaft hervorgeht. [?]
Die soziale Revolution hat für den Anarchisten sicher eine andere Bedeutung als für den Staatskommunisten Moskauer Typs. Bei Letzterem wird der Kommunismus so verstanden, dass die Betriebe in Gemeinbesitz, womit sie die “Verstaatlichung” meinen, überführt werden, während die Wirtschaft nach den alten Kategorien von Markt, Preis, Geld, weitergetrieben wird; das heißt nach den Bewegungsgesetzen der kapitalistischen Wirtschaft. Eine wirkliche soziale Revolution schafft aber eine andere Wirtschaftsweise mit anderen Bewegungsgesetzen. Nicht der Staat “sozialisiert”, sondern die Produzenten selbst, und diese haben also die Bewegungsgesetze, nach welchen die neue Wirtschaft verlaufen wird, anzugeben. Ökonomische Bewegungsgesetze haben aber eine allgemeine Gültigkeit (sonst gibt es bei gesellschaftlicher Arbeit keine Wirtschaft), und somit geben die proletarischen Räte die allgemeinen Regeln, wonach die Produzenten selbst die Produktion ordnen: was eine ökonomische Klassendiktatur ist. Und weil die Politik nur eine andere Seite der Ökonomie ist, ist sie zugleich eine politische Klassendiktatur. Mit der Diktatur einer Partei, was nur das Produkt staatskommunistischer Bestrebungen ist, hat das nichts zu schaffen.
Wir sind denn auch fest überzeugt, dass der SAV bei weiterer Untersuchung der Probleme der sozialen Revolution die Begriffe klarer herausschälen wird, und die Aufnahme der Diktatur des Proletariats in das Programm wird dann heißen: eine ganz klare Zielsetzung zur Gründung kommunistischer Wirtschaft.
Wir müssen jetzt aber noch eine andere Seite des SAV-€˜s besprechen. Wie gesagt führt diese Organisation die Propaganda für die soziale Revolution mit dem Rätesystem als Waffe. Das Sonderbare hierbei ist aber, dass sie als Anarchisten Gegner von politischen Parteien sind. Es muss dazu bemerkt werden, dass diese neue Gruppierung doch nichts anderes als eine politische Partei ist, möge sie auch ein anderes Namensbrett tragen. Wir finden es gut, nur muss man aussprechen, was ist. Aus den Verhältnissen heraus tritt also hier in Holland die Doppel - Organisation hervor. Insoweit ist dies bemerkenswert, weil die Frage der Doppel - Organisation, welche in Deutschland so viele Geister in Bewegung bringt, hier noch gar keine ist. Es wird hier noch als eine “Selbstverständlichkeit” hingenommen - ganz “natürlich” fügen die Genossen, welche meinen, dass eine ganz neue Arbeiterbewegung entstehen muss, sich zusammen, um ihre Ansichten weiterzubringen. Wer meinen möchte, dass sie ihre “Partei” nur als Propagandatruppe auffassen, kennt die Jungen, welche hier die treibende Kraft bilden, nicht. Diese haben das der holländischen Bourgeoisie schon mehrere Male bei ihren Anti-Wahl- oder Dienstverweigerungskampagnen deutlich gemacht.
Dann gibt es noch einen dritten Faktor, welcher den Prozess der Selbstaktivität und ideologischen Klärung beschleunigen wird, und das ist dann die Gruppe Internationaler Kommunisten. Diese propagiert, wohl noch als kleine Gruppe, aber doch ausgerüstet mit dem, was die deutsche und russische Revolution uns an Lehren des Klassenkampfes gegeben hat, die Betriebsorganisation als wichtigste Waffe in der proletarischen Revolution.
Die “Groep van Internationale Communisten”, Holland, hat folgendes Begrüßungs- und Informationsschreiben der IWW zugeschickt.
Genossen!
Die “Groep van Internationale Communisten” Holland, bringt hiermit ihre Grüße an die revolutionären Genossen der IWW und wünscht Euch eine kameradschaftliche Diskussion, welche zu einer gekräftigten Position im Klassenkampf zur Vernichtung des Kapitalismus und zur Gründung der Assoziation freier und gleicher Produzenten führen möge.
Nach der Welle revolutionärer Aufstände in Europa sind die Proletarier geschlagen worden; der Kommunismus, welcher etwa 1918 innerhalb weniger Jahre verwirklicht zu werden schien, lebt scheinbar nur noch in den weiten Perspektiven der Geschichte. Die Massen kehrten zur sozial-demokratischen Methode der Parteipolitik und zum “Kampf ums Brot” nach alter Gewerkschaftstaktik zurück.
Obwohl es den Anschein hatte, als sollte der Kapitalismus zusammenbrechen, hat er sich doch erholt, wenigstens in politischer Hinsicht. Die Ketten der Lohnsklaverei sind fester geschmiedet als je zuvor. Die verschiedenen internationalen kapitalistischen Konferenzen der Staats-Drahtzieher, des Völkerbundes: Es sind alles Ausdrücke einer internationalen politischen Konzentration der Staaten mit dem Ziel, eine internationale politisch kapitalistische Macht gegen das Proletariat aufzurichten.
Wir wissen alle, dass die politischen Erscheinungen die Reflexe der ökonomischen sind. In diesem Fall ist es die Widerspiegelung der internationalen Trustbildung, der internationalen ökonomischen, kapitalistischen Konzentration, welche eine mächtige, ökonomische Weltfront gegen die proletarische Revolution bildet. Das ist die Bedeutung des allgemeinen Rufs nach Demokratie, Weltfrieden und Entwaffnung; sie sind die bezaubernden Phrasen, unter welcher Maske die Organisation der Konterrevolution sich vollzieht.
Es ist traurig, feststellen zu müssen, wie die proletarischen Massen in diesen demokratischen Illusionen befangen sind, was man als den größten Sieg bezeichnen kann, den der moderne Kapitalismus je errang. Die kapitalistische Klasse unterwarf die Naturkräfte: Luft und Wasser, Dampf, Magnetismus, Elektrizität, alle mechanischen Kräfte und stellte sie in ihren Dienst. Aber die “lebende” Naturkraft, die Arbeitskraft der proletarischen Klasse, war nicht unterworfen, weil diese Klasse in unversöhnlichem Gegensatz zu denen stand, welche allein die Vorteile der mechanischen Kräfte für sich beanspruchten. Der Sieg der demokratischen Phrasen ist die Unterwerfung der “lebenden” Naturkraft, um diese als ein williges Werkzeug in das kapitalistische System einzuschalten.
Die “lebende” Naturkraft ist hauptsächlich verkörpert in der altmodischen Arbeiterbewegung der sozial-demokratischen Parteien und Gewerkschaften. Diese Organismen denken keinen Augenblick an einen Umsturz des Kapitalismus und Vernichtung des Lohnsystems. Ihr Lebensboden ist die Zusammenarbeit von Arbeit und Kapital; sie haben sich zu großen Trusts in den Händen ihrer Besitzer, der Bonzen, für den Verkauf der Arbeitskraft und der politischen Energie entwickelt. Wie der technische Produktionsapparat ein Instrument des Parasitismus ist, so sind die sozial-demokratischen Parteien und Gewerkschaften das Instrument des Strebertums, der personellen Interessen der Bonzen. So ist zu erklären, wie hier in Europa überall Lohnherabsetzungen, Verlängerung des Arbeitstages, Erhöhung der Ausbeutung durch “Rationalisierung” durchgeführt wurde mit Hilfe der sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften gegen den Widerstand der Mitglieder.
Die Dritte Internationale ist vollkommen in diese Front der Konterrevolution aufgenommen. Die Massen, welche die sozial-demokratische und gewerkschaftliche Front verlassen, werden von den sog. “Kommunistischen Parteien” aufgefangen und unter der Maske der “Zellenbildung” mit revolutionären Phrasen in die hoffnungslose Front der Konterrevolution zurückgetrieben. Nicht die Destruktion, die Vernichtung, sondern die Beibehaltung des wichtigsten Stützpunktes der Kapitalherrschaft ist das Ziel der Dritten Internationale. Ihre Taktik ist einzig und allein von den Notwendigkeiten des russischen Staatskapitalismus, für den eine Weltrevolution nur eine Behinderung ist, vorgeschrieben. Russland braucht eine Zusammenarbeit mit den kapitalistischen Staaten der Welt für seine “nationale Ökonomie”. Das sind die Bewegungsgesetze einer Ökonomie, gegründet in privatem Bodenbesitz und Staatskapitalismus. Darum treibt sie die unzufriedenen Massen durch scheinrevolutionäre Parolen immer wieder in die Gewerkschaftsfront, die sich unzweideutig jeder revolutionären Bewegung, wenn nötig mit Kanonen, Bomben und Maschinengewehren, gerade wie der kapitalistische Staat, widersetzt. Die Rolle, welche Moskau in Asien spielt, passt vollkommen in dieses System und gehört zu dem Gemeinsten, das je vollführt wurde.
Die syndikalistische Gewerkschaftsbewegung in Europa ist durch die Entwicklung des Kapitalismus auf ein totes Gleis gekommen. Ihre Ziele sind wie vor Jahren die direkte “Besserung der Arbeitsbedingungen”, wodurch sie zugleich in direktem Konkurrenzkampf mit den “marxistischen Gewerkschaften” steht. Die syndikalistischen Organisationen wollen ihre Ziele durch revolutionäre Methoden erreichen; sie wollen nicht die Zusammenarbeit von Arbeit und Kapital, sondern den Streik als ihre Waffe gebrauchen. Aber die Praxis des Klassenkampfes hat schon bewiesen, dass sie nicht als revolutionärer Faktor auftreten können. Die Weise, in welcher sich die Arbeitskraft auf dem Markt realisiert, ist weder von dem Willen der kapitalistischen Klasse, noch von dem Willen der syndikalistischen oder anderen Organisationen determiniert. Wie die Arbeitsbedingungen fixiert werden, das wird von der technischen Konzentration des Kapitals bestimmt. Bei konzentriertem Kapital kann die Arbeitskraft nur durch Kollektivverträge, durch Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit verkauft werden. Die syndikalistischen Organisationen beklagen sich immer mehr, dass sie von dieser Zusammenarbeit ausgeschlossen sind. Darum nähern sie sich immer mehr den reformistischen Bonzenmethoden der Klassenzusammenarbeit. Die IAA aus Berlin ist dafür ein sprechendes Beispiel. Sie unterscheidet sich nur in der Phrase von der alten Gewerkschaftsbewegung.
Für die moderne proletarische Bewegung in Europa ist eine vollkommene Neugeburt notwendig. Die Taktik im Klassenkampf muss fußen auf der ökonomisch-technischen Struktur des Kapitalismus. Diese Struktur hat sich nach dem Kriege völlig geändert. Wenn ihr die Produktionsstatistiken studiert, bemerkt ihr, wie die Ziffern für Europa alle gesunken und für Amerika gestiegen sind. Obendrein ist Europa nicht mehr als eine Kolonie der amerikanischen Bankiers, welche jeden Tag einen Geldstrom von 10 Millionen Dollar als Zinsen der europäischen Staatsanleihen in ihren Geldschrank fließen lassen. Kurz gesagt: Der Mittelpunkt des Kapitalismus ist von Europa nach Amerika verlegt, Europa kann seine Stellung auf dem Weltmarkt nicht behaupten, die Linie der kapitalistischen Entwicklung in Europa geht nach unten.
Diese Entwicklung hat seine Konsequenzen für die proletarische Klasse. Wir haben hier 10 Millionen Arbeitslose, welche niemals mehr in der Produktion aufgenommen werden, während die Richtung der kapitalistischen Entwicklung bestimmt, dass der Kampf um die “Besserung der Arbeitsbedingungen” im großen Ganzen vollkommen utopisch geworden ist. Die proletarische Klasse hat überhaupt nur größere Unterdrückung als je zu erwarten.
In dieser Zeit dürfen wir darum nicht länger die Gewerkschaftsillusionen nähren. Die Gewerkschaftsideologie leitet die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen des modernen Klassenkampfes und von den wirklichen Zielen des Kommunismus ab. Wir stehen vor dem harten Kampf der Niederwerfung des Kapitalismus ohne jeden Kompromiss. Im alltäglichen Klassenkampf haben wir immer wieder zu versuchen, die Gewerkschaftsfront von Klassenzusammenarbeit, durch Forcierung von Streiks, die von den Arbeitern selbst gegen die Gewerkschaften, seien es syndikalistische oder eine andere, geführt werden, zu durchbrechen. In diesem Kampf haben wir unsere Allgemeine Arbeiter Union nach dem Sowjet-System aufzubauen, um den Kapitalismus niederzuwerfen und die Assoziation freier und gleicher Produzenten aufzurichten.
Aus den Diskussionen im “Industrial Worker”[9] wisst ihr, wie in Deutschland die Keime einer solchen allgemeinen Union als ein Erfolg der revolutionären Bewegung 1919 - 23 anwesend sind. In Österreich, Tschechoslowakei und Holland ist die Propaganda für das Selbsthandeln und Selbstleiten des Klassenkampfes im vollen Gang, und es ist charakteristisch, wie auch die syndikalistischen Gewerkschaften uns hierbei entgegentreten.
Wir wissen sehr gut, dass unser Kampf ein harter sein wird und dass die proletarische Klasse nicht in ein paar Jahren eine “große” Organisation haben wird. Aber wir erachten das Klassenbewusstsein und die Fähigkeit im Selbsthandeln von größerem Wert, als das schnelle Wachstum zu einer großen Organisation; denn die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein.
Genossen der IWW: Wir haben versucht euch einen Einblick zu geben, wie wir in Europa die Dinge sehen und hoffen, dass es von Nutzen sein kann für die Kenntnis der modernen europäischen proletarischen Bewegung im Zusammenhang mit euren Diskussionen im “Industrial Worker”.
Mit Gr.
Int. Büro Gr. v. int. Comm.
Unterschrift.
Eine Betrachtung über die Sozialdemokratie als solche ist für die deutsche revolutionäre Arbeiterschaft ziemlich überflüssig, weil sie, hier wie dort, genau dieselben Charakterzüge aufweist. Nur muss man bedenken, dass ihre konterrevolutionäre Rolle hier nicht so stark ausgeprägt ist wie in Deutschland, was leicht zu erklären ist aus der Tatsache, dass die Sozialdemokraten es hier noch nicht zu einem Ministersessel gebracht haben und die Praxis die Arbeiter noch nicht über Minister-Illusionen belehrt hat. Auch war die hiesige Sozialdemokratie noch nicht berufen, eine Revolution niederzuschlagen; kurz: Sie hatte es noch nicht nötig, sich so weit in den Augen der Massen zu kompromittieren wie die deutsche Sozialdemokratie.
Man muss daraus aber nicht schließen, dass es bei den Arbeitermassen noch irgend welche Illusionen gibt in Bezug auf die Haltung der Sozialdemokratie bei einer eventuellen revolutionären Bewegung. Die SDAP und die freien Gewerkschaften haben sich im Laufe der “ruhigen” Zeit schon unzweideutig als Streikbrecherorganisationen ausgewiesen, und in 1918 stellte sich klar heraus, dass sie eine revo-lutionäre Bewegung als “unsinnig” und “verbrecherisch” betrachten. Das Festhalten der Massen an diesen Organisationen ist denn auch nur zu erklären aus der ganz “natürlichen” Ideologie des Reformismus, in deren Banne sie sich befinden. Man muss nicht vergessen, dass in dem “reichen” Holland in den Jahren vor dem Anfang der industriellen Entwicklung (um 1850) sage und schreibe ein Drittel der Bevölkerung “armlastig” war, das heißt, von der Armenpflege genährt werden musste. Die hollän-dische Arbeiterklasse lebte im wahren Sinne des Wortes im Pauperismus. Der Aufschwung des industriellen Kapitalismus, ein neu einset-zender Goldstrom von aberhunderten Millionen aus den indischen Kolo-nien führte zu der Möglichkeit einer erheblichen Verbesserung der Lebenslage der Arbeiterklasse, und es waren eben die reformistischen Methoden von Partei und Gewerkschaften, welche diese Möglichkeit realisierten. Als “natürlicher” ideologischer Überbau musste sich darum der Glaube an die fortwährende Besserung der Lebenslage innerhalb des Kapitalismus entwickeln.
Diesen Sachverhalt darf man nicht unterschätzen. Wenn wir jetzt, etwa 100 Jahre in der Geschichte zurückblickend, den Nährboden der reformistischen Ideologie auf dem rationalen Wege erkennen können, so formt sich die Ideologie selbst doch auf “irrationalem” Wege.
“Rationale” Überlegungen spielen dabei eine sehr untergeordnete Rolle. Es ist die tägliche Praxis, die tägliche Erfahrung, die sich im Gehirn niederschlägt und schließlich zur “Wahrheit” verhärtet. “Wahrheiten” nun werden sehr schwer aufgegeben, offensichtliche Widersprüche werden so umgebogen, dass sie schließlich doch der “verhärteten Wahrheit” angepasst sind. Das ist eben eine Eigentümlichkeit des menschlichen Geistes, mit dem wir alle behaftet sind. Es müssen ungeheuer viel quantitative Önderungen im Umfang und Inhalt unserer Begriffe stattfinden, bevor die Quantität in die Qualität umschlägt und eine neue Ideologie geboren wird.
Doch kehren wir zur Sozialdemokratie zurück, obwohl es zum guten Verständnis der verschiedenen Schattierungen in der Arbeiterbewe-gung nützlich wäre, die Bildung der Ideologien näher zu betrachten. Für unser heutiges Thema stellen wir nur fest: Durch die Praxis der letzten 50 - 70 Jahre und durch die Möglichkeiten, die die Entwicklung des Kapitalismus in dieser Zeit bot, sind die “Wahrheiten” des Reformismus so verhärtet, dass die organisatorischen Träger, SDAP und Gewerkschaften, nicht mehr davon zu trennen sind. Sie müssen mit den Organisationen der Bourgeoisie durch den praktischen Klassenkampf vernichtet werden. Die jetzt herangewachsene Generation hat schon kei-ne “Vorteile” des Reformismus mehr erlebt. Seit 1914 kann man nicht nur von einer relativen, sondern sogar von einer absoluten Verelendung sprechen. Die Ideologie des Reformismus lebt daher in der jungen Generation nur noch fort durch die bürgerliche Erziehung, durch die Gedankenübertragung der Alten. Aber die so übertragenen “Wahrheiten” werden nicht mehr von der täglichen Praxis gehärtet und geraten damit in ein labiles Gleichgewicht. Die heutige Zeit zeigt diesen Prozess sehr deutlich. Der linke Flügel in der Sozialdemokratie und die Moskauer Kommunisten sind zwei verschiedene Stadien in der aus dem Gleichgewicht geratenen reformistischen Ideologie; sie sind das Ergebnis der von der täglichen Praxis bewirkten Ãnderung der Begriffsinhalte. Bei der jungen Generation haben aber praktische Erfahrungen, wie die letzte große Aussperrung in Deutschland, eine tiefgehende revoluti-onäre Wirkung, eben weil sie der Ideologie der “Vorteile” des Reform-ismus einen neuen Schlag versetzen.
Auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie und in den Gewerkschaften mit ihren “verhärteten Wahrheiten”, wirken sich solche Geschehnisse ganz anders aus. Dort fängt der Kampf um die Demokratie, um die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit, nun erst recht an. Dort führt es nicht zur Revolutionierung, sondern zu einer weiteren Versumpfung in der bürgerlichen Gedankenwelt.
Diese Tatsache zeigt sich auch in Holland. Die großen Niederlagen der Arbeiterklasse haben einerseits zu einer linken Strömung geführt und andererseits treiben sie den rechten Flügel weiter auf den Weg der Verbürgerlichung. Die Niederlagen auf ökonomischem Gebiet sollen durch engere Zusammenarbeit mit der holländischen Bourgeoisie wettgemacht werden. Darum ist jetzt die ganze Politik auf einen Sieg bei den im nächsten Jahr stattfindenden Wahlen eingestellt, und zwar, um eine Koalitionsregierung von Katholiken und Sozialdemokraten bilden zu können. Alle politischen und sozialen Probleme werden ganz offen von diesem Gesichtspunkt aus behandelt. Um welche Probleme es sich in der Hauptsache handelt, werden wir in unseren weiteren Artikeln über die linke Strömung näher angeben. (Fortsetzung folgt)
L. in F.: Wir beantworten Euren Brief - den wir freudig begrüßen - auf diesem Wege. Das tun wir, weil einmal die Beantwortung der Fragen, die Ihr gestellt habt, breitere Kreise interessieren wird und wir andererseits einige Bemerkungen zu Eurer Informa-tion bezüglich der Unionsbewegung in Deutschland machen wollen.
Eure Schilderung zeigt das Bild eines Zersetzungsprozesses, von unaufhörlichen Abspaltungen der in 1919 und 1920 mächtig anwachsenden Unionsbewegung. An sich ein beklagenswerter Zustand, jeder Revolutio-när würde es begrüßen, wenn die Rätebewegung als ein geschlossenes Ganzes aufmarschierte. Doch wenn man die Dinge aus der Ferne besieht, wie hier in Holland, scheint es nicht ganz so trostlos als für diejenigen, die mittendrin sitzen, die jede neue Abspaltung als ein Wegreißen vom eigenen Körper empfinden müssen. Sieht man von der Organisation als solche ab, um nur die Ideologie ins Auge zu fassen, dann ist festzustellen, dass die Räteideologie ziemlich weit verbreitet ist und unter anderem über verschiedene Zeitungen verfügt. Man kann es auch so sagen: Die Organisationen müssen sich in der heutigen Periode offensichtlich teilen, aber die Ideologie geht nicht unter, sondern setzt sich auf anderer Grundlage fort.
Wir sehen in dem, was wir Räteideologie nennen, das Werden einer neuen, revolutionären Gedankenwelt des Proletariats, die sich erst aus den alten verknöcherten Formen der reformistischen Partei und Gewerkschaftsbewegung loslösen muss. Diese neue, werdende Ideologie ist vor allem stark in der Abkehrung von allem, was sie als Hemmnis und Bedrückung empfunden hat. Und sie wird sich erneut zur Wehr setzen, wo sie in einer neuen Organisation die eben über Bord geworfenen Übel glaubt wiederzufinden.
Dieser Prozess des Abwendens vom Alten ist negativ, aber er beginnt sich in der neuen revolutionären Richtung positiv auszuwirken, wo die neue organisatorische Bindung beginnt. Die Räteideologie sucht die neuen Formen für die Bindung der revolutionär-kommunistischen Kräfte. Aber da sie selbst noch ein werdender Prozess ist, nach Auffassung, Tradition und Entwicklung verschieden gruppiert, zeigen auch die Organisationen dieses Bild. Solange dieser Prozess des Abkehrens von alten Hemmungen und Bedrückungen zur Bildung neuer und besserer Formen der Bindung revolutionärer Kräfte führt, liegt er auf der Entwicklungslinie zur Herausbildung derjenigen Bindungsformen, welche die kommunistische Gesellschaft notwendig hat. Führt die Abkehr vom Alten allerdings zum Ablehnen jeder organisatorischen Bindung, dann hat man sich selbst aus der Entwicklungslinie ausgeschaltet, denn Organisation ist die Lebensform kommunistischer Ideologie.
Wir sagen darum dies: So gerne man eine geschlossene Bewegung sehen möchte, so verkehrt wäre es, diesen Entwicklungsprozess in eine Organisation zu pressen, die verschieden gerichteten Kräfte sprengen sie doch, wie die Erfahrung gelehrt hat. Was man wohl tun kann ist, uns allen mehr das Wesentliche des ganzen Entwicklungs-prozesses und seine Richtung vor Augen zu führen, dann wird man auch die besonderen Erscheinungen in der Bewegung besser verstehen und schätzen lernen.
Aber noch mehr: Eine Genossin aus Berlin schreibt uns gerade, dass dort viele kleine Organisationen sind, die ihrer Meinung nach als geschlossene Organisationen ein viel größeres Gewicht hätten und deren Differenzen auch kaum zu unterscheiden seien. So kann man es sehen, und dann begreift man die Zersplitterung nicht. Aber es ist doch eine gute Seite daran. Die wichtigste Aufgabe ist doch in dieser Periode die Durchbrechung der Führerideologie, dass die Massen selbst die Leitung der Kämpfe in die Hand nehmen. Nun, sie tun es vorläufig, indem sie kleine Organisationen bilden, die sie in der Hand haben. Das sie alle einigende Band kann dann nur die sich klärende Räteideologie sein.
Wir glauben nun, dass wir auf diesem Wege ein gutes Stück vor-an kommen, wenn klare Vorstellungen über das allen gemeinsame Ziel, die zukünftige Gemeinwirtschaft, geschaffen werden. Alle Gruppen haben Programme und Prinzipienerklärungen, es werden vorzügliche und schlechte Analysen über ökonomische und politische Erscheinungen im Kapitalismus gemacht, aber in dem Kernproblem der sozialen Revolution, der Wirtschaftsgestaltung im Kommunismus, kommt man nicht von der Stelle. Nur ganz verschwommene Vorstellungen bestehen. Während es doch klar ist, dass man, wenn man eine neue Welt bauen will, doch wenigstens wissen muss, auf welcher Grundlage sie aufgebaut werden soll. Bei der Aufhebung der kapitalistischen Warenwirtschaft haben deren Bewegungsgesetze keine Gültigkeit mehr und die der kommunistischen Wirtschaft treten an ihre Stelle. Welche sind es? In welchen Kategorien bewegen sich Produktion und Verteilung? Die Rätebewegung muss eine Antwort darauf geben, will sie bewusst den Wirtschaftsprozess umwälzen.
Die Gruppe der Internationalen Kommunisten Holland hat in kollektiver Arbeit eine nähere Untersuchung der kommunistischen Wirtschaftsweise angestellt. “Gildensozialismus” und “Staatskommunismus” wurden in ihren ökonomischen Grundlagen untersucht, und so stellte sich dann heraus, dass beide eine neue Beherrschung der Arbeiter bedingen. Ohne näher an dieser Stelle auf diese Probleme einzugehen, stellen wir nur fest, dass der Kommunismus allein gesichert ist in der “Association freier und gleicher Produzenten” auf der Grundlage der Betriebsorganisation, die durch die Arbeitszeitrechnung das exakte Verhältnis von Produzent zu Produkt festlegt.
Wenn in Kürze die erwähnte Schrift (“Die Grundprinzipien der kommunistischen Produktion und Verteilung”) erscheint, dann wird sich zeigen, dass gerade durch die Aufrollung dieser Frage die Rätebewegung neue Richtungspunkte und Kräfte gewinnt.
Wie groß auch die Zerrissenheit der Rätebewegung im Augenblick sein mag, sie wird groß und stark und vereinigt werden, wenn die Geister sich klären. Und die Klärung der Geister wird gerade dadurch gefördert, wenn alle die verschiedenen Auffassungen die Gelegenheit haben, in aller Öffentlichkeit ihren Wert oder Unwert zu beweisen.
Aus welcher Bewegung kommt eure Gruppe, die Gruppe der Internationalen Kommunisten Hollands? Seid ihr eine Abzweigung der K. A. P. oder A. A. U. oder kommt ihr direkt von der C.P.H.?
Was treiben H. Roland Holst[10] und die sonstigen linkskommunistischen Gruppen Hollands?
Linkskommunisten als Anhängsel der Moskauer gibt es hier in Holland überhaupt nicht. Es gab zwar einen “Bond voor komm. strijd en propaganda”-(Bksp) doch war das nur die Brücke für den Übergang zur alten SDAP. Im Jahre 1924 von H. Roland Holst gegründet (die erste Nummer ihrer Wochenzeitschrift: “de Kommunist” erschien am 5. Juli 1924) war “de Kadt” die führende Person, um sich unter dessen Führung im Jahre 1926 aufzulösen und zur Sozialdemokratie über-zugehen. Roland Holst, der in der Zwischenzeit noch eine längere Gast-rolle bei der Comm. Partei gab, steht jetzt “über den Parteien” oder eigentlich nirgends. Im Augenblick ist so etwas wie eine “linke Sozialdemokratie” am Werden, hier ist H. Roland Holst dann wohl zu Hause. Über diese “Linksbewegung” werden wir in nächster Nummer Näheres schreiben.
Die Gruppe setzt sich zusammen aus alten Genossen der früheren KAP - Bewegung in Holland und jungen Marxisten, die vor-dem noch nicht in der Arbeiterbewegung organisiert oder tätig waren.
Eine eigentliche Organisation haben wir nicht, wenigstens nicht im alten Sinne. Wir formen nur Arbeitsgruppen, die regelmäßig zusammenkommen zur Verteilung der Arbeit und zur Durchsprechung des einge-laufenen Materials. Diese Arbeitsweise gefällt bis jetzt außerordentlich gut. Erweiterung der Gruppen kommt nur so weit in Frage, als neue Kräfte in die Arbeitsgruppen aufgenommen werden können, denn nur Diskutierende gibt es bei uns nicht.
Die Gruppe der Internationalen Kommunisten hat bis jetzt noch keine Prinzipienerklärung und doch stehen alle Mitglieder, als Schüler Herrmann Gorters und Anton Pannekoeks, auf demselben Boden, der dann im Allgemeinen der der KAPD und AAU ist, denn einen guten Teil unserer Anschauungen haben wir diesen Organisationen entlehnt. Allerdings legen wir das Gewicht der Propaganda, anders als die KAPD, weniger auf die Bekämpfung der II. und III. Internationale, sondern suchen vor allem die hier und dort anwesenden antigewerkschaftlichen Tendenzen zu stärken und zu klären. In diesem Stadium der Entwicklung der Arbeiterbewegung erscheint uns diese Arbeit wichtiger und dabei kommen dann die parteipolitischen Schiebereien von selbst zur Behandlung. Die Tätigkeit nach außen geschieht durch das Abhalten öffentlicher Versammlungen, wofür wir in der Hauptsache das Thema “Betriebsorganisation” und “Kommunistische Wirtschaft” kennen. Das heißt dann: Alle Probleme werden von diesem Gesichtspunkt aus durchgenommen. Ferner geben wir einen holländischen und einen deutschen Pressedienst heraus und unterhalten freundschaft-liche Beziehungen mit allen Organisationen, die sich zum Räteprinzip bekennen.
Die Reibungen in der holländischen Sozialdemokratie drehen sich in der Hauptsache um den Ministerialismus sowie verschiedene Einstellungen zur Gewerkschaftspolitik, zur Agrarfrage und Kolonial-politik. Teilweise haben sie nur den Charakter einer Opposition, im Übrigen muss aber doch von einer tatsächlichen Linksströmung gesprochen werden. Unter Opposition verstehen wir, dass sowohl linker als rechter Flügel von denselben Grundprinzipien ausgehen, aber die Lin-ken etwas “höhere” Forderungen stellen als die Rechten. Bei einer wirklichen Linksströmung liegen aber tatsächlich andere Grundan-schauungen vor. Opposition und Linksströmung sind natürlich nicht scharf getrennt und wir scheiden die Dinge auch nur, um unterscheiden zu können.
Es ist notwendig, diese Trennung vorzunehmen, weil anders die Verhältnisse in der SDAP unverständlich sind. So war es z. B. schon seit ein paar Jahren kaum möglich, einem sozialdemokratischen Arbeiter zu begegnen, der nicht im Gegensatz zu seinen Vorständen stand. Doch war es unmöglich, die große Masse der Unzufriedenen als Opposition zusammenzufassen, sie konnten nicht einmal ein kleines Oppositionsblatt herausbringen. Der Grund war eben, dass keine wirk-lich politischen Differenzen vorlagen. Doch reiften auch diese lang-sam heran, welcher Prozess von den aus der KPH ausgetretenen Intellektuellen sicher beschleunigt wurde. So kam es dann endlich zu einer “Linksströmung”, welche am 15. September 1928 ein “linkssozialistisches Wochenblatt”: “De Socialist” unter der Schriftleitung von Edo Fimmen, J. de Kadt[11] und P. J. Schmidt herausgab.
Wer mit der allgemeinen Unzufriedenheit der sozialdemokra-tischen Arbeiter bekannt ist, sollte nun annehmen, dass die Ausgabe der neuen Wochenschrift zu einer schnellen Gruppierung der Unzufrie-denen führen würde. Solche Annahme hat sich aber als falsch erwie-sen, die Linkssozialisten bleiben vorläufig noch eine kleine Gruppe. Es zeigt sich eben, dass die Arbeiter auch von der geringsten Önderung gewisser Grundprinzipien nichts wissen wollen, dass ihre Unzufriedenheit also noch kaum als Opposition zu bezeichnen ist. Die Linksströmung in der SDAP ist noch nicht mehr als vereinzelte Gasblasen (leider nur stinkende), die aus dem großen Sumpf aufsteigen.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen wollen wir den Charakter der Linksbewegung näher prüfen. Der erste Streitpunkt ist der
Ministerialismus.
Dieses Thema können wir kurz abtun. Die Linken stehen in dieser Frage auf demselben Boden wie ihre rechten Brüder. Auch sie wollen die “Eroberung von Regierungsposten”, nur nicht um jeden Preis, während die sozialistischen Minister und andere sozialistische Ver-walter des kapitalistischen Staates der Partei gegenüber verantwortlich sein sollen. Ein prinzipieller Gegensatz innerhalb der SDAP ist in dieser Beziehung nicht vorhanden; es handelt sich nur um ein Mehr und Weniger auf derselben Grundlage. Hier ist also keine Linksströmung, sondern nur Opposition. Der Standpunkt der Linken wird von ihrem marxistischen Theoretiker Frank van der Goes[12] in der Probenummer ihres Blattes folgendermaßen formuliert: “Ist es für eine sozialistische Partei möglich, mit kapitalistischen Parteien zusammen zu regieren in dem Sinne, dass dadurch die Ehre des Sozialismus und die Interessen der Arbeiterklasse gefördert werden? Unter der Bedingung, dass bestimmte praktische Forderungen erfüllt sind, muss nach unserer Meinung diese Frage bejaht werden.”
Das ist sicher deutlich genug. Mag man heute in der KPD - Presse auch mit der Fimmenschen Linksströmung hausieren gehen, es sind und bleiben Regierungssozialisten.
Ein anderer Streitpunkt ist die Gewerkschaftspolitik.
Auch diese gibt für uns wenig Anlass zu Bemerkungen, weil auch hier kein prinzipieller Gegensatz vorhanden ist. Die Linken wollen, dass die Gewerkschaften ihre nationale Einstellung aufgeben, um zu einer internationalen Kampffront zu gelangen. - Dasselbe Lied singen ja die Rechten auch. - Fragt man nun, wie dies zu erfüllen sei, so wird man verwiesen auf “Machtformung” durch Steigerung des Mitgliederbestandes. Die 100%-Gewerkschaften sollen es eben machen. Internationale Forderungen werden noch nicht gestellt, und für die “nationalen” gelten dann: “Mitbestimmungsrecht, 48-Stunden-Woche, Staatspension, Ferien und Entwaffnung”. Der vorhandene Gegensatz zu der Parteileitung liegt dann auch nicht in den Forderungen, sondern in der Taktik. Bis jetzt fungierten die Gewerkschaften als Hilfs-truppen der SDAP. Die Linken wollen dieses Verhältnis umkehren, die Gewerkschaften zu “Kampforganisationen” machen mit der Partei als Hilfstruppe im Parlament.
Wir sind daher der Ansicht, dass die Streitigkeiten bezüglich des Parlamentarismus und in der Gewerkschaftsfrage nicht den Charakter einer Linksströmung tragen, dass sie nur als Opposition anzusprechen sind. Nur die selbstgenügsame Sicherheit, dass alles mit Wahlsiegen zu erreichen sei, ist ins Wanken geraten. Man sucht darum in der Aktion der Massen außerhalb des Parlaments den treibenden Faktor für erfolgreichen Klassenkampf.
Das scheint noch nicht so schlecht auszusehen, und doch hat die Arbeiterschaft von dieser “Linksströmung” nicht das Geringste zu er-warten. Möge der Glaube an ein friedliches Hineinwachsen in den So-zialismus zerstört sein; als Sozialdemokraten verfügen die “Linken” über so viel verknöcherte oder verhärtete “Wahrheiten”, dass sie schließlich doch nur als Hilfstruppen der Bourgeoisie fungieren werden. Vor allen ist es die mit der alten Arbeiterbewegung gewachsene Auffassung von der Führung des Klassenkampfes. Der Klassen-kampf wird hier zum Schachspiel, von den Führern gespielt, wobei sie die Massen nach ihrer Einsicht vorausschieben oder zurückziehen. Hauptbedingung ist, dass sie die Massen in der Hand haben. Sobald sich Selbstinitiative in der Masse zeigt, pfeifen sie sie zurück, denn “ohne Ordnung kein Sozialismus”. Die “Linken” sind darum für den Ver-rat geboren; und weil es eine “verhärtete Wahrheit” der Linken ist, ist diese Bewegung nicht zu “revolutionieren”. Sie sind und bleiben bei der Konterrevolution, und sie können nur von der selbstaktiven Arbeiterschaft zerschmettert werden.
Gerade in ihren Zukunftsaufgaben zeigt sich ihre konterrevolutionäre Rolle. Sie spielen mit dem Gedanken, dass der Kapitalis-mus keine Verbesserungen mehr geben kann, oder dass der zu stark ist, um sie ihm abzuringen. Es wird den Proleten daher deutlich gemacht, dass jetzt “fundamental sozialistische Önderungen auf nationalem Gebiet” auf dem Programm stehen. Das heißt dann, dass der Staat gezwungen werden soll, privatwirtschaftliche Großbetriebe in “Gemein-besitz” überzuführen. Ministersessel leisten dabei gute Dienste, denn “gerade die teilweise Verfügung über die Regierungsgewalt muss so angewandt werden, dass sie die ganze Inbesitznahme beschleunigen kann”. Kurz gesagt: Die Linken steuern zielbewusst auf den Staatskapitalismus zu. Das ist dann auch die Lösung des Rätsels, warum hiesige linke Sozialdemokraten in Russland “den einzigen Arbeiter-staat der Welt” erblicken (Diese Terminologie haben sie tatsächlich von den Moskauern übernommen). Damit haben die “linken” Gewerkschaftsführer den offenen Weg des Faschismus gewählt. Dieser Staatskapitalismus soll ihnen dann das “Mitbestimmungsrecht” bringen, während sie die Massen in Ordnung und Disziplin halten zur gefügigen Ausbeutung durch den Staat, welcher den “Gemeinbesitz” exploitiert.
Aber das sind alles nur Zukunftsträume der “Linken”. Wir erwähnen diese Zielsetzung aber, damit man sehen kann, dass hier keine Möglichkeiten liegen für eine Stärkung des revolutionären Klassenkampfes im Kampf um den Kommunismus.
Wichtig ist nun noch, die Einstellung der “Linken” zu prüfen in der Kolonial- und Agrarfrage. Über die erste Frage berichten wir in der nächsten Nummer der PIC
“The Commune”, Organ der antiparlamentären Kommunisten in Glasgow, enthält einen Leitartikel, der die Arbeiter aufruft, die kapitalistische Gewerkschaftsfront zu durchbrechen zur Schaffung einer selbstständigen Klassenbewegung. Dabei grenzen die Glasgower sich gegenüber den politischen Gruppierungen ab und zeigen damit zugleich, dass auch die englische Arbeiterbewegung sich gründlich erneuern muss.
Von der anarchistischen Bewegung wird gesagt, dass diese von 1907 - 1914 die Antiparlamentarier des Glasgower Typs erbittert bekämpft hat. Dies, weil die Anarchisten zwar politisch antipar-lamentarisch eingestellt waren, aber als 100%-Gewerkschaftler das Opfer des ökonomischen Parlamentarismus wurden. Der Weltkrieg vernichtete schließlich diese Bewegung, weil die Anarchisten zum guten Teil mit “ihrer” Bourgeoisie die kapitalistische “Demokratie” gegen die “Hunnen” verteidigten.
“The Commune” zeigt weiter, wie die KPE durch den “Leninismus” zu einer gewöhnlichen sozialdemokratischen Partei wurde, welche in alter, bewährter Taktik des Verrats sich ständig mit den sog. “linken” Gewerkschaftlern verband. Sie half damit einer Menge Strebern in den Sattel und verhinderte eine wirkliche Machtformung der Arbeiterklasse.
“The Commune” ruft nun auf zur Bildung einer mächtigen Klassenfront mit folgendem Programm:
“Die Antiparlamentarier haben keine anderen Ziele als die der Arbeiterklasse. Das Ziel des Antiparlamentarismus ist nur und allein die Befreiung der Arbeiterklasse; die Eroberung von Brot und Freiheit; die Ersetzung der Eigentumsgesellschaft durch die der Bedarfswirtschaft; proletarische und industrielle Demokratie.”
(Hier wird festgestellt, dass der Parlamentarismus die Souveränität der Arbeit nicht anerkennt und dass es sich nur handeln kann um “alle Macht an die Arbeiter”.)
“Die Souveränität der Arbeit bedeutet nicht die Diktatur der Antiparlamentarier. Sie sind nicht die Arbeiterklasse, sondern nur ein Teil davon. Darum suchen sie keine Macht für sich selbst zu sichern, aber sie glauben, dass die Arbeiterklasse nur in einem antiparlamentarisch - politischen Kampf befreit werden kann. Während sie ihre eigene Propaganda gegen den Parlamentarismus fort-setzen, versuchen sie einen Ausschuss zu schaffen, unabhängig von politischen Gruppierungen und Industrien, welcher alle Gruppen der Arbeiterklasse zusammenschließen soll zu einem kräftigen sozialen und industriellen Kampf für die Souveränität der Arbeit.”
“Die Gewerkschaften und Arbeiterparteien haben die Souveränität des Kapitalismus akzeptiert und ihre Treue gegenüber Monarchie und Imperialismus erklärt. Im Gefolge dieses imperialistischen Reformismus haben die Gewerkschafts- und Parteiinstanzen in vielen Städten ganze Ortsgruppen und kommunistische Gruppen ausgeschlossen. Die Antiparlamentarier drängen darauf, dass alle diese ausgeschlossenen Gruppen als solche verschwinden und dass sie, ungeachtet von welcher Partei, örtliche Ausschüsse gegenüber den alten Gewerkschafts- und Parteiinstanzen gründen, um für die Souveränität der Arbeit zu kämpfen. Die Arbeiter müs-sen aufgerufen werden, Betriebs- und Arbeitslosenorganisationen zu bilden und Abgeordnete zu diesem Ausschuss zu entsenden; des-gleichen alle Gruppen, welche denken, dass sie das Prinzip der Souveränität der Arbeit akzeptieren können. Diese Ausschüsse müssen jede Woche eine Sitzung abhalten, jede Woche Bericht erstatten und jede Phase des Kampfes der Arbeit, wie dieser sich in ihrem Bezirk entwickelt, beobachten.”
“Nur der Arbeiter ist König!”
“Nur die Arbeit ist Souverän!”
“Alle Macht an die Arbeiterklasse!”
Wir können es nur begrüßen, dass “The Commune” versucht, eine neue Front gegen die Mac Donald-€˜s, Weathly-€˜s, Cook-€˜s, Ben Filet-€˜s usw. zu schaffen, doch große Hoffnungen haben wir nicht. Mögen auch linke Gruppen aus der offiziellen Labourbewegung herausgedrängt sein, so sind sie damit noch nicht ideologisch reif für die Politik des Selbsthandelns der Massen. Sie denken noch gar nicht an die Vernichtung der Gewerkschaften als solche, m.a.W.: Sie sind noch weit entfernt davon, Demokratie und Parlamentarismus überwunden zu haben.
Bemerkenswert ist noch, dass hier versucht wird, die spezifisch englische Erscheinung des Labour-Organisationsprinzips in der neuen Bewegung beizubehalten. Politische Parteien mit differenten Leitsätzen, Gewerkschaften und “kulturelle” Organisationen finden ihre Zusammenfassung in der allgemeinen “Labourpartei” als “Dachgesellschaft”, wodurch eine Front nach außen entsteht.
Die Kolonialfrage
Bedeutung der Exploitationsgebiete für das “Mutterland”.
Stellung der “Linken”.
Die Klasse “an sich” und die Klasse “für sich”.
Hermann Gorter hat in seiner Broschüre: “Der Imperialismus, der Weltkrieg und die Sozialdemokratie” die ökonomische Krise gezeigt, welche die Massen voll Begeisterung in den imperialistischen Weltkrieg warf.
Er sagt darin dem Sinne nach, dass die Massen die Hebung ihrer materiellen Existenz zum guten Teil der imperialistischen Expansion verdanken. Der Zusammenbruch der Wirtschaft in der Nachkriegszeit hat nun die reformistischen Massen noch fester an die imperialistische Po-litik ihrer Bourgeoisie gefesselt. England kann seine ungefähr 1-½ Millionen Arbeitslosen seit 1921, also seit fast acht Jahren, nur ernähren von dem Gold-strom aus seinen kolonialen Ausbeutungsgebieten. Holland verdankt sei-ne verhältnismäßig geringe Arbeitslosigkeit zum guten Teil dem Besitz der Kolonialgebiete, weil Schiffs- und Maschinenbau, Textilindustrie u.a. direkt für Indonesien (Niederländisch-Indien) arbeiten. Ferner ist die Kleinbourgeoisie und die Beamtenschaft direkt am Kolonialbe-sitz interessiert, weil der Nachwuchs gut dotierte Stellungen in den Ausbeutungsgebieten erhält.
In der heutigen Epoche, mit dem verschärften “Kampf ums Dasein” der Arbeiter, sind die Massen vor allem in Holland und England an der Beibehaltung der Kolonialländer interessiert. Ein Verlust dieser Län-der würde für sie größere Arbeitslosigkeit, Verlängerung des Arbeits-tages und Herabsetzung der Löhne bedeuten. Es ist daher eine Selbst-verständlichkeit, dass die Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaften die Kolonialpolitik der holländischen Bourgeoisie selbst bei dem bru-talsten Terror unterstützen.
Es ist noch ein zweiter Grund vorhanden, warum die Sozialdemo-kratie dem holländischen Imperialismus nicht entgegentritt, und zwar, dass sie die zweitgrößte Partei in Holland ist. Sie ist daher regierungsfähig und soll in diesem Jahre eine Koalitionsregierung mit den Katholiken bilden. Ohne Unterstützung des holländischen Imperialismus ist das aber ausgeschlossen, und so erscheint der Ministersozialismus als zweiter Nährboden des sozialdemokratischen Imperialismus.
Die Linken in der SDAP haben nun in der Kolonialfrage den Boden einer Opposition verlassen und nehmen durch die Moskau-€˜sche nationalistische Parole: “Indien los von Holland” eine prinzipiell andere Stellung ein. Ohne Zweifel sind sie sich dessen bewusst, dass die Trennung Indonesiens von Holland eine Herabsetzung der Lebenslage mit sich bringt. Die Forderung wird trotzdem erhoben, weil der Besitz der holländischen Kolonien gefährlich ist im Zusammenhang mit dem Wettrüsten der imperialistischen Mächte. Der Kampf gegen den Imperialismus führte dazu, dass die Linken in der am 15. Februar 1927 in Brüssel ge-gründeten “Liga gegen Imperialismus; gegen koloniale Unterdrückung und für nationale Unabhängigkeit” tätig sind. Das ist eine Liga, an welcher sich “der fortgeschrittene Teil der westlichen Arbeiterklasse und der linke Flügel der bürgerlich pazifistischen Bewegung beteiligen, aber doch in der Hauptsache eine Internationale der unterdrückten Völker der farbigen Rasse ist”. Diese Charakterisierung der Liga von einem ihrer Führer, *Mohammad Hatta[13]*, zeigt schon, dass die ganze Bewegung mit Sozi-alismus oder Kommunismus nichts gemein hat. Die ganze Bewegung für die Befreiung der unterdrückten Völker hat nur den realen Hintergrund, dass die durch die importierten kapitalistischen Produktionsverhältnisse entstandene asiatische Bourgeoisie nebst Intellektuellen und Beamten sich Ellbogenfreiheit verschaffen will. Die junge Bourgeoisie will als selbstständiger Ausbeuter auftreten und so die Profite einheimsen, welche jetzt den Europäern zufallen. Die Intellektuellen und Beamten “befreien” sich, weil sie gegenüber ihren “weißen” Berufsgenossen in Asien noch immer weit zurückgestellt sind. Das asiatische Proletariat ist dabei das Kanonenfutter, das mit der Phrase der “nationalen Unabhängigkeit” betäubt wird. Es hat seine eigene Rolle und die seiner Bourgeoisie noch nicht erkannt. Dies Proletariat ist zwar schon eine Klasse “an sich”, d.h., es wird bezüglich der Ausbeutung durch die “nationale” Bourgeoisie schon als gegnerische Klasse behandelt, aber es ist noch keine Klasse “für sich”, d.h., es weiß noch keine selbstständigen Ziele zu stecken. Wollen die Massen bei Erhebungen über die Ziele “ihrer” Bourgeoisie hinaus, so werden sie von den “Nationalisten” niedergemetzelt (Kanton und Shanghai).
Die Linken der SDAP als auch die Liga denken nicht an eine Aufklärung der proletarischen Massen, dass sie als Klasse “für sich” mit eigenen Zielen auf den Plan treten müssen, dass sie von ihrer Bourgeoisie nicht weniger ausgebeutet werden als von der “fremden”, dass sie nicht als Nationalisten, sondern als Kommunisten in den internationa-len Kampf um die Produktionsmittel treten müssen. Und doch ist das jetzt die brennende Aufgabe.
Der Kapitalismus in Europa ist mit dem Weltkrieg in eine unge-heure Krise geraten, von welcher er sich zwar politisch, aber keinesfalls ökonomisch erholt hat. In Europa ist daher der Kampf um die Reformen vorbei, und die soziale Revolution, der Kommunismus, steht auf der Tages-ordnung, um nicht mehr davon zu verschwinden. Daher müssen auch die asi-atischen Probleme aus dem Gesichtswinkel der proletarischen Revolution betrachtet werden, um die Revolution als Weltrevolution durchzuführen. Eine proletarische Revolution kann keinen Halt machen vor “national unabhängigen” Staaten; sondern wird mit Hilfe der asiatischen Massen die “nationale” Bourgeoisie zerschmettern müssen, um die kommunistische Weltwirtschaft aufzurichten. Das ist es eben, warum der Revolutionär in dieser Zeit jede nationalistische Umnebelung durchbrechen muss. Die Parole: “Indien los von Holland” ist eine Losung für solche “Klassen-kämpfer”, denen die Weltrevolution kein Ernst ist, und wir haben es wohl kaum noch nötig zu sagen, dass hierbei auch die Linken der SDAP gehören.
(Der nächste Artikel behandelt die Agrarfrage bei der Sozialdemokratie, bei den Linken und unsere Stellung dazu.)
*von Edo Fimmen[14]*
Edo Fimmen, der “revolutionäre Gewerkschaftler” der IGB, Mitarbeiter an unserem Pressematerial? Wie die großen Herren sich doch erniedrigen können, werdet ihr denken. Doch es ist nicht so schlimm, er weiß nichts davon. Wir wollen hier nur einen Bericht wiedergeben, den er in der Zeitung der Linkssozialisten geschrieben hat. Zusammenfassend steht folgendes darin:
Es geht eine Streikwelle durch das französische Hafenprole-tariat in Le-Havre, Nantes, Bordeaux, Marseille, St. Malo, Corsica. Über den Streik in Bordeaux wird dann von Fimmen hauptsächlich be-richtet, weil er diesen persönlich mitmachte.
Nach langandauernden Unterhandlungen mit dem Hafenkapital wurde endlich am 23. September von der “reformistischen” Gewerkschaft (CGT) mit der Forderung, den Tagelohn von 31 auf 36 Francs zu brin-gen, der Streik proklamiert. Er endete nach acht Wochen buchstäblichem Hungern durch Schlichtung mit vier Francs Lohnerhöhung.
So weit ist nicht viel Bemerkenswertes dabei. Betrachtet man die Dinge aber näher, dann kommen schon die “besonderen französischen Verhältnisse” ans Licht. Es waren hier 2500 Streikende, wovon 150 organisiert in der CGT und 150 in der “revolutionären” Gewerkschaft, der CGTU. Also im Ganzen 300, d.h. fast 90 % unorganisiert.
Die Unterstützung der Streikenden wurde von den beiden Ge-werkschaften organisiert, reichte aber nur für 1,50 Mark [Francs (?)] per Woche. Weiter muss bemerkt werden, dass der sozialistische Gemeinderat zweimal 50 Francs für jedes Kind der Streikenden zur Verfügung stellte. Wenn die Arbeiter unter diesen Umständen acht Wochen mit Erfolg durchgehalten haben, dann kann man nur einen Salut an ihre feste Entschlos-senheit bringen.
Die eigentliche Leitung des Streiks geschah von einem Ausschuss von 15 bis 20 Mann, zum Teil Mitglieder der Gewerkschaften und eine “größere Zahl Unorganisierter”, wodurch man die Einigkeit nach Außen demonstrierte. “Am Anfang wurde diese -€šEinigkeit-€˜ so weit getrieben, dass in den Versammlungen der Streikenden weder der Sekretär der -€šreformistischen-€˜ Zentrale noch der der -€šrevolutionären-€˜, sowie überhaupt kein Vertreter der Gewerkschaften zugelassen wurden. Später ist man auf diesen Idioten(?)-Beschluss zurückgekommen.”
______________________
Es fragt sich nun, wie es eigentlich mit der ideologischen Beschaffenheit dieser Hafenarbeiter bestellt ist. Nach Auffassung Fimmens ist die große Zahl Unorganisierter auf soziale Rückständigkeit der Arbeiter zurückzuführen. Sicher könnte das der Fall sein, doch ihre Haltung entspricht dem absolut nicht. Bei sozialer Rückständigkeit hätten die Unorganisierten die gewerkschaftliche Leitung, welche doch eine gewisse finanzielle Unterstützung sicherte, als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen müssen. Es zeigte sich aber eine un-zweideutige, prinzipielle Ablehnung gewerkschaftlicher Führung. Die Tatsache, dass selbst die Vertreter der zugehörigen Gewerkschaften, die doch schließlich den Streik ausgerufen haben, nicht in die Ver-sammlungen der Streikenden zugelassen wurden, zeigt zur Genüge, dass sich hier die Ideologie des Selbsthandelns und der Selbstaktivität offenbarte. Zwar waren “Mitglieder [der] Gewerkschaften” im Streikausschuss, aber offensichtlich waren sie dort als Arbeiter, die noch im Produktionsprozess stehen. Die Hafenarbeiter brachten zum Ausdruck, dass sie ihre Einheit nur als Gesamtheit finden können, als “Betriebsganzes”, mit Beiseitestellung der Gewerkschaften.
Schließlich haben die Proleten aber ihren “Idioten-Beschluss” aufgehoben und sich vor der Bonzokratie gebeugt. Letztere hat also noch den Sieg über die Selbsttätigkeit der Arbeiterschaft davontragen können. Diese Niederlage der neuaufkommenden Ideologie hat zwei Wur-zel. Erstens waren die Streikenden auf die Unterstützungsgelder der Gewerkschaften angewiesen und zweitens brauchte man, durch das Fehlen eigener Schlagkraft, die Berufshändler in Arbeitskraft noch, um die “parlamentäre Abwicklung des Kampfes” in die Wege zu leiten.
Der Streik in Bordeaux öffnet, insbesondere für Frankreich, noch andere Gesichtspunkte von mehr allgemeiner Bedeutung. Wir sind gewohnt, die ideologische Einstellung der Arbeiterschaft an ihren Organisationen abzumessen. In diesem Stadium der Arbeiterbewegung von “Umwertung aller Werte” ist aber viel wichtiger festzustellen, wie das Leben in der Arbeiterschaft selbst sich durchringt [?]. Das Treiben der Organisationen ist wichtig, aber der schüchtern einsetzende Drang nach “Selbstbestimmung” der Arbeiterkämpfe ist wichtiger. Gerade die Keime des neuen Lebens kommen in den altmodischen Organisationen nicht zum Ausdruck, und darum ist eine genaue Durchstudierung aller einzelnen Kämpfe auf Motive und Handlung der Arbeiter selbst das Ge-bot der Zeit. Die Kritik an den alten Organisationen ist gut, aber besser ist, der Arbeiterschaft vor Augen zu führen, inwieweit sie den Weg zur “Selbstbestimmung” schon gefunden hat. Das gibt Kraft und Stärkung, und die haben wir als Klasse vor allem nötig.
Von diesem Gesichtspunkt aus können wir mit den von Fimmen so freundlich mitgeteilten Tatsachen vorläufig zufrieden sein. Wir schließen daraus, dass in Frankreich ein Gebiet liegt für prinzipielle antigewerkschaftliche Propaganda und für die ideologische und praktische Vorbereitung der Betriebsorganisationen als Waffen in der sozialen Revolution und als Selbstverwaltungskörper der kommunis-tischen Wirtschaft.[15]
Die Auseinandersetzungen zwischen IWW und AAU in “Industrial Solidarity” und “Industrial Worker” sind bereits übersetzt und abge-druckt in: italianischer, schwedischer, tschechischer, finnischer, rumänischer und holländischer Sprache. Übersetzung und Abdruck geschah durch das IWW (Holländisch von uns).
Ein neues Organ der deutschen Unionsbewegung:
Die Ortsgruppe Groß-Hamburg der Allgemeinen Arbeiter-Union hat das neue Jahr gut begonnen mit der Ausgabe einer Monatsschrift, der “Arbeiterpolitik” ? Herzlich willkommen und gutes Gedeihen!
Die Resolution der KAPD, abgedruckt in KAZ. No. 1 Jahrg. 10, ist in holländisch übertragen.
Aktivitäten der antiparlamentarischen Kommunisten
17 Verhaftungen
Als Vorbereitung für die in diesem Sommer stattfindenden großen Wahlen in England hatte die Labourpartei in Glasgow eine große Versammlung einberufen, wo “Onkle Arthur”, der große Arthur Henderson[16], das Wort führen sollte. Die Gruppe der antiparlamentarischen Kommunisten in Glasgow, die, wie unsere Leser wissen, “The Commune” herausgibt, war der Meinung, dass es einer Beleidigung der Arbeiterschaft gleich käme, wenn dieser gerissene Kapitalistenknecht sich ohne Widerstand unter den Arbeitern bewegen könnte, und darum wollten sie versuchen, diese Versammlung zu sprengen. Ein paar Tage vor der Versammlung wurde eine Extra-Nummer der “Commune” verbreitet, worin die Rolle Hendersons im Kriegsministerium gezeigt wurde. Wir brauchen nicht erst zu sagen, dass er sich bewegte auf der Linie, welche auch Ebert-Scheidemann mit so viel “Erfolg” verfolgt haben. In leidenschaftlicher Sprache wird darauf hingewiesen, wie Henderson die sozialistische Presse unterdrückte, soweit diese sich dem Krieg widersetzte, wie er Sozialisten einsperren ließ und wie er der Urheber der allgemeinen Arbeitspflicht für Männer und Frauen im Dienste des Krieges war. Im Besonderen wird er verantwortlich gemacht für den Klassenjustiz-mord an dem Revolutionär *James Connolly[17]*, der wegen Hoch-verrats hingerichtet wurde. Weiter wird in Erinnerung gebracht, wie Henderson noch bei der Behandlung der Kriegsgesetze am 2. April 1924 sich gegen folgenden Antrag erklärte:
Abschaffung der Todesstrafe.
Das Recht des Soldaten, gegen ein Todesurteil in höhere Instanz zu gehen.
Zu verweigern, bei Streiks aufzutreten.
Zu verweigern, einen Gottesdienst mitzumachen.
“Henderson stimmte gegen diesen Antrag, der selbst von einem kapitalistischen Reformisten verteidigt worden konnte.”
Beim Eröffnen der Versammlung stellte sich heraus, dass eine große Zahl Arbeiter dort war, um das Referat Hendersons unmöglich zu machen. Kaum hat der Vorsitzende das Wort ergriffen und den Namen Henderson genannt, und der Radau bricht los. Es knatterten Wutaus-brüche wie “Weg mit dem Verräter”, “weg mit dem Spion”, “Mörder”! Darauf gab der Vorsitzende des anwesenden Labourgesangsvereins ein Zeichen, worauf dieser einen Labourgesang einsetzte. Als Antwort sprang unser Kamerad Aldred auf einen Stuhl und setzte das “Lied von dem Aufstand” des ermordeten Connolly ein. “Aufstand” erwies sich stärker und der offizielle Chor wurde von dem revolutionären niedergebrüllt. Die Folge davon war, dass Polizisten gerufen wurden, die sich sofort zu Aldred wandten und ihn aufforderten, den Saal zu verlassen. Dieser weigerte sich, worauf sie ihn niederrissen und dann hin-austrugen. Damit kehrte Henderson zurück und nahm das Wort, aber schon beim ersten Satz entstand wieder Radau. Wieder Polizisten, ein paar Frauen wurden verhaftet. Dieses Spiel wiederholte sich noch mehrere Male, bis nach einer Stunde immer erneut einsetzender Unruhe 17 Personen verhaftet waren. Darauf stand einer der übrigen Opponen-ten auf, der seine Genossen aufforderte, als Protest den Saal zu verlassen. Etwa 50 Arbeiter verließen en bloc den Saal, und damit konnte die Versammlung ohne weitere Störung verlaufen. Die revolutionären Arbeiter hatten ihr Ziel also nicht erreicht, die Versammlung wurde nicht gesprengt.
Für Deutschland würde ein solcher Bericht nicht viel Bedeutung haben, solche Versammlungen hat es genug gegeben und gibt es sicher noch. In England ist das anders; da bedeutet eine solche offene Rebellion der Arbeiter gegen die offiziellen Führer, dass die theoretische Scheidung aus den Führerkreisen in die Massen eindringt. Dass die Arbeiter dann eine entschiedenere Sprache reden, spricht sicher nicht zu ihrem Nachteil. Wir können es nur begrüßen, wenn es zur Selbstverständlichkeit wird, dass Verräter an der Arbeiterklasse nicht in Arbeiterversammlungen sprechen dürfen. In diesem Sinne zeigt auch das Vorkommnis in Glasgow, dass die englischen Revolutionäre an der Arbeit sind.
Die holländische sozialistische Bewegung hat immer stark unter deutschem Einfluss gestanden, das Vorbild der großen, erfolgreichen SPD und der deutschen, “freien” Gewerkschaften galt nahezu absolut. So ist es begreiflich, dass in den Jahren 1918 - 1923, als die Probleme der “Sozialisierung” auf der Tagesordnung standen, diese auch von der holländischen SDAP in Studium genommen wurden. Es entstand eine Kommission, welche die Zukunftsmusik der Sozialisierung komponierte. Sie hat ihr Kunstwerk im “Sozialisierungsrapport” verewigt.
Besonderes war die Komposition der Hymne an die “Sozialisierung der Landwirtschaft”. Die Schwierigkeit liegt hier eben darin, dass die Entwicklung der Landwirtschaft in Bezug auf die Konzentration des Kapitals ganz anders verlaufen ist als in der Industrie. In der In-dustrie gab es immer größere Knotenpunkte von Produktion mit zentraler Verfügungsgewalt, in der Landwirtschaft keine Konzentration der Betriebe, sondern Erhaltung, ja bis heute noch ein weiteres Vordringen des Kleinbesitzes. So einfach die Sozialisierung der Industrie für diese Leute ist, die die Sozialisierung nur als Verstaatlichung mit staatlicher Verfügungsgewalt betrachten, so schwierig erscheint sie in der Landwirtschaft, weil bei ihnen nur die “reifen” Betriebe, d.h., solche, die in die staatlich zentrale Verfügungsgewalt eingeordnet werden können, für “Vergesellschaftung” in Betracht kommen.
Die Auflösung dieses schwierigen Problems ist dann auch ein Verlegenheitsprodukt. Der “Rapport” besagt, dass die bäuerlichen Großbetriebe an den Staat übergehen sollen und der Kleinbesitz in Privatbewirtschaftung verbleibt, bis “das siegende Proletariat” auch auf dem Lande die Bedingungen für allgemeine “Vergesellschaftung von Grund und Boden” herbeigeführt hat. Eines wird aber ausdrücklich erwähnt: “Die Lage der kleinen Bauern ist durch Pachtgesetze nicht zu verbessern, sondern ist nur durch die Sozialisierung zu heben.”
Dies ist die sogenannte Theorie (und was für eine), dann aber kommt die Praxis. Man muss bei den kommenden Wahlen auf Bauernfang gehen, darum erscheint als grundlegende Forderung ein ? “rechtliches Pachtgesetz”.
Hier setzen die Linken mit ihrer Kritik ein. Sie decken den Widerspruch in Theorie und Praxis auf, verlangen die Propaganda für die Theorie der SDAP und wollen die Sozialisierung als zentralen Punkt der Wahltätigkeit auf dem Lande. Dabei sind sie so freundlich, darauf hinzuweisen, dass die “Praxis” der offiziellen Partei nur durch den Ministersozialismus diktiert wird. Die Linken zeigen sich hier als Wächter der Theorie, sie wollen sich nicht durch zeitliche Scheinerfolge von ihren Zielen abbringen lassen.
Da nun die Linken die Sozialisierung der Landwirtschaft in den Mittelpunkt ihrer Forderungen stellen, machen wir darauf aufmerksam, dass die Sozialisierung, so wie sie dieselbe sich denken (Sozialisie-rung der “reifen” Betriebe), hier nichts anderes ist als Verstaatlichung der Großgüter (wenn auch unter dem Schein von Selbstverwaltung). West- und Mitteleuropa haben aber überwiegend Klein- und Mittelbauern, und diese werden von der “Sozialisierung” unberührt gelassen, d.h., praktisch bleiben die Dinge in der Landwirtschaft beim Alten. Diese Lösung der Agrarfrage ist keine Lösung. Diese Sozialisierung der Landwirtschaft ist eine Phrase.
Wir werden später noch zeigen, wie in dieser Auffassung die Eigenart der kapitalistischen Entwicklung der Agrarwirtschaft völlig verkannt wird. Vorläufig nur einige Bemerkungen über die Sozialisierung im Allgemeinen:
Einer der ersten Köpfe der deutschen Sozialdemokratie ist ehrlich genug zu schreiben, dass Marx diese “moderne” Auffassung von der Sozialisierung nicht teilte, “nicht der Staat, sondern eine Ver-bindung der freien Associationen der sozialistischen Gesellschaft soll den Wirtschaftsprozess regeln”.[18] (siehe H. Cunow. Die Marxsche Geschichts-Theorie, Band 1, S. 309). Die allgemeine Strömung, welche die “Vergesellschaftung” mit offener “Verstaatlichung” identifiziert, ist nur das Produkt des Reformismus als sozialpsychologische Erscheinung der Aufwärtsbewegung des Kapitalismus. Es ist zu befürchten, dass seine verheerende Wirkung uns auch noch durch die Hölle des Staatskapitalismus gehen lässt.
Der alte Wilhelm Liebknecht hat dies schon gewittert, wenn er auch nicht sehen konnte, wie die Sozialdemokratie selber vom Kapita-lismus aufgesogen wurde. In einem Referat über “Staatssozialismus und revolutionäre Sozialdemokratie” führte er aus:
“Je mehr [der Kapitalismus seinem Untergange entgegengeht, sich zerbröckelt und auflöst -, je mehr][19] die bürgerliche Gesellschaft einsieht, dass sie sich auf die Dauer nicht gegen den Ansturm der sozialistischen Ideen verteidigen kann, desto näher sind wir auch dem Momente, wo der Staatssozialismus in vollem Ernst proklamiert werden wird, und der letzte Kampf, den die Sozialdemokratie zu kämpfen hat, wird ausgefochten werden unter dem Schlachtruf: Hie Sozialdemokratie hie Staatssozialismus!” (Cunow, S. 340)
Wie alle marxistischen Losungen durch die Aufstiegsperiode des Kapitalismus zu spießbürgerlicher Reformpolitik wurden, so geschah es auch mit der “Sozialisierung” der Produktionsmittel und des Grund und Bodens. Die Sozialisierung, so wie Sozialdemokratie und Gewerkschaften sie wollen, führt zwangsläufig zum Faschismus, zur Beherrschung und Ausbeutung der Massen, sei es auch in anderen Formen als im “freien” Kapitalismus.
Für die soziale Revolution gibt es keine “reifen” oder noch nicht “reifen” Betriebe, sondern ist die kommunistische Gesellschaft als Ganzes “reif”. Nicht der Staat “vergesellschaftet”, sondern die Produzenten. Durch ihre Betriebsorganisationen regeln sie den Wirtschaftsprozess, und zwar nach dem Maß, der auf jedes Produkt oder jede Leistung verwendeten Arbeitszeit. Nicht der Staat, sondern die Assoziationen der Betriebsorganisationen sind die Gesellschaft, und eben durch deren exakte Zeitberechnung hat ein Staat in der Produktion und Verteilung als solcher nichts zu suchen. Allerdings erscheint der Staat anfänglich noch, aber für jeden klar und deutlich als Unterdrückungsapparat zur Niederhaltung der Konterrevolution.
(Schluss folgt.)
Das Organ des holländischen Schifffahrtskapitals, “De Nieuwe Rotterdammer Courant”, lässt in der Ausgabe vom 20. November 1928 ihren deutschen Korrespondenten folgendes berichten: “Aber - ich habe es früher schon bemerkt - es gibt ein Motto, welches der Leitfaden der Praxis der Sozialdemokratie in Deutschland ist, stärker als alle Programme, stärker als die Marx-€˜sche Lehre, stärker, viel stärker als der Wille der sozialdemokratischen Wähler, - und dieses Motto ist:”Weil wir Sozialdemokraten sind, werden wir zeigen, welch-€˜ brauchbare Mitglieder einer bürgerlichen Regierung wir sein können.” Das steht voran, das beherrscht alles, und darum braucht das Ausland sich nicht zu beunruhigen über die Regierungsveränderungen in Deutschland. Wenn die Sozialdemokraten die größte Partei einer Regierungskoalition sind, dann kann man überzeugt sein, dass sie den konservativen Elementen Konzessionen machen werden, und, stärker noch, das konservative Element hat nicht einmal nötig, um diese Konzessionen zu fragen. Sie werden ihm in den Schoß geworfen.
Denn der heimliche Stolz von demjenigen, der in dem Beruf eines deutschen Sozialdemokraten (es ist hier viel mehr ein Beruf als eine Überzeugung) ein ordentliches Stück Leiterpyramide des sogenannten Bonzentums hinaufkletterte, ist, dass er so äußerst akzeptabel für seinen politischen Gegner ist, deren Ideen so gut begreift und dem Rechnung trägt, dass er nicht zu weit geht, sondern gerne zu Kompromissen bereit ist, dass er zwar Reformen will, aber von allem nicht zu schnell, kurzum: dass er praktisch in jeder Beziehung und so stark wie möglich gerade das Gegenteil ist von dem, was man von einem Sozialdemokraten erwarten könnte.
Amsterdam, 20 Januar 1929
Sek: H. Canne-Meier
Transvaalstraat 125
Ende Februar wird hier eine neue “revolutionär sozialistische Partei” gegründet von dem linken sozial-demokratischen Gewerkschaftler Stenhuis[20] und seinem Berufsbruder vom NAS *Sneevliet[21]*. Der Programmentwurf läuft mit dem der “Linken” von der SDAP parallel.
* *
In den Augen der Staatskommunisten ist und bleibt die Landwirt-schaft ein Stein des Anstoßes für die Durchführung des Kommunismus. Unserer Meinung nach hat der Kapitalismus die objektiven Bedingungen für den Kommunismus auch in der Landwirtschaft glänzend durchgeführt. Es hängt nur davon ab, wie man die Dinge sieht; ob man die Verwaltung der Produktion in die Hände der zentralen Regierungsbüros legen will, oder ob man sie von den Produzenten selber vollziehen lässt.
Wir wollen zunächst den heutigen Charakter der Landwirtschaft ins Auge fassen. Ohne Zweifel finden wir hier nicht die ungeheure Konzentration der Produktion, wie wir diese in der Industrie beobachten. Aber dieser Tatsache zum Trotz ist der Landbau durch und durch kapitalistisch geworden.
Die Warenproduktion ist das charakteristische Kennzeichen der kapitalistischen Wirtschaftsweise. “Waren” sind Gebrauchsgegenstände, die der Produzent, bei Privatbesitz an Produktionsmitteln, nicht für den eigenen Verbrauch, sondern für den Bedarf anderer produziert. Der Warenproduzent schafft dasjenige, was er selber nicht verbraucht, und er verbraucht gerade das, was er nicht verfertigt. Auf dem Markt findet dann der allgemeine Händewechsel der Ware statt.
Dadurch, dass der Warenproduzent nicht für sich selbst, sondern für andere produziert, ist seine Arbeit gesellschaftliche Arbeit. In dem gesellschaftlichen Prozess des Stoffwechsels sind daher alle Waren-produzenten untereinander verbunden, sie leben in vollkommen gegensei-tiger Abhängigkeit und bilden damit ein geschlossenes Ganzes. Der alte Bauernbetrieb kannte die Warenproduktion nur als Nebensächlichkeit. Die geschlossene Hauswirtschaft der Bauern befriedigte fast den ganzen Bedarf aus eigener Arbeit. Der Bauer arbeitete für den eigenen Familienkreis, seine Produktion war nicht gesellschaftlich verbunden. Sein Produktionsumlauf vollzog sich fast ausschließlich in dem engen Kreis seines Hofes, solange er die Elemente seiner Produk-tion aus dem eigenen Produkt deckte. Nur das, was nicht in eigenen Ver-brauch aufgenommen wurde, der Überschuss seiner Produktion, war für den Markt, womit diese Produkte Warenform annahmen. Der Bauernbetrieb war also kein Teil der gesellschaftlichen Arbeit, und das ist dann auch die Erklärung für die “unabhängige” Existenz der Bauern. Die industrielle Warenproduktion hat diese Geschlossenheit durch-brochen. Wusste sie einerseits einen Strom billiger Produkte über die Erde zu streuen, andererseits wurde durch die Wirkungen des Kapitalismus der Pachtzins erhöht, während auch der Staat immer höhere Steuern verlangte.
Es ist hier nicht unsere Aufgabe, den Zerschlagungsprozess der geschlossenen Hauswirtschaft zu verfolgen. (Siehe R. Luxemburg: “Die Akkumulation des Kapitals”). Wir wollen nur das Resultat feststellen, das für jeden deutlich zu Tage tritt: Der Bauer brauchte immer mehr Geld, um seinen Verpflichtungen gerecht zu werden. Geld kann er aber nur erhalten, wenn er als Warenproduzent auftritt und Mehrprodukt auf den Markt bringt. Hierzu lagen zwei Wege offen: Entweder der Bauer musste bei gleicher Produktion weniger verbrauchen, oder er musste die Produktivität seiner Arbeit steigern. Noch weniger zu ver-brauchen als ein Bauer vom alten Schrot und Korn, gehört aber zu den Unmöglichkeiten. Die Steigerung der Produktivität erschien damit als einzige Lösung.
Hier liegt nun der Punkt, wo die Ökonomen vom Fach sich in ihren Zukunftsspekulationen gründlich geirrt haben: Sie nahmen für den agrarischen Betrieb dieselbe Entwicklung an wie für die Industrie. In der Industrie wurde eine immer größere Produktivität erreicht durch das Zusammenfließen von Kapitalien, durch immer neue, produktivere Maschinen, durch die Entwicklung zum Groß- -und Riesenbetrieb. Man nahm nun an, dass derselbe Konzentrationspro-zess sich in der Landwirtschaft vollziehen müsse. Damit müsste der kleine und mittlere Bauer in der Hauptsache verschwinden und die Agrarkonsortien die entscheidende Rolle in der Landwirtschaft spielen.
Die Ökonomen haben sich also in dieser Beziehung geirrt. Übrigens ein sehr verständlicher Irrtum, weil sie nur rechnen konnten mit den früher gegebenen Möglichkeiten. Doch ist es merkwürdig, dass die industrielle Entwicklung, welche die Konzentration in der Landwirtschaft herbeiführen sollte, selbst den Boden für eine ganz andere Entwicklung der Agrikultur bereitete. Es war insbesondere der Motor, der künstliche Dünger und die Agrarwissenschaft, welche die Produk-tivität des Landbaues gewaltig zu steigern wusste. Durch die moderne Düngung spielte die Beschaffenheit des Bodens eine untergeordnete Rolle, der Ertrag per Hektar wuchs gewaltig, wodurch der Bauer viel mehr “Waren” auf den Markt bringen konnte, während der moderne Verkehr einen allseitigen Transport versorgen konnte. Gleichzeitig mit der Steigerung des Ertrags per Hektar vollzog sich eine Erscheinung von gewaltiger Bedeutung. Sobald die Produktion auf wissenschaftli-cher Grundlage betrieben wird, tritt die Spezialisierung mit zwingen-der Kraft auf. “Der Spezialist ist ein Höhlenmensch. Er sieht nur einen kleinen Lichtstreifen des Weltraums, aber den sieht er sehr scharf”, sagt Multatuli[22] irgendwo. So sehen wir, dass der Bauer sich einrichtet, um nur ein bestimmtes Produkt zu liefern, aber um hier dann auch das Höchste zu erreichen, was bei dem heutigen Stand der Wissenschaft und ? seinen finanziellen Mitteln nur zu erreichen ist. Er spezialisiert seinen Betrieb, d.h., er beschafft sich gerade die Werkzeuge, die er für das spezielle Produkt braucht.
So ist heute die Lage der Landwirtschaft in einem großen Teil von West-Europa. In Holland und Dänemark ist dies am schärfsten ausgeprägt, während Frankreich, England, Deutschland in schnellem Schritt der Spezialisierung folgen. Für Viehzucht und Gemüsebau im Umkreis der großen Städte hat sich auch in diesen Ländern der Übergang vollzogen. Der Bauer ist damit Warenproduzent geworden im vollen Sinne des Wortes. Er bringt jetzt nicht mehr seinen “Überschuss” auf den Markt, sondern sein ganzes Produkt. Er schafft dasjenige, was er selber nicht verbraucht und er verbraucht gerade das, was er sel-ber nicht verfertigt. Er arbeitet also nicht für sich selbst, sondern für Andere, für die Gesellschaft, seine Arbeit ist bei der gesell-schaftlichen Arbeit eingeschaltet. Die geschlossene Hauswirtschaft ist durch die Spezialisierung vernichtet, die Agrarwirtschaft ist übergegangen zur “industriellen” Produktion.
Möge der Bauer dabei noch der Eigentümer seiner kleinen Schol-le geblieben sein, doch hat seine Stellung sich enorm verschlechtert. Allerdings kann er bei guter Konjunktur gute Geschäfte machen, aber er ist nun völlig von den Wechselfällen des Marktes abhängig, und schlechte Witterung in einem Jahr, eine Krankheit in einer be-stimmten Pflanzenart kann ihn gründlich ruinieren.
Diese Unsicherheit der Existenz galt zwar auch für die indu-striellen Unternehmungen, aber doch waren sie nicht so stark von der Natur abhängig. Die Produktivität wurde in der Weise gesteigert, dass die Akkumulation zu Stande kam durch Anwendung von immer produkti-veren Maschinen, was schließlich auf eine Konzentration der Betriebe hinauslief. Für den Bauer nahm die Steigerung der Produktivität eine ganz andere Richtung, welche wieder bestimmt wurde vom Stand der Tech-nik im Zusammenhang mit den Produktionsbedingungen des Bauernbetriebes. Die Akkumulation kam zu Stande durch die Beschaffung von Kunstdünger, Motoren und Traktoren, Einstellung auf ein Spezialprodukt.
In derselben Richtung wirken die Bauern-Genossenschaften. Durch sie konnten die Viehbauern selbst Molkereien errichten, wodurch diese Industrie direkt der Viehwirtschaft aufgepfropft wurde. Die Bauern haben damit ein Organ geschaffen, das sie alle unzerbrechlich verbindet. Auch Landbau und Gartenbau ist auf genossenschaftlichem Wege teilweise stark konzentriert, während doch von einer Zusammen-fassung der Betriebe in industriellem Sinne keine Rede ist.
Die Tatsache, dass der Bauer Warenproduzent geworden ist, ist für die Revolution von größter Bedeutung, und die “Angst vor den Bauern” ist zum guten Teil darauf zurückzuführen, dass ihre heu-tige Position falsch eingeschätzt wird. So wird z.B. viel darauf hingewiesen, dass das Proletariat in seiner Ernährung von den Bauern abhängig ist und dass man sie darum als Freunde halten müsse.
Diese Ansicht ist abgeleitet aus dem Zustand der Agrarwirt-schaft, wie sie in einer vergangenen Periode war. Man sieht die Frage so, als ob der Bauer noch der Bauer von früher, nicht der ausgespro-chene Warenproduzent von heute sei, der nicht nur den “Überschuss” seiner geschlossenen Hauswirtschaft, sondern sein ganzes Produkt auf den Markt bringen muss. In der heutigen Lage ist das Proletariat nicht mehr von den Bauern abhängig als umgekehrt. Liefern die Bauern dem Proletariat ihr Produkt nicht, dann sind sie ebenso dem Hunger ausgeliefert wie das Proletariat, so paradox es auch klingen möge. Der Bauer muss sein Produkt verkaufen, weil er nur produziert, was er selber nicht verbraucht, und verbrauchen muss, was er selber nicht produziert.
Auch die Furcht, dass der Bauer lieber sein Produkt verfüt-tert, als es gezwungenermaßen zu verkaufen, ist beim spezialisierten Land-bau ohne Grund. Der Viehbauer hat nur Vieh (abgesehen von den Neben-produkten) und weiter nichts. Der Ackerbauer hat wohl Getreide, aber kein Vieh, der Hühnerbauer etliche hundert Hühner, der Gemüsebauer nur eine bestimmte Anzahl Gemüsesorten. Sie sind alle Spezialisten.
Die Rückkehr zur geschlossenen Hauswirtschaft selbst ist unmöglich, denn selbst ein Bauer kann nicht ein Jahrhundert zurückgehen und allen Bedarf selbst verfertigen, weil er weder über die erforderlichen Fähigkeiten noch über die dazu notwendigen Werkzeuge verfügt. Mit der einmal vollzogenen Vergesellschaftung der Arbeit kann niemand sich mehr daran entziehen, und ein “Zurück” ist unmöglich geworden. Wie man die Sache auch wendet und dreht: Die Bauern sind auf dem gesellschaftlichen Schiff und müssen mit. (Schluss folgt)
Nachdem wir gezeigt haben, wie die Agrarproduktion durch die agrarwissenschaftliche Spezialisierung zur Warenproduktion übergegangen ist, müssen wir andeuten, wie damit die Bedingungen zur Durch-führung der sozialen Revolution in der ganzen Agrarwirtschaft gegeben sind. Ohne weiter an dieser Stelle auf die Probleme eingehen zu können, stellen wir uns einfach auf den Marx-€˜schen Standpunkt, dass die Ge-sellschaft berechnen muss, wieviel Arbeitszeit jedes Produkt enthält, m.a.W., die Betriebsorganisationen stellen die gesellschaftlich-durch-schnittliche Produktionszeit für jedes Produkt fest. Wie das auch für die Agrarwirtschaft jetzt möglich ist, wird deutlich demonstriert durch die Tatsache, dass die moderne “Selbstkostenrechnung” heute ebenso gut dort angewandt wird wie in der Industrie. In Wirklichkeit wird damit bewiesen, dass die Agrarwirtschaft zur industriellen Pro-duktion übergegangen ist.
Die proletarische Revolution, die die Durchführung des Kommu-nismus nicht als eine “Nationalisierung” der “reifen” Betriebe auf-fasst, sondern als die Durchführung eines Prinzips, nach dem alle Produzenten ihre Arbeit selbst in der kommunistischen Produktion einfügen, legt damit zugleich die Grundlage für die Einreihung der gan-zen Agrikultur als Unterteil der Gesamtproduktion. Dieses eine Prin-zip ist die Schaffung und Befestigung einer Einheit, die den Produktenstrom, der sich innerhalb der Gesellschaft bewegt, normalisiert,- ist die Feststellung der gesellschaftlich-durchschnittlichen Produktionszeit des Produkts. Jeder Betrieb wird dadurch zu einer aktiven Zelle des Kommunismus, wo sich die proletarische Selbstaktivität entfalten kann.
Ist die Macht des industriellen Proletariats unwiderruflich im Rätesystem verankert, dann kann es nicht anders, als dieselben Organisationsprinzipien auf die Landwirtschaft zu übertragen. Die Produktion ist jederzeit funktionell abhängig von ihrem organisatorischen Aufbau, aber wie dieses Rätesystem sich auf dem Lande auswirkt, ist eine andere Frage, welche die Zukunft zu lesen hat. Möge das all-gemeine Prinzip des Rätesystems für Industrie und Landwirtschaft dasselbe sein, es gibt doch viele Umstände, welche bestimmen, dass dieses Allgemeine in den besonderen Fallen sehr verschieden zu Tage tritt. So wird sich z.B. zeigen, dass das proletarische Klassenbewusst-sein bei den Industriearbeitern viel kräftiger entwickelt ist als beim landwirtschaftlichen Proletariat, während ein anderer Grund für eine verschiedene Ausarbeitung des Räteprinzips in der Verschieden-heit der natürlichen Produktionsbedingungen in Industrie und Land-wirtschaft liegt.
Doch wie dem auch sei: Entscheidend ist, dass die Bauern in Dorfkommunen, die schließlich nichts anderes als die Zusammenfassung der Betriebsorganisationen der Bauernhöfe sind, zusammenarbeiten. “Von selbst” werden die Bauern es allerdings nicht tun, so dass neben einer mächtigen Propaganda die ökonomische Diktatur des Proletariats diese Arbeit zu Stande bringen muss. Diese wirkt sich dann so aus, dass Landbauwerkzeuge, Saatgut, Kunstdünger, Benzin, Petroleum usw. nur an landwirtschaftliche Betriebsorganisationen oder Dorf-kommunen geliefert werden. Je fester das Proletariat der Industrie im Sattel sitzt, desto sicherer ist eine schnelle Selbstor-ganisierung der Bauern durchzuführen.
Fassen wir jetzt unsere Betrachtungen über die holländische Sozialdemokratie und ihre linke Strömung zusammen, so kommen wir zu folgendem Ergebnis: Der rechte Flügel lebt nur in der “natürlichen” Ideologie von dem immer weiteren Vordringen der Demokratie und der Sozialreform. Die Verschärfung des Klassenkampfes treibt sie immer weiter auf die Seite der Bourgeoisie. Die “Linken” umfassen eine jün-gere Generation, welche zwar in der Vorkriegszeit die “Erfolge” des Reformismus erlebt haben, bei denen aber die aus dieser Praxis resultierende Ideologie durch die Verelendung der Kriegs- und Nachkriegsperiode nicht genügend “verhärtet” werden konnte. Der Glaube an das friedliche Hineinwachsen in den Sozialismus ist damit ins Wanken geraten, die Notwendigkeit einer Revolution, um die Produktionsmittel in die Hände der “Gemeinschaft” zu bringen, wird evident. Die Verschärfung der Klassengegen-sätze führt hier zu einer Revolutionierung der Ideologien. Es hat sich aber schon unzweideutig herausgestellt, dass ihre Auffassungen von der Führung des Klassenkampfes (Schachspiel) vollkommen der Aufstiegsperiode des alten Sozialdemokratismus entlehnt und als solche verknöchert sind. Von einer Revolutionierung in der Richtung des Selbsthandelns der Arbeiterschaft kann darum nicht die Rede sein.
Deutlich zeigt sich bei ihnen auch der Zusammenhang zwischen ihrer Ideologie, den Auffassungen über “Kommunismus” und dem organisatorischen Aufbau der “Kampforganisationen” und damit auch der Füh-rung des Klassenkampfes. Die zentralen Gewerkschaften mit zentralem “Generalstab”, der die Massen vorschiebt oder zurückzieht, entspricht völlig ihren Auffassungen über den “Kommunismus”. Es sind die verstaatlichten Produktionsmittel, von zentraler Stelle geleitet und verwaltet, während die Massen nur Disziplin und Ordnung halten müssen; ihre Ini-tiative würde das zentrale Verfügungsrecht nur durchkreuzen. Damit wäre dann der Jaure-€˜sche Ausspruch zur Wahrheit geworden, dass, “wenn die Sozialisten ihr Ziel erreicht haben, werden sie finden, dass ihre Seelen leer sind”.
Die “Linken” in der holländischen Sozialdemokratie sind damit treffend gekennzeichnet: Ihre Ideologie ist geworden und verknöchert in der alten Sozialdemokratie, sie sind die Gefangenen des, dem Kapitalismus angepassten, ,,reformistischen Geistes, und ihre revolutionäre “Seele” ist leer.
(Die Darstellungen bezüglich der modernen Entwicklung in der Landwirtschaft und dementsprechender Stellung der Agrarfrage sind teilweise der demnächst erscheinenden Schrift: “Grundprinzipien der kommunistischen Produktion und Verteilung” entnommen.)
Die katholischen, christlichen, freien, kommunistischen (NAS) und anarcho-syndikalistischen (IAA) Metallarbeiter-Gewerkschaften haben eine Einheitsfront gebildet und den Unternehmern einen Entwurf zum kollektiven Arbeitsvertrag eingereicht.
Die Gewerkschaften, mit welcher Farbe sie auch angestrichen sind, kennen nur eine Taktik: Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit. Sie kennen nur eine Politik: die Führerpolitik vom grünen Tisch.
Bei den Mitgliedern der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften wird der Widerspruch zwischen der “nun einmal notwendigen Praxis” und ihrer Theorie vom “Selbsthandeln” tatsächlich noch (bis jetzt noch) peinlich empfunden. Bei ihnen tritt aber die eigentümliche Erscheinung auf, dass eine revolutionäre Ideologie sich als Kraftquelle der konterrevolutionären Tätigkeit auswirkt. Ebenso wie bei den aufrichtigen Gottesgläubigen der seelische Konflikt von Wort und Tat, von Ideologie und Praxis, sich in der Gebetsstunde aufhebt, wie hier die Seelenruhe wiedergefunden wird, um die kapitalistische Moral des “Jeder für sich und Gott für uns Alle” weiter führen zu können, so ähnlich geht es unseren “revolutionären” Gewerkschaftlern. Auch bei ihnen gibt es den Konflikt, dass sie ihre Prinzipien, nämlich die vom Selbsthandeln, verletzen.
Die Herstellung des Gleichgewichts geschieht hier aber in den Versammlungen, wo sie immer wieder von ihren schönen Prinzipien reden; es geschieht durch das Lesen ihrer Zeitungen, wo möglichst viel wiederholt wird, dass die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Ar-beiter selbst sein kann. Weiter tun die revolutionären Schlagwörter ihren Dienst: Es ist eine geistige Onanie, welche zu der Befriedigung führt, dass man selber äußerst revolutionär ist, aber nur von den “Unbewussten” gehemmt wird. So werden dann aus der revolutionären Ide-ologie die Kräfte geschöpft zur Weiterführung des Klassenverrats. Sie sind für den revolutionären Klassenkampf verloren, solange sie noch innerhalb der “revolutionären” Gewerkschaft verbleiben. Ihre ein-zige Belebung als revolutionäre Arbeiter kann nur darin bestehen, dass sie sich von der gewerkschaftlichen Praxis verabschieden und als Unorganisierte (in Holland gibt es noch keine Arbeiter-Unionen) den Kampf gegen die Führerpolitik aufnehmen. Sicher nicht am wenigsten für die syndikalistischen Arbeiter gilt: Heraus aus den Gewerkschaften.
Aus der Tschecho-Slowakei erhielten wir auf den Artikel unter obiger Überschrift folgendes Schreiben:
Werte Genossen!
Mit großem Interesse habe ich die ersten acht Nummern der PIC gelesen und mich besonders über den Artikel: “Spaltungsseuche oder ideologischer Klärungsprozess” gefreut. Wie oft hat man nicht die arge Zersplitterung innerhalb der linken revolutionären Bewegung beklagt und diesen Zustand als trostlos empfunden. Nach der Lektüre dieses Artikels erkennt man nicht nur, dass diese Spaltungsseuche, diese ideologische Zersetzung, in der sich jetzt die internationale revo-lutionäre Arbeiterschaft befindet, eine auf Grund der historischen Entwicklung notwendige Erscheinung ist, sondern auch, dass die Keime einer neuen Klassenkampfideologie, die Räteideologie, aus diesem gewaltigen, geistigen Ringen emporwachsen muss. Immer größeren Schichten des Proletariats wird durch die vollständig geänderten ökonomischen Verhältnisse zur Erkenntnis gebracht, dass die alten Klassenkampfformen für die Gegenwart und besonders für die Zukunft untauglich sind und deshalb die revolutionärsten und geistig fortgeschrittensten Elemente des Proletariats sich gezwungen sehen, neue Formen und Kampf-mittel im modernen Klassenkampf zu suchen.
Die Zersplitterung der bisher von den Arbeitermassen als ein-zig revolutionäre Arbeiterpartei angesehenen Parteien der III. Internationalen in rechte und linke Fraktionen, das Einheitsgewimmer der sozialdemo-kratischen und kommunistischen Reformisten, deren “Realpolitik” die Wiedervereinigung dieser beiden großen Arbeiterparteien ermöglichen wird, die Krisis in den anarchistischen Gruppen und nicht zuletzt die immer klareren Formulierungen des Räteprinzips sind beredte Zei-chen dieses gewaltigen ideologischen Umwandlungsprozesses.
— Hier Reformismus — dort revolutionäre Rätebewegung!
Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass die PIC auf die bei uns angeschlossenen Genossen ermunternd gewirkt hat.
Deshalb ersuche ich, mir den deutschen Pressedienst der PIC, den ich so ganz zufällig in die Hände bekommen habe, zuzusenden.
Mit kommunistischem Gruß E. R.
Im Anschluss an die Übersetzung der Diskussionen zwischen IWW und AAU, die wir herausgaben, sind jetzt auch die Betrachtungen über die IWW vom Genossen P. M. aus Amerika “Kampfruf” No. 7 und 8 von uns übersetzt.
Die neue Revolutionär Sozialistische Partei, welche von Sneevliet und Stenhuis gegründet werden sollte, ist jetzt in die Liste der parlamentarischen Parteien eingetragen. Kurz vor der Gründung kam der Bericht, dass Stenhuis nicht mitmachen konnte, weil bei ihm ein “allgemeiner Zu-sammenbruch” eingetreten war. Ob nun die schwere Bürde der neu zu grün-denden Partei den Zusammenbruch bewirkte, ist nicht offiziell bekannt.
PIC
PERSMATERIAAL VAN DE GROEPEN VAN
INTERNATIONALE COMMUNISTEN
ADMINISTRATIE:
H. CANNE MEIJER, TRANSVAALSTRAAT 125 (o), A-€™DAM - GEM.GIRO C 2885
Die Gewerkschaften als Unterhändler.
Der Charakter der Krise.
Das Verhalten der Kommunistischen Partei in England.
Die englische Arbeiterklasse, früher die Arbeiteraristokratie der Welt, die am besten bezahlten Lohnsklaven auf dem Erdball, hat ihre bevorrechtete Position seit der großen Krise von 1921 aufgeben müssen.
Die eine Industrie nach der anderen erklärte, bei den hohen Löhnen nicht mehr als “Konkurrent” auf dem Weltmarkt auftreten zu können, und darum war es von “allgemeinem Interesse”, im Interesse der nationalen Industrie, dass die Löhne herabgesetzt werden. Die Arbeiter mussten be-greifen, dass, wo nichts ist, auch nichts zu holen sei.
Wenn nun auch die Arbeiter dieses nicht in gewünschter Weise begriffen, die Gewerkschaftsführer verstanden es nur zu gut. Sie ließen es darum selten oder nie zum Streik kommen, weil sie sehr gut wussten, dass er nicht zu gewinnen war. Sie wussten weiter, dass ein Streik die Rentabilität des in die Produktion gesteckten Kapitals nun nicht gerade erhöht. Wenn es auch im Ausnahmefall so sein mag; in der Regel leidet der Profit. Die Gewerkschaften nahmen dann auch den Streik nicht auf und stimmten nach einigem Hin- und Hergerede einer Lohn-herabsetzung zu. Vom “Kampf” für Verbesserung der Arbeitsbedingungen blieb nur noch übrig, dass die Gewerkschaftsführer über die Höhe der Lohnherabsetzung verhandelten. Verlangten die Unternehmer z.B. 15% Verminderung und kam es beim Verhandeln zu 10%, dann endete der “Kampf” mit einem Sieg der Gewerkschaften, denn sie hatten 5% Abzug abgewehrt.
So ging und geht die englische Arbeiterklasse (und nicht nur die englische) stets siegend ihrem Untergang entgegen.
DIE KRISIS:
Die anhaltende Malaise in der englischen Industrie ist tatsäch-lich keine Phantasie der Unternehmer, sondern die nackte Wirklichkeit. Sie ist der Ausdruck der Tatsache, dass die Produktionskosten in England höher sind als z.B. in Deutschland oder Amerika; sie zeigt an, dass industriell angelegtes Kapital sich nicht rentiert. Nun ist das an und für sich nichts Besonderes, es ist eine in der kapitalistischen Warenproduktion ständig wiederkehrende Erscheinung. Die kapitalistische Produktionsweise schafft für einzelne Unternehmungen eine besondere Lage. Sie arbeitet für den Profit, das ist also die Grundlage ihrer Existenz. Aber durch den gegenseitigen Konkurrenzkampf zwischen den Unternehmungen wird dieser Profit fortwährend bedroht. Verbesserte Arbeitsmethoden und bessere Maschinen verändern ständig die Bedingungen für das Einbringen des Profits. Die Unternehmung, die nicht gleichen Schritt halten kann und zurückbleibt in der technischen Entwicklung, erzielt schließlich keinen Profit mehr. Das darin ange-legte Kapital rentiert sich nicht und wird dadurch selbst entwertet, vernichtet.
Das Tempo dieser Entwicklung und damit zugleich der Veränderung der Bedingungen der Profitgewinnung ist gerade nach dem Kriege rasend schnell geworden. Haben schon die letzten hundert Jahre an technischer Entwicklung mehr gebracht als in 20 Jahrhunderten davor, in den letzten 10 Jahren geht es in Sprüngen. Bei diesem Tempo ist der englischen Industrie der Atem ausgegangen.
Ist also nichts Besonderes dabei, dass sich das englische industrielle Kapital nicht genügend rentiert, so ist es doch bezeichnend, dass es diesen Zustand nicht überwinden kann. Die Ursache davon ist das “Alter” der englischen Industrie.
In den letzten Jahren ist die “Rationalisierung der Betriebe” das Leitmotiv der Industrie in der ganzen Welt geworden. Neue Arbeitsmethoden wurden eingeführt, der Produktionsapparat umgebaut und da-durch die Produktionskosten derart gesenkt, dass das Kapital sich wieder rentierte. Natürlich nur so lange, bis auch hier wieder die Grenze erreicht ist. Die englische Industrie aber konnte diesem lockenden Beispiel der französischen, deutschen, amerikanischen und italienischen Betriebe nicht folgen. England ist das älteste industrielle Land und hat deswegen auch den ältesten Produktionsapparat am Halse. Es dreht sich hier um einen Umbau der Betriebe; um einen moder-nen Produktionsapparat daraus zu machen, muss nahezu alles abgebrochen werden. Das bedeutet demnach, dass Millionen in der Industrie investierten Kapitals einfach abgeschrieben werden müssen, m.a.W.: Die eng-lische Bourgeoisie, die diese Betriebe besitzt, muss in Wirklichkeit enteignet werden, in dem Sinne, dass die heutigen Betriebe wertlos werden.
In den leitenden Kreisen der englischen Bourgeoisie ist man sich dessen sehr gut bewusst, doch damit ist ihnen natürlich nicht geholfen.
Es ist für die englische Bourgeoisie ein hoffnungsloser Fall. In dieser Situation finden sie keinen anderen Ausweg, als die Herabsetzung der Produktionskosten durch die Arbeiter bezahlen zu lassen: Sie setzen die Löhne herab. Doch auch dies wird wenig nützen. Der verschärfte Kon-kurrenzkampf, der international mit fortwährend größerer Heftigkeit geführt wird, bewirkt, dass der englische Produktionsapparat stets mehr ins Hintertreffen gerät. Die Löhne werden darum stets mehr herabgesetzt werden müssen, *die absolute Verelendung ist für die englische Arbeiterklasse eingetreten. *(Dies ist auch für die ganze Arbeiter-klasse der hochindustriellen Länder der Fall, aber aus anderen Ursachen.)
Die englische Arbeiterklasse wird damit in Wirklichkeit vor die Frage der Revolution gestellt, einer Revolution, die die Bewegungsgesetze der Warenprodukten, der Produktion um den Profit, der Rentabilität des Kapitals aufhebt. Die Linkssozialisten in England haben nun wohl ein scheinbar ausgezeichnetes Programm aufgesetzt, um die Be-triebe, die bei einem “auskömmlichen” Lohn für die Arbeiter nicht be-stehen können, zu “nationalisieren”, aber damit wird die Produktivität nun nicht gerade erhöht, die Produktionskosten nicht herabgesetzt. Der einzige Nutzen von derlei Experimenten würde sein, dass der Bankrott des Staatskapitalismus schnell offenbar wird. Auch das Rezept einer “Arbeiterregierung” verändert an diesem Zustand nichts.
Es fragt sich nun, wie die englische Arbeiterklasse auf die fort-währenden Angriffe auf ihren Arbeitslohn reagiert. Und da muss gleich gesagt werden, dass sich wohl eine sogenannte Nörglerstimmung gegen die Gewerkschaftsführer durchsetzt. Man beschimpft sie als “Verräter” und “Bundesgenossen des Kapitals”, doch von einer eigentlichen Aktion gegen die Gewerkschaften, von einem selbstständigen Kampf außerhalb und gegen die Verbände ist noch wenig zu bemerken. Die kommunistische Partei Englands fühlt sich berufen, die Unzufriedenen um sich zu versammeln; wenigstens muss man solches schließen aus den Öußerungen ihres Organs “Workers Life”. Das Blatt gibt dem Volke kund: “Der Kampf der Textil-, Eisenbahn- und Bergarbeiter bricht aus.” “Der Generalstreik bricht sich überall Bahn”, doch ist wohl nur der Wunsch der Vater des Gedan-kens. Weiter verkündet sie, dass der Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie unabhängig von dieser geführt werden soll und muss. Den Arbeitern wird zugerufen: Bildet Betriebskomitees, wählt eigene Streikleitungen, nehmt euch in Acht vor den Schlichen der Bonzen und bedenkt, was Lohnkürzungen bedeuten.
“Unabhängiger Kampf ist der alleinige Weg.”
Weiter erfahren wir aus dieser Zeitung vom 20. September 1929, wie als Protest gegen die Lohnkürzungen in der Baumwollindustrie (die mit Hilfe der Gewerkschaft durchgeführt wurden) Resolutionen von Arbeitern eingebracht wurden, die den Streik verlangten und auch, dass die Arbeiter sich weigern wollten, weiter Beiträge an die Gewerkschaften zu bezahlen. Die Antwort der KPE ist darauf:
“DIE GEWERKSCHAFTEN ZU VERLASSEN IST NICHT GUT”
Das kann ein Mensch mit gesundem Verstand nicht mehr verstehen. Die KPE ruft auf zum selbstständigen Kampf außerhalb und gegen die Gewerkschaften: Es muss eine Lohnerhöhung von 12-½ % verlangt werden, während der Kampf unter der Leitung von aus der Masse gewählten Textilarbeitern geführt werden soll. Man muss kämpfen gegen die Bürokraten und absehen von der Streikunterstützung der Gewerkschaften. Und doch lautet der Befehl: Bleibt in den Gewerkschaften.
Diese Haltung ist schließlich nur so zu verstehen, dass man sich als Revolutionär ausgibt, tatsächlich aber die Bildung einer Kampffront verhindern will.
Es hat wenig Sinn, den Ereignissen in England vorauszueilen. Doch so viel ist sicher, dass der wirkliche Kampf der Massen nicht aus-bleiben kann. Sie stehen dann, ebenso wie überall in den hochindustriellen Ländern, ihren Gewerkschaften gegenüber, d.h., dass auch in England die Gewerkschaften vernichtet werden müssen, bevor man von einer siegenden Arbeiterklasse in England sprechen kann.
20. September 1929
Folgender Artikel war ursprünglich für “Proletarischer Zeitgeist” geschrieben. Weil das Thema aber in breiteren Kreisen Interesse wecken dürfte, bieten wir ihn neben den Lesern des “Proletarischer Zeitgeist” auch unseren Lesern zur gefälligen Kenntnisnahme an.
Die Gruppe der Internationalen Kommunisten Hollands hat mit Freuden bemerkt, dass der “Proletarischer Zeitgeist” das Thema der Bewegungsgesetze der kommunistischen Bedarfswirtschaft zur Diskussion gestellt hat. Genosse Drewes hat “Die Grundzüge zu einem neuen System der Volkswirtschaft” dargelegt, wenigstens der Überschrift seiner Artikelserie nach, und eine freundliche Einleitung zur Polemik, welche wir freudig akzeptieren, hinzugefügt.
Wir wollen in dieser Polemik nicht alles von Drewes Herangeholte unter die Lupe nehmen. Er bringt Spalte für Spalte Betrachtungen über Philosophie, Ökonomie, Soziologie, Psychologie, er zeigt den Marxismus als eine “Afterwissenschaft”[23], was alles sehr interessant sein möge, aber die Probleme, worum es sich tatsächlich handelt, werden dadurch nur verschleiert. Wir haben des Philosophierens genug, es kommt drauf an, die Welt zu ändern.
Allerdings brauchen wir jetzt “Grundzüge zu einem neuen System der Volkswirtschaft”, aber diese können nur eine ganz konkrete Stellungnahme bezüglich eines konkreten, ökonomisch und politischen Programms zur Durchführung der sozialen, proletarischen Revolution sein. Das heißt: Wir müssen jetzt die konkreten Leitsätze aufstellen, nach welchen alle Arbeiter in Stadt und Land ihren Betrieb bei der Bedarfswirtschaft einschalten, die den Weg zeigen zur Aufhebung der Lohnarbeit und angeben, welche ökonomischen Bewegungsgesetze zum Durchbruch gebracht werden sollen.
Wenn Genosse Drewes also “Grundzüge zu einem neuen System der Volkswirtschaft” bringt, interessieren uns seine Ausführungen, ob die Sozialität- und Geselligkeitsbetriebe eine “kosmische Ingredienz im Körper des Menschen” sind, ebenso wenig wie seine Betrachtungen über historisch-materialistische oder idealistische Geschichtsauffassung. Auch die Begründung des Sozialismus als die “Harmonie mit der Einheit des Kosmos”, oder die Frage, ob der Marxismus “keine theoretische Basis hat” und nur “eine Korruptionserscheinung” darstellt, interessiert uns jetzt ebenso viel, wie welche Schuhgröße Marx getragen hat. All diese Dinge leiten die Aufmerksamkeit ab von den Problemen, worum es sich in Wirklichkeit handelt. Will Drewes also wirklich Grundzüge aufzeigen, dann muss er - unter Beiseitelassen von allem drum und dran - Antwort geben auf folgende Fragen:
1. Wenn wir das “neue System” von der ökonomischen Seite betrachten: Welche Bewegungsgesetze für den Produktenstrom werden an die Stelle der Bewegungsgesetze des Profits gestellt?
2. Nach welchen Bewegungsgesetzen vollzieht sich in diesem “neuen System” der Bedarfswirtschaft die einfache Reproduktion des Wirtschaftsapparates? Und welche Bewegungsgesetze liegen der Reproduktion auf erweiterter Stufenleitung zugrunde?
3. Welches sind die Bewegungsgesetze der Güterverteilungen: a) die der Produktionsmittel und Rohstoffe, b) die der individuellen Konsumgüter?
4. Das neue System von der politischen Seite aus betrachtet. Welche Sicherungen bietet es dann, dass die Arbeiterklasse Leitung und Verwaltung des Wirtschaftsapparates in den Händen behält?
5. Welche Sicherungen bietet das neue System, dass der Wirtschaftsapparat nicht wieder zu einem Beherrschungsmittel über die Arbeiterklasse auswächst.
Bevor wir uns mit den “Grundzügen” selbst befassen, sind wir genötigt, eine kleine Richtigstellung zu machen. Genosse Drewes sagt sie seelenruhig: “Die sozialistischen Ideen vermochten es noch nicht, der Geldwirtschaft das Prinzip der geldlosen Wirtschaft entgegenzusetzen.” Wir nehmen ohne Weiteres an, dass Drewes dieser Meinung ist, aber wir müssen zugleich sagen, dass er dann nicht auf dem Laufenden ist mit dem, was auf diesem Gebiete schon existiert. Seit Jahren beschäftigt man sich schon mit der Frage der “geldlosen Wirtschaft”. Auch hier ein Ringen um vorzudringen, und es ist jetzt schon deutlich eine Entwicklungslinie in der Theorie der “geldlosen Wirtschaft” zu sehen.
Obwohl Drewes gar keine ökonomischen Bewegungsgesetze gibt, will er die theoretische Begründung der “geldlosen Wirtschaft” auf seinen Namen setzen. Das trifft aber keineswegs zu. Bekanntlich ist eine der großen Lehren, welche Marx aus der Pariser Kommune von 1871 gezogen hat, diese, dass die Regelung der Wirtschaft erfolgen muss “nicht durch den Staat, sondern durch eine Verbindung der freien Assoziation der sozialistischen Gesellschaft” (H. Cunow: Marx-€™sche Geschichtstheorie, Band1, Seite 309).
Diese “Assoziation von freien und gleichen Produzenten” ist eine “geldlose Wirtschaft” und arbeitet nach der Arbeitszeitrechnung. Es muss an jedem Produkt berechnet werden, wie viel Arbeitsstunden seine Herstellung erfordert hat (F. Engels im “Anti-Dühring”[24]), während sein Produzent einen Schein erhält, worauf er den gesellschaftlichen Konsumvorräten so viel Produkt entziehen kann, als mit seiner Arbeitszeit übereinstimmt. (Es finden Abzüge statt für Akkumulation und allgemein gesellschaftliche Einrichtung. Siehe “Randglossen zum Erfurter Programm”[25]). Marx fordert hier ein direktes Verhältnis von Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt. Das ökonomische Bewegungsgesetz der Bedarfswirtschaft liegt bei Marx also in der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit der Produkte.
Die Grundgedanken von Marx und Engels werden nicht weiter ausgebaut. Der Mechanismus der Konzentration des Kapitals und die Zentralisation der Wirtschaft werden in den Vordergrund geschoben, und dabei stellten sich die Bewegungsgesetze für eine Bedarfswirtschaft als ziemlich überflüssig heraus. Nach der Expropriation der Expropriateure organisieren die Arbeiter die Wirtschaft. Die Betriebe greifen ineinander und jeder Betrieb ist ein Glied des großen Ganzen. Die ganze Wirtschaft ist schließlich aufzufassen als ein Riesenbetrieb, in welchem der Produktenstrom sich bewegt, und damit fällt das Geld “von selbst” weg. Auch Drewes behilft sich noch mit dieser Auffassung (“Pr.Ztg.” Zeitung No. 27). Hilferding sagt von einer derartigen Wirtschaft im “Finanzkapital” Seite 314: “Die Zirkulation des Geldes ist unnötig geworden, der rastlose Umlauf des Geldes hat sein Ziel erreicht, die geregelte Gesellschaft und das perpetuum mobile der Zirkulation findet seine Ruh.”[26]
Dass das Geld in einer Gesellschaft, wo die Interessengegensätze der Produzenten aufgehoben sind, keinen Sinn hat, brauchte uns also von Drewes nicht nachgewiesen zu werden, weil andere das vor ihm schon viel besser getan haben. Das Unverständliche liegt aber darin, dass man meinte, mit dem Wegfall des Geldes zu einer Naturalwirtschaft übergehen zu können. Angeblich handelte es sich nur um ein “Nehmen und Geben von Rohstoffen und Gütern im Sinne von Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit” (“Pr. Ztg.” 31), während von einer “Verrechnung” keine Rede sein kann. Auf diesem Standpunkt steht Drewes jetzt noch. Doch sind diese Gesichtspunkte nicht spezifisch anarchistisch. Der wildgewordene Sozialdemokrat Varga und der zahme Sozialdemokrat Neurath entwickeln dieselbe Theorie. Neurath zeigt in seiner Schrift “Wirtschaftsplan und Naturalrechnung” dem Volke, wie die Bedarfswirtschaft ohne Geld und ohne jede Recheneinheit auskommt, während der französische Anarchist Seb. Faure[27] uns in seinem Buch “Das universelle Glück” das gleiche Bild malt.
Die europäische Bourgeoisie wurde nach 1917 ein bisschen unruhig, weil die Wellen der Revolution über ganz Europa zu schlagen drohten. Die bürgerlichen Ökonomen setzten darum mit ihrer Kritik auf den Kommunismus ein. Max Weber und Mises[28] voran, griffen sie die einzige Theorie des Kommunismus, die “Naturalwirtschaft”, an und zeigten, wie ohne Recheneinheit, ohne einen Generalnenner, auf welche alle Arbeitserzeugnisse zurückgeführt werden können, jede planmäßige Wirtschaft unmöglich ist. Von hier aus setzten sie ihren Angriff weiter fort. Die “Naturalwirtschaftler” waren tatsächlich erledigt, und nun musste noch Marx, der die Arbeitsstunde als Recheneinheit in der Bedarfswirtschaft stellt, geschlagen werden. Auch dieses gelang ihnen scheinbar mithilfe ihrer dummen Auffassung der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit. Der Kommunismus war geschlagen. Unzweideutig war nachgewiesen, dass planmäßige Wirtschaft sich nicht ohne Recheneinheit durchführen lässt und dass die Arbeitsstunde als Recheneinheit ihrer Ansicht nach nicht brauchbar sei. Das Geld musste also beibehalten bleiben; die geldlose Wirtschaft war vernichtet!
Die Kritik hat getroffen; große Verwirrung im marxistischen Lager. Kautsky meint, dass das Geld als Wertmaßstab für die Buchhaltung und Berechnung der Austauschbeziehungen in einer materialistischen Gesellschaft erhalten bleiben muss. (“Die proletarische Revolution und ihr Programm”[29], Seite 323). Aber Otto Leichter macht in seiner Schrift “Die Wirtschaftsrechnung in der sozialistischen Gesellschaft” (Wien 1923) einen guten Sprung vorwärts, indem er nachweist, dass die gesellschaftliche Produktionszeit festgestellt werden kann. Doch löst er das Problem noch nicht, weil er sich durch den für soziale Einrichtungen und Erweiterung der Produktionsbasis (Akkumulation) benötigten Arbeitsaufwand die Suppe verderben lässt. Dadurch kann er schließlich die Kategorie der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit nicht durchführen und landet damit unwiderruflich beim Staatskapitalismus.
Die Entwicklung der Theorie der Bedarfswirtschaft zeigt also keine gerade Linie. Von der Recheneinheit bei Marx und Engels biegt sie ab zur “Naturalwirtschaft”, um schließlich ungefähr 1922 wieder zur Recheneinheit überzugehen. Die Gruppe der Internationalen Kommunisten in Holland hat nun die Marx-€˜schen Bewegungsgesetze der Bedarfswirtschaft auf ihr Programm gesetzt, sie hat in der Theorie die Kategorie der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit restlos durchgeführt und sieht in der Durchführung eines exakten Verhältnisses vom Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt die Übergangsform zum “Geben nach Kräften und Nehmen nach Bedürfnissen”. Die bürgerlichen Ökonomen haben durch ihre Kritik den Kommunismus ein gutes Stück vorwärtsgebracht. Sie haben die Theorie über den toten Punkt hinweggeholfen, sie haben Geister wachgerufen, die sich nicht mehr beschwören lassen. Ganz zielbewusst streben wir jetzt dem Kommunismus zu.
Fragen wir uns nun, welchen Platz die Ausführungen Drewes in der Entwicklung der Gedanken über die sozialistische Gesellschaft einnimmt, so fallen sie in das Stadium der Vorkriegszeit. Er ist “Naturalwirtschaftler”, das heißt, er lässt die Bedarfswirtschaft ohne Recheneinheiten, ohne Geld auskommen. Das ist allerdings sein gutes Recht, aber dann hätte er Marx, Kautsky, Max Weber, Mises oder Block angreifen müssen, um zu zeigen, dass ein Generalnenner nicht notwendig ist. Doch bricht auch bei Drewes ein unbestimmtes Gefühl durch, dass er so nicht auskommt. Es heißt: “Es kann nicht der Zweck der sozialistischen Propaganda sein, heute schon Grundsätze für ein tadelloses Funktionieren des Wirtschaftsverkehrs der Zukunft aufzustellen, die die Menschen später schon von selbst regeln werden.”
Einverstanden! Aber darum handelt es sich nicht. Wir brauchen keine “Schilderung” eines tadellosen Funktionierens, aber notwendig vor allem ist, die ökonomischen Bewegungsgesetze der kommunistischen Bedarfswirtschaft klarzulegen. Und es ist Zweck der sozialistischen Propaganda, diese in den Mittelpunkt der Tätigkeit zu setzen: Es ist das ganz konkrete Ziel, worauf wir hinsteuern. Weil diese Bewegungsgesetze bei Drewes von selbst gefunden werden, haben sie keinen Einfluss auf seine Betrachtungen, und er operiert als Naturalwirtschaftler ohne Recheneinheit. Damit macht er es sich bequem und “philosophiert” Seite nach Seite, kämpft gegen Windmühlenflügel … um schließlich das Gegenteil zu liefern von dem, wovon er der Begründer sein wollte. Er will als Anarchist die Grundzüge einer anarchistischen Wirtschaft “des Gebens nach Kräften und Nehmen nach Bedürfnissen” aufzeigen, aber landet … beim Staatskapitalismus.
Unter Sozialismus versteht Drewes “eine Wirtschaftsweise, in der der mit allen Mitmenschen durch Art und Gattungswesen verbundene Einzelmensch im Mittelpunkt des Arbeitsganges steht”, während der Inbegriff sozialistischer Produktion und Konsumtion ausgedrückt wird: “Jeder nach seinen Fähigkeiten und jeder nach seinen Bedürfnissen.” Diese Formulierung der “geldlosen Bedarfswirtschaft” ist von Interesse wegen ihrer Anmut. Es kommt hier nicht darauf an, dass die Menschen durch Art und Gattungsgesetze verbunden sind, sondern hier soll es sich handeln um die ökonomischen Gesetze, die die Wirtschaftsweise charakterisieren. Wir müssen wissen, welche ökonomische Bewegungsgesetze von der sozialen Revolution durchzuführen sind, nach Drewes Meinung soll der einzelne Mensch im Mittelpunkt des Arbeitsgangs stehen. Wie man aber auch sucht, man stößt immer nur auf die alte Formel von “[Geben][30] nach Fähigkeiten usw.”, so wie wir das schon vor einem halben Jahrhundert lernten.
Obwohl nun Drewes keine “Schilderung” von den Bewegungsgesetzen dieses Systems gibt, sind diese doch deutlich angegeben. Viel besser aber wird die Güterbewegung in so einem System von dem französischen Anarchisten Sébastien Faure beschrieben. Faure stellt in seinem Buch “Das universelle Glück” die planmäßige, geldlose Wirtschaft an die Stelle der zügellosen Profitwirtschaft. Die ganze Produktion muss auf die Bedürfnisse zugeschnitten sein, und er sagt darum auch auf Seite 215 der holländischen Übersetzung seines Buches: “Man muss also vor allem das Gesamte des Bedarfs und die Quantität dieses Bedürfnisses feststellen.” Die Kommune soll dann die Bedürfnisse nach der Einwohnerzahl der “Hauptadministration des Wirtschaftsgebietes” angeben, wodurch die Beamten dort einen Überblick über den Gesamtbedarf der Wirtschaft des Wirtschaftsgebietes bekommen. Dann gibt jede Kommune eine zweite Liste mit der Angabe, wieviel sie produzieren kann, somit “die Hauptadministration” nun die Produktivkräfte des Wirtschaftsbezirks kennt. Die Lösung der Sache ist klar: Die oberen Beamten sollen nun feststellen, welcher Teil der Produktion auf jede Kommune entfällt und “welchen Teil der Produktion sie für sich selbst behalten” (Seite 216).
Dieser Verlauf ist genau derselbe, wie die Staatskommunisten es sich vorstellen. Unter die Massen, oben die Beamten, welche Leitung und Verwaltung von Produktion und Verteilung in den Händen haben. Damit ist die Gesellschaft nicht gegründet in ökonomischen Realitäten, sondern in den guten oder schlechten Willen oder Fähigkeiten bestimmter Personen, was Faure denn auch ohne weiteres zugibt. Um jeden Zweifel in Bezug auf zentrales Verfügungsrecht wegzunehmen, fügt er noch hinzu: “Die Hauptadministration weiß, wie groß die Gesamtproduktion und der Gesamtbedarf ist und muss darum jedem Bezirkskomitee mitteilen, über wieviel Produkte es verfügen kann und wieviel Produktionsmittel es beschaffen muss.” (Seite 218)
So sieht das “Geben nach Kräften usw.”, welches nicht in der Arbeitszeitrechnung begründet ist, in der Theorie aus. In der Praxis ist es völlig unsinnig, weil das Leben sich nicht in den Formeln der Statistik modeln lässt. Aber, um noch zu zeigen, wie dies alles kein besonderer freier Kommunismus ist, stellen wir den sozialdemokratischen “Kommunismus” von R. Hilferding daneben. Wir werden sehen, dass er nahezu wörtlich mit dem “freien Kommunismus” übereinstimmt. Hilferding sagt auf Seite 1 im “Finanzkapital”: “Wie, wo, wieviel, mit welchen Mittel aus den vorhandenen natürlichen und künstlichen Produktionsbedingungen neue Produkte hergestellt werden … entscheiden die kommunalen, Landes- oder Nationalkommissäre der sozialistischen Gesellschaft, die mit allen Mitteln einer organisierten Produktions- und Konsultationsstatistik die gesellschaftlichen Erfordernissen erfassend, in bewusster Vor-aussicht das ganze Wirtschaftsleben nach den Bedürfnissen ihrer in ihnen bewusst geleiteten Gemeinschaften gestalten.”
Wir stellen darum fest, dass auch in dem “freien Kommunismus” das Verfügungsrecht über den Wirtschaftsapparat denen zugewiesen wird, die mit den Kniffen der Statistik vertraut sind. Aber wir sollen doch so viel von der Politischen Ökonomie gelernt haben, dass es als ein bekannter Satz gelten möge, dass wer das Verfügungsrecht über den Wirtschaftsapparat in Händen hat, in Wirklichkeit über die Gewalt in der Gesellschaft verfügt. Die “Hauptadministration” muss sich die Mittel beschaffen, sich durchzusetzen, das heißt, sie muss einen Staat schaffen, welcher zu gleicher Zeit die Leitung und Beherrschung der Wirtschaft hat. Das ist eine der Bewegungsgesetze eines derartigen Systems von “Nehmen nach Bedürfnissen”, ob das so gemeint wird oder nicht. Auch macht es nichts aus, ob das Gericht mit der Sauce von “freien Vereinbarungen” oder mit “beseelendem” Prinzip serviert wird, das stört die politische und ökonomische Gesetzmäßigkeit absolut nicht.
Nun wird Genosse Drewes allerdings sagen, dass die Faure-€˜schen Ausführungen nicht auf seine Rechnung gestellt werden können. Dazu erwidern wir, dass eine andere Sachlage in einer Wirtschaft ohne Verrechnung sich nicht einmal konstruieren lässt. Ist Genosse Drewes einer anderen Meinung, dann muss er den Schleier von seinen Bewegungsgesetzen lüften.
Wir werden aber nachweisen, dass das Drewes-€˜sche System sich völlig deckt mit dem Faure-€˜schen, das heißt mit dem staatskommunistischen, oder was dasselbe ist: mit dem staatskapitalistischen.
Wie sieht Drewes die Produktion? Es fließt ein Strom von Produkten von Betrieb zu Betrieb: Was von dem einen als Endprodukt abgeliefert wird, geht bei dem anderen als Rohstoff ein. Davon sagt nun Drewes: “Nur besteht diese Flüssigkeit, wie bemerkt, nicht in dem bisherigen Austauschsinne, für -€šLeistungen-€˜ notwendig -€šGegenleistungen-€˜ zu fordern, wie wenn eine bestimmte Menge des einen Gutes eine bestimmte Menge des anderen Gutes zum Austausch zwinge.”
Dieser Satz zeigt die zentrale Verfügungsgewalt in aller Klarheit. Es ist derselbe Vorgang, wie ihn Varga in seiner Schrift: “Die wirtschaftspolitischen Probleme der politischen Diktatur” verherrlicht. In der ungarischen Revolution war für eine Leistung auch keine Gegenleistung notwendig; ebenso wie Drewes sah der Wirtschaftsrat nur “ein Nehmen und Geben von Rohstoffen und Güter im Sinne von Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit”, mit der Folge, dass bei den Konzentrationsbestrebungen des Wirtschaftsrates verschiedene Betriebe von der Rohstoffversorgung ausgeschlossen wurden - gegen den Willen der Arbeiter - und der Betrieb stillgelegt werden musste. Bei derartigen “Grundsätzen” haben die Arbeiter nichts mehr zu melden, und sie sind den Wirtschaftsführern und Statistikern ausgeliefert. Die Arbeiter haben nur Pflichten und keine Rechte. Und wir haben schon genug von Arbeiterbewegung und Wirtschaftsdemokratie gelernt, dass es nicht angebracht ist, alles in Brüderlichkeitsduselei zu ertränken. Wir verlangen Sicherungen, dass die Arbeiterschaft die Führung und Leitung des Wirtschaftsapparates in den Händen hält. Diese Sicherungen können keine “gesetzlichen” sein, sondern müssen im Wirtschaftsvorgang selbst liegen.
Ist es also vom Gesichtspunkt der Selbstverwaltung notwendig, den Satz “Leistung” - “Gegenleistung” innezuhalten, auch von der Seite der planmäßigen Produktion und gesellschaftlichen Kontrolle ist er notwendig. Die Arbeiterschaft erhält die Betriebe mit Produktionsmitteln und Rohstoffen, worin die Arbeit der Genossen enthalten ist, als gesellschaftliches Gut zur Bewirtschaftung. Das ist die “Leistung” der Gesellschaft. Und die Arbeiterschaft hat dem Verbrauch dieses Gutes in ihrer Gegenleistung Rechnung zu tragen, damit eine regelmäßige Reproduktion stattfinden kann, während nun die Kontrolle der gesellschaftlichen Güter an die Gesellschaft fallen kann.
Und nun die Frage der Verteilung der Konsumgüter. Drewes fordert eine “schrankenlose Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen im Rahmen der jeweils vorhandenen Gütermenge”. Man soll uns zugutehalten, wenn wir das als völligen Blödsinn bezeichnen. Es ist nur Phraseologie … und noch nicht einmal eine reizende! Eine schrankenlose Befriedigung ist doch nur möglich bei einem Überfluss von Produkten. Ist dieser nicht da, so müssen irgendwelche Verteilungsgrundsätze eingehalten werden, und damit kann von einer schrankenlosen Befriedigung keine Rede sein. Wir werden nun nachweisen:
1., dass von einem “Nehmen nach Bedürfnissen” im ersten Stadium der sozialen Revolution keine Rede sein kann.
2., dass die Arbeiterklasse dieses System in diesem Stadium entschieden ablehnen muss, weil sonst die Verfügungsgewalt über den Produktionsapparat und die Güterverteilung völlig verlorengeht; dass damit der Wirtschaftsapparat wieder zu einem Beherrschungsmittel über die Arbeiterklasse auswächst.
Der erste Punkt braucht kaum einer Erwähnung. Gerade weil wir jetzt mit dem Profitsystem wirtschaften, ist der Produktionsapparat gar nicht auf die Bedürfnisse der Massen eingestellt. Damit erscheint als eine der größten Aufgaben der sozialen Revolution der völlige Umbau des Produktionsapparates, wodurch der Teil der Produktion, der ausschließlich für die Bedürfnisse der Bourgeoisie arbeitet, und der Teil, der seine Kräfte in der Reklameindustrie vergeudet, für die Bedürfnisse der Massen nutzbar gemacht werden kann. Möge die soziale Revolution auch viele Kräfte freisetzen, der Umbau fordert so viel an Rohstoffen, Baumaterial, Maschinen usw., dass diese Kräfte sich nicht an der Konsumgüterbeschaffung beteiligen können, sondern auf das Konto der Mehrarbeit der kommunistischen Gesellschaft fallen. Die soziale Revolution muss daher ganz bestimmt mit einer “Güterknappheit” rechnen und an einem “Nehmen nach Bedürfnissen” ist damit nicht zu denken: Die Verteilung wird nach gewissen Grundsätzen geschehen müssen.
Kommen wir jetzt zum zweiten Punkt, dass die Arbeiterklasse diese Formel entschieden ablehnen muss. Von dem Gesichtspunkt der Produktion aus haben wir schon gesehen, wie das “Nehmen nach Bedürfnissen” sich umwandelt in das Erhalten, was die Statistiker uns “zuweisen”, warum wir als wichtige Forderung für die Bewegungsgesetze der Bedarfswirtschaft den Satz “Leistung - Gegenleistung” stellen. Mit der Konsumgüterverteilung ist es nun gerade so gestellt. Weil das “Nehmen nach Bedürfnissen” vorläufig wegen Konsumgütermangel ausgeschlossen ist, wird auch Drewes recht oder schlecht Verteilungsgrundsätze aufstellen müssen. Auch die russische Revolution war in dieser Lage, und sie führte eine Klassenrationalisierung durch in dem Sinne, dass die Arbeitermacht bevorzugt wurde. Das sieht allerdings schön aus … und doch offenbart sich hier die Faulheit des ganzen Systems. Es soll doch nichts anderes heißen, als dass die Konsumgüterverteilung eine Sache der Politik ist! Die Verteilung wird nicht von dem sachlichen Gang der Produktion bestimmt, sondern durch Personen, und sie ist damit ein umstrittener Punkt für die Politik. Auch bei Drewes gibt es eine “persönliche Zuweisung” und damit trägt sein “System” auch hier die Merkmale des Staatskapitalismus.
Worum es sich bei der Aufhebung der Ausbeutung handelt, das ist die gleichmäßige Verteilung des Gesamtprodukts, gleich ob es viel oder wenig ist. Das ist zwar keine “gerechte Verteilung”, aber die einzige in Frage kommende, solange das “Nehmen nach Bedürfnissen” noch nicht durchgeführt werden kann. Als revolutionäre Klasse verlangen wir aber nicht nur die direkte, völlige Beseitigung des “Arbeitslohnes”, sondern wir fordern auch die Sicherstellung, dass die zum Konsum geschaffenen Vorräte uns zufließen. Diese Sicherstellung kann uns wiederum nicht gegeben werden von irgendwelcher staatlichen oder wirtschaftlichen Instanz oder der zentralen Verteilungsstelle, welche das “Nehmen nach Bedürfnissen” besorgt, diese Sicherstellung kann uns nur gegeben werden in dem sachlichen Produktions- und Verteilungsvorgang selbst. Die Dinge müssen sich selbst verteilen. Wenn wir durch unsere Arbeit 40-Arbeitsstunden-Produkte dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt zugefügt haben, so verlangen wir als Konsument 40-Arbeitsstunden-Konsum aus den gesellschaftlichen Vorräten (Akkumulation bleibe außer Betracht). Nach 40-stündiger Arbeit verlangen wir daher dafür eine Bescheinigung, oder wie das gewöhnlich genannt wird: Arbeitsgeld (Was aber mit Geld nichts zu schaffen hat!). Und hier springt sofort ins Auge, dass es damit notwendig ist, an allen Produkten auszudrücken, wieviel gesellschaftliche Arbeitszeit sie enthalten. Von Verteilungsgrundsätzen, welche Sache der Politik sein können, ist dann keine Rede mehr: Die Dinge verteilen sich selbst.
Als Aufgabe der sozialen Revolution erscheint daher die restlose Durchführung der Kategorie der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit bei einem exakten Verhältnis vom Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt.
Genosse Drewes will von einem exakten Verhältnis nichts wissen. Er sagt: “Menschen treten zusammen, vereinbaren sich, arbeiten einfach und damit basta”; brauchen weder einen “Oberhirten”, der ihre Leistungen täglich nachprüft, noch einen “Finanzier”, der ihnen die Gegenleistung in “Schwundgeld”, Arbeitsbons oder sonst was gibt. Damit ist er aber auf die “persönliche Zuweisung” irgendeiner Instanz angewiesen, ob Drewes dies wahrhaben will oder nicht. Und so läuft auch hier sein “System” auf Staatskapitalismus hinaus.
Uns bleibt nur noch übrig, die Durchführung der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit bei einfacher und erweiterter Reproduktion zu zeigen, als auch, wie die “allgemein gesellschaftliche Arbeit” als Unterricht, Krankenpflege, überhaupt alle Einrichtungen, welche “unentgeltlich” arbeiten, doch nicht die grundlegende Kategorie der Bedarfswirtschaft durchbrechen können. Aber das geht über den Rahmen einer Zeitung hinaus, und daher müssen wir das bis auf bessere Gelegenheit hinausschieben.
Dienstag, 10. September, traten bei der Firma Wilton in Rotterdam 107 deutsche Metallarbeiter in den Streik, weil einer der ihren zu streng bestraft war wegen eines Verstoßes gegen das Rauchverbot. Alle wurden entlassen. Der deutsche Konsul beeilte sich der holländischen Bourgeoisie zu Willen zu sein und schlug der Betriebsleitung vor, dass er diesen Arbeitern Reisegeld nach Kiel geben und andere Arbeiter heranführen wollte. So geschah es. Charakteristisch an dieser Sache ist, wie der deutsche Arbeiter gerade so behandelt wird wie der Kuli in “unserem” gesegneten Indien. Er ist völlig rechtlos. Bei irgendeiner Auflehnung gegen die Gewaltmethoden der Herrscher wird er einfach abtransportiert und eine neue Ladung Arbeitsvieh tritt an die Stelle.
Soweit es die holländischen Kollegen betrifft, ist es bedauerlich feststellen zu müssen, dass sie sich nicht mit den Streikenden solidarisch erklärten. Der “Nationalegoismus” “Holland für den Holländer” ist daran nicht fremd. Unser Salut für die Entschlossenheit der deutschen Klassengenossen.
Wir bringen diesen Artikel (dem Inhalt nach) nicht, weil es neue Gesichtspunkte für die deutsche Bewegung enthält, sondern weil daraus hervorgeht, dass die Räteideologie auch in Frankreich durchbricht.
Im August 1929 erschien die No. 1 des ersten Jahrgangs der Zeitung unserer französischen Gesinnungsgenossen “L-€™Ouvrier Communiste”, Organ der Gruppen kommunistischer Arbeiter. Sie begründen ihre Existenz und die ihrer Zeitung in einem Leitartikel betitelt “Um aus dem Sumpf herauszukommen”. Dort zeigen sie, dass die “Einheitslegende”, wie Angst vor der Absplitterung, vor Spaltung, das Stellen der heterogenen Quantität über die homogene Qualität ihrem Wesen nach reformistisch, konterrevolutionär ist. Es ist Schaffung oder Erhaltung konterrevolutionärer Organisationen, mindestens aber Bildung reformistischer, konterrevolutionärer Elemente in großer Zahl in den existierenden, ganz bestimmt nicht rein revolutionären Gruppierungen.
“Die Geschichte, die Tatsachen haben schon vor uns die Richtigkeit dieser Auffassungen bewiesen. Leider sind wir etwas spät zu dieser Einsicht gekommen. Zu spät? Nein!”
Übrigens: Diese neue Einsicht konnten die französischen Genossen sich nur erwerben, nachdem die Geschichte, die Erfahrungen, sie dazu trieb. Keine neuen fruchtbaren Ideologien, - oder sie haben diese Grundlage.
Die Richtung Lenins war die der Einheit, die Richtung Gorters war die der Abscheidung. Und was war das Resultat der Einheitstaktik? Es war Hermann Gorter in seinem “Offenen Brief”, geschrieben für Lenin und für die Arbeiter der KPD, der die Unrichtigkeit und die Gefahr der Auffassungen Lenins gezeigt hat. Jetzt, mit einer solchen Fülle von Erfahrungen, handelt es sich nicht mehr um die Rettung der Komintern, sich klammernd am Leninismus, wie die Opposition es noch krampfhaft versucht. Jetzt handelt es sich darum, anhand der Erfahrungen diesen Leninismus zu verurteilen. Der Leninismus wollte in Analogie mit dem Sieg in Russland die russische Strategie vorschreiben für Länder, deren soziale Gruppierung der gesellschaftlichen Kräfte eine völlig andere war, und die, wie in Westeuropa und Amerika, auf die bürgerliche Revolution zur Überwindung des Feudalismus schon jahrelang als ein vollzogener Prozess zurückblicken konnten.
Der fundamentale Charakterzug des Leninismus ist der Kompromiss; der Kompromiss, der die Formierung der Parteien der Dritten Internationalen überhaupt erst ermöglichte. Die Extremisten oder Ultralinken hielten an ihrem Antiparlamentarismus in vollem Umfang fest. Der Leninismus hat ihn bekämpft, mit der Folge, dass sie entweder sich beugten oder aber aus den offiziell kommunistischen Parteien ausgeschlossen wurden. Und doch war gerade dieser Antiparlamentarismus der Gradmesser für die durch die Kriegserfahrungen in den hochindustriellen Ländern erworbene Bewusstwerdung.
Viele westeuropäische kommunistische Führer wurden “bezogen” aus den Reihen der “Linken” und Unzufriedenen der parlamentarischen Demagogen der Zweiten Internationalen.
Es ist klar, dass die Ausstoßung der besten revolutionären Kräfte der erste Schritt war, den die Bolschewiki auf dem Wege zum Kompromiss machten; es bedeutete die Verleugnung oder wenigstens die Vernichtung des rein revolutionären Charakters. Gerade durch Akzeptieren des antiparlamentarischen Radikalismus hätte die Dritte Internationale ihren Entartungsprozess sehr erschwert; sie hätte die Opportunisten aus ihren Reihen gehalten, um ihre revolutionär proletarischen Machtstellungen, wenn auch nicht ausbreiten, dann doch jedenfalls erhalten können.
Aber beim Parlamentarismus blieb es nicht. Der sozialdemokratische Charakter trat immer klarer ans Licht. Ihre Politik in Deutschland, zum Beispiel die berüchtigte Waffenlieferung an die Arbeiterfeinde, ist eine der vielen Beweise.
Einer der schwerwiegendsten Fehler des Leninismus ist der Versuch der “Eroberung der Gewerkschaften”. Die Leninisten haben vergessen, dass die Formen des Klassenkampfes nicht immer dieselben sind, dass natürlich gewachsene Organisationen - “natürlich” in dem Sinne von “fußend auf einer bestimmten Periode in der sozialökonomischen Entwicklung”- unnatürlich, veraltet, reaktionär werden können. “Erobern der Gewerkschaften!” Man suggerierte den Arbeitern, dass man, wenn man Menschen durch Menschen, Funktionäre durch Funktionäre ersetzt, dadurch Organisationen, die in und nach dem Krieg historisch verurteilt wurden, revolutionieren könnte. “Gewogen und zu leicht befunden.” Auch die außerhalb der Gewerkschaftsinternationalen von Amsterdam und Moskau stehenden Gewerkschaften können dem durch ihren grundsätzlich opportunistischen Charakter nicht entrinnen.
Wir weigern uns darum, in den heutigen Gewerkschaften noch länger eine Form des proletarischen Klassenkampfes zu sehen. Man kann die Gewerkschaften nicht für die Revolution gewinnen, ebenso wenig wie man imstande ist, revolutionäre Gewerkschaften zu gründen. Wir müssen die Arbeiter zu gewinnen wissen, nicht für die unmittelbaren kleinen Verbesserungen, sondern für die soziale Revolution.
Wir weigern uns, als Bedingungen für die revolutionäre Bewusstseinsentwicklung und für den Kampf der Arbeitermassen Führerpolitik anzuerkennen; eine Politik, die die organisierten Massen außerhalb aller Sozialpolitik halten muss.
“Wir haben als Ziel eine wirklich revolutionäre Partei zu formieren, und mit diesem Ziel vor Augen wollen wir, wenn es sein muss, noch lange Zeit nur eine Sekte bleiben.”
“Wir müssen brechen mit jeder bürgerlichen Tradition. Wir müssen öffentlich kämpfen gegen diejenigen Formen, die die Neigung haben, die Überreste bürgerlichen Einflusses innerhalb der Arbeiterklasse zu erhalten oder zu erweitern. Wir müssen brechen mit Parlamentarismus und Gewerkschaften, deren Vernichtung wir vorbereiten müssen.”
“Wir müssen dem Proletariat sagen, dass der Kampf für Teilforderungen keinen bleibenden Erfolg für die Arbeiterklasse einbringen kann, dass er als Element in der Vorbereitung des revolutionären Kampfes, der uns zu der Errichtung der proletarischen Diktatur führen wird, keinen Wert hat; wir müssen sagen, dass die Gewerkschaften nicht der Ausdruck dieses revolutionären Kampfes sein können, dass diese sich auf Klassenfrieden richten, das heißt, eine intensivere Sklaverei der Arbeiterklasse herbeiführen.”
Darum “wollen wir zähe kämpfen gegen alle Feinde der Revolution: gegen die Bourgeoisie und ihre Verbündeten, gegen die westliche Sozialdemokratie und gegen die Sozialdemokratie von Moskau.
Amsterdam, November 1929
Nicht ohne Absicht setzen wir als Überschrift die “ökonomische” und nicht “finanzielle” oder “Börsenkrise”. Denn wenn man jetzt spricht über eine finanzielle oder Börsen-Krise, so beweist das, dass man die ungeheure Debakel-Bewegung, die in allen wichtigen finanziellen Zentren angefangen hat, nur als auf die finanzielle Welt beschränkt ansieht. In dieser komplizierten Welt ist kein Ding ohne wechselseitige Beziehungen. Die Krisenerscheinungen, die sich offenbaren in den starken Kursverlusten nahezu aller Effekten, können heute noch weniger denn früher als nur zum Gebiet der Effekten-Spekulation gehörend betrachtet werden. Die Krisenerscheinungen sind nur zum Teil auf vorhergehende spekulative Tendenzen zurückzuführen, und in ihrer Folge sind sie ganz und gar nicht beschränkt auf die Welt der großen und kleinen Spekulanten. Wir werden daher in diesem kurzen Aufsatz noch zu besprechen haben:
1. Die Ursachen der Krise
2. Der Umfang der Krise
3. Die unmittelbare Krisenfolge oder das Weiterwachsen derselben.
Die Behandlung der Fragen, denen wir auf diesem Gebiete unter 1. und 3. begegnen, veranlasst uns, von einer ökonomischen Krise zu sprechen.
Die Ursachen der heutigen Krisenerscheinungen, die in diesem Augenblick noch auf die Börsen beschränkt sind, aber nur warten auf den Verlauf der Zeit, um sich in Industrie, Handel, Schifffahrt usw. zu offenbaren, liegen auf zweierlei Gebiet. Die erste Veranlassung ist der Geldmarkt nach dem Kriege, die zweite die industriell technische und damit parallel gehende organisatorische Entwicklung. Beide, Geldmarkt und Industrie, stehen nicht lose nebeneinander, was sich genügend zeigen wird.
Die Lage des Geldmarktes kennzeichnete sich durch einen Überfluss an Geld, das “zu jedem Preis” Anlage suchte. Wenn wir über den Geldmarkt sprechen, dann denken wir an jene drei Zentren, welche momentan die Welt finanziell beherrschen: New York, London und Amsterdam, die jede für sich - durch spezielle Ursachen - über große Menge Geldes zu verfügen haben. Amerika: Kurz gesagt durch Kriegsgewinn, England durch alte koloniale Reichtümer und Holland durch Kriegsgewinn und koloniale Profite. Ohne weiter über den Umfang der dort zur Verfügung stehenden Geldkapitale zu sprechen, können wir uns heute auf eine Skizze ihrer Wirkung beschränken.
Kapital, das keine Anlage findet, ist für den Kapitalisten ein Gräuel. Nicht nur, dass man von dem Kapital erwartet, dass es sich rentieren wird; wenn die Sache gesund sein soll, dann muss das Kapital sich selbst auch wiederherstellen, reproduzieren, will es sich auf ursprünglichem Niveau behaupten. Angewandtes Kapital (Maschinen usw.), das nicht benutzt wird, also nicht rentiert, kostet Rente, wird also kleiner, abgesehen davon, dass das Veralten der Maschine die Bedeutung eines Prozesses von noch schnellerer Entwertung hat. Geldkapital, das keine Anlage findet, wird aus selbem Grund weniger, nicht nur, dass sein Eigentümer etwas davon braucht zum Leben, so dass das Grundkapital kleiner wird; auch hier hat die bloße Tatsache, dass die Zeit verrinnt, eine (Geld) - Entwertung zur Folge.
Alles dies ist klar und logisch, und deshalb ist es selbstverständlich, dass der Kapitalist für sein Geld Anlage sucht. Auch wenn diese Anlage vernünftigerweise nicht möglich ist. Dann erzwingt man eine Anlage. Wie erzwungen die Kapitalanlage werden kann und geworden ist, zeigt eine Berechnung von Irving Fisher[31], der im September kalkuliert hat, dass das “Rendement” (Verzinsung) der führenden amerikanischen industriellen Effekten im letzten Jahre nur zweieinhalb 2 -½ bis 3% betragen hat, ein “Rendement” also, das weit unter dem allgemeingültigen Durchschnitt liegt und das trotzdem akzeptiert worden ist. Wir könnten uns damit begnügen zu sagen, dass nur die Ausdehnung des Geldes hiervon die Ursache ist, ohne eine allzu große Unrichtigkeit zu verkünden. Um das Bild zu vervollständigen und auch um dafür eine Erklärung zu finden, warum im Hinblick auf den großen Umsatz auf den Börsen dieses “Rendement” noch gerne akzeptiert wird, müssen wir den spekulativen Charakter, womit die ganze Anlagebewegung in dieser spätkapitalistischen Epoche in sehr starkem Maße behaftet ist, behandeln.
Woher dieser spekulative Charakter? Spekulation ist, wenigstens für den, der damit beschäftigt ist, doch noch immer etwas besser, von mehr Bedeutung als nur bloßes Hasardspiel. Seine Zuversicht auf den einen oder anderen unerwarteten Vorteil, wie grundlos dies für viele auch sein mag, ist für den Spekulanten niemals ganz ohne Grund. Was ist denn, neben dem geringen “Rendement”, für alle jetzt düpierten Anleger die Sicherheit gewesen?
Diese spekulativen “Sicherheiten” bestanden aus einer ganz unbegründeten Hoffnung auf die Zukunft. Unbegründet für jeden, der die Anlageobjekte, Industrie, Verkehr usw., in ihrer heutigen Konstellation kennt, begründet nur für denjenigen, der sich nur leiten lässt von den äußerlichen Ereignissen.
Diese äußerlichen Ereignisse zeigen ein Bild von industrieller Lebhaftigkeit. Deutschland zum Beispiel verbessert seine Handelsbilanz, wie man das nennt; seine Ausfuhr steigt allmählich, seine Einfuhr wird immer kleiner. Das sieht nach Lebhaftigkeit aus, aber wenn man weiß, dass Deutschland zu arm ist, um einkaufen zu können, dann wird das Aufblühen von Deutschlands Industrie ein wenig verdächtig. Große industrielle Betriebe, Welt-Betriebe in Amerika, England, Italien, Frankreich, Belgien, Holland usw.: Kunstseide-, Automobil-, Erdöl-, Glühlampen-, Bergwerks-, Transportgesellschaften gründen überall neue und ausländische Betriebe. Sie fassen festen Fuß hier und breiten sich dort aus, vergrößern, modernisieren und rationalisieren ihre Betriebe, und wer als harmloser Bürger, auch wenn er über Kapital verfügt, dazwischensteht, kann leicht denken, dass die Landschaft mit goldenen Bergen besät ist.
Holländische Anleger bezahlten 900% und mehr für Philips-Aktien, nur weil man dachte, dass die deutschen Interessen dieser Unternehmung und die amerikanischen und englischen Geschäftsverbindungen vorteilhaft wären, während all diese Sachen nur ihren Grund darin fanden, dass Philips auf diese Weise seine Existenz zu behaupten trachtete. Der Kampf um die Existenz im Konkurrenzkampf.
Die holländische Kunstseide-Industrie gründete Fabriken in Amerika und die Aktien steigen wie Luftballone. Man denkt, dass diese Fabriken erbaut werden, um der größeren Nachfrage, die zu erwarten sei und sicher kommen wird, gerecht zu werden, während der einzige und wirkliche Grund für diese Maßnahme ist, den Anteil an der Kunstseide-Nachfrage zu behalten oder so wenig wie möglich verkleinern zu lassen. Dieser Produktionsabbau bei gleichbleibender oder nicht so schnell wie die Produktivität steigender Nachfrage, hat also, im Gegensatz zu den Profitmöglichkeiten, welche die Anleger erwarten und worauf ihre Spekulation gerichtet ist, eine Senkung der Profitrate zur Folge. Die Anleger verdiskontieren in den Preis der Aktien Zukunftsprofit, welcher ausbleibt, während in Wirklichkeit die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus zu einer ständig sinkenden Profitrate führt. Hier liegen die Gründe der kapitalistischen Krisenerscheinungen, wie diese auch zu Tage treten mögen. Der Kapitalismus überwindet wohl noch die Exzesse in dieser Krise, aber die Tatsache der sinkenden Profitrate wird sein Untergang sein, weil die technische und ökonomische Entwicklung, so wie sie jetzt geht, sich nicht umbiegen lässt.
Vor einem Jahr haben wir in einem Aufsatz über die Taktik der Gewerkschaften gezeigt, dass das “Rendement” der deutschen Unternehmungen verglichen mit der Vorkriegszeit absolut stark, relativ noch stärker gesunken war. Die Ziffern, dort angewandt, können als Beweis dafür dienen, dass die Profitrate sinkt, dass also die Grundlage für die kapitalistischen Krisen vorhanden ist und auch wohl dauernd bleiben wird. Aber niemand braucht hierdurch überzeugt zu sein. Es gibt andere Ziffern, deutsche vielleicht, holländische bestimmt und amerikanische sehr bestimmt, die zeigen, dass die Dividenden von einer Anzahl industrieller Unternehmungen gestiegen sind. Nun müssen wir hier natürlich das “Rendement” nicht mit Dividende verwechseln, denn alle großen Dividenden in Amerika haben das durchschnittliche “Rendement” doch nur auf höchstens 5% gebracht. Nun kann man zwar sagen, dass das eine Folge der spekulativen Tendenzen war, die die Kurse so hochgetrieben haben, aber dass die Betriebe an Unternehmungsgewinnen, verglichen mit zum Beispiel dem nominalen Aktienkapital, doch eine absolut höhere Ziffer gebracht haben. Was hat dann unsere Behauptung von der sinkenden Profitrate noch zu bedeuten? Es wird nicht so schwierig sein, diesen scheinbaren Widerspruch aufzudecken.
Die Kurssteigerung bis zum Debakel-Höhepunkt hat einige Unterbrechungen gehabt. In Amerika seit der Krise von 1921 im Jahre 1923, im Frühjahr 1925, im Frühjahr 1926, im Dezember 1928 und im Mai dieses Jahres, welche Unterbrechungen begleitet wurden von zeitlichen Kurssenkungen. Nun ist eine sehr einfache und vielfach angewandte finanzielle Maßnahme der Unternehmungen, wenn die Kurse sinken, die eigenen Aktien zu kaufen, wodurch wieder eine Kurssteigerung entsteht, welche man ausbeutet, um die Aktien wieder mit Profit zu verkaufen. Auf diese Weise ist es möglich, einen höheren Unternehmungsgewinn zu notieren. Aber das steht in gar keiner Beziehung zu dem Betriebsgewinn. Obendrein bezahlt der Effektenmarkt, der, angetrieben durch diese hohen Dividenden, wieder anfängt, in den betreffenden Aktien zu spekulieren, selbst dasjenige, was auf den Betriebsprofit zugesetzt ist. (Hierbei muss zwar bemerkt werden, dass es allerdings Unternehmungen gibt, die mit ihrem individuellen “Rendement” über dem durchschnittlichen, von den Börsen bestimmten “Rendement” emporsteigen, aber in den meisten Fällen ist doch auch bei ihnen die Tendenz der sinkenden Profitrate merkbar).
Das Thema der sinkenden Profitrate ist in Beziehung zu der kapitalistischen Krise so wichtig, dass es notwendig macht, noch mehr darüber zu sagen. Wir werden einmal die Sache von der Seite des Betriebes aus ansehen und auch so zeigen, warum die Profitrate sinken muss.
Was heute in einem industriellen Unternehmen am stärksten ins Auge fällt, ist das sich ändernde Verhältnis zwischen dem konstanten und dem variablen Kapital.
Der Zwang für die heutigen industriellen Unternehmungen, “up to date” zu bleiben, um konkurrenzfähig zu sein, zwingt sie, technisch immer das Neueste, das Produktionsfähigste in die Betriebe zu stellen. Die technische Neuerung vollzieht sich in immer schnellerem Tempo und dazu noch auf zweierlei Weise. Erstens sind die neueren Maschinen in der Regel von größerer Produktivität und zweitens ist das Ansatzstück, das zu den neuen Maschinen gehört, immer länger; wir meinen die den Arbeiter ersetzende technische Betriebsausrüstung. Aber diese technische und maschinelle Betriebsausrüstung fordert sehr große Kapitale. Dazu kommt noch, dass nicht nur die Konkurrenz zu immer größerer Produktivität zwingt, sondern dass auch im Betrieb selbst ständig Kräfte anwesend sind, die zu immer größerer Ausdehnung zwingen. Das alles hat zur Folge, dass das konstante Kapital, in Boden, Gebäuden, Maschinen usw. angelegt, fortlaufend und sehr stark steigt im Vergleich zum variablen Kapital, den Arbeitskosten. Wo die Produktion andauernd steigt, produzieren solche Betriebe fast immer zu viel. Die Stilllegung eines Betriebes aber, worin eine solche Menge konstanten Kapitals angelegt ist, hat einen ungeheuren Zinsverlust zur Folge. Man legt denn auch nur im äußersten Falle still und ermäßigt den Preis des Produktes so viel wie möglich. Aber hierdurch wird es nicht besser. Die heutigen industriellen Betriebe sind der Sklave ihres konstanten Kapitals. Sie arbeiten mit einem ständig sinkenden Profit. Das dauert so lange, bis die Krise einsetzt.
Auch diese Ursachen haben, neben der Spekulation, zum Losbrechen der Krise beigetragen. Der spekulative Optimismus fing an zu wanken, als allmählich klar wurde, dass die Industrie nicht imstande war, die hochgesteckten Erwartungen zu verwirklichen. Aber während die spekulative Seite, wenn man das so schon will, doch immer eine Sache von Unverstand ist, (das ist sie natürlich nicht ganz und gar, die anlagesuchenden Kapitale haben gewiss ihre zwingende ökonomische Macht, und suggestive Einflüsse sind hier auch nicht fremd), ist die Ursache der sinkenden Profitrate ein ökonomisches Gesetz. Dieses Gesetz wird auch in Zukunft wirksam sein, nicht nur als Ursache der zeitlichen Krise, sondern auch die Grundlage bilden für das Zusammenbrechen des kapitalistischen Systems.
Über den Umfang der Krise, finanziell betrachtet, brauchen wir nicht viel zu sagen. Die Zeitungen meldeten schon, dass die Kurse in wenigen Tagen Hunderte Prozente fielen, in New York beläuft der “Verlust” sich auf viele Milliarden. In Amsterdam “verlor” man in 12 führenden Industrie-Aktien die Bagatelle von 441 Millionen Gulden. Weder die Krise von 1907 noch die der Nachkriegszeit zeigen solch eine schleunige Abtakelung der Aktienwerte.
Viele Fragen sind hier zu beantworten. Wird der augenblickliche Preisverfall in Amerika - den wir hier als Beispiel nehmen, weil die Gegensätze hier am größten sind - eine Senkung des Einkommens eines großen Teils der kaufkräftigen Bevölkerung zur Folge haben? Die Antwort ist: ohne Zweifel ja, denn viele Personen, die nicht unmittelbar in Beziehung zu den Spekulationen stehen, fühlen doch die Folge durch die nun einsetzende Liquidation vieler Unternehmungen. In den Vereinigten Staaten greift die Krise schnell um sich. Man sagt, dass die Zeitungen in ihren Annoncen ein wahres Krisenbild zeigen durch die Unmenge von Landhäusern, Automobilen, Wertsachen usw., die plötzlich zum Verkauf angeboten werden. Das ist mehr als nur eine bloße Anekdote. Denn wieviel von diesen Landhäusern, Automobilen, Wertsachen usw. sind nicht in Teilzahlung gekauft, und wie viele Leute sind nicht schuldig für Teilzahlung, und in welchem Maße wird die Krise die Teilzahlungsgeschäfte beschränken? Die Krise bedeutet für den Detailhandel nichts weniger als eine Katastrophe. Aber auch die Industrie, die nur oder zum größten Teil für die Termingeschäfte produzieren: Automobile, Radio, alle Luxusindustrien, müssen ihre Produktion senken. Also auch eine industrielle Krise, die wieder in einem weiteren Kursverlust Ausdruck finden wird. Aber nicht nur die Luxusindustrie, auch die Eisenindustrie, die Kautschukproduzenten und eine Unmenge anderer fühlen den Rückschlag durch die Krise. Die Krise greift um sich, hier in Amerika, in allen industriellen Zentren der Welt, mit sich ausbreitender Arbeitslosigkeit und weiteren Krisenerscheinungen.
Die Welt steht in den ersten Tagen einer großen ökonomischen Katastrophe. Die Arbeiterklasse wird - wie immer - die Zeche bezahlen müssen. Wie lange noch wird das Proletariat sich irre führen lassen von den friedliebenden Gewerkschaften. Es ist höchste Zeit, dass das Proletariat die Sache klar einsieht. Dass es wach wird, dem einstürzenden Kapitalismus die letzten Stützen zu entnehmen und mittels der revolutionären Betriebsorganisation die Produktion in eigene Hände nimmt.
PIC
Persmateriaal
Internationale
Communisten
JOZ. ISRAELSLAAN
16 BUSSUM
Anfang April ist in dem Holzhafen Zaandam (Nahe von Amsterdam) ein Streik der Holzarbeiter ausgebrochen. Es handelt sich dabei um Lohnforderungen von 840 Mann, wovon 740 organisiert [sind] in den christlichen, freien und syndikalistischen Gewerkschaften, welche für die Durchführung des Kampfes eine Arbeitsgemeinschaft gebildet haben. Weiter gibt es 100 Unorganisierte, von welchen 70 Jugendliche [sind]. Prak-tisch sind die Arbeiter also zu 100% organisiert. Die Freie Gewerkschaft allein hat davon etwa 60%. Die Unorganisierten werden von den Gewerkschaften gemeinschaftlich unterstützt.
DIE FUEHRUNG des Kampfes liegt bei den Gewerkschaftsinstanzen ohne Einmischung der Arbeiter. DIE DURCHFUEHRUNG des Kampfes erfolgt nach der “altbewährten-Taktik” der freien Gewerkschaften: “Streik mit gekreuzten Armen”. Jede Initiative der Arbeiter wird un-terbunden. Die Streikleitung sorgt mit der Polizei zusammen für die Aufrechterhaltung der Ordnung. Das nimmt aber nicht hinweg, dass die Streikenden versuchen, die Streikbrecher, die in wachsender Anzahl von rückständigen Fischerdörfern eingeführt werden, zu belästigen. Dafür wurde die Streikleitung von der Polizei zur Ordnung gerufen und der sozialdemokratische Bürgermeister ließ eine Abteilung Militär-Polizei kommen zur Einschüchterung der noch-nicht-genügend-Durchdisziplinierten. Die Streikleitung sprach ihr Bedauern über das Belästigen der Streikbrecher aus mit der Entschuldigung: “Es ist eben eine schwere Aufgabe, die Arbeiter in Ruhe zu halten.” Inzwischen hat die Klassen-justiz schon verschiedenen Arbeitern, die den Streikbrechern weniger freundliche Worte zugerufen hatten, schwere Strafen erteilt.
Leider sind wir nicht in der Lage zu berichten, inwieweit die Arbeiter schon Protest erheben gegen die polizei-freundliche Haltung der Streikleitung. So weit wir die Arbeiter in dieser Gegend kennen, muss in dieser Beziehung etwas vorhanden sein, aber so viel ist sicher, dass es noch nicht in offenen Konflikten ausgetragen wird. Die Arbeiter müssen aber ruhig zusehen, wie die Unternehmer in aller Ruhe immer mehr “Arbeitsvieh” von außen holen. Diese geht wieder in aller Ruhe zur Arbeit und die Gewerkschaftsführer erfreuen sich in all dieser ruhigen Ruhigkeit der “altbewährten Taktik”. Mit dem ruhi-gen Fortschreiten des Zusammenbruchs des Streiks könnte es aber zu unruhigen Konflikten mit den Gewerkschaftsbesitzern kommen!
Besonders ist hier die Rolle der syndikalistischen Gewerk-schaft zu erwähnen. Obwohl sie nicht müde wird, der Arbeiterschaft immer wieder von Neuem zu versichern, dass die Befreiung nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann, obwohl sie das immer am Kopf ihrer Zeitung abdrucken, so macht sie genau dieselbe Taktik der freien Gewerkschaft mit. Sie hat immer noch nicht die Arbeitsgemeinschaft gebrochen und steht somit auch in der polizeilichen Ordnungsfront. Sie MUSS dieser Taktik folgen, weil sie sonst selbst-verständlich nicht an der “Kampfgemeinschaft” teilnehmen kann und ihre Aufgabe der Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht erfüllen kann.
Aus* dieser ganz kurzen Darstellung der Dinge möge hervorgehen, dass ein tatsächlicher Kampf der Arbeiter sich auch in Holland sofort auf ungesetzlichen Bahnen bewegen muss und dass dieser sich dann gegenüber der ganzen* Gewerkschaftsbewegung befindet. Er steht dann da ohne jegliche Organisation als Kampfwaffe und wird also “von selbst” auf dem Wege der revolutionären Betriebsorganisation geschoben. Aber so weit sind wir hier noch nicht.
(-˜…)^(-˜…)(-˜…)
“DER FREIE ARBEITER” No. 17 enthält unter obiger Überschrift einen Diskussionsartikel gegen den Artikel der Gruppe Internationaler Kommunisten, Hollands, über SOZIALISIERUNG UND DIE AGRARFRAGE, der in der “Prol. Rev.” No. 6 und 7 abgedruckt wurde. Dem “Freien Arbeiter” kann man insoweit zustimmen, als darauf hingewiesen wird, dass die verschiede-nen Organisationen alle das Monopol auf den Sozialismus für sich in Anspruch nehmen. Die linksorientierten Arbeiter wollen den Kommunis-mus aufbauen durch IHRE Betriebsorganisationen, die Syndikalisten durch IHRE Börse, usw.
Um diese Frage zu klären, sei bemerkt, dass der Gang der Revolution nach unseren heutigen Erfahrungen dieser sein wird, dass die BETRIEBSBELEGSCHAFTEN der einzelnen Betriebe in den Kampf treten und dazu überall Betriebsausschüsse bilden. Die Zusammenfassung dieser Betriebsausschüsse sollen das Rätesystem ergeben. Diese Politik wird jetzt schon wesentlich von den Betriebsorganisationen befolgt. Jetzt schon rufen sie immer wieder die Belegschaften auf, geschlossen in den Kampf zu treten, nicht unter ihrer Führung, sondern unter der ihrer selbstgewählten Körperschaften. Die Parole der “Übernahme der Betriebe, welche von dem Artikelschreiber im”Freien Arbeiter” ABGELEHNT WIRD, kann in unseren Darstellungen nichts anderes heißen, als dass JEDE BELEGSCHAFT die Führung und Leitung IHRES BETRIEBES übernimmt, obwohl sie gar nicht die “Eigentümer” sind.
Nun ist die Sache doch aber so, dass bei gesellschaftlicher Arbeit, wo jeder gerade das macht, was er selber nicht verbraucht und verbraucht, was er selber nicht verfertigt, die Arbeitsprodukte von Betrieb zu Betrieb und von den Betrieben zu den Konsumenten fließen müssen. Mit anderen Worten: Es muss Bewegungsgesetze der kommunistischen Ökonomie geben, in deren Bahnen der Produktenstrom sich bewegt.
Die wirkliche Aufgabe der proletarischen Revolution ist daher die brennende Frage der Umwälzung der Bewegungsgesetze des Produktenstroms. Die proletarische Revolution verlangt eine sofortige Aufhebung der Lohnarbeit, und sie muss einfach jedem Arbeiter seinen Anteil am gesellschaftlichen Produktenvorrat sicherstellen.
Das heißt, wenn er 40 Stunden gearbeitet hat, hat er auch Anrecht auf 40 Stunden Arbeitsprodukt, solange der Kommunismus noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass das “Nehmen nach Bedürfnissen” durchgeführt werden kann.
Die wesentliche Aufgabe der proletarischen Revolution ist daher das Schaffen eines exakten Verhältnisses von jedem Produzenten zu dem gesellschaftlichen Produkt. Das ökonomische Programm der proletarischen Revolution muss daher, soweit es die Produktion betrifft, Folgendes enthalten:
SOFORTIGE ABSCHAFFUNG DES GELDSYSTEMS und als neue Recheneinheit wird die Arbeitsstunde als Grundlage der Produktion und Verteilung durchgeführt.
JEDER BETRIEB berechnet, wieviel Arbeitsstunden in seinem Produkt steckt.
Die Betriebe, welche gleichartige Produkte herstellen, treten sofort miteinander in Verbindung zur Feststellung der gesellschaftlich notwendigen Produktionszeit ihres Produkts.
Der Übergang von der Geldrechnung zur Arbeitszeitrechnung erscheint als Grundlage der proletarischen Revolution. Jede andere Lösung läuft auf Staatskapitalismus hinaus. Die anarchistische Lösung der “gegenseitigen Hilfe” ohne Grundlage der Arbeitszeitrechnung führt sofort zum Staatskapitalismus. Das wird eben bedingt von den Bewegungsgesetzen einer derartigen “gegenseitigen Hilfe”.
Der Übergang von der Geldrechnung zu der Arbeitszeitrechnung hat seine Geltung für die ganze Wirtschaft. Es wirkt sich als eine neue “Währung” aus. Die revolutionäre Arbeiterschaft führt in dieser Beziehung also eine ökonomische Klassendiktatur durch. (Die politische Klassendiktatur, obwohl sie direkt aus der ökonomischen hervorgeht, bleibt hier außer Betracht). Der Artikelschreiber im “Freien Arbeiter” ist wahrscheinlich ein Gegner der ökonomischen Klassendiktatur. Dann muss er sich zur Beibehaltung des Geldsystems entscheiden. Das ist eben die innere Konsequenz in diesen Dingen, dass wenn man das eine nicht will, man das andere muss. Oder er soll angeben, wie er sich aus diesem Dilemma windet. Jedenfalls soll man damit aufhören, vom Kommunismus, Anarchismus, Syndikalismus, Gildensozialismus usw. zu reden, ohne die ökonomische Grundlage mit anzugeben. Es bleiben sonst eben nur Worte, wobei sich jeder denken kann, was er will, oder besser: wobei er sich in Wirklichkeit gar nichts denken kann.
Das englische Kriegsbudget für 1929 ist 113 Millionen Pfund Sterling. In übersichtlichen Zahlen vorgestellt ist das
4000 Mark per Minute.
Weil England aber sehr friedensfreundlich ist, ist es auch Mitglied des Völkerbundes, wofür
25 Pfennige per Minute
verausgabt werden. Das Gesamt des Kriegsbudgets beträgt mehr als die Total-Ausgaben für Unterricht, Altersfürsorge, Witwen- und Waisenpensionen, Gesundheits- und Wohnungsfürsorge.
Im vergangenen Jahre (1929) erschien ein sehr wichtiges Buch: “Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems”, von Henrik Grossmann[32] (Verlag Hirschfeld, Leipzig. brosch. 20M. geb. 22M.).
In diesem Werk “rekonstruierte” der Schreiber das Gesetz der kapitalistischen Akkumulation und des Zusammenbruchs des kapitalistischen Systems, so wie Marx es in “Das Kapital” formulierte. Bekanntlich fand Marx als Resultat der Analyse der Bewegungsgesetze des Kapitalismus, dass auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung die Produktionskräfte in Widerspruch mit den Eigentumsverhältnissen kommen, während die Rentabilität des Kapitals nur noch aufrecht erhalten werden kann durch die absolute Verarmung der arbeitenden Massen. Der Prozess der Mehrwertbildung wird schließlich dazu führen, dass auf der einen Seite ein ansehnliches Kapital in der Produktion keine Aufnahme mehr findet, während auf der anderen Seite eine ständig größer werdende Masse von Arbeitern aus dem Produktionsprozess ausgeschaltet wird. Überschuss von Kapital bei einem Überschuss der arbeitenden Bevölkerung. Das Resultat soll sein: schwere Krisen und schließlicher Zusammenbruch des Systems. Damit wird die Arbeiterklasse vor die Wahl gestellt: Entweder Aufhebung der Bewegungsgesetze der Warenproduktion und Zirkulation, d.h. Einführung des Kommunismus, oder Untergang in der Barbarei.
Nun kann ein Kind sehen, dass die Entwicklung ganz andere Wege gegangen ist. Der Kapitalismus bremste die Produktionskräfte nicht, sondern entfaltete sie zu der technischen Höhe, wie wir sie augenblick-lich kennen. Der Kapitalismus führte nicht zu der absoluten Verarmung der Massen, sondern im Gegenteil zu einer Erhöhung der Lebenslage der Arbeiterklasse (wenigstens bis zum Jahre 19l4). Es war darum keine Kunst, das Unhaltbare der Marx’schen Analyse mit der Wirklichkeit zu schlagen. Die Praxis ging ihren eigenen Weg, ohne sich um die “Stubengelehrtheit” von Marx zu kümmern.
So leicht es für die Gegner war, Kritik an den Schlussfolgerungen von Marx zu üben, so schwierig war es für die Verteidiger, die Marx-€˜sche Analyse zu behaupten. Unter der Führung des offiziellen Marx-Erklärers Kautsky wurden darum die Resultate der Analyse in dem Sinne umgebogen, dass die Produktionskräfte nicht mit den Eigentumsverhältnissen in Konflikt kamen, während die Bedeutung der absoluten Verarmung ebenfalls auf Kautsky-€˜sche Weise erklärt wurde. Tat Kautsky dies anfänglich unter dem Schein, den Marxismus gegen seine Angreifer zu verteidigen, in seinem letzten Buch “Die histor. Mater. Geschichtsauffassung”[33] lässt er diese Methode fahren und tritt öffentlich gegen Marx auf.
In dieser Situation ist es das Verdienst von Henrik Grossmann, das Marx’sche Akkumulationsgesetz rekonstruiert zu haben. Mit verblüffender Deutlichkeit erscheinen die Zusammenbruchstendenz und die unwiderrufliche Notwendigkeit der absoluten Verarmung der Massen.
Wir sind überzeugt, dass dieses Buch durch die reformistischen Parteien und nicht weniger durch die Gewerkschaften, die sich auf der ganzen Linie nach einer Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit bewegen, in Acht und Bann erklärt wird. Das muss so sein, weil sich aus den Bewegungs-gesetzen der Warenproduktion sonnenklar erweist, dass “soziale Reformen” unmöglich werden, und dass selbst die mächtigste Gewerkschaftsbewegung, möge sie sich revolutionär nennen oder nicht, ihre Aufgabe der “Ver-besserung der Arbeitsbedingungen” nicht länger erfüllen kann. Denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass wir bereits in das Stadium, wo die Renta-bilität des Kapitals nur noch durch die absolute Verarmung der Massen ge-sichert werden kann, eingetreten sind.
Nun* erheben sich zwei Fragen: 1. Wie ist es möglich, dass die Marx-Erklärer die Marx-€˜sche Lehre im Grunde genommen eigentlich niemals begriffen haben. Und 2. Warum kommt gerade jetzt* jemand, der die wirk-liche Bedeutung der Kapitalakkumulation wieder “rekonstruiert”?
Um bei der zweiten Frage zu beginnen, wird es von Nutzen sein zu bemerken, dass die Rekonstruktion jetzt kommen musste, weil der gesell-schaftliche Zustand, dass bei einem Zuviel an Kapital zugleich einige Millionen Arbeiter seit Jahren außerhalb des Produktionsprozesses stehen, Wirklichkeit geworden ist. Bei der gewaltigen “Hausse-Periode”, besonders in Amerika, blieben doch noch fortwährend einige Millionen Arbeiter ohne Arbeit; eine Erscheinung, der wir auch in Deutschland begegnen. Die erste Frage, warum die Marx-Erklärer das Marx-€˜sche Akkumulationsgesetz niemals begriffen haben, findet zu einem Teil ihre Antwort in der Tatsache, dass sie die Methode-€š die Denk- und Arbeitsweise von Marx, nicht genügend kannten.
Marx arbeitete in der Wissenschaft der Ökonomie ebenso wie der Naturwissenschaftler, der die Gesetze aufspürt, nach denen die Erscheinun-gen in der Natur verlaufen. Wenn der Naturwissenschaftler z.B. die Gesetze der Schwerkraft aufspüren will, dann arbeitet er nicht “ins Blaue hinein”, sondern er beginnt mit einer Reihe von Experimenten, die die Erscheinung so “rein” wie möglich zum Vorschein bringen. Alle hindernden Umstände, die der Kraft der Erscheinung im Wege stehen, trachtet er so weit wie möglich auszuschalten. So lässt er verschiedene Gegenstände in einem luftleeren Raum fallen, weil die vorhandene Luft ein gegenwirkender Einfluss ist, der die Wirkung der Schwerkraft teilweise aufhebt. Auf diese Weise bringt der Naturwissenschaftler die Naturgesetze “rein” zum Vorschein. Naturgesetze, wie sie in der Wirklichkeit niemals sind, wie sie allein in den naturwissenschaftlichen Büchern bestehen, die aber doch die feste Grundlage bilden, von wo aus die Wirklichkeit weiter untersucht und womit gearbeitet werden kann. Später bringt er dann für jede Erscheinung, die eine Abweichung von dem “reinen” Gesetz im Gefolge hat, eine “Korrektion” an, so dass er, nachdem alle Umstände berücksichtigt sind, ein ge-treues Bild der Wirklichkeit bekommt.
Dieser Methode folgt auch Marx bei dem Aufspüren der Gesetze, nach denen die Warenproduktion verläuft. Es stellt den Kapitalismus zuerst “rein” vor, d.h., er schaltet erst verschiedene Umstände aus, welche die Erscheinung, die er untersuchen will, behindern.
Bei der Untersuchung des Problems der Akkumulation stellt er es darum auch zuerst “rein” dar: Alle Erscheinungen, die das Wesen der Sache ver-schleiern oder beeinflussen, schaltet er aus. Er untersucht die Akkumulation, wie sie sich in der Wirklichkeit niemals vollzieht. Um die Wirk-samkeit des Akkumulationsgesetzes so “rein” wie möglich zu zeigen, geht er von den folgenden Voraussetzungen aus:
1. Es ist ein isolierter Kapitalismus (kein Außenhandel).
2. In diesem Kapitalismus sind nur Kapitalisten und Proletarier (keine sogenannten “dritte Personen”).
3. Die Waren werden zu ihrem wirklichen Wert getauscht. (Konkurrenz und Marktpreise sind ausgeschaltet).
4. Es gibt keinen Kredit.
5. Der Wert des Geldes ist konstant.
Das Resultat dieser Untersuchung ist dann, dass die Akkumulation, “rein” dargestellt, dahinführt, dass die Rentabilität des Kapitals un-möglich wird, dass stets mehr Arbeiter aus dem Produktionsprozess heraus-geschleudert werden und das Wirtschaftssystem zusammenbricht. Da sich nun aber kein einzelnes Gesetz “rein” durchsetzt und jedes Gesetz nur das immanente Prinzip ist, das sich durch die verändernden Faktoren in tausendfacher Vielfältigkeit offenbart, so setzt sich auch das Akkumulationsgesetz nicht “rein” durch, sondern wird durch die eine Einwirkung gebremst, durch die andere verstärkt. So wirkt z.B. das Anwachsen des Beamtenapparates als Beschleunigung des Zusammenbruchs, andererseits die ökonomischen Krisen mit ihrer Vernichtung von Kapital in großem Umfang als ein Gesundungsprozess, der den Marsch zum Zusammenbruch jedes Mal weiter verschiebt.
Nachdem Marx das Akkumulationsgesetz für den “reinen” Kapitalismus formuliert hat, bringt er dieses Gesetz in Übereinstimmung mit der Wirk-lichkeit; d.h. alle Faktoren, die er zuerst ausgeschaltet hat, führt er nun Stück für Stück wieder ein, und geht dann ihrer Einwirkung auf den Akkumulationsprozess nach.
So entsteht dann das gewaltige Werk: “Das Kapital”, worin er im 1. Band den “Produktionsprozess” beschreibt, im 2. Band den “Zirkulationsprozess” und im 3. Band “den Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion”. Der Inhalt das ersten Teils ist das eigentliche “reine Gesetz”, während in den beiden anderen Teilen hauptsächlich die einwirkenden Faktoren als “Korrektion” zu Stande kommen. Die drei Teile bilden also ein geschlossenes Ganze.
Hier liegt der entscheidende Punkt, die die Marx-Ausleger aus dem Auge verloren oder niemals begriffen haben. Sie haben das “reine” Gesetz als lebende Wirklichkeit genommen, während es ihre Aufgabe war, zu er-klären, wodurch die Gegentendenzen die Kraft des Zusammenbruchsgesetzes aufheben konnten.
Inzwischen lässt ein “Gesetz” sich wohl aufheben durch verschiedene Umstände, sowie diese aber aufhören zu wirken oder an Kraft nachlassen, dann setzt das Gesetz sich durch. Und in dieses Stadium von Entkräftung vieler “Gegentendenzen” sind wir jetzt eingetreten, so dass die Zusammenbruchstendenz (vielleicht wäre es besser, von einer “Auflösungstendenz” zu sprechen) sich durchzusetzen beginnt.[34]
Die Prawda bringt eine Besprechung über den Verlauf der Revolution in China, welche durch die “Tribune” (Organ der CPH) vom 5./6. 1930 wiedergegeben wird. Hieraus erfahren wir, dass eine Rote Armee aus Bauern formiert ist, während noch “viele Millionen Bauern bereitstehen”, die Rote Armee zu verstärken. Und in der Mehrheit der Bezirke, wo die Rote Armee die Macht in den Händen hat, ist die Sowjetmacht organisiert.
Was hat diese Sowjetmacht getan?
Die Tribune sagt: “Die Sowjetmacht hat den Großgrundbesitz enteignet und den Bauern übergeben. Auch das Eigentum des Adels, der Wucherer und anderer Ausbeuter ist denselben abgenommen. Wucherkontrakte sind für aufgehoben erklärt. Die Bauern bekommen ihr Eigentum aus der Konkursmasse ohne Bezahlung zurück; der Achtstundentag ist eingeführt. Diese Sowjetmacht verwirklichte auch die Gleichheit der Frau, hat -€šLeninschulen-€˜ errichtet, Hospitale organisiert, usf. Revolutionstribunale sind errichtet zur Bekämpfung der Konterrevolution.
Die Sowjetmacht enteignet nicht die Hausindustrie und die kleinen Industriellen. Sie bezahlen nur eine Einkommensteuer, während auf die Einhaltung des Achtstundentags streng geachtet wird.
Die großen Kaufleute müssen hohe Steuern bezahlen und die Spekulation ist verboten. Die kleinen und mittleren Kaufleute dürfen ihren Handel fortsetzen bei progressiver Besteuerung.
Eine solche Ordnung verbürgt in den Sowjetbezirken einen normalen Tauschverkehr. Es ist bereits ein Aufleben der Volkswirtschaft wahrzunehmen durch den verbesserten Zustand der Bauern.”
Dieser Bericht scheint uns, sobald er Tatsachen vermeldet, ziemlich richtig zu sein. Aber doch können wir nicht umhin, einige Bemerkungen über den Verlauf der chinesischen Revolution zu machen, weil die Ereignisse, die dort in China geschehen, trotzdem falsch eingeschätzt werden. Es wird von einer Sowjetmacht und einer Roten Armee gesprochen und damit der Anschein erweckt, als ob die Bewegung doch kommunistisch sei oder wenigstens sich zum Kommunismus entwickeln könnte.
Die große Revolution in China von 1925 - 1927 war gekennzeichnet durch den Kampf der chinesischen Bourgeoisie gegen die ausländischen Imperialisten, ein Kampf, in dem die Nationalisten siegten. Offiziell sind zwar noch nicht alle Beziehungen geregelt, doch praktisch haben die fremden Unterdrücker ihre bevorrechtete Position aufgeben müssen.
In dieser Revolution hat das chinesische Proletariat (unter der Führung Moskaus) eine “Einheitsfront” mit der chinesischen Bourgeoisie geschlossen. In den Moskauer “Thesen über die chinesische Frage” (1926) wurde dies folgendermaßen formuliert: “Das Proletariat bildet einen Block mit den Kleinbürgern aus den Städten und einem Teil der kapitalistischen Bourgeoisie.” Wir werden sogleich sehen, dass dies nicht nur mit der kapitalistischen Bourgeoisie geschah, sondern auch mit der feudalen, das heißt den Großgrundbesitzern.
Diese Einheitsfront zeigte sich in der Tatsache, dass zwei kommunistische Minister im Kantonministerium aufgenommen wurden; - einer für Landwirtschaft und einer für Arbeit. Im Jahre 1927 eroberte die Rote Armee Shanghai, und hiermit war zugleich für die chinesische Bourgeoisie der Augenblick gekommen, dass sie die Arbeiterklasse nicht mehr nötig hatte. Sie drehte die Kanonen um, und die Rote Armee richtete ein furchtbares Blutbad unter den Arbeitern an. Die Kommunisten schrien über den Verrat des Generals der “Roten Armee”, Tschiang-kai-tschek. Doch war es völlig verkehrt, hier von Verrat zu sprechen, denn der bürgerliche General war immer nur für die Interessen der nationalen Bourgeoisie eingetreten, und es war nur zu erwarten, dass er diese jederzeit verteidigen würde, auch gegen das der Bourgeoisie gefährlich werdende Proletariat. Die “kommunistische Minister” blieben auch nach dem Blutbad in Shanghai noch in der Regierung, bis sie von der Bourgeoisie einen Tritt in den Hintern bekamen.
Dieser Abschnitt der chinesischen Revolution wurde mit einer entsetzlichen Niederlage der Arbeiterklasse abgeschlossen.
An der Revolution von 1925 - 1927 waren die Bauern praktisch noch nicht beteiligt. Wohl gärte es, die Unzufriedenheit stieg; aber die Bauern formulierten ihre Forderungen noch nicht und gaben sich zufrieden mit einigen Reformen. Sie wollten Staatshilfe, Verminderung der Pacht und der Steuern.
Die Kommunistische Partei gab sich alle mögliche Mühe, um die Bauernbewegung in dem Rahmen dieser Reformpolitik zu halten. Sie sorgte dafür, dass die Revolution nicht unter die Bauern getragen wurde. Eben darum wurde Tan-pin-shan Landwirtschaftsminister. Natürlich bremsten die Kommunisten die Bauernbewegung nicht, weil ihr Herz erfüllt war mit Liebe für den chinesischen Adel und Großgrundbesitzer. Nein, man meinte, dass eine Bauernrevolution den Kampf gegen die fremden Bedrücker behindern würde. Die Großgrundbesitzer und der Adel waren nämlich auch mit in der “Einheitsfront”. Ein Angriff der Bauern auf Adel und Großgrundbesitz hätte die Einheitsfront gesprengt. Wir lesen darüber in der Inprekorr No. 153 Jahrg. 1926:
“Die Kommunisten fürchten, dass das Hineinziehen der Bauern in die Revolution die antiimperialistische Einheitsfront sprengen werde. Für eine direkte Befriedigung der dringendsten Forderungen der Bauern ist der Sieg der chinesischen Revolution eine unbedingte Notwendigkeit.”
So wurde denn der Kommunist Tan-pin-shan Landwirtschaftsminister, und er trug eine Ermäßigung der Pachten um 25% vor, um die Bauernbewegung zu brechen!
Hiermit war das Todesurteil des Proletariats unterzeichnet. Die Zeit, dass die Bourgeoisie sich gegen die Arbeiter wendet, musste kommen. Und nun war das Proletariat isoliert. Es konnte bei einem Kampf gegen die Bourgeoisie nicht auf die Hilfe der Bauern rechnen wie die russischen Proletarier 1917 in Russland.
Die chinesischen Arbeiter waren nichts anderes als die Schachfiguren, mit denen die Herren in Moskau ihre ausländische Politik gegen England spielten.
Inzwischen ist die Bewegung 1929 in ein neues Stadium getreten. Die Bourgeoisie ist als Sieger aus dem Kampf hervorgegangen … die Arbeiterklasse ist geschlagen … Doch die Bauernfrage blieb unentschieden. Nach den oben gebrachten Berichten sind die Bauern jetzt dazu übergegangen, aus eigener Machtvollkommenheit eine neue Herabsetzung der Pacht durchzuführen: Sie teilen das Land auf. Es scheint, dass die chinesischen Bauern in dieser Hinsicht, “dem russischen Beispiel” folgen. Die Landwirtschaft wird aus feudalen Verhältnissen in kapitalistische gebracht.
Sollte Stalin doch recht haben, dass dies alles ein Übergang sein wird zu einer nicht kapitalistischen oder - richtiger - sozialistischen Entwicklung in China?
Dazu sei zuerst bemerkt, dass es uns bis jetzt nicht gelungen ist, unter einer sogenannten sozialistischen Entwicklung etwas anderes zu sehen als die Entwicklung des Staatskapitalismus. Wir wollen uns gerne belehren lassen, wenn man uns nachweist, dass wir uns hier im Irrtum befinden.
Wie dem auch sei: China entwickelt sich nicht zum Staatskapitalismus. Die junge “nationale” Bourgeoisie hat ihren eigenen Appetit auf Profit gerade dadurch demonstriert, dass sie sich frei machte, so dass sie das Geschäft als privater Ausbeuter wahrnehmen wird. Die Bourgeoisie zieht sich nicht freiwillig auf das Bollwerk des Staatskapitalismus zurück, sondern nur, wenn es nicht anders geht. Wenn die Profitmöglichkeiten im “freien” Kapitalismus nicht mehr gesichert sind.
Und auf dem Lande? Werden die Bauern dort keinen “sozialistischen Sektor” bilden, wenn sie sich in Genossenschaften und kollektiven Betrieben zusammenschließen? Sicher werden sie sich organisieren; sie müssen es. Es ist die Grundlage, auf der sich der kapitalistische Bauernbetrieb entwickelt. (man lese hierzu unsere Schrift: “Entwicklungslinien in der Landwirtschaft”.)[35]
Es ist noch nicht im Voraus zu sagen, ob die chinesische Industrie- und Handelsbourgeoisie so viel Kraft entwickeln wird, dass sie den Boden für Staatseigentum erklärt. (Dies ist für die Entwicklung des Industrie- und Handelskapitals von großer Bedeutung: Auch unter den bürgerlichen Ökonomen unserer westlichen Länder ist eine Strömung vorhanden, die fortwährend darauf hindrängt. Warum? Darauf werden wir zu gegebener Zeit antworten.) Doch wenn schon die Bourgeoisie damit Erfolg haben würde, was hätte das dann, um alles in der Welt, mit Sozialismus oder Kommunismus gemein?
Kein geringerer als Lenin macht überzeugend darauf aufmerksam, dass das Nationalisieren des Bodens noch nichts mit Sozialismus zu tun hat. Er tut dies in einer Schrift: Die Agrarfrage in Russland am Ende des 19. Jahrhunderts. Seite 77, erschienen 1908. In deutscher Sprache 1920 ausgegeben. Zitiert bei Pollock: “Planwirtschaftliche Versuche”.
Lenin sagt dort:
“Die Aufhebung des Privateigentums an Grund und Boden ändert nichts an den bürgerlichen Grundlagen, auf denen marktmäßig und kapitalistisch orientierte Landwirtschaft beruht. Es ist nichts verkehrter als die Ansicht, dass die Nationalisierung des Bodens irgendetwas mit Sozialismus oder gar mit Landnutzung zu gleichen Teilen zu tun hätte. Was den Sozialismus anbetrifft, so ist bekannt, dass er die marktmäßig orientierte Wirtschaft aufhebt. Die Nationalisierung des Bodens dagegen ist die Übertragung des Bodens in das Eigentum des Staates, und diese Übertragung greift mit nichts in den privatwirtschaftlichen Betrieb auf diesem Boden hinein. Wenn der Boden zum Eigentum oder Vermögen des ganzen Landes, des ganzen Volkes erklärt wird, so wird dadurch das System der Wirtschaft auf diesem Boden genauso wenig verändert, wie sich das (kapitalistische) System der Wirtschaft des wohlhabenden Bauern ändert, je nachdem, ob er den Boden für -€šimmer und ewig-€˜ kauft, ob er vom Junker oder von der Krone Boden pachtet oder ob er die Anteile der vertriebenen, weniger wohlhabenden Bauern -€šsammelt-€˜. Solange der Warenmarkt besteht, ist es lächerlich, von Sozialismus zu reden. Der Austausch der landwirtschaftlichen Produkte gegen Produktionsmittel steht in ganz und gar keinem Zusammenhang mit der Form des Grundbesitzes.”[36]
Der Leser wird uns vielleicht einer “Verfälschung” überführen, weil Lenin hier überhaupt nicht über Genossenschaften und kollektive Betriebe spricht. In der Tat. Aber er weist gerade nach, dass das nichts damit zu tun hat. Der Austausch vollzieht sich nach den Bewegungsgesetzen des Kapitalismus, und darauf kommt es an!
Besehen werden nun noch einmal die Maßnahmen, die nach der Prawda in China vorgenommen wurden:
1. Die Bauern teilen den Boden auf.
2. Die Hausindustrie und kleinen Industriellen wurden nicht enteignet.
Nein, natürlich nicht. Bevor man daran denken kann, müssen zuerst die Großbetriebe enteignet sein. Und die Arbeiterklasse ist geschlagen. Russland aber hat bewiesen, dass es selbst auch dann nicht möglich ist, auch wenn die Großbetriebe in Staatsbesitz übergegangen sind. Diese Art von Betrieben (Klein- und Hausindustrie) zu enteignen und in Staatsbewirtschaftung zu nehmen, geht absolut niemals.
Man verstehe uns richtig. Wir wollen durchaus nicht behaupten, dass die Bewegung im Osten nicht von gewaltiger historischer Bedeutung ist. Aber wir lassen uns darum doch nicht irreführen und sagen, dass diese Bewegung eine ganz andere Bedeutung hat, als man ihr im Allgemeinen in der Arbeiterbewegung beimisst. Asien bewegt sich nicht in der Richtung zum Sozialismus, wie Stalin erklärt. Ohne Zweifel geht Asien zu einer anderen Produktionsweise über, das heißt zur kapitalistischen. Asien ist in der Entwicklung zurückgeblieben und produziert noch in feudalen Verhältnissen. Die kapitalistische Produktionsweise war bis jetzt nur ein “Sektor” in der alten Kastengesellschaft. Diese Letztere wird nun aufgelöst; die kapitalistische Produktionsweise wird zur herrschenden Produktionsweise, während der “feudale Sektor” stets mehr einschrumpft.
Der Kapitalismus beginnt seinen Siegeszug über Asien. Er schlägt die alte Bauernwirtschaft in immer stärkerem Maße auseinander; er zwingt die Bauern, ihre Produktion für den eigenen Verbrauch immer mehr aufzugeben und schaltet auch die Arbeit des asiatischen Bauern in den Prozess der gesellschaftlichen Arbeit ein.
Doch das geschieht auf kapitalistischer Grundlage! Während die Arbeit des asiatischen Bauern heute nur zu einem geringen Teil auf dem Markte vergesellschaftet wird, wird der Bauer mit der Entwicklung des Kapitalismus stets mehr auf den Markt angewiesen sein. Asien bewegt sich nicht zum Kommunismus, nach der Aufhebung des Marktes hin, sondern gerade nach der Entwicklung des Marktes. Die Produktion für den eigenen Bedarf, in der der asiatische Bauer noch lebt, wird stets mehr verdrängt durch die Produktion gegen “Barzahlung”.
Nummer 2
Die russischen Staatslenker arbeiten fieberhaft an dem Ausbau der Staatsindustrie. Alle Industrien werden ausgebreitet und neue Betriebe errichtet. Obwohl die planmäßige Produktion des Fünf-Jahres-Plans mit einer Zunahme des in die Industrie gesteckten Kapitals um 29% rechnet, - verglichen mit dem letzten Jahr (1928 - 1929) - wird dieses Kapital tatsächlich um 85% vermehrt. (Entnommen aus der “ökonomischen Übersicht” in dem Moskauer Bulletin der “State Bank of the USSR” vom 15. März 1930).
Die III. Internationale jubelt über den schnellen Aufbau des Kommunismus.
Doch wer nicht blind geworden ist durch die servierten demagogischen Phrasen, der jubelt nicht. Nach dem Plan sollte das Industriekapital um 29% wachsen, und es zeigt sich, dass es 85% sind. Was bedeutet dies anders, als dass von einer planmäßigen Produktion in Wirklichkeit nicht die Rede sein kann? Was anders, als dass der russische Kommunismus die Produktionskräfte absolut nicht in der Hand hat, dass die Produktion vielmehr genauso hemmungslos verläuft wie im freien Kapitalismus?
Ohne uns weiter mit den Ursachen dieser unsagbar schnellen Akkumulation aufzuhalten, wollen wir nachgehen, wie sie auf die Arbeiterklasse wirkt. Dies sind dann keinesfalls die Segnungen, wie die III. Internationale es den Arbeitern versucht weiszumachen.
Das ist leicht erklärlich.
Bei der schnellen Ausbreitung der Betriebe werden große Massen Arbeiter von den Fabriken aufgesogen. Die Anzahl der Industriearbeiter steigt; die Städte werden Bienenkörbe, wo kein Raum ist, die Arbeitsbienen zu bergen. Es entsteht ein Mangel an Wohnraum. Die Arbeitsverhältnisse spotten jeder Hygiene. Menschen leben wie Tiere.
Diese Erscheinungen müssen eintreten entsprechend den Akkumulationsgesetzen des Kapitals. Wir haben sie in allen Industrieländern wahrnehmen können, als dort die Entwicklung des Industriekapitals begann. Man lese zum Beispiel den 1. Band des Marx-€™schen “Kapitals” oder “Die Lage der Arbeiterklasse in England” von Friedrich Engels. Und wer das “Glück” hatte, im Ruhrgebiet zu arbeiten, als dort die Industrie sich entfaltete, der weiß es aus eigener Erfahrung.
Dieselbe Erscheinung zeigt sich jetzt in Russland. Es sind keine “Missstände” entstanden, weil der Kommunismus noch nicht vollendet ist, sondern es sind die gewöhnlichen Begleiterscheinungen einer schnellen Akkumulation des Industriekapitals.
Und hier zeigt sich dann zum zweiten Mal, dass von einem “planmäßigen” Aufbau keine Rede ist. Oder erfolgt die Verschlechterung der Lebenslage der Arbeiter auch planmäßig?
Nein! Es zeigt sich nur, dass die Produktion nicht fußt auf dem Bedarf der arbeitenden Bevölkerung, sondern auf dem Erzielen von Gewinnen in den Betrieben. Das Kapital erhebt weiter seinen Tribut und verbreitet sein Elend, ohne sich viel daran zu stören, ob er sich in Händen von Privaten oder des Staates befindet.
Wie die Akkumulation des Kapitals sich für die Arbeiterklasse auswirkt, ist deutlich zu sehen aus den regelmäßigen Beschwerden und Klagen der Arbeiterkorrespondenten in der Sowjetpresse.
Wir bringen zwei dieser Berichte aus “Sa Industrialisaczin” vom 8. Mai (zentrales Organ des Obersten Volkswirtschaftsrates in Moskau), die folgendermaßen lauten:
“Im Verlauf von sechs Monaten wurden im Donetz-Becken 195.000 Personen neu aufgenommen, aber 179.000 verzogen wieder. Hauptsächlich die Bergwerke von Stalino zeigten diese Erscheinung. Hier wurden im ersten Halbjahr 72.000 Arbeiter eingestellt und 68.000 entlassen.
Wodurch ist diese große Fluktuation in den Schächten des Donetz-Beckens zu erklären? Die Wohnungs- und Lebensverhältnisse sind sehr schwierig. Jedes Jahr gibt das Donetz-Becken große Summen für Wohnungsbau aus, und trotzdem nimmt der Wohnraum per Kopf der Arbeiterbevölkerung nicht zu, sondern ab. Am 1. Oktober 1929 hatte das Donetz-Becken einen Wohnraum von 4,64 Quadratmeter per Kopf. Das Tempo des Wohnungsbaus ist im Donetz-Becken gegenüber der Zunahme der Bevölkerung deutlich zurückgeblieben. Wenn auch die Mittel, die für Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden, von Jahr zu Jahr zunehmen, so sind sie doch ungenügend. Die außergewöhnliche Überfüllung der Arbeiterwohnungen, vielfach auch das Fehlen jeder Wohngelegenheit, zwingen die Arbeiter, von dem einen nach dem anderen Schacht zu ziehen.
Auch der Bau von Schulen befindet sich im Donetz-Becken in einem schwierigen Zustand. Die Arbeiter müssen ihre Kinder in andere Städte zur Schule senden.
Die Versorgung der Arbeiter in den Bergwerken ist auch nicht geregelt. Das Genossenschaftswesen ist unzureichend. Kantinen sind bei weitem nicht auf allen Schächten. Vor allem für die Arbeiter, die auf weitab von den Dörfern gelegenen Schächten arbeiten, ist der Zustand schwierig. Die Wasserversorgung ist der Gegenstand scharfer Kritik von Seiten der Arbeiter. In vielen Bergwerken ist kein gesundes Trinkwasser, und die Arbeiter laufen ungewaschen und schmierig herum, weil nur wenige Bergwerke eine Badegelegenheit besitzen.”
“Im ganzen Uralgebiet ist die Fluktuation der Arbeitskräfte außergewöhnlich groß. In den Erzbergwerken von Blagodati sind zu den 1300 Arbeitern im Laufe eines halben Jahres 1583 Arbeiter neu eingestellt, während 2174 die Entlassung nahmen. Die Wysogokorsk-Werke hatten in fünf Monaten eine Zufuhr von 1792 Arbeitern, während 2358 abzogen. Der Nishny-Tagil-Betrieb hatte im ersten Quartal eine Fluktuation von 30%.
Um Fahrkarten muss man im Uralgebiet kämpfen, und die Eroberung eines Platzes in Eisenbahnwagen geschieht anarchisch wie bei der Flucht aus einem brennenden Gebäude. Die Wagen sind vollgepfropft und man kann, ebenso wie 1919, vielfach Passagiere auf den Wagendächern antreffen. Metallarbeiter, Bergarbeiter, Holzarbeiter laufen von Stadt zu Stadt … Buchhalter, Beamte, Stenotypisten …, hunderte Proletarier wandern von Betrieb zu Betrieb, von Bergwerk zu Bergwerk.
Die Ursachen dieser großen Völkerwanderung der Arbeitskräfte liegen in der Buntscheckigkeit der Löhne und den unbefriedigenden Lebensverhältnissen. Die Betriebe versuchen also augenscheinlich einander die Arbeitskräfte wegzusaugen. (eine charakteristische Akkumulationserscheinung - PIC)
Die zu späte Ausbezahlung der Löhne (Kreditnot - PIC) in den Alapajewsk- und Kuschwabetrieben zwingt die Arbeiter, ihre Zuflucht in Tagil und Nadeshdinsk zu suchen, wo die Löhne zeitig ausbezahlt werden. In den Werken von Goroblagodatj, in Alapajewsk und Kuschwa ist keine Wohngelegenheit. In den Alapajewskbetrieben übernachten 30 Arbeiter auf dem Werk unter den Maschinen. Im Kuschwa-Betrieb müssen etwa 20 Arbeiter vier Kilometer laufen, um in der Station von Goroblagodatj schlafen zu können. In den Goroblagodatjbetrieben sind die Arbeiterherbergen zu 200 - 300% überlastet.
Die Organisierung der Ernährung der Arbeiter ist so skandalös organisiert, dass in der Regel lange Reihen vor jeder Kantine stehen. In Tagil, Ruschwa, Blagodatj, Nadeshdinsk, in den Wysokorosk-Betrieben kann man nur Mittagessen bekommen, wenn man eineinhalb Stunden in der Reihe gestanden hat. Die Kantinen sind überlastet; es herrscht ein Chaos. Die Genossenschaften von Tagil arbeiten sehr schlecht.
Die Kantine der Wysogorsk-Werke ist auf 800 Mann berechnet, wird aber von 1800 Mann gebraucht und nur durch fünf Mann bedient. Dieselbe Überlastung der Kantinen bei ungenügendem Personal trifft man in der ganzen Gegend an. In der Kantine der Abteilung Walzwerk des Nadeshdinsk-Betriebes sind nur 36 Teller und ein paar Löffel für 200 Besucher. 50 Arbeiter essen mit einem Löffel. Die Qualität des Essens ist unter aller Kritik.”
Diese Dokumente aus der russischen Presse reden eine deutliche Sprache. Sie beweisen, dass eine wilde Jagd der Akkumulation eingesetzt hat, während von einer planmäßigen Produktion keine Rede ist.
Der “Kommunismus” marschiert! “Wir” haben nicht mit 29%, sondern 85% akkumuliert!
Der Sowjetstaat hat eine neue inländische Anleihe ausgeschrieben, um die Schnelligkeit der Akkumulation noch weiter erhöhen zu können. Der Fünfjahrplan muss in vier Jahren ausgeführt werden. Die neue Anleihe heißt: “Der Fünfjahrplan in Vier-Jahren-Anleihe.”
Am 31. Januar 1930 wurde in Russland oben genanntes Gesetz angenommen, das als ein “Meilenstein in der sozialistischen Entwicklung der UdSSR” bezeichnet wird. Den Antrieb zu diesem Gesetz gab die Tatsache, dass es sich bei den heutigen Verhältnissen als unmöglich erwies, die Beschaffung von Krediten planmäßig zu vollziehen. Hinzu kommt noch, dass dieser Zustand des Kreditwesens ein ernstes Hindernis bei der planmäßigen Ordnung der ganzen Wirtschaftsebene ist.
Im Beginn, nach 1921, gehörte zwar der größte Teil der industriellen Betriebe zu den Staatsbetrieben, aber doch wirtschaftete jeder Betrieb auf eigene Faust und musste selber sehen, wie er zurechtkam. Jeder Betrieb musste seine eigenen Verbindungen mit dem übrigen Wirtschaftsleben suchen und regeln und tat dieses dann auch auf dem Markte.
Er versah sich auf dem Markt mit den benötigten Materialien zur Produktion und brachte auch sein fertiges Produkt auf den Markt. Dadurch verkauften auch die verschiedenen Staatsbetriebe ihre Produkte aneinander. Der Gewinn des Betriebes wurde dann in den meisten Fällen derartig verteilt, dass 60% in die Staatskasse flossen, während der Rest zur Verfügung des Betriebs stand als Reservefonds, um eventuelle Verluste zu decken, für Betriebsausbreitung und für den Gewinnanteil der “Spezialisten”. (Diese haben auch jetzt noch Anteil am Gewinn.). Siehe: Pollock: “Die planwirtschaftlichen Versuche in Sowjetrußland”[37]). Der Staatsbetrieb arbeitete demnach genauso wie jede kapitalistische Unternehmung auch, nur wurde der Gewinn nicht in der Form von Dividenden an die Inhaber von Aktien ausbezahlt, sondern floss in die Staatskasse.
Eine der Schwierigkeiten, womit die Betriebe zu kämpfen hatten (und noch haben), ist die Distribution ihres Produkts. Die Distribution geschah (auch jetzt noch) durch den inländischen Markt, wodurch ein ansehnlicher Teil ihres flüssigen Kapitals in Vorräten festgelegt wurde. Nun überwand man diese Schwierigkeit ebenso wie die gewöhnlichen Betriebe in allen kapitalistischen Ländern es tun, indem die Staatsbetriebe diese Güter bei staatlichen oder privaten Kreditbanken “beliehen”. Natürlich mussten sie für diese Kredite den üblichen Zins bezahlen.
Die zweite Schwierigkeit bei der Distribution ist, dass die Käufer die gekauften Waren niemals direkt bezahlen konnten, sondern ihre Zahlung gewöhnlich erst dann erfolgt, wenn sie selber schon einen Teil der Waren verkauft haben. Der Käufer bezahlt darum mit einem Wechsel, der nach ein bis drei Monaten oder noch längerer Zeit bezahlbar ist. Doch der Betrieb kann vielfach nicht so lange auf das Geld warten und verkauft darum diesen Wechsel an eine Bank, natürlich mit einem gewissen Verlust. Jedenfalls hat aber dann der Betrieb direkt flüssige Mittel in der Hand.
Diesen Zustand schildert das offizielle Organ der russischen Staatsbank (Economic survey of the state bank of the U.S.S.R., 01.03.1930): “Mit der Wiederherstellung des Bankkredits im Jahre 1922/23 war die Struktur der Kreditinstitute, ihre Statuten, Funktionen und die Form ihrer Operationen gegründet auf Prinzipien, so wie sie in kapitalistischen Ländern gebräuchlich sind. … Die Tatsache, dass die Kreditoperationen der Sowjet-Banken auf denselben Grundlagen wie die der kapitalistischen Banken geführt werden, ist verschuldet durch den allgemeinen ökonomischen Zustand, der bis jetzt herrschte, vor allem durch die bestehenden Formen des Warenabsatzes und durch die Landwirtschaft. Unter der NEP nahm der private Handel während einer Anzahl von Jahren einen ansehnlichen Platz im Handel des Landes ein. Der private Handel wurde sowohl in Hinsicht auf seinen”inneren” Warenumsatz als auch dort, wo er in Kontakt mit dem sozialistischen Handel kam, durch die elementaren Gesetze des Marktes beherrscht. Die elementaren Faktoren des Geld- und Warenumsatzes spielten keine geringe Rolle im Wirtschaftsleben des Landes.”
Das neue Gesetz zur Reform des Kreditwesens soll eine gründliche Veränderung in der Form der Distribution der Güter zustande bringen, indem das Kreditwesen rationalisiert und eine planmäßige Kreditbeschaffung dadurch ermöglicht werden soll. Als wichtige Maßregeln hierfür gelten:
1. Staatsbetriebe und genossenschaftliche Einrichtungen dürfen nur bei der Staatsbank Kredite aufnehmen.
2. Staatsbetriebe und genossenschaftliche Einrichtungen dürfen einander nichts mehr auf Kredit liefern. Sie müssen direkt in vorhandenem “Geld” bezahlen. Der Wechsel wird abgeschafft.
3. Der Wechsel wird ersetzt durch einen Kredit auf die Staatsbank. Wer Waren kaufen muss, kann dafür einen Kredit von der Staatsbank bekommen und nicht mehr von den Verkäufern so wie früher. (Weiter soll das neue Gesetz die Grundlage dafür legen, dass die Staatsbank zum zentralen Girokontor wird, welches die gesamte Güterbewegung in der Sowjetunion registriert. Wir lassen diesen Punkt aber im Augenblick ruhen.)
Der neue Zustand, wie er jetzt durchgeführt werden muss, ist nach Aussicht des genannten Blattes der Staatsbank im praktischen Leben bereits vorgebildet. In Wirklichkeit wird durch das neue Gesetz ein Zustand verallgemeinert, der in dem Verkehr zwischen den Staatsbetrieben bereits ziemlich allgemeine Gültigkeit hatte, während die Maßregeln jetzt für “bindend” erklärt werden, um den chaotischen Zustand aufzuheben und die Form der Distribution zu normalisieren. Das Wachsen des neuen Zustandes bedeutet in Wirklichkeit (wenigstens nach der “State Bank of the U.S.S.R.”), dass der Markt im Laufe der Jahre stets mehr ausgeschaltet wurde, indem die Genossenschaften, im wahren Sinne des Wortes, angekuppelt wurden. Anstelle des Marktes traten die direkten Lieferkontrakte der Genossenschaften mit den Betrieben.
“Der Handelskredit war ein Hilfsmittel für die Industrie in den ersten Jahren der NEP, um die Verfügung über die produzierten Güter zu erleichtern. Doch Schritt für Schritt zog sich das System der Handelsbeziehungen, das auf der Grundlage der kapitalistischen Praxis aufgebaut war, vor dem Vorwärtsdringen der planmäßigen Distribution der Waren zurück. Das allgemeine Kontraktsystem zwischen den Industrien und den Genossenschaften bestritten bald vollkommen die Distribution der verfertigten Konsumtionsgüter und hoben die Notwendigkeit der Beschaffung von Waren auf Kredit als Mittel, sie dem Verbraucher zuzubringen, auf. Die Verkäufe und der Verbrauchermarkt wurden befreit von den Faktoren und Stimmungen, die die Marktfluktuationen zum Vorschein bringen. Das hob seinerseits die Notwendigkeit der fortwährenden Anpassung an die veränderten Stimmungen des Marktes auf. Der Plan nahm den Platz der Handelskredite als Regulator der Güterdistribution ein.”
Trotz alledem müssen wir am Ende feststellen, dass die Russen auf dem Gebiet der Ökonomie eine außergewöhnlich reiche Phantasie besitzen, denn diese Anschauungen werden keineswegs durch die Praxis gestützt. Wenn man den Verlauf der Warenpreise (Klein- und Großhandelspreise) in Russland nachgeht, kommt man zu dem Schluss, dass die Preisschwankungen bei der “planmäßigen” Produktion sicher nicht geringer sind als zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika, die es ohne Plan machen und vollkommen auf den Markt angewiesen sind. Ehrlich gesagt hätten wir nichts anderes erwartet, weil die berühmten “Faktoren und Stimmungen”, die Marktfluktuationen zum Vorschein rufen, nur eine der Ausdrucksform der Akkumulation des Kapitals sind. Sie finden ihre Ursache in der Produktion um den Profit. Auch die beste Organisation des Kreditwesens kann daran nichts verändern.
Aber dergleichen Überlegungen haben für diejenigen, die der marxistischen Werttheorie mit Misstrauen begegnen, wenig Wert, so dass wir die Praxis sprechen lassen wollen. Darum haben wir eine kleine Grafik vom Verlauf der Warenpreise in Russland zusammengestellt, die die durchschnittlichen Preise per Jahr wiedergibt. (siehe Grafik)
Bis 1926 sehen wir sowohl für den Großhandel als auch für den Kleinhandel eine schnelle Steigerung der Preise. Dann tritt plötzlich eine große Preissenkung ein, die durch das Ausbrechen einer ökonomischen Krise verursacht wird. (die Zahl der Arbeitslosen stieg auf 2,1 Millionen, die Überbevölkerung auf dem Lande nicht gerechnet. (Nach den Angaben des Instituts für Konjunkturforschung in Moskau, siehe Seite 176, “Planwirtschaftliche Versuche”).
Ebenso wie in allen jung-kapitalistischen Ländern wurde die Krise schnell überwunden und eine neue Produktionsperiode setzte ein, die aber auch wieder mit einer andauernden Steigerung der Warenpreise gepaart ging.
Wenn nun auch vielleicht das Anziehen der Preise während der Periode bis 1926 keine Verwunderung erregen mag, weil der private Handel damals noch so einflussreich war und die “elementaren Faktoren des Geld- und Warenumsatzes keine geringe Rolle im Wirtschaftsleben des Landes” spielten. Für die Periode bis 1930 aber fallen diese Hindernisse größtenteils weg. Der private Handel wurde zurückgedrängt, sodass er nahezu ganz auf Staats- oder Semi-Staatsorgane überging, während der freie Markt weichen musste vor der direkten Ankoppelung der Genossenschaften an die Industrie.
Die Preislinien, die Geltung haben für die “planmäßige” Periode, haben sich an alledem absolut nicht gestört. Die Verdrängung des privaten Handels und der Produktion nach Lieferungskontrakten konnte selbst nicht verhindern, dass das letzte Quartal von 1929 eine scharfe Steigerung der Kleinhandelspreise zeigt, während die Großhandelspreise in diesem Quartal nur wenig anzogen. (Das Letztere kommt durch den geringen Unterschied nicht in unserer Grafik zum Ausdruck.)
Die Frage ist nun, ob mit der Organisation des Kreditwesens nicht auch eine Veränderung zum Guten eintreten werde. Wir sagen: Nein.
Die Erscheinungen der Preisvariationen finden ihren Grund nicht in einer schlechten Organisation des Kredits oder dem Bestehen oder auch Nichtbestehen einer planmäßigen Produktion, sondern in der Akkumulation des Kapitals. Weil die Produktionsmittel und die Arbeitskraft in Russland im Kapitalverhältnis erscheinen, bewegt das Wirtschaftsleben sich in sogenannten Konjunkturperioden, das heißt, es geht von einer Krisis zur anderen. Das Ende einer Akkumulationsperiode wird abgeschlossen von einer Krise, um nachdem wieder eine neue Akkumulationsperiode zu beginnen.
Die Preislinien in unserer Grafik lassen uns ernsthaft vermuten, dass Russland wieder dicht vor einer Krise steht. Das neu durchzuführende Gesetz über die Kreditbeschaffung kann hier schließlich als hemmender Faktor auftreten, weil die so genannten “Zirkulationskosten” merkbar erniedrigt werden und die Betriebe über größere Kapitalien Verfügung bekommen. Dieser Umstand kann die Krise noch etwas hinausschieben.
(Die Zitate in diesem Artikel sind entnommen aus “Economic survey of the State Bank of the U.S.S.R.” vom 01.03.1930. Die Zahlen für die Preislinie aus der Ausgabe vom 31.01.1930).
* *
Nach der Arbeit unserer holländischen Genossen steht man bei Betrachtung der Landwirtschaftsfrage folgender widerspruchsvollen Erscheinung gegenüber. Die Zusammenfassung der einfachen Arbeit, wie sie sich mit der Entwicklung des Großunternehmens vollzieht, wird - soweit es die landwirtschaftliche Ertragsfähigkeit betrifft - eher ein Hindernis als ein Antrieb zur Entwicklung sein. Dieses geht aus den in der Abhandlung “Entwicklungslinien in der Landwirtschaft” niedergelegten Statistiken hervor. Die Abhandlung zeigt das allgemeine Zusammenfallen des Fortschrittes in der Landwirtschaft mit der Zunahme des kleinen Eigentums. Vorausgesetzt, dass wir es mit einem System der freien Konkurrenz zu tun haben, in dem die ertragreichste Art der Ausbeutung automatisch die anderen ausschaltet, würde dieses Zusammentreffen durchaus der Ausdruck eines wirtschaftlichen Gesetzes sein. Kann aber von freier Konkurrenz gesprochen werden?
Nehmen wir als Beispiel Frankreich. Die traditionelle Politik der französischen Bourgeoisie besteht - von ihrem Anfang an - darin, in dem kleinen ländlichen Eigentum die Grundlage ihrer Herrschaft, den ihre Wirtschaft ausgleichenden Bestandteil, den Schwerpunkt ihres sozialen Gleichgewichts zu suchen. Diese bewusste Hauptsorge offenbart sich mit übermäßiger Kraft seit den ersten Schritten der neuen herrschenden Klasse mit der Teilung der Staatsgüter und mit der Aufhebung des Erstgeburtsrechts.
Es ist bemerkenswert, dass keine Reaktion gewagt hat, an diesen beiden durchgreifenden Maßnahmen der ersten Französischen Revolution zu rühren. Später kamen das Schutzzollsystem, die grundlegende Entlastung von den Steuern, die die Landwirtschaft niedergehalten hatten, die Organisierung eines ländlichen Kredites für die Landwirtschaft - zur Begünstigung des Zuwachses von kleinen Besitztümern bestimmt - und eines kurzfristigen Kredites, um dem kleinen Landwirt die Entwicklung jährlicher Fortschritte in den Anbauflächen zu ermöglichen, Einrichtung von Landwirtschaftswarenscheinen, die dazu dienen sollten, den Landwirt von seiner Untergeordnetheit auf dem Markt als zu sehr von der Ernte abhängiger Käufer zu befreien: schließlich und insbesondere die überaus liberale Gesetzgebung, die es den landwirtschaftlichen Verbänden und Genossenschaften ermöglichte, alle die Einkaufs- und Verkaufsverhandlungen zu verwirklichen, die der Leiter eines landwirtschaftlichen Großunternehmens - gewissermaßen als Großkaufmann all der Dinge, die der Landwirt als solcher braucht - durchführen kann, ohne indessen den Lasten unterworfen zu sein, die das Großunternehmen und die verschiedenen Handelsbranchen treffen.
Einer der Irrtümer, denen man häufig verfällt, ist die Verwirrung folgender Begriffe: großes Besitztum, Großunternehmen - kleines Besitztum, Kleinunternehmen.
Das große Besitztum ist überall da, wo es aus dem feudalen Zeitalter den patriarchalischen Charakter der landwirtschaftlichen Erzeugung bewahrt hat, in zahlreiche Lehnbezirke und Pachtgüter geteilt, in Unternehmungen, die die am wenigsten mit Maschinen ausgerüsteten kapitalistischen Betriebe für die Erzeugung für den Markt darstellen.
Der Eigentümer von Pachtgütern spielt dennoch - wie sein Bruder, der Landlord, der Baron oder Junker - zu einem kleinen Teil die Rolle des Ausbeuters eines Großunternehmens: Zum Beispiel geschieht ein Teil der Einkäufe und Verkäufe durch ihn selbst, und es ergibt sich daraus die Maßnahme, unter die Pächter Ausbeutungsmaterial zu verteilen, das den Werkzeugen der patriarchalischen Landwirtschaft überlegen ist. Sodass gerade dasjenige, was am wirksamsten zur Beseitigung des halb-feudalen Systems des Pachtgutes oder des Lehnsbezirkes beiträgt, Bestandteile sind, die aus dem kleinen Eigentum entliehen, während gerade das, was auf sein Weiterbestehen hinwirkt, die Vermittlungstätigkeit des Bodenbesitzers als Leiter des Unternehmens ist. Wir müssen natürlich die Umwandlungen der halb-feudalen Ausbeutung in das Regiesystem oder in die direkte Nutzung, d.h. in Formen, die einen tatsächlichen Übergang der Verwaltung eines Großbetriebes bedeuten, gesondert betrachten. Diese Art der Entwicklung hat nur ausnahmsweise den ökonomischen rückwärtigen Charakter der römischen Latifundien, der englischen Fuchsjagden usw. und bedeutet im Allgemeinen einen Fortschritt im Sinne einer intensiveren Produktion für den Markt.
Für den Fall, dass kleine Besitztümer in Syndikaten oder Genossenschaften organisiert sind, können sie hinsichtlich der Beziehungen zum Markt und teils sogar hinsichtlich der Arbeitsorganisation als dem Großunternehmen gleichwertig angesehen werden. Die in einer Genossenschaft organisierten kleinen Besitztümer haben in der Ausnutzung der Maschinen und der Handarbeit sogar gewisse Vorteile gegenüber den Großunternehmen. Ein im Besitz einer Genossenschaft befindlicher Traktor arbeitet bis zu 200 Tage im Jahr, während er in einem großen Eigentum hundert Tage oder sogar noch kürzere Zeit benutzt wird. Ebenso werden Mähmaschinen, Kartoffeln- oder Rübenerntemaschinen, Sähmaschinen, Dungverteiler usw. dort viel intensiver ausgenutzt werden, wo die Verschiedenheit des Geländes, der Sämereien, des Anbaus und Saatzeiten jeden Arbeitsgang staffelförmig auf eine größere Anzahl von Tagen verteilen. Aber eine solche staffelförmige Verteilung entgeht der Technik des einheitlichen Großunternehmers nur aus einem einzigen Grund: Es ist nicht groß genug, um bei der Notwendigkeit mehrerer verschiedener Öcker für jede Anbauart so viele verschiedene Kulturen gleichzeitig betreiben zu können. Zusammengefasst gesagt, ist es in Bezug auf die Gesamtheit der in einer Genossenschaft organisierten kleinen Besitztümer nicht zu groß, sondern gerade zu klein. Wenn die Genossenschaft den Sieg über den Gutshof davonträgt, so deshalb, weil es ein größeres Unternehmen als der Gutshof darstellt.
Die Überlegenheit der Bebauung im Großen zeigt sich deutlich in den westeuropäischen Hauptprodukten der Erzeugung und des Verbrauchs: Getreide, Rüben, Wein als Großproduktion, Kartoffeln, Rinder, Schafe und so weiter. Für die Kleinausbeutung bleiben die nebensächlichen Kulturen, so weit wie sie als Einzelkultur aufgegeben sind, nämlich: die Zucht der kleinen Tiere wie Ziegen, Schweine, Kaninchen, Geflügel, der Anbau von Qualitätswein, Gemüse, Obstbäumen und untergeordnetem Getreide. Sie behält ihre Bedeutung in den Landstrichen, von denen sich das Großunternehmen wegen des komplizierten Oberflächenbildes, der Klimaschwierigkeiten, verbunden mit Schwierigkeiten in der Bewässerung und Urbarmachung oder des Transportes, fernhält.
Letztlich führt die Tendenz des Großunternehmens bis zur Aufhebung des individuellen Unternehmens und zu einem gewissen Teil bis zur Aufhebung des privaten Besitztums. Diese Tendenz folgt der Entwicklung des Großunternehmens sehr rasch - genau gesagt in der Industrie. Für die Landwirtschaft trifft dasselbe - jedenfalls zum großen Teile - nicht zu. Die Ursache dieser Tatsache liegt nicht allein in den Hindernissen, die der Staat der Entwicklung der Produktivkräfte bereitet, wenn er das kleine Besitztum vermehrt. Ein anderer Grund, der die Entwicklung in der Landwirtschaft hindert und unglücklicherweise unter den verschiedenen Zweigen der kapitalistischen Produktion eine tödliche Ungleichheit aufrechterhält, ist der Charakter der benutzten natürlichen Kräfte selbst. In der Industrie ist die allgemein angewendete natürliche Kraft oder wenigstens die, durch deren Anwendung der ganze produktive Mechanismus geregelt wird, die menschliche Arbeitskraft. In der Landwirtschaft bleibt die menschliche Arbeitskraft - obgleich sie allein Schöpferin des Tauschwertes ist - den natürlichen Kräften untergeordnet, die von selbst durch die Erzeugung der pflanzlichen Stoffe und ihre Umbildung in Körner, Knollen, Milch oder im Fleisch die Schaffung von Gebrauchtwerten sichern. Diese natürlichen Kräfte zwingen der Produktion und infolgedessen der kapitalistischen Zirkulation ihren Rhythmus auf.
Während das bewegliche Kapital auf dem industriellen Gebiet hierzu 20 mal im Jahre zu Geld gemacht und in Mehrwert verwandelt werden kann (Ford realisierte 1924 eine vollständige Kapitalzirkulation in 27 Tagen) folgt die Landwirtschaft dem Rhythmus des Sonnenjahres, und das im Oktober gesäte Korn wird kaum verkauft werden können, bevor ein Zeitabschnitt von 12 Monaten über das in die Arbeit gesteckte, bewegliche Kapital hinweggegangen ist. Auch bleibt die Antriebskraft des Finanzkapitals in der landwirtschaftlichen Produktion aus, die weder Aktiengesellschaft, noch Trust, noch Monopolbestrebungen oder Kartelle kennt; sie vegetiert unter den altertümlichen Bedingungen und flüchtet unter den Schutz des Staates. Eine solche Lage kann übrigens durch den Staat - weder als Produzent noch als Ausbeuter - nicht beseitigt werden. Das einzige Mittel besteht in der Ablösung dieser auf den Tauschwert gegründeten Wirtschaftsordnung durch ein System, das den Bedarfswert zur Grundlage hat, das heißt in der Aufhebung des Marktes, des Geldes und der erzwungenen Arbeit. Diese Wirtschaftsordnung setzt die Leitung der produktiven Kräfte durch die Produzenten selbst, die Abschaffung jedes Alleinbesitzes am Grundeigentum und jeder Einzelleitung der Unternehmen voraus.
Die Diktatur der Räte auf dem landwirtschaftlichen Gebiet der Produktion kann nur durch die Vermittlung der landwirtschaftlichen Arbeiterräte ausgeübt werden. Nun können derartige Räte nur in Großunternehmen bestehen, sei es, dass diese Großunternehmen aus der ökonomischen Entwicklung des Kapitalismus herrühren, sei es, dass sie vollkommen durch die Bildung von ländlichen Kollektiven - die ein einheitliches Grundstück ausbeuten - geschaffen worden sind.
Es ist unmöglich, Betriebsräte der mittelgroßen Kulturen (fünfzig bis hundert Hektar) auszudenken, diese Kulturen, die übrigens wegen der Unmöglichkeit, ihr Ausbeutungskapital und ihr leitendes Personal genügend auszunützen, gerade gegenüber den Großkulturen im Verschwinden begriffen sind. Schließlich glauben wir nicht, dass unsere holländischen Genossen den Gedanken gehabt haben, unter dem Namen “Betriebsräte” solche Körperschaften anzupreisen, die durch die gesonderte Gruppierung des Kleinbauerntums eine politische Macht darstellen und die den ländlichen Genossenschaften als Organ der Zusammenfassung der individuellen oder familiären Wirtschaft nachfolgenden würden. Das würden keine Räte sein, sondern Dorf-Sowjets, und man würde schließlich bei all den Makeln einer Arbeiter- und Bauernregierung hängen bleiben.
Das Kleinbauerntum ist eine mit der wirtschaftlich und technisch rückständigen Grundlage, die seine Erhaltung sichert, aufzulösende Klasse. Jede Politik, die darauf abzielt, diese Grundlage zu erhalten oder zu stärken, ist selbst sozialreaktionär, wie es Rosa Luxemburg hinsichtlich der sogenannte “Nationalisierung” oder genauer gesagt Aufteilung des Grund und Bodens in Russland bemerkt hat.
Im Gegenteil, die Anwendung industrieller Grundsätze auf den Boden, nicht nur im Maßstabe des “großen” Unternehmens durch Zusammenfassung von 10 oder 12 Arbeitern, sondern im Maßstabe eines ganzen Bezirks oder eines ganzen Landes, das ist die Aufgabe des geeinigten ländlichen und industriellen Proletariats. Eine Aufgabe, die nur vom vereinigten Proletariat gelöst werden kann. Auf diese Weise wird in der Landwirtschaft die umfassende Anwendung der Produktionsmittel, die Stetigkeit der Arbeit und ihrer Erhebung zu einem höheren Organisationsgrade gesichert werden. Allein das Ineinanderaufgehen von Industrie und Landwirtschaft, der städtischen und ländlichen Zivilisation, kann die Entwicklung der neuen Gesellschaft zu einem System ohne Klassen und ohne Staat herbeiführen, zu einem System, in dem die reichliche Erzeugung der Verbrauchsgüter (im Besonderen der Nahrung) die Befreiung des Menschen von der physischen Versklavung, der er jetzt durch die schwache Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit unterworfen ist, vollenden wird.
Aus: “L-€˜Ouvrier Communiste”, Frankreich
Die “Agrarpolitischen Bemerkungen” der französischen Genossen vom “L-€˜Ouvrier Communiste” (siehe Kampfruf Nummer 30, 1930), die als Erwiderung auf unserer Schrift über die “Entwicklungslinien in der Landwirtschaft” geschrieben wurden, machen nähere Erläuterungen unsererseits notwendig. Es muss vor allem mit vollem Nachdruck betont werden, dass die “Entwicklungslinien” einen ganz besonderen Zweck haben. Es geht nicht um die Entwicklungslinien “an sich”, sondern um die Entwicklungslinien von dem Gesichtswinkel der sozialen Revolution aus. Das Kernstück unserer Betrachtungen ist, Breschen zu schlagen in die staatskapitalistischen Auffassungen über die soziale Umwälzung, so wie diese bei den Sozialdemokraten, Moskoviten, als auch zum Teil noch innerhalb der Unions-Bewegung vertreten werden.
In der Frage der sozialen Revolution handelt es sich um ein vollständiges “Umlernen” der Verballhornungen des Marxismus, wie wir diese seit Jahrzehnten von den Marx-Epigonen gelernt haben.
Die radikale Sozialdemokratie (Bolschewiki) sowohl als die reformistische hat die marxistische Lehre gerade in dem entscheidenden Punkt der “Assoziation freier und gleicher Produzenten” ? “revidiert”, was wieder zurückzuführen ist auf eine “Revidierung” der marxschen Auffassung der Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses. Im marxistischen Sinne ist die Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses nichts mehr und nichts weniger, als dass die Warenproduktion im Laufe der Entwicklung zur herrschenden Produktionsweise wird. Immer weitere Kreise von Produzenten arbeiten für den Markt. Jeder fertigt, was er selbst nicht verbraucht; er schafft Produkte für andere. Jeder arbeitet für die Gesellschaft und dadurch wird jede Arbeit zu gesellschaftlicher Arbeit.
Die Sozialdemokratie aller Schattierung verballhornt aber diese Auffassung der Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses. Sie sieht die Vergesellschaftung der Produktion in dem Wachsen der Syndikate, Trusts und Kartelle. Sie verwechseln die Vergesellschaftung mit den Formen, in welchen die kapitalistische Produktion sich organisiert. In Wahrheit nichts anderes als die Form, in welcher die privatkapitalistische (oder kollektivkapitalistische) Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, das Produkt und die gesellschaftliche Arbeit sich organisiert und konzentriert. Sie verwechselt die speziell kapitalistischen Organisationsformen zur Beherrschung der gesellschaftlichen Arbeit mit der gesellschaftlichen Arbeit selbst!
Kein Wunder, dass bei dieser Begriffsverwechslung die Auffassung des Kommunismus eine ganz andere Richtung nimmt, als aus der marxistischen Auffassung der Vergesellschaftung der Arbeit folgt. Für die radikale Sozialdemokratie (Bolschewiki) sowohl als für die reformistische wird dadurch der vertikale Trust das Musterbild der kommunistischen Produktion (“Die ganze Volkswirtschaft organisiert nach dem Beispiel der Post ? das ist unsere erste Aufgabe.” Lenin: “Staat und Revolution”, Seite 50 der holländischen Übersetzung)[38].
Wie wirkt die Verballhornungen des Marxismus sich nun in der Agrarfrage aus?
Die Tatsache, dass die Landwirtschaft nicht in zentralen Knotenpunkten (Trusts, Syndikaten) organisiert ist, wird dahin gedeutet, dass die agrarwirtschaftliche Arbeit noch nicht vergesellschaftet ist. Und gerade durch das Fehlen der zentralen Beherrschungspunkte wäre die “Sozialisierung” der Agrarbetriebe nicht durchzuführen. Die soziale Revolution muss daher nach dieser Auffassung vor der Agrarwirtschaft halt machen, oder aber, sie muss die zentralen Beherrschungspunkte sofort schaffen, indem sie die Parzellierung aufhebt und die einzelnen Bauernbetriebe zu Riesenbetrieben unter einheitlicher Verfügungsgewalt zusammenlegt.
Letztere Auffassung haben sich die Genossen der “L-€˜Ouvrier Communiste” zu eigen gemacht. Wir betrachten sie aber als völlig verfehlt, weil eine derartige Wirtschaftsgestaltung nur zu einer Diktatur über die Arbeiterklasse führt. Die Frage des Kommunismus ist nicht in erster Instanz eine Frage der Organisation der Bedarfswirtschaft, sondern eine Frage der inneren Bewegungsgesetze des Systems. Diese sind entscheidend für den organisatorischen Aufbau.
Die marxistische Auffassung über die Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses bezieht sich nicht auf ihre organisatorische Form. Sie besagt nur, dass die Wirtschaft zur Warenproduktion übergegangen ist, weiter nichts. In der Schrift “Entwicklungslinien in der Landwirtschaft” ist nur nachgewiesen, dass auch die Agrarwirtschaft zur Warenproduktion übergegangen ist, dass diese Arbeit also vergesellschaftet ist, obwohl sie sich ganz anderer Organisationsformen bedient als die Industrie.
Die Arbeiterklasse hat aus diesen Tatsachen ihre Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen in der althergebrachten Auffassung über die kommunistische Wirtschaftsgestaltung vollständig “umlernen”. Die Sache ist, dass wir uns vorläufig nicht nur auf Probleme zweiter Ordnung drängen lassen dürfen. Vorläufig haben wir noch nichts mit dem Problem der rationalen Wirtschaftsgestaltung zu schaffen. Vorläufig interessiert es uns nicht, inwieweit der Großbetrieb dem Kleinbetrieb überlegen ist, oder ob und inwieweit es angebracht ist, zentrale Beherrschungspunkte der gesellschaftlichen Arbeit zu schaffen. Die Frage der Aufhebung der Parzellierung in der Agrarwirtschaft und die Formierung agrarischer Riesenbetriebe steht noch nicht zur Debatte. Derartige Probleme können erst behandelt werden, wenn wir über den Charakter der neuen Produktions- und Rechtsverhältnisse, welche für das ganze Wirtschaftssystem Geltung haben und auf welchem die organisatorischen Umwandlungen vor sich gehen, im Klaren sind.
Das ist der entscheidende Punkt. Es genügt nicht zu sagen, dass die soziale Revolution neue Produktions- und Rechtsverhältnisse schafft, vielmehr müssen wir eine Zielsetzung haben, wie diese umgestaltet werden sollen.
Alles Gerede über rationale Wirtschaftsgestaltung oder über die Organisierung der Bedarfswirtschaft muss als leerer sozialdemokratischer oder anarchistischer Utopismus zurückgewiesen werden, wenn es nicht seinen Ausgangspunkt in den neuen Produktionsverhältnissen nimmt, das heißt, wenn es nicht auf dem exakten Boden der neuen Ökonomie der Bedarfswirtschaft fußt. Tatsache ist doch, dass die Aufhebung des sozialen Verhältnisses Kapitalist - Lohnarbeiter das Legen eines neuen Verhältnisses der Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt (Regelung des Konsums) bedingt. Andererseits bedingt die Aufhebung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln das Festlegen eines neuen Verhältnisses der Arbeiter zu den von ihnen bearbeiteten Produktionsmittel und dem hergestellten Produkt (Regelung der Güterbewegung). Mit anderen Worten: Die neuen Produktionsverhältnisse werden zu neuen Rechtsverhältnissen.
Es handelt sich bei den neuen Produktionsverhältnissen darum, die ganze Wirtschaft zu einem geschlossenen Ganzen zusammenzuschweißen. Zwar sind jetzt alle Betriebe, seien es industrielle oder agrarische, durch den gesellschaftlichen Arbeitsprozess technisch verbunden, aber durch die Profitinteressen der Privatbesitzer führen sie den Kampf aller gegen alle, und sie können daher ökonomisch kein einheitliches Ganzes bilden. (Zweiter Ordnung heißt nicht, dass sie von weniger Wichtigkeit sind, sondern dass diese erst an zweiter Stelle gelöst werden können.) Die soziale Revolution hat daher die Aufgabe, die jetzt schon technisch verbundenen Betriebe auch ökonomisch zu einer Einheit zu verbinden und dadurch diese Gegensätze aufzuheben. An deren Stelle tritt eine wirkliche Regulierung des Gesamtprozesses. In Anlehnung an Marx und Engels haben wir anderswo ausgeführt, dass diese Regulierung nichts anderes ist, als dass jeder Betrieb seinen Verbrauch an gesellschaftlichen Gütern berechnet, um die Produktionszeit des Produkts festzustellen. Die gesellschaftlich durchschnittliche Produktionszeit wird damit zu dem zentralen Begriff, der das ganze Wirtschaftsgetriebe reguliert und zusammenschweißt. Damit sind dann für alle Produzenten die gleichen ökonomischen Bedingungen für ihre Produktion geschaffen; das heißt, sie nehmen alle unter den gleichen ökonomischen Bedingungen an dem Gesamtprozess teil; das heißt, sie sind zu gleichen Produzenten geworden.
Das ist eben das Großartige im Kommunismus. Jeder Betrieb ist nicht mehr als eine Zelle im großen Gesamtwirtschaftskörper. Aber auch nicht weniger! Jede Zelle hat ihre eigenen Aufgaben (ihre eigene Differenzierung), welche sich nur in Selbstbewegung vollziehen kann. Und zugleich ist diese Selbstbewegung nur möglich in und gerade durch den begrenzenden Rahmen der allgemeinen Bewegungsgesetze des Gesamtkörpers. In dem begrenzenden Rahmen entfaltet sich die freie Selbstaktivität und Selbstbewegung, und daher werden die Arbeiter durch diese Begrenzung zu freien Produzenten. Die Bindungen, welche die Produzenten durch ihre Betriebsorganisation mit ihrer “Umwelt” machen, verwesentlichen so die Assoziation freier und gleicher Produzenten.
In dieser Auffassung der sozialen Revolution ist es also ziemlich gleichgültig, ob die Betriebe hoch entwickelt oder noch zurückgeblieben sind, ob sie industrieller oder agrarischer Natur sind, ob die Wirtschaftsbranche sich nach Klein- oder Großbetrieben vollzieht. Die einzige Bedingung, welche gestellt wird, ist diese, dass der Betrieb bei der gesellschaftlichen Arbeit eingeschaltet ist. Zweck der Schrift “Über die Entwicklungslinien in der Landwirtschaft” ist nun nachzuweisen, dass dies in der Landwirtschaft tatsächlich der Fall ist und dass damit die ganze Gesellschaft reif für die Assoziation der freien und gleichen Produzenten ist.
Zu unserem Bedauern sind die französischen Genossen an diesem Kernpunkt unserer Auffassungen stillschweigend vorbeigegangen, was nichts anderes heißen soll, als dass es uns nicht gelungen ist, die Lösung der Probleme der sozialen Revolution auf neue Bahnen zu lenken. Wir sind offensichtlich noch nicht deutlich genug gewesen, ein Mangel, den wir hier versucht haben, einigermaßen nachzuholen. Es muss aber betont werden, dass die Genossen den Eindruck erwecken, als nehmen sie die Assoziation freier und gleicher Produzenten zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen bezüglich der Sozialisierung der Landwirtschaft, weil die Wirtschaft sich vollziehen soll unter “Aufhebung des Marktes, des Geldes und der erzwungenen Arbeit”, während sich “die (kollektive) Leitung der produktiven Kräfte durch die Produzenten” vollzieht.
Es muss hierbei auffallen, dass hier nur scheinbar eine Umschreibung der Bedarfswirtschaft gegeben wird. In Wirklichkeit schwebt dies in der Luft, weil nur angegeben ist, was nicht sein soll: Kein Markt, kein Geld und keine erzwungene Arbeit. Das Ding hat nicht Hand noch Fuß, und es ist nichts damit anzufangen. Es ist darum nicht zu verwundern, dass diese “Grundlage” bei den Genossen weiter keine Rolle spielt bei der Untersuchung der Probleme der Sozialisierung der Landwirtschaft. Die “Grundlage” ist ein fremdes Element in den weiteren Untersuchungen.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen müssen wir die “agrarpolitischen Bemerkungen” der französischen Genossen näher prüfen. Wir wollen dabei die Nebensächlichkeiten außer Acht lassen und uns auf das Wesentliche beschränken. Darum betrachten wir erstens die Aufhebung der Parzellierung, so wie die Genossen das notwendig erachten (Zusammenschluss der Betriebe), zweitens den Gegensatz Großbetrieb - Kleinbetrieb und drittens die Betriebsräte in der Landwirtschaft.
Bei der Durchführung der sozialen Revolution auf dem Lande betrachten die französischen Genossen es von entscheidender Bedeutung, dass die heutige Parzellierung des Bodens, so wie diese bei dem heutigen Kleinbesitz existiert, sofort aufgehoben wird, um das Land in Großbetrieben zu bearbeiten. Diese Auffassung wird ihnen von zwei ganz verschiedenen Überlegungen eingegeben. Einerseits soll diese Zusammenlegung erfolgen, weil der Großbetrieb in der Landwirtschaft unter allen Umständen produktiver sein soll als Klein- oder Mittelbetriebe und andererseits, weil es nur in Großbetrieben möglich sein soll, einen Betriebsrat zu bilden.
Die Genossen nehmen ihren Ausgangspunkt also nicht in den neuen Rechtsverhältnissen der Produzenten zum Gesamtprozess (diese werden gar nicht erwähnt), sondern in der Irrationalität der Landwirtschaft, so wie diese durch den Privatbesitz bedingt wird, und andererseits in den organisatorischen Schwierigkeiten bezüglich der Bildung der Räte.
Nun sind die Auffassungen über die Bildung der Großbetriebe nicht klar formuliert. Es scheint aber, dass die Genossen die Zusammenlegung derart auffassen, dass die Landarbeiter anfänglich den Boden im Umkreis eines Dorfes als einheitliches Grundstück, als ein Betrieb, bearbeiten. Aber schließlich ist diese Bearbeitung nach ihrer Auffassung zu primitiv, nicht rationell genug, und darum soll die Zusammenlegung eines ganzen Distrikts oder eines ganzen Landes zu einem Betrieb weiter folgen. Der Betrieb wird dann von dem Betriebsrat des ganzen Landes geleitet.
Wir haben hier ein gutes Beispiel, wie die Fragen der Sozialisierung nie zu lösen sind. Abgesehen davon, dass es eine derartige Bewirtschaftung nur in der Phantasie geben kann, weisen wir darauf hin, dass der Satz, dass die Leitung der produktiven Kräfte durch die Produzenten stattfinden soll, völlig in die Brüche geht. Es ist nichts anderes als ein Agrar-Trust mit zentraler Verfügungsgewalt über die gesellschaftliche Arbeit … und die Arbeiter.
Die Ursache dieser unfruchtbaren Gedankenkonstruktion liegt darin, dass die Genossen die Landwirtschaft umbauen wollen nach den angeblichen Notwendigkeiten einer rationellen Bewirtschaftung und nicht nach den neuen gegenseitigen Rechtsverhältnissen der Betriebsorganisation und den neuen Rechtsverhältnissen jedes Betriebs zum Gesamtwirtschaftskörper. Selbstverständlich kommt es im Kommunismus tatsächlich zu einem Zusammenarbeiten, einer Zusammenfassung und schließlich zu einem Zusammenlegen von Agrarbetrieben. Wir betonen aber ausdrücklich, dass die Frage der Zusammenlegung vorläufig nicht zur Debatte stehen kann, weil es eben eine Rationalisierungsfrage ist und darum nicht in die Bewegungsgesetze der Bedarfswirtschaft hineingehört. Es ist einfach unmöglich, weiterzugehen als die Erörterung der Beziehungen zwischen den Betriebsorganisationen. Und diese Beziehungen sind derart, dass die Betriebsorganisationen miteinander in Verbindung treten müssen, weil sonst unmöglich die gesellschaftliche Produktionszeit festgestellt werden kann. Es ist nichts mehr als eine rechnerische Angelegenheit der gleichartigen Betriebsorganisationen. Allerdings fließt hieraus auf die Dauer eine weitere technische Durchdringung, aber die Grundlage, auf welcher sie sich vollzieht, liegt von vornherein fest. Das Tempo dieser Durchdringung wird dann auch von den Produzenten selbst angegeben, weil eine der Bedingungen der Produktion ist, dass die Produzenten selbst die Leitung der produktiven Kräfte in den Händen halten. Und wenn ein Gegensatz vorhanden ist zwischen den Bedürfnissen der Rationalität und denen der selbstständigen Leitung (was oft genug eintreten wird!), so muss die Rationalität zurückgestellt werden. Wir müssen das klar aussprechen. Zugleich geht daraus aber hervor, dass der wesentliche Kernpunkt der sozialen Revolution in dem Festlegen der gegenseitigen Rechtsverhältnisse der Betriebsorganisation und gegenüber der Gemeinschaft liegt: Mit anderen Worten: Es müssen allgemeingültige ökonomische Regeln gegeben werden, welche alle Produzenten zu gleichen Produzenten machen.
Die Frage der Zusammenlegung von Betrieben kann nur auf dieser Grundlage von den Produzenten selbst gelöst werden und kann heute kein Thema der theoretischen Überlegung sein.
Aus diesem Grunde stehen wir den Ausführungen der französischen Genossen in Bezug auf die einheitliche Bearbeitung eines ganzen Bezirks oder eines ganzen Landes mit größter Zurückhaltung gegenüber. Selbstverständlich steht am Ende eines Entwicklungsprozesses die einheitliche Bearbeitung eines ganzen Landes, ja, der ganzen Welt. Aber nie in dem Sinne “eines Betriebes”. Es kann nur den Sinn haben, dass sich eine richtige Verteilung der Produktionsgebiete und eine “Abstimmung” nach dem Bedarf vollzogen hat. Die einheitliche Bearbeitung eines ganzen Landes reduziert sich darum auf die Frage der sogenannten “Rayonnierung”, das heißt die richtige Verteilung der Produktionsgebiete im Zusammenhang mit der Planwirtschaft, was aber erst zur Debatte steht, wenn die Arbeiterschaft an den tatsächlichen Umbau der Wirtschaft herantritt. Vorher ist es Utopismus … das ist eine Verkennung der wesentlichen Aufgaben der sozialen Umwälzung.
Doch wir wollen uns noch nicht von dem Thema der Zusammenlegung der Agrarbetriebe verabschieden, ohne offen ausgesprochen zu haben, dass es für uns noch sehr fraglich ist, ob die Entwicklung der Agrarwirtschaft im Kommunismus unbedingt über den “Großbetrieb” läuft. Es ist nämlich nicht aus dem Auge zu verlieren, dass die natürlichen Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft prinzipiell anders sind als in der Industrie. In der Industrie verläuft die Produktion gewissermaßen “mechanisch”; und der “Großbetrieb” der Industrie hat eine gewisse Verbürokratisierung zur Voraussetzung. Das hat aber seine Grenzen, und bei einem zu großen Umfang des “Großbetriebes” wird sie zu einem Hemmschuh. Diese Erscheinung kann man bei der heutigen Industrie beobachten. In der Agrarwirtschaft ist diese Grenze aber viel schneller erreicht, weil die Arbeiter hier einem “organischen” Prozess gegenüberstehen. Er verlangt die volle Hingabe des Arbeiters, eine genaue, tägliche Beobachtung, inwieweit die Anfänge von Krankheiten oder Insektenseuche auftreten, eine Regelung der Arbeit in Zusammenhang mit dem immer wechselnden Wetter usw. Kurz gesagt: Es verlangt den ganzen Menschen, der nicht nach vorgeschriebenen Regeln arbeiten kann, sondern der jeden Tag selber bestimmen muss, wie er den Produktionsprozess leitet. Die Produktionsbedingungen verlangen nicht, dass eine “Einzelleistung” notwendig ist, aber wohl, dass die Leitung an Ort und Stelle bestimmt wird. Im Allgemeinen kann man sagen: Je intensiver die Kultur betrieben wird, desto enger sind in der Agrarwirtschaft die Maximal-Grenzen des Großbetriebes gezogen.
Noch viel stärker als beim Ackerbau tritt dieses bei den sehr intensiven Kulturen der Viehzucht, den Eierfabriken und im Gartenbau in Treibhäusern hervor, welche drei Gruppen der Agrarwirtschaft in Holland eine hoch industrielle Entwicklung erreicht haben. Und eigentümlicherweise ist das alles “Kleinbetrieb”, wo man kaum über fünf Dauerarbeiter per Betrieb kommt. (Bei Viehzucht werden vielfach mehr Arbeiter beschäftigt, doch kommt es kaum über 12 Mann). Wir wollen keinesfalls behaupten, dass die “Idealgröße” zur höchsten Produktivität hierbei erreicht ist, aber so viel ist sicher, dass die Produktivität derartiger Betriebe völlig in die Brüche geht, wenn man sie unter “einheitlicher Leitung” zusammenfasst, um nur einen Betriebsrat bilden zu können.
Die praktische Anwendung der Agrarwissenschaft hat die Produktionsbedingungen derart umgewälzt, dass es unmöglich erscheint, einen Viehbestand von 10 000 Stück Vieh per Betrieb, wie das bei der extensiven Wirtschaft, bei dem Raubbau in der Viehwirtschaft in Australien, Südafrika und Südamerika noch vorkommt, zu halten. Die praktische Anwendung der Agrarwissenschaft bedingt, dass wir mit dem alten Standpunkt, der für den Kommunismus unbedingt Großbetriebe notwendig erachtet, brechen müssen. Es ist althergebrachter sozialdemokratischer Blödsinn, der nur eingegeben ist durch das Verlangen nach der zentralen Verfügung über Produktion … und Arbeiterschaft.
Was ist kein Kleinbetrieb?
Es fragt sich aber: Sind diese Eierfabriken, Molkereien, Gemüsefabriken usw. Kleinbetriebe? Was ist das Merkmal des Kleinbetriebes? Etwa, dass nur wenige Arbeiter dort beschäftigt sind? Sollte dies das Merkmal sein, dann gibt es in einer ganzen Reihe hochkapitalistischer Länder noch nicht viele Großbetriebe. Dann sind Frankreich, Italien, Holland noch lange nicht “reif” für den Kommunismus. So hatten zum Beispiel die Elektrizitätswerke in Holland in 1928 (Hochkonjunktur) durchschnittlich nicht mehr als 31 Arbeiter (Werkmeister und Lehrlinge eingerechnet) und 42, wenn man das Beamtenpersonal hinzurechnet, während Holland voran steht in der Durchelektrifizierung! Ein Besuch an so einem “rationalisierten” Betrieb ist sehr lehrreich. Man geht zwischen den riesigen Maschinenanlagen und sieht kaum ein paar Arbeiter, die den Mechanismus kontrollieren. Heizer gibt es nicht. Die Doppelreihe Dampfkessel wird automatisch gefeuert und ausgeräuchert. Müssen wir darum die Elektrizitätswerke zu den Kleinbetrieben rechnen? Muss vielleicht die heutige “Rationalisierung”, wo die Arbeiterzahl in den Betrieben absolut abnimmt, dahin gedeutet werden, dass der Kapitalismus sich in der Richtung des Kleinbetriebes entwickelt?
Unseres Erachtens ist es eine absolut falsche Einstellung, die Größe der Betriebe nach der Anzahl der beschäftigten Arbeiter abzumessen. Die Größe eines Betriebes wird bestimmt von seinem “angewandten Kapital”, oder anders gesagt: von der Masse des hergestellten Produktes. Und von diesem Gesichtspunkt aus sind die heutigen spezialisierten Agrarbetriebe dann auch Großbetriebe.
Doch wollen wir uns darauf nicht versteifen, derartige Betriebe “Großbetriebe” zu nennen. Wer sie auch weiterhin Kleinbetriebe nennen will: Uns ist es gleich. Wir ziehen eine andere Konsequenz aus dieser Sachlage. Und das ist, dass wir nicht mehr mit den Begriffen Großbetrieb - Kleinbetrieb operieren können. Wir kommen damit nicht von der Stelle und geraten in eine Sackgasse. Diese Unterscheidung muss daher als unbrauchbar verworfen werden. Das heißt aber zugleich, dass damit die Fragen der Sozialisierung neu gestellt werden.
Die unrichtige Auffassung der französischen Genossen in Bezug auf die einheitliche Bearbeitung des Bodens in Bezug auf den Zusammenschluss der Betriebe wirkt sich selbstverständlich auch aus in der Frage der Landarbeiterräte. Die revolutionäre Bewegung in Westeuropa von 1918 - 1923 hat das Landproletariat noch nicht in Bewegung gesetzt, und also haben wir noch keine Erfahrungen, wie dieses sich in dem Kampf um den Kommunismus organisiert. Ohne den Weg der Wirklichkeit zu verlassen, können wir darum nicht weitergehen, als schon in den “Entwicklungslinien” formuliert wurde, wo es heißt:
“Wie die Räteidee sich auf dem Lande durchsetzt, wie der Bau, die Struktur der Betriebsorganisationen und Räte auf dem Land sein wird, darüber ist noch sehr wenig zu sagen. Die revolutionäre Periode in Westeuropa hat uns in dieser Beziehung noch keine Erfahrung gebracht, und es hat keinen Sinn, organisatorische Formen für einen glatten Verlauf der Produktion auszudenken. Das würde heißen, den Boden der Wirklichkeit zu verlassen und sich in das Reich der Phantasie begeben.” (Seite 51) [39]
Es ist wahr: Diese Sachlage ist höchst unbefriedigend. Aber was ist daran zu wollen? Nein, sagt “L-€™Ouvrier Communiste”, die Sache ist jetzt schon zu klären. Schließlich ist es doch auch einfach, denn “die Diktatur der Räte auf dem landwirtschaftlichen Gebiet der Produktion kann nur durch Vermittlung der landwirtschaftlichen Arbeiterräte ausgeübt werden.” Mittels dieses Satzes lösen die Genossen die ganze Agrarfrage. Sie sagen, dass “es unmöglich ist, Betriebsräte der mittelgroßen Kulturen auszudenken”, weil diese höchstens 10 Mann umfassen würden. “Derartige Räte können nur in Großunternehmen bestehen”, die Lösung liegt daher so, dass die Großunternehmen, die aus dem Kapitalismus herrühren, einen Betriebsrat bilden, während die Landarbeiter überall die blöde Parzellierung aufheben und überall Großbetriebe schaffen. Damit sind dann die Bedingungen für die Bildung der landwirtschaftlichen Arbeiterräte gegeben, und die Frage ist gelöst.
Wir bezeichnen das als eine unfruchtbare Konstruktion. Es heißt, das Pferd beim Schwanz aufzäumen, wenn man die Grundstücke “eines ganzen Distriktes” zu einem Betrieb vereint, weil es sonst unmöglich wäre, einen Betriebsrat zu bilden. Die Struktur der Räte wird hier nicht von den Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft diktiert, sondern umgekehrt. Die Genossen konstruieren im Voraus die Räte, und demgemäß sollen die Produktionsbedingungen gemacht werden. Das ist ein unmarxistisches Verfahren und obendrein ein utopisches.
Wie bemerkt, ist nach unserer Meinung nur wenig zu sagen, wie die Räteidee sich in der Landwirtschaft durchsetzt. Die Betriebsorganisationen und Räte sind die besonderen Erscheinungsformen, der organisatorische Ausdruck von … ja, wovon? Von ihrer Funktion. Die Funktion ist das Wesentliche, das allgemeine, das sich in immer wechselnden Formen offenbart. Die Funktion wirkt nur in einer Verkörperung, einem Werkzeug, um in Tätigkeit treten zu können. Mit der Önderung der “Umwelt”, den Umständen, wirkt dieselbe Funktion sich daher immer anders aus. Die Vielgestaltigkeit ist dann nur der Ausdruck desselben Prinzips, das sich bei immer anders gestalteten “Werkzeugen” durchsetzt. Diese “Werkzeuge” sind die besonderen Erscheinungsformen des Allgemeinen.
Bei der proletarischen Revolution handelt es sich um die Aufhebung der Lohnarbeit, was nur möglich ist bei der “Leitung der produktiven Kräfte durch die Produzenten selbst”. Es tritt hier also die Funktion der Betriebsorganisationen und Räte in Erscheinung. Es ist das Allgemeine, das Wesentliche, das sich in dem Gesamtwirtschafts-körper in mannigfacher Gestaltung durchsetzt. Wie die Formen, in welchen diese selbstständige Leitung der produktiven Kräfte seitens der Produzenten sich manifestiert, auch wechseln, sie sind doch alle nur der immer anders geartete Ausdruck dieser selbstständigen Leitung.
Die Praxis des revolutionären Klassenkampfes hat uns die allgemeine Form gezeigt. Aber es ist von vornherein klar, dass dieses alte Prinzip sich in verschiedenen Wirtschaftsbranchen variierend gestalten muss. Gerade wie das Wirtschaftsleben “differenziert” ist, so auch das Rätesystem. Die selbstständige Leitung der produktiven Kräfte wirkt sich im Transportbetrieb anders aus als im Maschinenbau und hier wieder variierend mit Baubetrieb oder Unterrichtswesen. Kurz gesagt: Jede Wirtschaftsbranche hat seine eigene Schattierung, um das Wesentliche, die selbstständige Leitung der produktiven Kräfte, zu ermöglichen. Es sind immer vom wirklichen Leben anders gestaltete Öußerungen des Räteprinzips.
Der Irrtum, welcher den französischen Genossen unterlaufen ist, ist der, dass sie die besonderen Erscheinungsformen der Betriebsorganisationen und Räte der industriellen Betriebe, welche wir aus der Praxis kennengelernt haben, mit dem Allgemeinen verwechseln. Es ist eine Einengung des Bewusstseins, die zu einer schablonenhaften Auffassung der Revolution führt, welche das Wesentliche der Revolution verschleiert und wodurch man den Fragen der Wirtschaftsgestaltung nicht gerecht werden kann.
Aus diesen Gründen meinen wir, dass abgewartet werden muss, wie die alte Idee sich auf dem Lande durchsetzt. Unsere Propaganda kann nur sein: Nehmt die produktiven Kräfte in die eigene Hand! Wie die Landarbeiter das tun, können und müssen wir ihnen ruhig überlassen. Sie können es nur in irgendeiner Form des Räteprinzips. Und diese Form wird von den Produktionsbedingungen bestimmt sein. Das Meistwahrscheinliche ist, dass die Landarbeiter das Dorf als “Dorfkommune”, als Einheit in die Gesamtwirtschaft eingliedern. Sie erhalten Grund und Boden von der Gesellschaft zur selbstständigen gemeinschaftlichen Bewirtschaftung unter Kontrolle der Gesellschaft. Aber wie sie die Agrarwirtschaft innerhalb ihrer Kommune organisieren müssen, das ist ihre Sache. Allerdings wird im Getreidebau wohl meistens die kleine Parzellierung aufgehoben werden können, aber glücklicherweise sind sie dazu keineswegs gezwungen, weil sonst kein Betriebsrat zu bilden wäre. In einer ganzen Reihe von Zweigen der Agrarwirtschaft, insbesondere in der Milch- und Viehwirtschaft, ist eine derartige Zusammenlegung zum “Großbetrieb” nicht ohne weiteres möglich, weil die technischen Bedingungen dazu fehlen. Die heutige Viehwirtschaft wird jetzt schon vollzogen in tatsächlichen “Viehfabriken”. Ihre Erweiterung ist an denselben Bedingungen gebunden wie die der Industrie; es gehört ein ganzer Produktionsapparat an “festen” Produktionsmitteln dazu.
Maßgebend für die Entwicklung der Agrarwirtschaft ist aber, dass das Tempo nur von den Landarbeitern selbst angegeben werden kann, weil es vor allem darauf ankommt, dass sie die Leitung der produktiven Kräfte selbst in der Hand halten. Und andererseits ist das Tempo von der Entwicklung der ganzen Gesellschaft abhängig. Die französischen Genossen, die für eine sofortige, allgemeine “Kollektivierung” auftreten, weil ein Betrieb mit zehn Arbeitern keinen Betriebsrat bilden kann, täten gut, die Wirkung der formierten “Kollektivierung” in Russland aufmerksam zu beobachten. Nachdem sie sich vollzogen hatte, stellte sich heraus, dass keine Werkzeuge da waren, um das Land in der neuen Weise zu bearbeiten (nur an Traktoren ein zu wenig von 120 000), um von dem Fehlen der für Großbewirtschaftung notwendigen Bauten gar nicht zu reden. Die Folge ist, dass man unter dem Namen der Kollektivierung doch nicht anders als die alten Methoden der Bewirtschaftung anwenden kann.
Gerade all diese Umbauschwierigkeiten zeigen, dass die Frage von einer ganz anderen, sagen wir, neuen Seite angefasst werden muss. Wir müssen zurück zu Marx. Die agrarische Arbeit ist vergesellschaftet und darum kann sie, so wie sie ist, zum Kommunismus übergehen. Es handelt sich nur darum, sie zu verbinden durch die Durchführung der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit. Darauf vollzieht sich der Umbau organisch zu einem vernünftigen Produktionsapparat. Möge es richtig sein, dass der Privatbesitz ein schwerer Hemmschuh für die Entwicklung in der Landwirtschaft ist, dasselbe trifft zu für die Industrie. Der Umbau in der Landwirtschaft ist durchaus nicht größer als in der Industrie und in der Organisierung der Verteilung der Produkte. In dieser Beziehung sei zum Beispiel daran erinnert, wie Davis, der frühere Arbeitsminister in Amerika, ausführte, wie dort 40% der Kohlengruben mit 75% der Arbeiter imstande waren, den gesamten Kohlenverbrauch zu decken. Die Eisen- und Stahlwerke konnten in sieben Monaten den ganzen Jahresbedarf befriedigen. Die Fensterglasfabriken können den Jahresbedarf in 17 Wochen befriedigen und 14% der Schuhfabriken sind imstande, den ganzen Schuhbedarf zu decken. Gegenüber diesem Überfluss an Produktivkraft steht eine ganze Reihe Branchen, die ein Zuwenig aufweisen, wenn sie auf die Bedürfnisse der Massen umgestellt werden müssen. Es ist eine Umgestaltungsarbeit, welche nur aus der Praxis bestimmt werden kann, so dass wir für den Kommunismus nur die allgemeinen ökonomischen Grundlagen geben können, auf welchen sie vollzogen werden muss.
Diese ökonomische Grundlage haben wir schon mehrmals angegeben, und auch, dass die Betriebsorganisationen und Betriebsräte diese Grundlage zur Wirklichkeit machen werden. Nun müssen wir noch näher auf die Entgegnung der französischen Genossen eingehen, dass es unmöglich ist, “einen Betriebsrat der mittelgroßen Kulturen auszudenken”. Nach unserer Auffassung kann immer ein Betriebsrat gebildet werden, auch wenn die “Belegschaft” nur einen Mann umfassen würde. Zwar wird dieser Fall in der Praxis nicht vorkommen, aber doch stellen wir ihn vor, weil damit am klarsten hervortritt, was ein Betriebsrat eigentlich ist. Wir glauben doch annehmen zu können, dass keiner behaupten wird, dass das wesentliche Merkmal eines Betriebsrats durch die Zahl der Mitglieder bestimmt wird. Das wesentliche Merkmal liegt in der Funktion. Was ist nun die Funktion des Betriebsrats?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen wir ausgehen von den neuen Rechtsverhältnissen, so wie diese aus den neuen ökonomischen Verhältnissen hervorgehen. Diese sind dann so, dass mit der Aufhebung des Privatbesitzes die Produktionsmittel (im weitesten Sinne) in die Hände der Gesellschaft übergegangen sind. Die Arbeiter erhalten die Betriebe nicht als ihren “Besitz”, sondern sie erhalten diese gesellschaftlichen Güter, auch Rohstoffe, zur selbstständigen Bewirtschaftung für die Gesellschaft. Sie verwalten die Güter und leiten die Produktion “im Namen der Gesellschaft”. Diese Verwaltung verläuft nach den allgemein gültigen Regeln, welche für jede gesellschaftliche Arbeit Geltung haben und welche dahin lauten, dass jeder Betrieb seinen Verbrauch an gesellschaftlichen Gütern berechnet, um die Produktionszeit der Produkte feststellen zu können.
Auf dieser ökonomischen Grundlage bauen sich die neuen Rechtsverhältnisse auf. Davon sei hier nur erwähnt, dass die Belegschaft durch ihren Betriebsrat als “Rechtsperson” auftritt. Das heißt, der Betriebsrat vertritt die Belegschaft nach außen, er versorgt die Verbindungen mit den übrigen Betriebsorganisationen und Körperschaften und legt die Verantwortung des Güterverbrauchs ab.
Das ist die Funktion des Betriebsrates, und man sieht, dass sie in gar keinem Zusammenhang steht zu der Zahl der Mitglieder. Besteht die “Belegschaft” aus nur einem Arbeiter, so ist dieser zugleich “Betriebsrat” kraft der Funktionen, die er auszuüben hat. Daher ist die Meinung, dass zehn Mann keinen Betriebsrat bilden können, falsch. Der Irrtum ist darauf zurückzuführen, dass man fälschlich haftet an einem Namen. Man verwechselt den Namen mit der Funktion, was immer eine eingehende Fassung der Probleme behindert.
Zwar enthalten die Ausführungen der französischen Genossen noch mehr Anhaltspunkte für eine nähere Untersuchung, aber doch wollen wir unsere Ausführungen hierauf beschränken. Einmal aus Raummangel, dann aber, weil es hier um die Kernpunkte geht, in denen unserer Meinung nach vor allem Klarheit geschaffen werden muss. Darum würden wir es begrüßen, wenn noch mehr Genossen zu diesem Thema das Wort ergreifen.
Gruppe Internationaler Kommunisten Holland
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Seit einem Jahre werden in der amerikanischen Presse der IWW und im “Kampfruf” der AAUD Diskussionen geführt über eine eventuelle nähere Verbindung. Die “Gruppen der internationalen Kommunisten” in Holland nahmen dazu folgenden Standpunkt ein. (PIC)
In der “Industriel Solidarity” Nummer 601 - 604 schrieb das Mitglied der IWW P.M.[40] einen Artikel, worin er auf eine Verbindung zwischen der IWW und der AAUD drängt. Diese Verbindung sollte die Grundlage für eine neue Internationale des revolutionären Klassenkampfes legen. In einem späteren Artikel, erschienen in “Ino”, stellt er selbst den Antrag zur Diskussion, dass die AAUD sich einfach als Abteilung Europa der IWW konstituieren solle, während die verschiedenen Gruppierungen in der deutschen Rätebewegung sich der deutschen IWW anzuschließen hätten. Das Ideal der IWW, die “One Big Union”- “eine große Gewerkschaft”, wäre damit einem ziemlichen Ende näher gerückt.
Der erste Artikel wurde zum Ausgangspunkt für eingehende Betrachtungen von Josef Wagner, der den Standpunkt der IWW in dieser Angelegenheit formulierte. Er gab damit eine klare Darstellung der Grundlagen, auf denen die IWW aufgebaut ist. Die Antwort der IWW ist noch nicht vollständig erschienen.
Obwohl es vorläufig nur um eine Verbindung zwischen der IWW und AAUD geht, ist die wirkliche Bedeutung eines eventuellen Zusammenschlusses doch viel weitgreifender, weil die neue revolutionäre Rätebewegung, wovon in verschiedenen Ländern die ersten Ansätze vorhanden sind, damit verpflichtet würden, sich gleichfalls der IWW anzuschließen. Die Diskussion, die augenblicklich im Gange ist, ist darum nicht nur eine Angelegenheit der AAU und der IWW, sondern eine internationale Frage. Die sich entwickelnde revolutionäre Rätebewegung in Europa darf diese Diskussion darum nicht unaufgemerkt lassen, auch sie hat dabei ein Wörtchen mitzureden. Darum nehmen auch wir, als die Gruppen Internationaler Kommunisten (Holland), an dieser Diskussion teil.
Um es vorwegzusagen: Die Artikel von J. Wagner haben in aller Deutlichkeit gezeigt, dass von einer organisatorischen Zusammenschmelzung der IWW und der Rätebewegung keine Rede sein kann. Ihre Grundauffassungen laufen so weit auseinander, dass nur von einer oberflächlichen Übereinstimmung gesprochen werden kann.
Obwohl wir also mit den Anschauungen der IWW nicht übereinstimmen, so darf man daraus nicht schließen, dass wir den “Wobblies”[41] feindlich gegenüberstehen. Im Gegenteil: Wir wissen, dass, was an revolutionären Kräften in Amerika vorhanden ist, diese sich in der IWW konzentriert haben, und dass der Kampf für eine neue Weltordnung nicht nur mit Worten, sondern in der Tat und mit voller Hingabe als Ideal geführt wird. Um die holländischen Genossen näher mit der IWW bekannt zu machen, haben wir deren Broschüre “Die IWW, was sie ist und was sie nicht ist” ins Holländische übersetzt und veröffentlicht: Bei dieser Veröffentlichung machten wir die Bemerkung, dass wir den Inhalt nicht unterschreiben und bei passender Gelegenheit auf die Grundsätze der IWW eingehen würden. Das ist bis jetzt nicht geschehen, weil die Umstände nicht direkt dazu zwangen. Die jetzt angefangenen “Einigungsdebatten” aber haben die Grundsätze der IWW in das Feld der praktischen Politik gebracht und nun müssen wir uns von den Unterschieden, die zwischen der revolutionären Arbeiterbewegung in Amerika (IWW) und in Europa (Rätebewegung) bestehen, Rechenschaft geben. Die folgenden Artikel haben also nicht den Zweck, die Richtigkeit unseres Standpunktes zu beweisen, sondern nicht mehr, als die verschiedenen Auffassungen einander gegenüberzustellen.
Einer der Unterschiede zwischen der IWW und der Rätebewegung, der direkt ins Auge fällt, ist der Unterschied in der Form der Organisation. So wie Wagner schon auseinanderlegte, wurden die Räte aufgebaut aus Vertretern der verschiedenen Betriebe, ohne Rechnung zu halten mit der Industrie, zu der diese Betriebe gehören. Sie bilden so einen örtlichen Arbeiterrat, während die Räte aus den verschiedenen Städten zu Bezirksarbeiterräten zusammengefasst wurden. Die Bezirksarbeiterräte schließen sich dann zusammen zu Räten des Landes. Von einer Organisation nach Industrien, wie sie die IWW kennt, ist also nicht die Rede.
Die IWW findet diese Struktur unverständlich und dumm. Was sollen diese Betriebsorganisationen - lose verbunden in der AAU -, wo absolut keine Rechnung mit der Industrie gehalten wird, gegen das mächtige Industriekapital beginnen können? Spricht es nicht für sich selbst, dass der Stahltrust zum Beispiel nur bekämpft werden kann, wenn die Arbeiter in der Stahlindustrie fest aneinandergeschlossen sind als Arbeiter der Stahlindustrie? Wie ist es nur möglich, dass die revolutionären Arbeiter in Europa eine so einfache Wahrheit nicht einsehen können? Warum folgen sie unserem Beispiel nicht? Und bilden durch Industrieorganisationen eine starke Waffe gegen die organisierten Industriebarone?
Obwohl es den Anschein hat, dass es hier um eine organisatorische Frage zweiten Ranges geht, so ist das doch nicht so. Im Gegenteil: Hier wird sichtbar, dass die IWW und die Rätebewegung in ihren Auffassungen über den Klassenkampf vollkommen auseinander gehen.
Die Arbeiterklasse schafft sich für ihren Kampf ein Werkzeug, ein Organ, die Organisation. Das Werkzeug, die Organisation, muss natürlich der Aufgabe angepasst sein, ihre Struktur, ihr innerer Bau muss in Übereinstimmung mit dem Ziel sein, das man erreichen will. Die Struktur ist die sichtbare Erscheinungsform der Zielsetzung der kämpfenden Arbeiter sowie ihrer Auffassung vom Klassenkampf. Die Tatsache, dass die IWW und die AAU verschiedene Formen von Organisation darstellen, sagt darum auch nichts anderes, als dass diese Auffassungen grundsätzlich auseinandergehen. In unseren weiteren Untersuchungen werden wir sehen, dass dieses tatsächlich so ist.
Der eigentliche Unterschied zwischen der IWW und der Rätebewegung wurzelt demnach in Wirklichkeit viel tiefer als in der äußerlichen Erscheinungsform der verschiedenen Organisationen. Und wenn die IWW verlangt, dass die Rätebewegung ihren organisatorischen Aufbau verändern und sich zur Industrieorganisation umstellen soll, dann verlangt sie in Wirklichkeit viel mehr als einen organisatorischen Umbau: Sie verlangt damit eine totale Revidierung der Zielsetzung der Rätebewegung.
Bei der IWW ist der Verband zwischen der Struktur der Organisation und ihrem Ziel schon sehr deutlich zu sehen. Wenn man der IWW glauben will, dann sind die Dinge doch so einfach, dass jeder Arbeiter sie direkt begreifen kann. “Der Arbeiter braucht nicht zu wissen, wie er Aufsätze über den Klassenkampf schreiben muss”, sagt Wagner richtig. Nach der IWW ist es genügend, wenn der Arbeiter weiß, dass die Höhe des Lohnes abhängig ist von der Macht, die die Arbeiterklasse im Lohnkampf entwickelt. Darum ist die Parole: Organisiere dich, dann können wir bei hundertprozentiger Organisation und revolutionärem Klassenkampf die Löhne diktieren. Die Arbeiterklasse hat es nach der IWW vollkommen in der Hand, durch den Lohnkampf den Mehrwert, der heute von der besitzenden Klasse angeeignet wird, fortwährend weiter zu beschneiden, um ihn schließlich auf Null zu reduzieren. Wagner formuliert dies folgendermaßen:
“Mehrwert: die Quelle des kapitalistischen Reichtums und der kapitalistischen Ausbeutung, sagt Marx. Und danach handelt die IWW. Sie greift den Kapitalismus an seiner Wurzel an, sie erkennt das Recht der Kapitalisten auf diesen Mehrwert nicht an. Marx sagt weiter, dass weder der Mehrwert noch die Löhne feste Kristalle sind, einmal und für immer bestimmt, sondern dass sie mehr oder weniger sein können, je nachdem, in welchem Verhältnis die Kräfte der zwei entgegengesetzten Kräfte im Klassenkampf stehen. Wenn die Arbeiter schwach und nicht organisiert sind, wächst der Mehrwert und sinkt der Lohn, während der Mehrwert sinkt und die Löhne steigen (die wirklichen Löhne), wenn die Arbeiter organisiert und imstande sind, gegenüber der kapitalistischen Macht eigene Macht zu entwickeln. Darum sagt die IWW, dass die Arbeiter genügend Macht organisieren müssen mit dem Ziel: Mehrwert zum möglichst tiefen Minimum herunterzudrücken, zu Null. Wenn das erreicht ist, ist kein Kapitalismus und sind keine Klassen mehr.” (Ind. Sol. Nummer 617).
Darum lehnt die IWW jede politische Aktion ab. Nach ihrer Auffassung genügt der wirtschaftliche Kampf für die fortwährende Verbesserung der Arbeitsbedingungen, um zum Kommunismus zu gelangen. Aber in diesem wirtschaftlichen Kampf schreckt sie vor nichts zurück. Und wenn die politische Macht des Staates und die Söldnerbande der Besitzer versuchen, die Arbeiter niederzuschlagen, zeigen die “Industriearbeiter der Welt” einen unbesiegbaren Geist von Widerstand. Aber eine organisierte, bewaffnete Verteidigung lehnen sie aus praktischer Überlegung ab, weil sie doch niemals gegen die militärische Gewalt der Besitzenden aufkommen können. Zähes Festhalten, trotz Toten und Gefängnisstrafen, ist die Parole, und wenn es eben möglich ist, den Streik auf andere Industrien ausbreiten. Und es muss gesagt werden: Die Wobblies haben uns verschiedene glänzende Beispiele gezeigt, wie sie den kapitalistischen Mächten Widerstand zu leisten verstanden und wussten zu siegen, weil die Gefängnisse schließlich zu klein waren. (Die Kampagne für das “Recht auf der Straße”).
Die erwähnte Lohntheorie ist der Grundpfeiler der IWW. Und darum spricht es für sich selbst, dass sie nach Industrien aufgebaut ist. Die Arbeitsbedingungen müssen industrieweise verbessert werden, und darum muss auch die Organisation nach Industrien aufgebaut sein. Der Verband zwischen der Struktur und dem Bau der Organisation ist in Übereinstimmung mit ihrer Aufgabe, mit ihrer Funktion. Die Organisation ist vollkommen dem Zweck, dem sie dient, angepasst.
Bei der Rätebewegung ist die Beziehung zwischen Struktur und Ziel ebenso deutlich wie bei der IWW. Wenigstens für die Arbeiter in Europa. Für die amerikanischen Arbeiter ist es vielleicht nicht so deutlich, weil die Rätebewegung aus der Praxis der Revolution entsprungen ist … und die amerikanischen Arbeiter noch in keiner Revolution gestanden haben.
Die Rätebewegung ist kein “Kriegskind”, wie Wagner meint, sondern ein “Kind der Revolution”. Als im November 1918 in Deutschland die Revolution ausbrach, war in ein paar Wochen das ganze Land mit Betriebsräten überdeckt, die sich zu Orts- und Landesräten verbanden. Bei dieser Rätebildung müssen wir vor allem im Auge behalten, dass sie nicht das Resultat einer Propaganda für neue Organisationsformen waren. Wohl hatten die russischen Arbeiter im November 1917 durch die Räte die Macht erobert, doch bei der Masse der deutschen Arbeiter war diese Tatsache durch die strenge militärische Zensur nahezu nicht bekannt. Dass die deutschen Arbeiter, ohne mit dem Sowjetsystem bekannt zu sein, doch in die Fußstapfen der russischen Arbeiter traten, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass es die “natürliche” Organisationsform der Arbeiter im Kampf für die Vernichtung des Kapitalismus war. Nach unserer Überzeugung wird es in Amerika auch so sein. Die IWW wird das sehr bald erfahren, wenn in Amerika die Massen selbst auf der ganzen Linie in Bewegung kommen, das heißt, wenn eine Revolution ausbricht.
Denn was ist eine “Revolution”? Es ist nichts anderes, als dass die breiten Massen selbst aktiv in das gesellschaftliche, ökonomische und politische Leben eingreifen.
Die psychischen Kräfte brausen überall auf und spontan gebildete Organisationen brechen sich Bahn. So - wie diese Selbstaktivität zurückebbt, so - wie die Massen die Wahrnehmung ihrer Interessen wieder an “Vertreter” übertragen, ist die Revolution vorbei.
Diese Massenaktivität ist für die herrschende Klasse natürlich besonders gefährlich, und darum greift sie sofort ein, wenn sie sich offenbart. Wenn nun die Aktion auf ökonomischem Gebiet ihren Ausgangspunkt hat, so wird sie doch angeblich durch den Machtapparat der Bourgeoisie auf politisches Gebiet gedrängt. Dadurch sind die Massen gezwungen, ob sie wollen oder nicht, ihre Kräfte gegen den Staat zu richten, um diesen zu vernichten. Im Kampf werden dadurch die Massen radikalisiert, der weitere Verlauf des Kampfes führt dadurch zur Verleugnung der ursprünglichen Ausgangspunkte des Kampfes.
Die deutsche Revolution hat uns sehen lassen, in welcher Weise die Vernichtung des kapitalistischen Staates geschieht. Um Macht gegen Macht zu setzen, waren die Arbeiter gezwungen, die Großbetriebe als strategische Punkte im Klassenkrieg zu besetzen. Die Besetzung der Betriebe trug in Deutschland noch nicht den Charakter der Aufhebung des Privatbesitzes, es war vorläufig nichts anderes als eine Maßnahme im Klassenkrieg.
Von einer Aufhebung des Privatbesitzes, von der Fortsetzung der Produktion unter der Leitung der Arbeiter selbst, konnte erst die Rede sein, wenn die politische Macht der Bourgeoisie gebrochen war, wenn die Machtmittel des kapitalistischen Staates (und damit dieser Staat selbst) vernichtet waren. Doch so weit ist es nicht gekommen: Die Arbeiter wurden geschlagen.
Es ist also nicht zufällig, dass die Arbeiter keine Industrieorganisation bildeten. Auch verhindert [durch] die politische Partei (KAPD), so wie Wagner meint. Die Form der Räteorganisation wurde bestimmt durch die Vorbedingungen, die die Vernichtung des kapitalistischen Staates stellt. Die Arbeiter waren gezwungen, als Klasse gegen die Bourgeoisie aufzutreten, ohne Rücksicht darauf, zu welcher Industrie sie gehören. Darum ist die Struktur der Rätebewegung in Übereinstimmung mit dem Ziel. Die Geschehnisse in Deutschland haben praktisch gezeigt, dass der erste Grundsatz der proletarischen Revolution in der Eroberung der politischen ökonomischen und politischen Macht besteht. Sie sind untrennbar verbunden, sie sind zwei Seiten von derselben Sache. Wenn wir die Betriebe besetzt haben, können wir diese ökonomische Macht nicht gebrauchen, wenn wir nicht die proletarische [politische] Macht der Bourgeoisie vernichtet haben. Und wir können die politische Macht der Bourgeoisie nicht vernichten, wenn wir die Betriebe nicht in den Händen haben. Es ist nicht gut, diese Meinungsverschiedenheit mit der IWW, die von einer Eroberung der politischen Macht nichts wissen will, zu verschleiern.
Die Eroberung der politischen und ökonomischen Macht durch die Räte veranlasst uns, mit ein paar Worten auf die Rolle der politischen Partei der Revolution einzugehen. In dieser Frage ist noch keine einheitliche Auffassung in der Rätebewegung vorhanden, - wir sprechen darum auch nur von dem Standpunkt, den die AAU und die Gruppe Internationaler Kommunisten Hollands in dieser Frage einnehmen. Kurz zusammengefasst ist dieser so zu umschreiben, dass die Rätebewegung vollkommen frei von jeder politischen Partei stehen muss und dass die politische und ökonomische Macht durch die Räte ausgeübt wird.
Ohne Zweifel wird es immer Parteien geben. Die verschiedenen Parteien sind dann der Ausdruck der Tatsache, dass innerhalb der Arbeiterklasse verschiedene Auffassungen über die Durchführung des Kommunismus entstehen. Nun kann die IWW wohl annehmen, dass sie ein so vollständiges Programm hat, dass kein Unterschied in den Auffassungen möglich ist, aber doch werden noch ansehnliche Arbeitergruppen in Amerika sein, die bei einer Revolution eine andere Auffassung über die Durchführung des Kommunismus haben. Diese bilden natürlich eine Partei (ob nun innerhalb oder außerhalb der IWW, das ist nebensächlich), um den Kampf gegen die nach ihrer Überzeugung falschen Auffassungen der IWW zu führen. Und wenn wir uns nicht irren, dann sind diese Meinungsverschiedenheiten schon heute [42][in der IWW vorhanden. Zur IWW gehören zumindest Syndikalisten, Marxisten, Anarchisten und wahrscheinlich auch andere. Die Tatsache, dass alle diese Gruppen sich unter dem gleichen Programm der IWW vereinen können, bedeutet nur, dass die IWW sich den Problemen der sozialen Revolution noch nicht gestellt hat.
Wenn wir also glauben, dass es in der Revolution verschiedene Parteien geben wird, glauben wir auch, dass die Räte diesen Parteien keinen Einfluss auf ihre Organisation geben sollten. Die proletarischen Parteien können die Propaganda für ihre Ansichten führen, auch in der Revolution, unabhängig von der Räteorganisation. Die Räteorganisationen werden ihre Positionen zu Fragen des Kommunismus unabhängig von den Parteien bestimmen.
Leider glaubt Wagner, dass der AAUD in diesem Punkt nicht vertraut werden kann, nachdem er einen Brief, den Genosse Mattick an eine Konferenz der AAUD richtete, genau - wie er meint - unter die Lupe genommen hat. In diesem Brief soll Mattick erklärt haben, wie eine kleine Gruppe in Chicago daran arbeitet, die IWW in eine kommunistische Arbeiterpartei umzuwandeln. Wagner übersetzte einen Teil des fraglichen Briefes, und ja, er fand den Hinweis! Und anstatt dass die AAUD sich gegen diese Angriffe auf die IWW aussprach, protestierte sie überhaupt nicht. Laut Wagner hat dies deutlich gezeigt, dass ein Fuchs seine Haare verliert, aber nicht seine Tricks, und dass die AAUD in Wirklichkeit immer noch die alte Parteiposition beibehält.
Als wir Wagners Übersetzung gelesen hatten, sagten wir sofort: “Das kann nicht richtig sein.” Wir kennen Matticks Meinung zu diesem Punkt zu gut, um es für möglich zu halten, dass er solchen Unsinn hätte sagen sollen. Deshalb haben wir die Originalschrift mit dem deutschen Text zur Kenntnis genommen ? und festgestellt, dass Wagner das ganze Stück falsch gelesen hat ? und sie daher falsch interpretiert hat. Es stimmt nicht, dass der IWW in eine KAP umgewandelt werden soll. Es heißt nur, dass verschiedene Arbeiter in Chicago versuchen wollen, einen Kern zu bilden, der hofft, später der IWW den Charakter der AAUD zu verleihen. Und weiter wird dieser Kern versuchen, eine KAP in Amerika zu bilden. Mehr war aus dem Schreiben nicht zu entnehmen, und das unterscheidet sich sehr von dem, was Wagner liest.
Welchen Charakter möchte diese [Gruppe] der IWW geben? Was ist das für ein Charakter der AAUD? Es ist das Prinzip, dass die Eroberung der politischen UND wirtschaftlichen Macht untrennbar miteinander verbunden sind und dass die Arbeiter in der Revolution die politischen Machtpositionen besetzen müssen. Diese Gruppe ist überzeugt, dass die heutige rein wirtschaftliche Ausrichtung der IWW, die in der IWW-Lohntheorie gipfelt, in eine Sackgasse führt. Sie ist offensichtlich der Ansicht, dass die IWW, wie sie heute ist, den Problemen der Revolution nicht gewachsen ist, so dass die Revolution ihr über den Kopf wächst. Im Wesentlichen dreht sich alles um die “Revision” der Lohntheorie, von der die IWW glaubt, dass sie von Marx stamme, von der wir jedoch glauben, dass sie der marxistischen Wertlehre völlig widerspricht.] Nun wollen wir an dieser Stelle nicht darüber streiten, ob die Lohntheorie der IWW marxistisch ist oder nicht. Auch wollen wir nicht die Unrichtigkeit dieser Theorie aufzeigen. Wir wollen allein darauf verweisen, dass die Rätebewegung in direktem Gegensatz zu diesen Auffassungen steht. Die Lohntheorie, die den Grundpfeiler der IWW bildet, die ihre ganze Struktur bestimmt, die ihre Auffassungen in den Fragen der Durchführung des Kommunismus als Ausgangspunkt nimmt, sie wird durch uns verworfen. Nach unserer Auffassung wird diese Lohntheorie die Arbeiter von Niederlage zu Niederlage führen, und sie wird die IWW vernichten, wenn sie dieselbe nicht bald aufgibt.
Zum Schluss wollen wir noch darauf hinweisen, dass die IWW die Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten aufbauen will, während die AAU solche kühnen Pläne nicht in ihrem Programm hat, - dies ist eine der Grundprinzipien der IWW, so viel wie ihr Glaubensbekenntnis; es ist die kurze kräftige Formulierung, nach der sie die Arbeiter für den Kommunismus sammelt; es ist der zentrale Programmpunkt, der in jeder Zeitung abgedruckt wird und den man in allen Artikeln und Reden wiederfindet. Die IWW sieht in der Bildung von Industrie-Organisationen auf allen Gebieten die nicht zu umgehende Vorbedingung für die Durchführung des Kommunismus. So glaubt die IWW zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Durch die Vereinigung der Arbeiter in Industrie-Organisationen sind sie dem Industriekapital gewachsen, und sie bauen zugleich damit die Organe, die die Produktion nach der Eroberung der ökonomischen Macht fortsetzen.
Eigentlich war es ziemlich überflüssig von der IWW, diesen Punkt in ihr Programm aufzunehmen. Es ist nun einmal so, dass jede Organisation sich anmaßt, berufen zu sein, die Produktion nach der Überwindung des Kapitalismus in die Hand nehmen zu müssen. Jede Organisation im Klassenkampf denkt, dass sie “die Struktur der neuen Gesellschaft im Schoße der alten” aufbaut. Die Tatsache, dass die verschiedenen Organisationen eine verschiedene Struktur haben, drückt auch aus, dass sie alle eine verschiedene Auffassung von der Durchführung des Kommunismus haben. Die Struktur einer Organisation für den praktischen Klassenkampf und ihre Auffassung über den Kommunismus stehen in direkter Beziehung zueinander. Es ist dies eine so enge Beziehung, dass man aus der Struktur einer Organisation ihre Auffassungen über den Kommunismus ableiten kann. In Europa tritt diese Erscheinung in der Gewerkschaftsbewegung (Gildensozialismus und Betriebsdemokratie) und auch in den politischen Parteien (die radikale Sozialdemokratie vom Typ Moskau und die Reformisten der Zweiten Internationalen) sehr deutlich zutage. Die föderative Struktur der syndikalistischen Gewerkschaften stimmt auch wieder überein mit einer Auffassung über den Kommunismus, die ihm einen ausgeprägt föderalistischen Charakter gibt. Und darum war es wirklich überflüssig diesen Punkt besonders im Programm der IWW aufzunehmen. Alle sogenannten sozialistischen oder kommunistischen Organisationen sind der Ansicht, dass sie die Struktur der neuen Gesellschaft im Schoße der alten aufbauen. Die Moskau-Kommunisten zum Beispiel gedenken das zu tun durch die Schaffung einer Partei mit eiserner Parteidisziplin und der “Eroberung” der Gewerkschaften. Die Partei wird dann im Kommunismus zum Kern des Staatsapparates, während die Gewerkschaften als Vermittler auftreten müssen zwischen den Arbeitern und dem Staat (Die Gewerkschaften sollen kollektive Arbeitsverträge mit den Führern der Staatsbetriebe abschließen). Das ist ihre Auffassung vom Bauen der Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten.
Wenn also die IWW diese Formulierung in ihr Programm aufgenommen hat, dann wird dies an sich keinen Unterschied mit der Rätebewegung ausmachen. Es kommt nur darauf an, was die IWW darunter versteht. Aber gerade diese nähere Erklärung bildet einen direkten Gegensatz zu den Auffassungen der Rätebewegung. Eine Organisation mit den Auffassungen der IWW in Europa würde hier mit aller Schärfe bekämpft werden, weil diese Auffassung in scharfem Gegensatz zu der revolutionären Entwicklung in Europa steht.
Die IWW hat wohl die soziale Revolution auf ihrem Programm, aber sie macht diese abhängig von der organisatorischen Macht der IWW. Sie übersetzt den bekannten Satz von Marx, dass die neue Gesellschaft im Schoße der alten geboren wird, in dem Sinne, dass die Arbeiterklasse im Laufe der Zeit sich in der Organisation der IWW den Apparat aufbaut, womit sie die Produktion fortsetzen kann. “Nur wenn das Proletariat eine Form entwickelt hat (gemeint wird ein organisatorischer Apparat - GIC), die die Interessen des Menschen beherzigen kann, dann wird die soziale Revolution eine der Tatsache der Geschichte werden.” (The IWW what it is ? Seite 29). Solange die IWW noch nicht genügend Industrien organisiert hat, kann von einer sozialen Revolution keine Rede sein. “Wenn die organisierte Macht des Proletariats größer wird als die organisierte Macht der anderen Klasse, dann wird die soziale Revolution kommen.” (25 Years … Seite 12)
Die Organisation, die diese organisierte Macht zustande bringen soll, die alle Arbeiter, welche Arbeit sie auch verrichten, umfasst, das soll die “One Big Union” (eine große Union), die IWW sein. Sie baut ihre Organisation so auf, dass diese, ihrer Meinung nach, die Produktion ohne Weiteres von den Unternehmen übernehmen kann.
Die Organisation ist zu diesem Zwecke in sechs Departements zusammengefasst (zum Beispiel die Departements für Landwirtschaft, Transport, öffentliche Betriebe usw.), in denen die dazugehörenden Industrie-Organisationen zusammengefasst sind. Je mehr Industrien die IWW zu organisieren weiß, desto vollständiger ist sie in den Departements zusammengefasst.
Wenn schließlich die Mehrheit der Arbeiter in diesem Sinne verbunden ist, dann steht dem organischen Funktionieren der Produktion nur noch das Gewinninteresse der Unternehmer und Kapitalisten im Wege. Darum ist auf dieser Stufe von organischer Entwicklung eine Revolution unvermeidlich, denn “sowohl in der Theorie als in der Praxis beginnt und endigt die IWW mit der Idee, dass, wenn die Arbeiter der Welt die Industrien in der Welt beherrschen, sie diese auch besitzen und kontrollieren müssen.” (The IWW in Theory and Practice. Seite 5).
Die IWW ist darum auch ein Gegner des bewaffneten Aufstandes im Klassenkampf. Sie ist davon überzeugt, in militärischer Hinsicht niemals dem Kapital gewachsen zu sein, sie überlässt darum die Gewalt der herrschenden Klasse. Aber niemals schreckt sie vor den Maschinengewehren und Gasbomben der Bourgeoisie zurück, sie nimmt sie als die nun einmal notwendigen “Kriegskosten” hin. Ein unerschütterlicher Idealismus gibt den Wobblies die Kraft, um mit Ruhe den Mörderbanden des amerikanischen Kapitals unbewaffnet entgegenzutreten. Der Sieg der Arbeiterklasse ist nicht der mit Erfolg durchgeführte bewaffnete Aufstand, sondern dieser Sieg, die soziale Revolution, fällt als eine reife Frucht in die Hände der Arbeiterklasse, wenn die Arbeiter überall in Industrie-Organisationen zusammengefasst sind. Darum sieht die IWW das Wachsen der sozialen Revolution in dem Wachsen ihres organisatorischen Apparates. Der Lohnkampf ist dabei der Hebebaum des Kommunismus. Der Lohnkampf soll den Mehrwert fortwährend weiter angreifen, so dass dieser “auf Null” gebracht ist, während zugleich der Kampf um die Kontrolle der Produktion den Kommunismus Schritt für Schritt näherbringt. “Wenn wir organisiert sind, werden wir, die Arbeiterklasse, die Macht haben. Mit dieser Macht werden wir zurücknehmen, was uns gestohlen ist. Wir werden stets mehr Lohn von unseren Unternehmen fordern. Wir fordern und erzwingen stets weniger Arbeitsstunden. Wenn wir diese Forderungen durchsetzen, vermindern wir dadurch die Gewinne der Unternehmer. Wir nehmen ihnen die Macht weg und gewinnen diese Macht für uns. Wir werden fortwährend besser diszipliniert und bekommen stets mehr Selbstvertrauen.” (The revolutionary IWW, Seite 11)
“Die industrielle Macht ist die unwiderstehbare Kraft, die die IWW auf den Kampfplan bringen wird. Wenn die Macht der Arbeit, die in jeder Industrie und in allen Industrien notwendig ist, kontrolliert wird durch eine Organisation, die alle Arbeiter, welche Arbeit sie auch verrichten, umfasst, wird es nicht nur möglich, sondern sogar sicher sein, dass diese Kontrolle angewandt wird in der Richtung zur Erlangung eines höheren Lebensstandards, als Meilensteine auf dem Weg zur industriellen Freiheit.” (The IWW, what it is, Seite 37)
In Wirklichkeit ist “das Bauen der Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten” nach der Auffassung der IWW ein revolutionärer Prozess. Wir wachsen so langsam in den Kommunismus hinein. Wir höhlen langsam den fetten Käse des Mehrwertes von innen aus, so dass die Hülle später als ein überflüssiges Ding, durch niemanden begehrt, weggeworfen wird.
In der gleichmäßigen Entwicklung zum Kommunismus zeigt die IWW also eine wunderbare Übereinstimmung mit den Auffassungen der reformistischen Gewerkschaftsbewegung in Europa. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass die Gewerkschaftsbewegung diesen Zustand glaubt erreichen zu können durch Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit (kollektive Arbeitsverträge), während die IWW sich dessen bewusst ist, dass der Wachstumsprozess sich unwiderruflich gegen das Kapital vollziehen muss. (Eine IWW-Organisation in Montana wurde als Organisation aus der IWW ausgeschlossen, weil sie einen Kontrakt mit den Unternehmern abgeschlossen hatte. Siehe: The IWW in theory and practice, Seite 78).
Es liegt auf der Hand, dass die Rätebewegung diese Auffassung vom “Bauen der Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten” nicht teilen kann. Nach unserer Auffassung ist das Entstehen einer Revolution nicht gebunden an “die organisierte Macht” des Proletariats. Die Revolution klopft an die Tür der Geschichte, wenn die Illusion von der Demokratie und den Verbesserungen der Lebensbedingungen innerhalb des Kapitalismus gebrochen ist und der anhaltende Druck auf die Massen so gewaltig geworden ist, dass nicht die geringste Hoffnung auf einen Ausweg übrigbleibt. Dann entladen sich die physischen Spannungen in Selbstaktivität, ohne erst das Hauptquartier der IWW Chicago oder auch in Berlin zu fragen: Seid ihr bereit mit euren Industrie-Organisationen?
Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass sich die Massen erst in der Revolution organisieren, aber nicht nach den Prinzipien der Industrie-Organisation. Und darum kann die Rätebewegung die Präambel (Prinzipienerklärung) der IWW nicht anerkennen: Nicht wegen dem, was darinsteht, sondern wegen der näheren Erklärung, wie sie in den Schriften der IWW niedergelegt ist.
Wie steht nun die Rätebewegung der Durchführung des Kommunismus gegenüber? Ist aus der Struktur der Rätebewegung auch ihre Auffassung über den Kommunismus abzuleiten? Das ist sicher der Fall. Wohl baut sie nicht die neue Gesellschaft im Schoße der alten auf, wohl baut sie ihren Apparat in Wirklichkeit erst in der Revolution, aber doch werden ihre Auffassungen durch ihre Auffassungen [über] ihre Struktur bestimmt, weil wir der Meinung sind, dass das Betriebsleben unter der Verwaltung der Betriebsorganisation fortgesetzt wird.
Es ist eigentlich nicht ganz richtig von den Auffassungen über den Kommunismus in der Rätebewegung zu sprechen. Ihre Auffassungen gehen nicht über die Parole hinaus: “Nimm die Produktionskräfte durch die Betriebsorganisationen in eigene Hände.” Sie spricht wohl von der Aufhebung der Lohnarbeit, aber sie sagt nicht, wie das geschehen soll, sie sagt nicht, an welche Bedingungen das gebunden ist. Mit anderen Worten: Sie hat keine Vorstellung von den Bewegungsgesetzen des kommunistischen Betriebslebens. Die französischen Genossen gehen scheinbar einen Schritt weiter, indem sie die Aufhebung der Lohnarbeit verlangen durch die Abschaffung des Marktes und des Geldes, während das Betriebsleben sich “ohne Arbeitszwang” vollziehen soll. Doch dies ist nur scheinbar ein Schritt weiter, weil nur angegeben wird, wie es nicht sein soll, - ohne Markt, ohne Geld und kein Arbeitszwang. Aber damit können wir sehr wenig anfangen, weil wir wissen müssen, wie es wohl sein muss. In dieser Frage schweigen die Räteorganisationen in allen Sprachen, wodurch nicht mehr gesagt wird, als dass man in Wirklichkeit keine Vorstellung von der konkreten Aufgabe der sozialen Revolution hat.
Dies ist natürlich eine unhaltbare Position für eine Bewegung, die die Durchführung des Kommunismus auf ihre Fahne geschrieben hat. Die Rätebewegung fordert die Arbeiter auf, das Lohnsystem zu vernichten, aber eine Vorstellung von den Bedingungen, die damit verbunden sind, hat sie nicht. Ein Teil der Rätebewegung ist sich dieses Mangels sehr gut bewusst, während ein anderer Teil der Meinung ist, dass sich dies von selbst finden wird. Hier ist das Wort von Wagner am richtigen Platz: “Die AAU bewegt sich, aber sie weiß nicht wohin.” Sie weiß nicht wohin, weil sich tatsächlich immer “die Dinger finden”. Nur ist damit nicht immer gesagt, dass der gefundene Weg zum Kommunismus führt. Russland hat ein ausgezeichnetes Beispiel von einem Zustand gegeben, in dem der Privatbesitz an Produktionsmitteln in der Industrie aufgehoben ist, während die Arbeiter doch Lohnarbeiter geblieben sind. Es ist darum in der Rätebewegung von zwei Seiten der Versuch unternommen worden, mit einem klaren, konkreten Programm vor die Massen zu treten, so dass wir sagen können: Hier habt ihr unsere Auffassungen vom Kommunismus. Und so müssen wir es durchführen. Der eine Versuch wurde von der AAU (Frankfurt) unternommen durch die Herausgabe der Schrift: “Vom Manifest zum Gesetz”. Der andere Versuch ging von der Gruppe der Internationalen Kommunisten (Holland)” aus, die ihre Ansicht in den “Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Distribution” klarlegte.
Bis jetzt haben diese Versuche noch zu keiner einheitlichen Auffassung geführt. Aber doch steht die Rätebewegung in Hinsicht auf die Durchführung der sozialen Revolution günstiger da als die IWW, weil die Rätebewegung Raum lässt für die Entfaltung der Selbstaktivität der Massen, während die IWW sie in ihren organisatorischen Apparat pressen will. Dies muss natürlich mit einem Fiasko enden. Worauf es ankommt ist, diese psychischen Kräfte zu ordnen, zu richten und ihnen die gleiche Richtung zu geben. Die Ordnung ist aber nicht in erster Linie eine organisatorische Angelegenheit, sondern ökonomischer Art. Diese Ordnung kommt zustande durch die Einführung allgemeiner Regeln für die Produktion, wonach die Arbeiter die Betriebe selbstständig leiten und verwalten können. Damit nehmen alle Arbeiter unter gleichen ökonomischen Bedingungen am Betriebsleben teil und werden dadurch zu gleichen Produzenten. Zugleich muss die Rätebewegung allgemeine Regeln für die Konsumtion geben, das heißt, sie muss die Arbeitszeit als Maßstab für den individuellen Konsum durchführen. Dadurch nehmen dann alle unter den gleichen Bedingungen am Konsum teil, das heißt, die Arbeiter sind auch gleich als Konsumenten.
Auf dieser Grundlage können die Arbeiter selbstständig die Betriebe verwalten und sind dann freie Produzenten, während die Verbindungen, die Betriebe untereinander schaffen, zu der “Assoziation der freien und gleichen Produzenten” führen.
Genossen der IWW und AAUD.
Aus der obigen Artikelserie ist ersichtlich, dass die Gruppen der Internationalen Kommunisten (Holland) der Ansicht sind, dass die Auffassungen der IWW und der AAUD in Bezug auf die soziale Revolution derart auseinander gehen, dass von einer organisatorischen Verschmelzung keine Rede sein kann. Doch wenn wir auch in unseren Grundauffassungen auseinander gehen, so sind wir doch keine Feinde. Darum sind wir im augenblicklichen Stadium angewiesen auf ein “getrenntes Marschieren” und gemeinsames Handeln, wo dies möglich ist. Die Praxis des internationalen Klassenkampfes muss die Bildung der Einheit bringen.
(CNT = anarcho-syndikalistische Gewerkschaft)
Die Diktatur von Primo de Rivera[43] und später von Berenguer war der letzte Versuch der feudalen Klasse - die in verschiedener Weise schon mit kapitalistischen Elementen verbunden war - die Verfügung über den Staatsapparat in der Hand zu behalten. Nur durch diesen Staatsapparat konnte der wirtschaftlich veraltete Großgrundbesitz noch die Macht behaupten.
Die Weltkrise stellte das Emanzipationsbedürfnis der spanischen Bourgeoisie immer dringender in den Vordergrund; sie war gezwungen, sich von allen feudalen Entwicklungsstörungen zu befreien und musste sich einen eigenen Staatsapparat aufbauen. Vom Proletariat gestützt gelang es der Bourgeoisie, die Herrschaft des Landadels zu brechen; die Monarchie wurde vernichtet und Alphonso XIII.[44] am 14. April 1931 verjagt. Am 15. April wurde die vorläufige republikanische Regierung mit dem katholisch- liberalen Rechtsanwalt Alcala Zamora[45] als Premier gebildet; es übernahmen darin, neben bürgerlichen Republikanern, auch drei Sozialdemokraten Ministerposten. Wie wir auch in der russischen und deutschen Revolution wahrgenommen haben, wurden die Versuche von feudalen Gruppen, wieder einen Halt zu bekommen, leicht unterdrückt.
Zwei Umstände sind es, die dieser jungen, bürgerlichen Republik ernsthafte Schwierigkeiten bereiten. Die erste Schwierigkeit ist, dass die Bauern von Tag zu Tag unzufriedener werden, weil die Regierung sich nicht getraut, die erste Forderung jeder bürgerlichen Revolution, und zwar die Vernichtung des Feudalismus durch Aufteilung des Großgrundbesitzes, durchzuführen. Doch hierüber später. Nicht weniger schwierig ist die Situation durch die Tatsache, dass ein ziemlich bedeutendes Proletariat mehr und mehr Neigung verspürt, die proletarische Revolution auf die Tagesordnung zu setzen.
Hier wird es notwendig, die spanischen Klassenverhältnisse genauer zu untersuchen.
Spanien besteht zum größten Teil aus einer Hochebene, wo die Landwirtschaft das wichtigste Existenzmittel ist. Der Boden ist im Besitze des Adels; Güter von 14.000 Hektar Ackerboden mit Dörfern usw. kommen oft vor. Hier lebt 70% der spanischen Bevölkerung, die Sklaven des Großgrundbesitzes. Die Bebauung des Ackers bringt ihnen noch keine Peseta (durchschnittlich -,85) pro Tag. Immer dringender fordern sie die Verteilung des Bodens. Hier sind reine feudale Verhältnisse. An den Rändern Spaniens sind einige Tiefebenen, im Süden Andalusien mit den Städten Cadiz, Sevilla, Malaga, Valencia; im Nordosten Katalonien mit Barcelona und Saragossa.
Andalusien ist das Land des Weins und der Südfrüchte. Hier sind Großunternehmungen, moderne Betriebe, meist mit ausländischem Kapital - also schon kapitalistische Verhältnisse. Hier ist eine Hochburg der großen syndikalistischen Bewegung. Ihr hauptsächliches Zentrum aber ist das ganze kapitalistische Katalonien. Hier, in diesem Industriegebiet von Bergwerken und Hochöfen, wohnen etwa zwei Drittel der Anhänger der syndikalistischen CNT. Barcelona ist eine reine Industriestadt; dieses erklärt auch, weshalb in Katalonien eine so starke Neigung zum Separatismus war: Die April-Revolution fängt an mit dem Ausrufen der katalonischen Republik (14. April). Der Mann des Klassenfriedens zwischen Bourgeoisie und Proletariat, Macia[46], war der Führer der Separationsbewegung. Als aber die Revolution sich über ganz Spanien verbreitete, fühlte die katalonische Bourgeoisie nicht mehr so viel für den Separatismus; sie fühlt sich der Arbeiterklasse gegenüber kräftiger mit dem mehr bornierten Spanien hinter sich.
Diese Arbeiterklasse war im Kampf gegen die Monarchie verbunden mit den Bauern und der industriellen Bourgeoisie. Wir werden später sehen, wie dieses durch die Haltung der CNT-Führer illustriert wird. Es ist selbstverständlich, dass auch der römisch-katholische Klerikalismus, das mächtige Instrument der spanischen Reaktion, es im Kampf entgelten muss. Und dass dieselbe Geistlichkeit - als nun die Herrschaft der Bourgeoisie sich zu entwickeln beginnt - Unterhandlungen mit diesem Bürgertum führt, beweist wieder, dass die Bourgeoisie sich auch gern dieses Instrumentes zu bedienen wünscht - und zwar gegen die Arbeiterklasse. Denn nach dem Sieg über den Feudalismus musste die Klassenfront sich notwendig ändern. Für uns ist das nicht neu; nach dem gemeinsamen Sieg über den Feudalismus kommen Proletariat und Bourgeoisie einander gegenüberzustehen. Nach der gemeinsamen Vernichtung des Zarismus beginnt der Kampf zwischen Kerenski[47] und den russischen Arbeitern; dasselbe sehen wir bei Ebert, Tschiang-Kai-Tschek und jetzt wieder bei Alcala Zamora. Für uns ist interessant, ob in der jetzt angefangenen Auseinandersetzung zwischen der spanischen Arbeiterklasse und der bürgerlichen Regierung von Alcala Zamora die Arbeiter unabhängig, unter eigener Führung und mit eigenen Klassenzielen, dem Klassenfeind entgegentreten. Zweifellos ist dieses nicht der Fall. Die Organisationen, welche die Arbeiter organisieren, sind in drei Gruppen zu unterscheiden.
1. Die sozialdemokratische Gewerkschaft, die UGT
Die Sozialdemokraten nahmen selbstverständlich teil an den von der vorläufigen Regierung ausgeschriebenen parlamentarischen Wahlen. Mit 130 Abgeordneten ist sie die größte Partei der Cortes; sie haben Anteil an der republikanischen Regierung. Obwohl sie täglich Anhänger an die CNT und die kommunistischen Parteien verlieren, haben sie immer noch einen ziemlich starken Anhang unter den Arbeitern von Madrid und Kastilien und vor allem unter den südspanischen Bauern. Und kein Wunder! Vor dem Anfang der Wahl haben diese Kerenskianer den Bauern die Verteilung des Bodens versprochen, wie es übrigens auch die anderen bürgerlichen Parteien getan haben. Aber die Bauern warten noch immer und kommen demgemäß dazu, für Syndikalismus und Kommunismus empfänglich zu werden! Das Einzige war, dass Ende August ein Gesetzesentwurf die agrarische Reform betreffend eingebracht wurde. Der Gesetzesentwurf lautet im großen Ganzen: Aller Großgrundbesitz wird gegen Entschädigung der Eigentümer vom Staat in Besitz genommen. Diese Entschädigung wird später bezahlt mit den akkumulierten Zinsen. Der Staat, der jetzt der einzige Großgrundbesitzer ist, überlässt das Land leihweise den Bauern. Später sollen diese eine näher festzusetzende Summe einzahlen, um der Regierung zu helfen, ihre Schulden zu zahlen. (NRC 26.8.31. NRC bedeutet Nieuwe Rotterdamsche Courant - eine der wichtigsten liberal-bürgerlichen Zeitungen Hollands[48]). Die bürgerlichen und sozialdemokratischen Parteien riskieren nicht eine direkte Verteilung des Bodens ohne Entschädigung, und selbstverständlich folgen die spanischen Bauern dem Vorbild ihrer russischen Kollegen im Jahre 1919. Vallina, ein einflussreicher Syndikalist, prophezeite gelegentlich der Cortes-Wahlen: Wenn die Bodenverteilung nicht stattfindet, wird das Land im Oktober von Norden bis Süden in Aufstand kommen. (NRC 14.6.31)
2. Die kommunistischen Parteien, das heißt die spanische Kommunistische Partei (Dritte Internationale), die Trotzki-Partei und der Block der Bauern und Arbeiter
Sie haben keine entscheidenden prinzipiellen Unterschiede. Sie fordern: Bodenenteignung und Entwaffnung der Guardia Civil[49] - Bewaffnung des Volkes. Sie wünschen Kampf gegen die Kirche und die Monopole. Ihr Anhang ist klein, aber nimmt fortwährend zu.
3. Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft, die CNT mit 600.000 Anhängern im Juni
Die große Masse des revolutionären Proletariats ist hier organisiert. Auch in Madrid und Kastilien, die einzigen Orte, wo die Arbeiter nicht gegen die UGT sind, nehmen sie zu. Sie stehen den sozialdemokratischen und den kommunistischen Parteien scharf gegenüber. Man kann zwei Richtungen unterscheiden:
a) eine “praktische”, welche (mit Pestana[50]) die Führung und die Mehrheit der Mitglieder hat. Sie ist etwas reformistisch veranlagt und verantwortlich für die Haltung der CNT bis jetzt.
b) eine “anarchistische”, welche, stützend auf das Prinzip der CNT, auf Vernichtung des Staates und Gründung des freiheitlichen Kommunismus dringt. Sie überlassen es der Phantasie, was hiermit gemeint ist.
Unserer Meinung nach ist die Rolle der CNT in der spanischen Revolution ein Arbeiterverrat, wie er noch nie dagewesen ist, was wir näher erklären werden.
Die im September 1923 angefangene Diktatur von Primo de Rivera hat die große Macht der CNT beendet. Seitdem führte sie ein illegales Dasein, und nur mit größter Mühe wurden die Verbindungen unterhalten. (Während der Diktatur waren übrigens die sozialdemokratische UGT und die kommunistischen Parteien auch illegal.). Die April-Revolution gab all diesen Organisationen wieder Vereinsfreiheit, aber das Inbrandsetzen der Klöster wurde sofort als Motiv verwendet, um die Parteien zu illegalisieren und, wie es aussieht, ist auch die CNT am 24. Juli für illegal erklärt worden.
Die CNT ist eine Gewerkschaft mit mehr als 600.000 Mitgliedern, eine Organisation wie jede andere Gewerkschaft. Die organisatorische und finanzielle Bestimmung ist in den Händen eines Vorstandes, der sich aus bezahlten und auch unbezahlten Mitgliedern zusammensetzt. Von hier aus wird über die Organisation verfügt. Wenn nun auch dieser Apparat jährlich durch die Mitglieder gewählt wird und angeblich im Namen der Mitglieder handelt, ja, wenn diese bis zu einer gewissen Höhe selbst ihren Einfluss geltend machen, so verhindert dies nicht, dass der Apparat die Verfügung über die Finanzen und damit über die Presse der Organisation hat. So hat der Apparat Gelegenheit, neben seiner ökonomischen Macht auch die ideologische Macht auszuüben, und es wird allmählich ein von der Mitgliedermasse geschiedenes Beamtentum, das sich nicht scheinbar, sondern in Wirklichkeit breit macht und die völlige Verfügung über die Organisation hat. Diese Tatsache wird schlau verheimlicht durch die sogenannte Organisationsdemokratie - schon oft haben wir erfahren können, dass die Demokratie gerade so weit geht, wie die Führung es wünscht, und da ist die Grenze, wo sie endet - dadurch, dass die Führung, sobald es nicht gegen ihre Macht und ihre Ziele geht, den Wünschen ihrer Mitglieder Gehör schenkt. Aber diese Nachgiebigkeit ist dieselbe wie die der Bourgeoisie im Jahre 1918, wo sie aus Furcht vor der Revolution den Acht-Stunden-Tag usw. genehmigte, ohne ihre Position als herrschende Klasse aufzugeben. Deshalb können Gewerkschaften niemals der Ausdruck sein von dem Willen der Arbeitermassen; im Gegenteil, sie zeigen eine große Fähigkeit, in die Einflusssphäre der Bourgeoisie zu geraten.
Die CNT ist also eine Gewerkschaft - das wird jeder Syndikalist anerkennen - “sei es auch eine anarcho-syndikalistische Gewerkschaft” fügt er dann hinzu. Und tatsächlich ist das auch ein Unterschied. Die Ambitionen einer syndikalistischen Gewerkschaft beschränken sich nicht auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter - sie gehen viel weiter: In der “proletarischen” Revolution (was sich nicht alles für “proletarische Revolution” ausgibt!) sollen die Arbeiter sich die Produktion aneignen, um sie in die Hände der föderalistischen organisierten Syndikate (Fachvereine) zu legen. Das heißt: Die Durchführung der proletarischen Revolution in Spanien besteht darin, dass die Arbeiter die Macht in die Hände der CNT legen.
Wir zitieren: “Im Nationalkomitee der CNT sind eine Anzahl Kämpfer, welche nicht glauben, dass die CNT in ihrer gegenwärtigen Verfassung fertig ist, die Produktion selbst anzufassen.” (De Syndicalist, 29. August 31).
“Wir sind nicht vorbereitet auf eine Revolution, welche positive Erfolge für die Menschheit haben kann.”
“Wir haben die Ehre zu erklären, dass weder die CNT, noch die Anarchisten imstande sind, die Republik zu ersetzen, wenn sie diese beseitigen.” (Solidaridad Obrero - Tageblatt der CNT)
“Im Kongress zeigt sich, dass die CNT eine riesige Kraft ist; da bleibt nur übrig, die Maßregeln zu präzisieren für die Aneignung der Industrie und diese praktisch durchzuführen.” (Révolution prol., Juli 31).
“Der Kongress beschloss, die Enteignung aller Domänen über 50 Hektar zu fordern, um Baugrund, Vieh und Material an die Syndikate der Landarbeiter zu geben.” (idem).
Die CNT forderte schon am Anfang “die Übergabe von Grund an Landarbeiter ohne Entschädigung. (Sie meinten die Gewerkschaftsorganisationen der Landarbeiter, PIC). Die Durchführung von revolutionären Betriebsräten und die Kontrolle der Gewerkschaften über die Produktion” (De Syndicalist, 19. September 31).
Und jetzt fragen wir: Gibt es praktisch noch einen Unterschied zwischen dem Streben der Syndikalisten und dem der Bolschewiken? Eine Gewerkschaft kann anarcho-syndikalistisch, antiparlamentarisch, freiheitlich gegen den Staat sein, und der Teufel mag wissen, was noch mehr; eben weil sie die Struktur einer Gewerkschaft hat, wird sie zu einer Organisation, die sich über die Arbeiter stellt und über sie verfügt. Denn das Essentielle in der Struktur einer Gewerkschaft ist dieses: Das Verfügungsrecht über die Finanzen, und das Vorgehen der Organisation steht nicht den Vertretern der Mitglieder zu, die nur den Mitgliedern verantwortlich sind und zu jeder Zeit von diesen entlassen und ersetzt werden können, sondern den Angestellten, die nur nach oben verantwortlich sind und die wohl “von oben”, aber nicht “von unten herab” nach Belieben ersetzt werden können.
Die CNT verkündet laut, dass, wenn sie nur einmal die Macht hat, Katalonien das erste Land sein soll, wo der libertäre (freiheitliche) Kommunismus verwirklicht werden soll; aber der Himmel behüte die spanischen Arbeiter vor dem “libertären” Kommunismus. Denn wenn die CNT die Macht in die Hände bekommt (was gar nicht unmöglich ist), dann wird aus den neuen Führern in der Wirtschaft eine neue Bourgeoisie, und diese gerät zu den spanischen Arbeitern in Gegensatz. Die neuen Machthaber werden dort, wo ihre Beherrschung der Produktion zur Tatsache geworden ist, nach politischen Mitteln greifen, um die aufkommenden Klassenkonflikte zu unterdrücken. Auch die Anarcho-Syndikalisten werden, wenn sie einmal Herrscher der Produktion geworden sind, einen Staatsapparat aufbauen, um ihre Machtposition gegen die Angriffe der politischen Klasse zu sichern. (Wir verweisen hier auf die “Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung”.)
Wir verfolgen jetzt das Auftreten der CNT im Laufe der spanischen Revolution. Über Tatsachen verfügen wir nicht viel, aber es genügt noch immer, um die Entwicklung im Großen und Ganzen zu verfolgen.
Wir haben schon beobachtet, dass in der CNT zwei Strömungen sind. Das französische syndikalistische Blatt “La révolution proletarienne” vom Juli 1931 schreibt über die “rechte” Mehrheit unter Pestana: “Und doch hat dieser Flügel seine schwache Stelle, seine Fehler: nämlich die Taktik des Unterhandelns mit bürgerlichen Elementen für den Umsturz der Diktatur.
[Übrigens wurden in Sachen Verhandlungstaktik die Nationalen Komitees (der C.N.T.) dort durch geheime Treffen der regionalen Vereinigungen und sogar durch unzählige Gewerkschaftsversammlungen gedrängt, immer die Unabhängigkeit der C.N.T. zu bewahren; sie wurden durch den Druck durch die Diktatur gezwungen …“][51]
Derselbe Aufsatz (über den CNT-Kongress im Juni 1931) meldet über die linke anarchistische Strömung:
[“Ihre Kritik an den Verhandlungstaktiken hatte Folgen. So mussten sie drei ihrer Anhänger wegen Missbrauchs dieser Taktik ausschließen, was beweist, wie sehr die Angst, die Diktatur um jeden Preis durch irgendein Bündnis loszuwerden, die Revolutionäre verschiedener Richtungen beeinflusste.”][52]
Wir hören auf mit Zitieren. Es genügt schon zu sehen, wie nach der syndikalistischen Presse die CNT unter dem Druck der Diktatur zusammenarbeitete mit der Bourgeoisie zum Umsturz der Monarchie. Wir haben schon gesehen, dass diese politische Einheitlichkeit von Proletariat und Bourgeoisie (unter Führung der letzteren) gegen den Feudalismus, immer der übliche und gesellschaftlich gesehen auch wirklich revolutionäre Weg gewesen ist zur Vernichtung des Feudalismus. Nach der Vernichtung aber ist die Einheitsfront automatisch aufgehoben, der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat verschärft sich allmählich; als Klasse kommen die Arbeiter in Konflikt mit dem Kapitalismus und seinem Machtorgan, dem Staat. Mit der Bourgeoisie zusammenarbeiten und den Staat in Ruhe lassen ist Kämpfen gegen das Proletariat.
Derselbe Aufsatz in “La révolution proletarienne” illustriert, wie die Bourgeoisie auch in Spanien gleich nach dem Umsturz die Kanonen umgekehrt hat.
“Sie (die CNT-Führer) hofften (beim Zusammengehen mit den bürgerlichen Parteien während der Diktatur) Waffen zu bekommen, um den Staatsstreich auszudehnen zu einer sozialen Revolution. Aber sie haben sich geirrt; keine Waffen für die Arbeiter trotz ihrer wohlwollenden Neutralität während der Versuche zum Staatsstreich und im Augenblick der Gründung der Republik. Kaum Freiheit für die Gefangenen, und die war nur zu bekommen mit der Pistole in der Hand.”
Die CNT ist nach dem Ausrufen der Republik passiv und aktiv der Bundesgenosse der Bourgeoisie geblieben. Wie sehr ihre Ideologie sich im Wesen beschränkte auf den Umsturz des Feudalismus, zeigt sich klar dadurch, dass der einzige prinzipielle Entschluss, auf dem Kongress der CNT im Juni angenommen, sich auf die Enteignung des Bodens bezieht. Der Kongress beschloss nämlich, die Enteignung aller Domänen über 50 Hektar zu fördern und dies zu propagieren.
Wir konstatieren, dass das Benehmen der CNT nach der Gründung der Republik sich charakterisiert durch das Folgende:
1. Die Regierung von Zamora, den bürgerlichen Staat in Ruhe zu lassen aus Furcht, dass die feudale Reaktion sonst wieder an die Macht kommen würde. (passive Stütze)
2. Die in der Arbeiterklasse immer mehr an den Tag tretenden revolutionären Tendenzen beruhigen und kanalisieren in unfruchtbare Manifestation und reformistische Forderungen.
3. Die demokratische “Freiheit” ausbeuten, damit die CNT besser organisiert und ausgebaut wird.
Wir werden mit den Tatsachen zur Hand diese Punkte zu beweisen trachten. Um mit dem Letzten zu beginnen, machen wir nur aufmerksam auf die im Juni (auf dem CNT-Kongress) angenommene Entschließung, eine dauernde und systematische Propaganda zu führen und zu diesem Zweck sozial-ökonomische Schulen zu stiften zur Ausbildung von Propagandisten. Diese Schulen hatten nicht den Beifall der anarchistischen Opposition, die darauf wies, dass die beste Propaganda von den Arbeitern selber gemacht werde in der lebendigen großen Schule vom Feld, den Fabriken usw. (De Syndicalist, 27. Juni 1931) Es ist deutlich, der Apparat wird perfektioniert und ausgebaut und dem CNT wird dafür genügend Gelegenheit gelassen. Auch nach dem Verbot vom 24. Juni konnte die syndikalistische Presse, im Gegensatz zu der bolschewistischen, frei erscheinen, indem die bürgerlichen Parteien, hauptsächlich die Esquerra Catalana, die CNT schützten.
Zum 1. Punkt: den bürgerlichen Staat in Ruhe lassen
Die Syndikalisten sagen, dass sie durch Wahlenthaltung zu den Cortes alle Verbindungen mit dem Staat abgeschnitten haben. Wenn das wahr wäre, würde sie den Staat doch noch gestützt haben, dadurch dass sie nicht den Angriff auf den noch nicht völlig entwickelten Staat eröffnet haben. Aber es ist nicht wahr. Der spanische Briefschreiber des NRC weist mehrmals hin auf “die große Stütze, welche die Esquerra Catalana, die Partei von Macia, von den Syndikalisten empfängt” und umgekehrt. (NRC vom 15.9.31)
Noch eine Einzelheit. “Bei den Wahlen vom 4. Oktober war die Teilnahme der Wähler, namentlich in Barcelona, sehr gering. Die Esquerra Catalana stellte keinen Kandidaten in Barcelona, weil die syndikalistische Masse sie nicht mehr stützte” (NRC 13.10. 31). Woher werden bei den früheren Wahlen alle katalonischen Stimmen sonst gekommen sein, wenn nicht von der syndikalistischen Masse?
Bei der Cortez-Debatte über die soziale Gesetzgebung reichte der Sozialdemokrat Largo Caballero ein Amendement[53] ein, um diese Gesetzgebung zentral von Madrid aus geschehen zu lassen, was ein großer Vorteil für die UGT sein würde. Man sah in ihm nicht mehr den Arbeitsminister, sondern den Sekretär der sozialistischen UGT, der die syndikalistische CNT vernichten wolle. Und wie diplomatisch und handelbar die katalanischen Vertreter sonst auch sind, hier traten sie auf, hier war Von-Platz-Machen keine Rede, denn es handelte sich hier um einen Angriff auf die Masse, die ihnen in dem Parlament solch Selbstvertrauen und Ruhe geben konnte, die Masse von Katalonien, die Masse der CNT also: “Es war tatsächlich die a-politische Organisation, die in der Nacht von Freitag im Parlament anwesend war.” (NRC 1.10.31)
So wird die Esquerra Catalania beinahe die parlamentarische Filiale der CNT. Aber zu urteilen nach den Wahlen vom 4. Oktober scheint es, dass die Arbeiter sich von der Esquerra Catalania abwenden.
Die Esquerra Catalania, diese mächtige radikal bürgerliche Partei von Katalonien, schützte die CNT oft. Obschon ihre Führer - außer Macia - nach dem allgemeinen Streik in Barcelona auch kräftige Maßregeln fordern. Einige ihrer hauptsächlichen Führer (von der Esquerra Catalania) sind tatsächlich Mitglieder der CNT, wie Balboutin von Madrid oder Jimenez von Barcelona, schreibt die syndikalistische “Révolution proletarienne” vom Juli 1931. Die bürgerliche Presse schreibt denn auch ganz natürlich über CNT-Abgeordnete in der Cortes! All dieses erklärt vieles aus dem Werdegang der syndikalistischen Bewegung.
Dies alles ist möglich, weil Spanien noch kein Grundgesetz hat und Minister Maura mit den katholischen Zeitungen auch die kommunistischen aufheben kann, während die anarcho-syndikalistische Bewegung, hinter Macia verschanzt, schließlich außer Schuss bleibt, weil sie zwar außerordentlich lästig aber als Sicherheitsventil weniger gefährlich ist.
Doch außerdem: Die CNT hat den Staat in Ruhe gelassen: “In verschiedenen Fällen kam es zwar zu Zusammenstößen mit der Polizei oder der Guardia Civil, aber niemals ist versucht worden, die Staatsmacht zu vernichten, zum Beispiel der Generalstreik in Barcelona vom 3. bis 7. September. Unter dem Drange der Massen wegen Gefangenhaltung von Revolutionären und dem schändlichen Benehmen des Gouverneur Anquera de Sojo beschloss die CNT in Barcelona, am Donnerstag aus Protest den Generalstreik. Am Freitagabend war dieser wieder aufgehoben, aber die Arbeiter setzten ihn fort. Die CNT antwortete hierauf mit einem Manifest, unterzeichnet von Pestana, Peyre und 28 anderen, worin sie den Streik und das gewalttätige Benehmen verurteilten, solange die CNT nicht imstande sei, die bestehende Regierung zu ersetzen. Sie verurteilten die anarchistischen Extremisten, die angeblich durch Terror die Arbeiter gezwungen haben sollten, ihren Befehlen zu folgen. Die CNT wünschte also einen unschuldigen Proteststreik; die anarchistische Opposition und die Masse der Arbeiter wollten einen revolutionären Streik. Nachdem der Entschluss gefasst und der Befehl gegeben war, war innerhalb einiger Stunden der Streik so vollkommen wie nie. Das Stadtleben ist vollständig lahmgelegt: In den Büros der Generalidad wird nicht gearbeitet. Man bekommt den Eindruck, dass die Stadt vollkommen in den Händen der Anarchosyndikalisten ist. Ohne Mühe konnte man hier die soziale Revolution bringen.” (NRC 9.9.1931)
Der Streik ist verloren und die soziale Revolution wartet noch! Man sieht, dass weder die CNT noch die spanische Arbeiterklasse von ihrer Macht Gebrauch gemacht haben, um die Staatsmacht zu vernichten. Noch ein anderes Beispiel. “De Syndicalist” vom 29. August schreibt über das sogenannte Catalanische Statut (eine Art Verfassungsentwurf) und erklärt, warum die CNT dieselbe nicht bestritten hat. Sie glauben (das heißt eine Anzahl CNT-Führer), dass Macia, gefangen in seiner schwülstigen Sprache, gebunden durch sein Vorleben, weniger ihre Konsolidationsarbeit hindern wird denn Maura und Caballero. Deshalb ihre freundliche Neutralität. Jawohl “freundschaftliche Neutralität” einer der mächtigsten bürgerlichen Parteien gegenüber, weil diese ihre Konsolidationsarbeit weniger hindert als andere. Das ist eine Taktik, worin auch die Sozialdemokratie sehr tüchtig ist!
Wir gehen weiter. In Barcelona wurden drei Anarchisten verhaftet, weil sie im Besitze waren von Granaten. Das Organ der CNT, die “Solidaridad Obrero” schreibt: “Wenn wir uns bewaffnen, so aus dem Grunde, dass die vorläufige Regierung nicht genügend Garantien gibt für den Kampf gegen die Rückkehr zur Macht der Reaktion.” Sie hätten dazu fügen sollen: Gegen diese Regierung kämpfen wir nicht.
Zum Schluss. In einem Interview von Pestana durch die “El Sol” (wortgetreu wiedergegeben in “le Cri du Peuple”, Nummer 79) erklärt dieser, dass die Entwicklung der Revolution vorläufig zum Stillstand gekommen ist. Er zeigt auf die Notwendigkeit einer politischen Revolution im Allgemeinen, aber “Diese proletarische Revolution ist nicht so nah, wie man schon glaubt.” Die CNT soll sich jetzt widmen der Lösung von schweren Fragen der politischen Ökonomie, namentlich die der Bodenverteilung und der Aufhebung der Monopole (Transportmonopol), sagt Pestana. Ist dies die Bourgeoisie in Ruhe lassen oder ihr die Hand reichen?
Zum 2. Punkt: revolutionäre Tendenzen beruhigen und kanalisieren in unfruchtbare Manifestation
Praktisch ist es unmöglich, dieses von Punkt 1 zu scheiden, so sehr sind sie gegenseitig verbunden. Auch hier ist der Generalstreik in Barcelona ein gutes Beispiel. Wer in “Der Syndicalist” vom 19. September 1931 den bezüglichen Artikel liest, wird zugeben, dass dieser Kampf eine Öußerung des Proletariats als Klasse war, von jeder Organisation losgelöst. Nachdem der Streik und der revolutionäre Kampf gegen die Guardia Civil Tatsache geworden war (am Mittwoch), verkündete die CNT einen allgemeinen Proteststreik (Donnerstag). Als die Masse die Grenze eines Proteststreiks überschritt und der Parole zum Wiederanfang der Arbeit nicht folgte, protestierte die CNT-Führung unter Beifall der ganzen Bourgeoisie, und mit allen Kräften wurde versucht, um schließlich den gemäßigten Standpunkt von Pestana siegen zu lassen. (NRC 9.9.31) Die bürgerliche Presse spricht immer wohlwollender über den “syndikalistischen Reformismus” der CNT.
Wir sind der Ansicht, jetzt genügend bewiesen zu haben, dass die CNT, obschon offiziell antiparlamentarisch, den bürgerlichen Staat in Ruhe lässt und ihn stützt, und dass sie im ökonomischen Leben die Angriffe des Proletariats auf die Bourgeoisie so viel wie möglich abschwächt. Die Schwäche und der Mangel an Erfahrung der spanischen Arbeiter sind hieran schuld. Aber der Kampf gegen die republikanische Miliz, die revolutionären Streiks, die Sabotage der Produktion und das In-Brand-setzen der Klöster sind Taten des Proletariats, nicht der CNT. Es soll aber zugegeben werden, dass dieses Proletariat seine natürliche Klassenorganisation noch nicht gefunden hat. Nur in einzelnen Fällen hat es den Anschein, dass die Arbeiter als Betriebseinheit den Kampf gegen den Kapitalismus begonnen haben.
“De Syndicalist” vom 19. September schreibt, dass die CNT die Durchführung der revolutionären Betriebsräte und die Kontrolle der Gewerkschaftsorganisation auf die Produktion fordert. Im selben Artikel finden wir: “Zahlreiche Fachvereine der CNT setzten in letzter Zeit eine ziemlich große Verbesserung der Löhne und die Anerkennung der revolutionären Betriebsräte durch.” Sehen Sie - wir sind auch für die Betriebsräte -, sagen die Syndikalisten. Aber Räte, welche zugleich erwähnt werden mit “Kontrolle der Produktion durch die Gewerkschaftsorganisation” können niemals Klassenorgane des Proletariats sein. Solche gesetzlichen Betriebsräte hat man in Deutschland, zwar ohne das Adjektiv “revolutionär”.
Die Anhänger der Opposition, meistens Mitglieder der FAI (Federacion Anarquista Iberica) bekommen immer mehr Einfluss. Auf dem CNT-Kongress im Juni waren etwa hundert von 432 Abgeordneten Mitglied der FAI. Die “Révolution Proletarienne” vom Juli schreibt: “Diejenigen unter ihnen, die die klarsten Ideen haben, stellen die Auffassung einer neuen, von den Gewerkschaften geführten Wirtschaft, die Idee einer Verwaltung, geführt von freien, federalen [föderativen] Kommunen gegenüber.” Über das Wesen dieser Kommunen schreiben sie nicht weiter. Die meisten Anarchisten aber erkennen, dass die CNT in mancher Hinsicht versagt hat, namentlich hinsichtlich der Vernichtung des Staates, aber dass die CNT doch richtig hätte handeln können, wenn bei den Mitgliedern und den Führern nur genügend Einsicht und Kühnheit anwesend gewesen wären. Wenn sie nur ein Beispiel zeigen könnten von einer Situation, worin die Gewerkschaften eine Stütze für die Revolution gewesen sind, wo sie nicht von den Arbeitern zur Seite gestellt worden sind, ehe diese die Organe der proletarischen Klassenherrschaft, die Betriebsorganisationen und Arbeiterräte formen konnten. Diese Anarchisten, die die CNT revolutionär machen wollen, werden alle ihre Versuche scheitern sehen an dem Wesen der Gewerkschaft. Die spanischen Arbeiter werden ansehen müssen, dass sie nur über die zertretene Gewerkschaftsbewegung hinweg zum Sieg kommen können.
Die Entwicklung der Produktionsverhältnisse in Spanien brachte im April 1931 einen Wendepunkt in den Machtverhältnissen im Sinne einer bürgerlichen Revolution.
Bei dieser Revolution war das Proletariat hauptsächlich organisiert in der CNT, der Bundesgenosse der Bourgeoisie. Der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie verschärfte sich allmählich nach der Gründung der Republik. Die CNT, in diesem Kampf auftretend als Führer des Proletariats, ist eine Gewerkschaft, strebend nach der Machteroberung durch die CNT. Dies muss notwendig führen zu einer Diktatur über das Proletariat durch die CNT-Führung (Staatskapitalismus).
Das Auftreten der CNT vor und nach der Gründung der Republik war eine Unterstützung der Bourgeoisie; Schonen und Stützen des Staates, und Schwächen der ökonomischen und proletarischen Aktion des Proletariats.
Die anarchistische Opposition ist eine betrügerische Illusion, weil sie als Gewerkschaft das Wesen der Gewerkschaft außer Acht lässt. Ihr Streben kann nur dazu führen, dass die Tatkraft des Proletariats sich in unfruchtbaren Manifestationen totläuft.
Es ist klar, dass die anarcho-syndikalistische Bewegung ebenso gut wie die bolschewistische zum Staatskapitalismus führt.
Der einzige Weg zur Vernichtung des Kapitalismus ist das Vernichten der Klassenherrschaft der Bourgeoisie und ihres Staates durch die Gründung der proletarischen Diktatur, das heißt die Herrschaft des Proletariats als Klasse vermittels ihrer Klassenorganisationen, der Räte und Betriebsorganisationen.
Im ersten Abschnitt (Einleitung) wird gesagt, dass die Republik nichts getan hat, um die feudalen Verhältnisse auf dem Lande aufzuheben, um die versprochene Verteilung des Grund und Bodens herbeizuführen. Es wird weiter darauf hingewiesen, dass die Bauern (Landarbeiter) wahrscheinlich in naher Zukunft selbst versuchen werden, die Verteilung vorzunehmen.
Tatsächlich ist im Oktober eine Welle revolutionärer Aktionen der kleinen Bauern über das Land gegangen. Die Bewegung begann Ende September in dem Dorfe Palacios bei Salamanca und erreichte ihren Höhepunkt in der Provinz Cordoba. Es wurden dort verschiedene Güter in Besitz genommen; während einiger Tage (8. bis 11. Oktober) herrschte über einem Gebiet von etwa 40 Quadratkilometer ein Terror der kleinen Bauern und Landarbeiter. Der Einfluss der kommunistischen Partei unter den Bauern wächst sichtbar. Doch der Regierung gelang es, diese - sowie andere Aktionen - völlig zu unterdrücken. Die Bauern verfügten nicht über genügend Kraft, um sich durchzusetzen.
Im Zusammenhang hiermit drucken wir einen Teil eines Briefes aus dem NRC ab, der diesem bekannten bürgerlichen Blatt von ihrem spanischen Korrespondenten am 18.11.1931 zugesandt worden ist:
“Überall in Granada und Jaén, an den endlosen Landstraßen, vereinzelten Häusern und einer von Menschen beinahe verlassenen Landschaft zeugt alles von Überfluss.
Kommt man aber mit den Menschen zusammen in den Dörfern und Städten und in den Herbergen an den Wegen, dann erschreckt man, und der Optimismus der natürlichen Umgebung wird in beißenden Hohn verändert.
Auf den Plätzen Hunderte erwerbslose Arbeiter mit hohlen Augen, blau-bleichen Gesichtern, abgestumpft von Erschöpfung und Hunger.
In derselben Zeit in den Dörfern luxuriöse Cafés und Tavernen, wo die gebratenen Vögel, die Krebse und würzige Speisen auf den Tonbanken stehen. Ein Heer barfüßiger, halb bekleideter Kinder kriecht dem Fremden zwischen den Beinen durch, um die Reste abzunagen und die Zuckerstücke, die auf den Boden gefallen sind, aufzuraffen.
Überall die andalusischen Senoritos mit ihren klassischen, arroganten, herausfordernden, harten Gesichtern, - gastfrei den Fremden gegenüber, tierisch grausam in ihrer Behandlung der Arbeiter.
Dem Senoritismus hat die Republik kein Ende machen können, und also ist in Andalusien noch nichts geändert. Denn wohl sind dank der Sozialisten und ihren Dekreten in Madrid die Gemeinderäte in den Händen der Arbeiter und haben sie demnach - der Form nach - die Führung, die ökonomische Macht ist aber noch unangetastet bei den Senoritos [span. Für Herrchen], den “Caeiques”[54], also in den Händen der feudalen Elemente. Und solange diese nicht vernichtet sind, ist in Spanien nichts verändert, - Madrid und allen Dekreten zum Trotz.
Der große Kampf, der jetzt in Andalusien während des großen Augenblicks der Olivenernte ausgefochten wird, ist der Kampf zwischen Akkord und Lohn. Akkord, Stücklohn, für das Pflücken, sagen die Besitzer, die nicht daran denken nachzugeben. Tageslohn von 5,60 bis 8 Pesetas, sagen die Arbeiter, die auf diese Weise, sei es auch mit einem niedrigen Lohn, sich für einige Monate der Arbeit versichern wollen.
Stücklohn, sagt der Besitzer und droht, von anderswo Arbeiter kommen zu lassen - die ins Dorf nicht hineinkommen, antworten die Arbeiter gestützt auf die Dekrete von Madrid.
Die fremden Arbeiter kommen doch, der Besitzer lässt sie durch Bewaffnete bewachen. Die einheimischen Arbeiter rotten sich zusammen, es wird ein Stein geworfen, dann schießt die Gendarmerie, wobei vielfach Tote anfallen.
Das ist das tägliche Drama in den Dörfern Andalusiens, wo die feudalen Potentaten nicht begreifen können oder wollen, dass die Zeiten der absoluten Herrschaft vorbei sind, und sie greifen zu jedem Mittel, zur Intrige, Bestechung, Verrat und Mord, um ihre Macht zu behaupten …”
Die feudale Macht der andalusischen Senoritos ist durch die Republik nicht vernichtet, und so besteht selbst die bürgerliche Republik noch nicht. Die Republik ist noch nicht bis ins Dorf gedrungen. Man sieht überall (nach dem NRC) Gruppen von gefesselten Bauern, paarweise an einem Strick gebunden, die durch die Gendarmerie - Gewehr bereit zum Anschlag - in die Gefängnisse der Provinzhauptstädte transportiert werden.
“Revolutionäre Bauern”, liest man in den Zeitungen. In Wirklichkeit Opfer der Demagogie der Republik, die die Macht der Senoritos ungeschwächt gelassen hat.
Die Frage der Doppelorganisation ist im Augenblick noch ein Hindernis für den engeren Zusammenschluss der Unionsbewegung in Deutschland. Die AAUE verwirft die Existenz einer politischen Partei neben der Unionsbewegung als schädlich für die revolutionäre Entwicklung, - die AAU (oder doch eine starke Richtung in der AAU) erkennt die Möglichkeit an, dass sich in Zukunft eine Partei entwickeln wird, die zu einer treibenden Kraft in der Revolution werden kann. Dies ist der Unterschied in den Auffassungen über die Doppelorganisation. Beide Richtungen stimmen darin überein, dass die Unionsbewegung auf jeden Fall an keine Partei gebunden sein darf und völlig selbstständig ihre Haltung bestimmen muss.
Unter diesen Umständen scheint es uns ziemlich überflüssig, aus diesem Unterschied in der Auffassung eine Streitfrage zu machen. Und zwar, weil erstens die Übereinstimmung viel größer ist als die unterschiedliche Auffassung und dies zweitens eine Frage der zukünftigen Entwicklung ist, also eine Frage, die schon aus diesem Grunde nicht völlig zu übersehen ist.
In Übereinstimmung damit wird in dem ersten Entwurf des Genossen Pannekoek die Sache folgendermaßen beurteilt: “Wir müssen im Augenblick diese Frage ruhen lassen, kommt Zeit, kommt Rat, die Frage muss beantwortet und aufgelöst werden, wenn sie sich praktisch ergibt, doch das ist im Augenblick nicht der Fall.”
Nun könnte man sich mit dieser Beantwortung der Frage einverstanden erklären, wenn die Vereinigte Unionsbewegung die Mitgliedschaft in einer politischen Partei zur Privatsache erklärte. Dieses natürlich in dem Sinne, dass ein Arbeiter nicht Mitglied der Unionsbewegung sein kann und zugleich noch einer Partei angehört, die die Grundsätze der Union bekämpft. SPD und KPD sind damit von vornherein ausgeschlossen, weil sie nicht auf der Grundlage der Klassendiktatur stehen. Doch die AAUE erklärt sich damit nicht einverstanden. Nach ihrer Meinung gibt es sowohl heute wie in Zukunft nur eine politische ökonomische Organisation, und das ist die Vereinigte Unionsbewegung. Darum schließt sie jeden, der sich obendrein noch in einer politischen Partei organisiert, aus. Die AAUE will also die Tür vor zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten schließen; die AAU ist vorsichtiger und lässt die Bahn für die Entwicklung frei.
Wir müssen nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass die Unionsbewegung in Deutschland im Augenblick sicher in fünf Richtungen auseinandergefallen ist und dass jede Richtung dabei in Wirklichkeit sich zu einer “politischen Partei” entwickelt hat. Die Tatsache, dass so viele Richtungen in der Unionsbewegung entstehen konnten, gibt damit Grund, dass der gemeinschaftliche Nährboden der Unionsbewegung verschiedene Auffassungen über die Durchführung der Revolution und die Bildung des kommunistischen Wirtschaftslebens erzeugt. Es ist von Wichtigkeit, hierbei im Auge zu behalten, dass dies nicht nur eine Erscheinung aus der Zeit von vor der Revolution ist, sondern dass es vor, in und nach der Revolution so sein wird. Mit anderen Worten: Neben dem gemeinsamen Kampf um die Durchführung der allgemeinen Prinzipien der Rätebewegung wird zugleich der Kampf zwischen den verschiedenen Auffassungen bezüglich der Durchführung des Kommunismus fortgeführt. Die Revolution wird durch einen geistigen Umformungsprozess in der Arbeiterklasse selbst begleitet. Die Revolution in Westeuropa und Nordamerika kann diesen Prozess nicht unterdrücken, so wie es die Bolschewiki taten und noch tun. Auch in der Revolution müssen die Meinungen der Arbeiter, insoweit sie auf dem Standpunkt der Losung: “Alle Macht den Räten” stehen, frei zum Ausdruck kommen können. Wird die freie Meinung in der Revolution unterdrückt, dann erreicht man wohl, dass verschiedene, noch rückständige Richtungen (oder auch, die wir für rückständig halten) nicht zu Wort kommen können, doch damit vernichtet man zugleich das Lebensprinzip, woraus der Kommunismus allein seine Kraft zieht: “die selbstständige Entwicklung der Klassenkräfte”. Die zu Räten zusammengefassten Massen müssen sich gerade an den verschiedenen Programmen der Parteien orientieren können.
Wie muss nun die Vereinigte Unionsbewegung sich gegenüber der Tatsache verhalten, dass verschiedene Auffassungen über die Durchführung der Revolution auf der Grundlage der Rätediktatur vorhanden sind? Heute und in Zukunft? Erklären sich die Unionen ohne Umwege als politische Partei, so dass die Arbeiter, außer der Vereinigten Unionsbewegung nur noch einem Karten- oder Schachclub angehören können, dann wird sich das unserer Meinung nach als sehr schädlich für die Unionsbewegung rächen.
Wir kommen zu dieser Auffassung, weil die Unionsbewegung wahrscheinlich umfangreicher wird im selben Moment, wenn der Klassenkampf intensiver wird. Wahrscheinlich finden die verschiedenen Richtungen in der Unionsbewegung als Ganzes dann den Weg zu der Vereinigten Unionsbewegung. Damit ist nicht gesagt, dass es zu einer Massenbewegung kommt. Im Verhältnis zu den Millionen Arbeitern bleibt die Vereinigte Unionsbewegung klein. Es soll damit allein gesagt werden, dass der kommende Kampf die Arbeiter mit denselben allgemeinen Grundsätzen in der Unionsbewegung zusammentreibt. Doch diese allgemeinen Grundsätze bedeuten noch keine homogene (einheitliche) Auffassung über die Durchführung der Revolution. Oder anders gesagt: Die allgemeinen Prinzipienerklärung lässt zwar, als Sieb wirkend, der Rätebewegung feindliche Auffassungen nicht durchlaufen, aber doch verschiedene Ideologien und Auslegungen der Rätediktatur.
Nun handelt es sich nicht darum, ob wir eine solche Entwicklung für nützlich und wünschenswert halten. Wir werden damit rechnen müssen, dass es so sein wird. Gerade darum aber wird es notwendig sein, dass die Arbeiter sich neben der Union nach ihrer besonderen Auffassung der auftauchenden Fragen organisieren und orientieren können, vor allem aber um ihre Auffassung vor der Front der ganzen Arbeiterklasse führen zu können.
Lässt die Vereinigte Unionsbewegung dies nicht zu, dürfen die Arbeiter sich nicht nach ihrer besonderen Auffassung organisieren, dann beginnt der Kampf zwischen den verschiedenen Auffassungen in der Unionsbewegung in der Form von Fraktionsbildung. Dann beginnt der Kampf um den Apparat, so wie es auch in allen anderen Parteien der Fall ist.
Zusammenfassend ist unsere Ansicht daher diese: Im Augenblick ist eine Doppelorganisation überflüssig, weil alle Richtungen noch getrennt marschieren. Die kommende Entwicklung aber hat Tendenzen, die darauf hinweisen, dass die Unionsbewegung durch Fraktionsbildung zerrissen wird. Die Freiheit der politischen Organisation bedeutet darum zugleich: Verbot der Fraktionsbildung als besondere Organisation innerhalb der Unionsbewegung.
Wir erhielten von der AAUE Frankfurt einen Brief, indem wir um unsere Ansicht betreffs der Frage “Doppelorganisation” gefragt wurden. Es wird darin auf die verschiedene Meinung in dieser Frage so wie sie einerseits bei der AAUE und dem Bezirk Mitteldeutschland der AAU und andererseits bei der AAU vorherrscht, hingewiesen. Wir werden hier in Kurzem wiedergeben, wie in dem Brief die unterschiedliche Meinung formuliert ist.
Es wird darin gesagt: Die Mehrheit der AAUD steht auf dem Stand, dass die Union die Organisation sein muss, die alle kämpfenden Arbeiter umfasst. Davon ausgehend wird noch gesagt, dass außer der AAU im Laufe der Zeit noch eine besondere Organisation nötig sein wird, die die fortgeschrittensten Arbeiter verbindet, um das kommunistische Prinzip hochzuhalten.
Die AAUE und der Bezirk Mitteldeutschland der AAU vertreten die Ansicht, dass es nicht die Aufgabe der AAU ist, alle kämpfenden Arbeiter in sich aufzunehmen, sondern dass die AAU die Aufgabe hat, die Einheit der kämpfenden Arbeiter unter eigener Führung zu propagieren; die AAU ist dann nur eine Organisation der aktivsten Propagandisten, die alle Kommunisten sind. Eine besondere Organisation von Kommunisten ist dann nicht nur überflüssig, sondern würde nur der Anlass zu schädlicher Fraktionsbildung sein.
Wir sehen, dass hier die Meinungsverschiedenheit ihren Grund hat in der Verschiedenheit der Auffassung über Rolle der AAU in den kommenden Klassenkämpfen. Wir müssen also hierauf erst eingehen. Dazu wird es nötig sein, von dem Gesichtspunkte der Rätebewegung aus dem Klassenkampf zu betrachten, denn erst dann wird die Rolle der AAU als ein Mittel im Klassenkampf im richtigen Licht erscheinen.
Wir sehen den Klassenkampf als das selbstständig handelnde und denkende Auftreten der ganzen Klasse und nicht von einer Minderheit. Aus den revolutionären Kämpfen der Nachkriegszeit haben wir diese Lehre gewonnen. Der Kampf kann nur dann im Interesse der Arbeiterklasse entschieden werden, wenn die Arbeiter von der Erkenntnis durchdrungen sind, dass sie selbst in allen Fragen zu beschließen haben, dass sie ihre Beauftragten selbst anweisen und ständig kontrollieren müssen. Dieses Prinzip in die Köpfe einzuhämmern, das ist die erste Aufgabe der Union. Gehen die Arbeiter nach diesem Prinzip in den Kampf, dann wäre es möglich, dass sie in Massen zu der Organisation übergehen, die diese Kampfesweise propagiert hat. In diesem Falle würde die Union zur Massenorganisation. Es ist aber auch möglich, dass die Massen neue Organisationen bilden, und dann bleibt die Union ein kleiner Kern. Für die Organisation des Klassenkampfes wird es in der Praxis wenig Unterschied ausmachen: In beiden Fällen wird die Masse sich im Betrieb organisieren, ihre Räte wählen und so unter eigener Führung in den Kampf eintreten. In beiden Fällen wird sie sich aber auch des Apparates der Union bedienen und der Verbindungen, die diese in der Zeit vor dem Kampf geschaffen hat.
Für die Union selbst ist die Frage natürlich nicht ohne Bedeutung, denn in dem einen Fall wird sie Massenorganisation, in dem anderen bleibt sie ein kleiner Kern der Propagandisten für den Kampf unter eigener Führung. Doch ist der Unterschied auch nicht so groß wie er erscheint. Denn eine Propagandaorganisation für den Kampf unter eigener Führung ist nur nötig, solange noch nicht gekämpft wird. Ist die Klasse einmal in Bewegung und in den Kampf eingetreten, dann heißt es, offene Türe einrennen und den Kampf weiter zu propagieren: Es handelt sich dann darum, ihn zu unterstützen. Wird die Union zur Massenorganisation und so zur Klassenorganisation, dann verändert sich ihr Charakter: Bilden die Arbeiter neue Organisationen, so kommt auf diesem Wege die Klassenorganisation, und die Union hat ihre Aufgabe erfüllt. Verläuft die Bewegung, ohne dass es zur Räteorganisation kommt, dann wird in dem einen Falle der kleine Kern übrig bleiben, weil die Massen die Organisation verlassen, und im anderen Falle wird die Union ihre Propagandaarbeit wieder aufnehmen. In beiden Fällen dasselbe Resultat.
Von dieser Seite kommt dann die Lösung der Frage, ob neben der Union eine politische Partei nötig ist, nicht heran, denn in beiden Fällen ist für oder gegen die Notwendigkeit einer Partei neben der Union gleich viel zu sagen.
Bisher hatten wir die Aufgabe der Union darin gesehen, dass sie die Propaganda zu führen hat für den einheitlichen Kampf unter eigener Führung. Doch damit ist das allgemeine Räteprinzip angegeben: Es ist die Grundlage, von wo aus der Kampf geführt wird, über das praktische Gesicht derselben ist damit noch nichts gesagt. Hier beginnen die Schwierigkeiten und damit auch die Meinungsverschiedenheiten. Die fortgeschrittensten Arbeiter werden um Klarheit ringen, um den richtigen Weg zu finden, und doch wird das Resultat sein, dass verschiedene Ansichten hierüber geboren und auch manifestiert werden. Jede dieser Ansichten wird versuchen, sich durchzusetzen und dies in der Form, dass man die anderen Auffassungen aufs Schärfste bekämpft. Die Klasse selbst wird den Beweis erbringen, welche Ansicht die richtige ist, und zwar auch in der Weise, dass sie sich jeweils eine der propagierten Auffassungen zu eigen macht und danach handelt.
Dies ist der Verlauf der Wirklichkeit und er ist durch nichts zu umgehen.
Das Prinzip des Kampfes unter eigener Führung kann die verschiedenen Ansichten als solche nicht aufheben, es sagt nur, dass die Arbeiter es schließlich selbst sein müssen, die zu bestimmen haben, welchen Weg sie zu gehen haben. Auffassungen über den Klassenkampf, die gegen dieses Prinzip im Widerspruch sind, werden allerdings von ihr verworfen, das heißt, dass sich die Rätebewegung als solche von der alten Arbeiterbewegung scheidet.
Wie ist nun die Stellungnahme der Union in dieser Frage? Wenn wir mit der AAUE sagen würden, dass politische Parteien neben der Union von Übel seien und bekämpft werden müssten, dann kann sich das auch wiederum in verschiedener Weise auswirken. Wir können es einmal für verkehrt halten, dass der Arbeiterklasse abgerundete politische Programme vorgehalten werden, wonach sie sich orientiert, und fordern, dass vielmehr jeder einzelne Arbeiter individuell die Fragen durchdenkt und mit seinen Ansichten an den Tag kommt. In der Praxis wird dies nicht haltbar sein, schon aus dem Grunde, dass dann die Rätebewegung den alten Führerparteien geistig unterlegen sein wird. Diese treten auf mit einem geschlossenen Programm und werden dadurch jede andere Bewegung, die dies nicht hat, verwirren können, hätte sie auch noch so gesund begonnen. Wir können aber auch der Auffassung sein, dass ein mehr in den Einzelheiten herausgearbeitetes Programm wohl nötig ist, aber dass dies in der Union selbst möglich ist, weil sie doch aus Kommunisten besteht. Doch dann vergessen wir eins: Auch auf der Basis des allgemeinen Räteprinzips sind noch sehr weit auseinander gehende Meinungen möglich. Ist nun die Union diejenige Organisation, die neben der Propaganda des allgemeinen Räteprinzips das kommunistische Programm für die Revolution schaffen muss, dann findet von den verschiedenen Möglichkeiten schließlich nur eine ihre Wiedergabe im Programm. Die Arbeiter, die dann nach diesem Räteprinzip handeln wollen, haben es nicht mehr nötig, selber zu denken und sich für die eine oder andere Auffassung zu entscheiden, für sie gibt es nur die Möglichkeit, das Programm anzunehmen oder nicht. So wird die Union selber, aus Furcht vor Parteien, erst recht die Partei, die sich die Herrschaft anmaßt über die Arbeiterklasse.
Für die Union selbst ist mit einer solchen Einstellung noch eine andere Konsequenz verbunden.
Wenn die Union die einzige Organisation ist, die mit einem Programm für die Revolution auf den Plan treten darf, und der Kampf um dieses eine Programm muss in der Union selbst ausgefochten werden, dann wird der gefürchtete Fraktionskampf erst recht beginnen. Die einzige Möglichkeit, um seine Ansicht den Massen kundzugeben, ist dann, dass man den Apparat der Union in Händen hat. Der Kampf um das Programm wird damit zugleich ein Kampf um die Macht in der Organisation und sicher nicht nur mit Argumenten, sondern mit den bekannten politischen Intrigen. Damit wird zugleich eine lebendige Quelle der Revolution verschüttet. Wenn anders der Kampf zwischen den verschiedenen Meinungen dazu führt, dass jede Seite fortwährend ihre Ansichten verbessern und mit den starken Argumenten der Gegner anfüllen muss, worauf schließlich die Einheit in der Auffassung geboren wird, dann wird derselbe Kampf, eingepfercht in den organisatorischen Rahmen der Union, ein Kampf mit toten Parolen für ein unwirkliches Programm. Die schließliche Folge wird sein, dass die Union nicht mehr imstande ist, ihre erste Aufgabe zu erfüllen, nämlich das allgemeine Räteprinzip zu propagieren.
Wir kommen also im Gegensatz zur AAUE zu dem Schluss, dass es den Mitgliedern der Union freigestellt sein muss, ob sie sich in Parteien organisieren wollen. Weil wir für freie Meinungsäußerung sind und gerade deshalb, weil wir dem vorbeugen wollen, dass der politische Kampf ein Kampf um die Macht innerhalb der Arbeiterklasse wird.
Nun gilt es noch auf die Frage einzugehen, ob, wenn man politische Parteien neben der Union zulässt, dieser besondere politische Kampf nicht ebenso gut entsteht, und selbst noch schärfere Formen annimmt, weil sich die Gruppen fester organisieren können. Das kann nun für die Union nicht zutreffen, weil die Propaganda der Union sich auf das allgemeine Kampfprinzip beschränkt und das Besondere den jeweiligen Beschlüssen während des Kampfes überlässt. So werden die Funktionäre in der Union dann nicht angewiesen [?] nach ihrer jeweiligen politischen Stellungnahme, sondern nach ihrer Fähigkeit, und es wird wohl keine Partei geben, die hierin ein Monopol hat. Der politische Kampf in und außerhalb der Union ist dann kein Kampf um die Macht in der Organisation, sondern ein Kampf, um andere zu überzeugen. Nur die Anschauungen, die sich fortwährend erneuern und verbessern, werden gewinnen. Es wird kein gegenseitiger Vernichtungskrieg mehr sein, sondern ein in der Entwicklungslinie liegender “Kampf ums Dasein” der verschiedenen Auffassung (der eine Besserung der Gattung herbeiführt).
Eine andere Lösung der Frage ist es, wenn nicht eine Union besteht, sondern verschiedene, wobei jede Richtung eine besondere Union mit eigenem Programm bildet und die Zugehörigkeit zu einer (anderen) Partei ihren Mitgliedern verbietet. Das wäre in der Praxis dann nichts anderes, als dass verschiedene politische Parteien bestehen, die alle auf der Grundlage des allgemeinen Räteprinzips stehen, die Propaganda dafür aber getrennt anstatt geschlossen führen. Das ist mehr oder weniger der Zustand, den wir jetzt haben, wo AAUD und AAUE und die anderen Gruppen nebeneinanderstehen, ein Zustand, den man offensichtlich überwinden will. Die Mängel einer solchen Auflösung ist Kräftezersplitterung, insoweit es die Propaganda für das allgemeine Räteprinzip angeht die Gefahr der Erstarrung, weil der gegenseitige Kontakt verloren geht und weiter, dass Klassengenossen, die nicht genau mit den verschiedenen Auffassungen übereinstimmen, kein Unterkommen finden.
Im gewissen Sinne sind wir für Doppelorganisation, denn sicher besteht ein Unterschied zwischen den Aufgaben der Union und denen der Partei.
Denn während die Union, gerade weil sie jeden Arbeiter, der aktiv die Propaganda für den Kampf unter eigener Führung vertritt, umfassen will und es in ihrem Programm nicht weiter als zur Festlegung dieses allgemeinen Räteprinzips geht, bleibt die Partei hierbei nicht stehen. Die Partei sucht, ausgehend von diesem allgemeinen Prinzip, für jede auftauchende Frage eine Lösung. Die Partei ist hier kein Vormund mehr, sondern ein Werkzeug, das der Rätebewegung dient. Doch eine Doppelorganisation, in dem Sinne, dass es bestimmt zwei Organisationen nebeneinander sein müssen (wie Partei und Gewerkschaft), ist es nicht. Es könnten ebenso gut zehn Organisationen nebeneinander sein, denn neun Bevormunder neben der einen Union wären nicht möglich, aber neun Helfer wohl.
Wenn wir nun in dieser Frage die Auffassung der AAUE bekämpfen, dann ist damit noch nicht gesagt, dass wir dadurch mit der AAUD übereinstimmen. Es ist selbst nicht unwahrscheinlich, wenn man die Vergangenheit der AAUD ins Auge fasst, dass bei der Richtung in der AAUD, die eine Partei für nötig hält, noch eine Dosis sozialdemokratischer Ideologie vorhanden ist, die man noch nicht losgeworden ist. Aus dem Vorhergehenden wird übrigens zu ersehen sein, dass wir uns hiergegen ebenso gut wenden. Gerade um die Bevormundung durch eine Partei zu vermeiden, halten wir es für nötig, dass es den Mitgliedern der Union überlassen bleibt, ob sie sich nach ihrer jeweiligen Auffassung in Parteien organisieren wollen.
In dem Schreiben der Frankfurter Mitglieder der AAUE wird sehr richtig der Gegensatz hervorgehoben zwischen der von uns formulierten und auch von der Programmkommission in der R.K. Nummer 8 zum Ausdruck gebrachten Auffassung und den in früheren Jahren herrschenden Auffassungen über die Union. Wir wollen ihn hier noch näher beleuchten.
Die Union entstand in den Revolutionsjahren durch den Zusammenschluss der als kämpfende Einheiten, als Klassenorganisation auftretenden Belegschaften. Solange die Revolution im Aufstieg war oder sich wieder erheben konnte, stellte die Union sich auf die Möglichkeit ein, dass überall die Arbeiterschaft in dieser Weise in den Kampf treten und sich ihr anschließen werde. So wäre sie zu der kämpfenden einheitlichen Gesamtklasse geworden - im Gegensatz zur gewerkschaftlichen Zersplitterung. In diesem Charakter gehörten alle Arbeiter zu ihr, die als einheitliche Masse zusammen in den Kampf eintraten; eine bestimmte kommunistische Überzeugung war nicht nötig, nur der Wille zum Kampf. Deshalb stand neben ihr eine andere, kleinere Organisation von klar bewussten Vorkämpfern mit kommunistischer Überzeugung, gleichsam die Kerntruppe, die aufgrund ihrer Einsicht schon vor den Kämpfen den Weg und die Taktik des Kampfes angeben und vorbereiten konnte. Das war damals die KAP. Das Verhältnis der beiden ähnelte also einigermaßen dem früheren zwischen Sozialdemokratischer Partei und den Gewerkschaften. Dass dieses Verhältnis nicht bestehen bleiben konnte, lag unter anderem daran, dass in dem modernen Kapitalismus eine Trennung zwischen politischem und wirtschaftlichem Kampfe nicht mehr möglich ist, also für zwei Organisationen, eine kleinere für den politischen und eine größere für den wirtschaftlichen Kampf, auch kein richtiger Raum mehr war. An die Stelle der politischen Partei sollte dann die kommunistische Kerntruppe innerhalb der Union treten.
Soweit die Theorie. Wie aber war die Praxis, die Wirklichkeit? Unter dem fortschreitenden Zurückebben der revolutionären Kraft schmolzen die Unionen zusammen, und es blieben nur die bewusstesten, kampffähigsten, revolutionärsten der Mitglieder übrig. Damit hat sich ihr Charakter völlig umgeändert. Sie ist selbst Kerntruppe geworden; man darf doch ruhig annehmen, dass alle, die noch in ihren Reihen geblieben sind, bewusste revolutionäre Kommunisten sind. Der Standpunkt, den wir nun in unserer Zuschrift vertreten haben, ist dieser: sich auf den Boden stellen der Wirklichkeit. Das heißt: Ausgehen von der Union, wie sie ist, nicht wie sie vor 10 Jahre gedacht war. Die Union selbst soll Kerntruppe bewusster Klassenkämpfer bleiben; denn dann hat sie die große Aufgabe, durch Klärung, Propaganda, Einwirkung auf jeden Teilkampf und in jeder politischen Lage die künftigen Massenbewegungen des Proletariats vorzubereiten und ihnen Richtung zu geben. Man könnte jedoch fragen: Wenn diese einmal ausbrechen, sollte dann aber doch nicht wieder Anlass sein zu einer Union im alten Sinne, als Zusammenfassung der kämpfenden Belegschaften? Wir glauben, dass eine solche Bewegung einen so großen Umfang haben wird, so große Teil der ganzen Klasse umfassen wird, dass sie keine besondere Organisation unter dem Namen Union braucht, sondern als Räteorganisation der ganzen Klasse auftreten wird. Das wäre übrigens eine Namensfrage, während es sich jetzt um die Sache handelt: die bestehende vorhandene Kerngruppe für die Aufgabe des revolutionären Klassenkampfes möglichst zu einigen und zu rüsten. Die AAU der vorigen Revolutionszeit hat in Deutschland die ersten praktischen Vorbilder des neuen politischen Klassenkampfes gegeben, und gleichzeitig im Kleinen gezeigt, was nachher im Großen die Kraft der politischen Revolution bilden wird; von den Lehren dieser Praxis ist die heutige Union die Trägerin geblieben.
Die Antwort auf die Fragen der Frankfurter Genossen kann also nach unseren Auffassungen ganz einfach gegeben werden: Innerhalb der Union wird es keinen Gegensatz zwischen einem kommunistischen Kern und einer unklaren Masse geben. Sie besteht nur aus Arbeitern, die den Kommunismus und den Klassenkampf verstehen und wollen. Zu einer Doppelorganisation und zur Fraktionsbildung ist kein Anlass.
Vielleicht erhebt sich die Frage, wo dann diejenigen Arbeitergruppen gesammelt werden sollen, die sich von den Gewerkschaften lossagen aus Empörung über deren Politik, ohne noch zielklare Kommunisten zu sein. Praktisch kommt das heute kaum vor, aber es könnte etwa in Zukunft eine massenhafte Erscheinung werden. Wäre es aber angebracht, für eine unsichere Möglichkeit in der Zukunft die Notwendigkeiten von heute zurückzustellen? Trifft das Bedürfnis nach einem solchen Sammelbecken ein, so wird sich auch das Mittel dazu schaffen lassen. Wer sich heutzutage von den Gewerkschaften lossagt wird in der Regel ein so großes Interesse an Selbsterklärung empfinden, dass die Union ein richtiger Platz für ihn ist.
Die Frage der Doppelorganisation, sollte man glauben, sei jetzt keine Frage mehr, da sie einem früheren, überwundenen Zustand der Arbeiterbewegung entspricht. In der Vorkriegszeit, als die Sozialdemokratie aufkam, war die doppelte Organisation, Partei neben Gewerkschaft, notwendig, weil der Kampf gegen die Regierung und der gegen die Unternehmer getrennt waren und beide um kleine Reformen im Kapitalismus handelten. Die Partei war der Ort der politischen, revolutionären Überzeugung, des Wissens über Entwicklung der Gesellschaft; in der Gewerkschaft suchte man alle Arbeiter zu sammeln, und sie wurden geachtet, als solche keine politische Meinung zu haben. Aber die Union ist keine Gewerkschaft. Soll man jetzt den Unionsleuten zumuten, [wie?] solche überzeugungslosen, neutralen Leute zu scheinen? [?] - Nicht [politisch?] zu sein, denn sie sind ja alle doch Kommunisten und, um über Revolution und Kommunismus frei reden zu können, zuerst in einer anderen Organisation, eine Partei einzutreten? Und das jetzt, zu einer Zeit, da Staat und Unternehmertum nicht zu unterscheiden sind, da jede Lohn- und Arbeitsfrage eine politische Frage ist, da jede politische Frage zu einer Frage von Revolution wird, und da, wer über Arbeiterrevolution spricht, sofort über Betriebsorganisation und Rätesystem spricht. Welche und was für eine Partei sollte das sein? Eine antiparlamentarische Partei, wenn sie nichts anderes als nur die Revolution des Proletariats und alle Macht den Räten will, würde genau dieselbe Frage wie die Union in genau derselben Weise behandeln und sich genau dieselben Ziele stecken. Mit den vorhandenen Parteien sind allerdings Unterschiede vorhanden: hauptsächlich in der mehr zentralistischen Organisation und in der Rolle, die sie der Partei als Führer und Träger der Revolution zuweisen.
Die Frage der Doppelorganisation hängt mit der Frage der Fraktionsbildung zusammen, indem gesagt wird: Wenn keine Doppelorganisation da ist, werden die unvermeidlichen Verschiedenheiten in politischen Ansichten innerhalb der Union zur Bildung von Fraktionen führen, die die Einheit zerreißen. Stellen wir die Gegenfrage: Man gebe diesen Differenzen den Ausweg, sich in fünf politischen Parteien zu verkörpern, die einander befehden - glaubt man dann, dass diese Leute friedlich, brüderlich in der Union nebeneinanderstehen werden? Alle bisherige Erfahrung zeigt das Gegenteil: Solche Überzeugungen, die den ganzen Menschen erfüllen, weil es um die höchsten Klasseninteressen geht, zieht man nicht wie einen Mantel aus; und die Union ist kein neutraler Geselligkeitsverein, sondern ein Kampfverein, dessen Ziele derselben Streitfragen voll sind. Aber werden die Meinungsverschiedenheiten hier zu Fraktionsbildung und Spaltung führen müssen? Nie waren die großen politischen Vereine und Parteien in der Geschichte völlig uniform im Denken; das wäre der geistige Tod gewesen. Immer waren sie voll des inneren Streits, der ja das treibende Element des geistigen Lebens war. Nur wenn mitten in der Praxis der Umwälzungen die Gegensätze so wuchsen (wegen des Fortschreitens der Revolution), dass man einander lähmte, musste man sich trennen. Aber man soll auch nicht die Tradition der Parteien von früher unbesehen auf die Union übertragen. Das Wort Fraktionsbildung hatte doch einen bestimmten, bösen Klang. Jene politischen Parteien waren Instrumente der Macht, die für sich die Macht anstrebten oder besaßen. Jeder Führer suchte für sich persönlich Machtmittel der Partei. Fraktionsbildung war ein Mittel, den Apparat der Partei in seine Hände zu bringen, war ein Streben nach Macht. Der Vorwurf “Fraktionsbildung” bedeutete die Beschuldigung der geplanten Verschwörung, der Usurpation gegen die bestehenden Führer. Eine Organisation jedoch, die nicht selbst die Macht für sich erobern will, sondern die Klasse, die proletarische Masse zur Macht bringen will, bietet für Fraktionsbildung wenig Anlass und hat wenig darunter zu leiden. Aber Meinungsverschiedenheiten und innerer Streit innerhalb des gemeinsamen Zieles werden deshalb nicht fehlen.
Die drei vorliegenden Artikel sind nicht mehr als eine vorläufige Orientierung in der Frage der Parteibildung nach Anlass einer Bitte der Genossen der Frankfurter AAUE. Mehr haben wir vor Weihnachten nicht leisten können, weil wir mit Arbeit überlastet sind. Wir werden sobald wie möglich auf diese wichtige Frage der alten und neuen Parteibildung zurückkommen.
Der dritte Artikel gibt die Auffassung einer Minderheit in unserer Gruppe betreffs dieser Frage wieder, die beiden anderen den Standpunkt der Mehrheit.
P.I.K.
PRESSEDIENST DER
INTERNATIONALEN
KOMMUNISTEN-HOLLAND
DEUTSCHE AUFLAGE
LESEN UND WEITERGEBEN
Warum fahren jetzt noch Züge nach Deutschland? Warum werden noch deutsche Güter abgenommen und verarbeitet? Wo ist die internationale sozialistische und menschliche Solidarität mit unseren Mitarbeitern jenseits der Grenze?
*“De Syndicalist” Ausgabe: Nederlandsch Syndicalistisch Vakverbond[55] - Amsterdam.*
April 1933 Nr. 1
Die Umwälzung in Deutschland ist nicht als eine Konterrevolution zu bezeichnen, denn diese setzt eine vorherige Revolution voraus - die eigentliche Konterrevolution begann in Berlin am 9. November 1918, als Ebert und Scheidemann die Regierung antraten. Aber sie hat mit einer Konterrevolution gemein, dass die Bourgeoisie eine Gewaltherrschaft aufrichtete, die den Parlamentarismus durch eine Regierungsdiktatur ersetzte, für bestimmte Gruppen der Bevölkerung die bürgerlichen Freiheiten und die einfachsten Menschenrechte aufhob, die bisher legalen Parteikommunisten als Verbrecher einsperrte, die Sozialdemokraten mundtot machte und eine Judenverfolgung inszenierte, die in der übrigen Welt die Frage aufkommen ließ, ob Deutschland in die mittelalterliche Barbarei zurückverfallen war.
Die leichte Beseitigung des Parlamentarismus kann nur diejenigen überraschen, die vergessen, dass der Parlamentarismus nie tief in der deutschen Bourgeoisie wurzelte. Während in England und Frankreich die emporkommende Bourgeoisie die Macht erobert hat, und daher im Bürgertum das Parlament, als Ausdruck der Volksherrschaft, als höchste Macht über allen Regierungspersonen und Behörden empfunden wird, ist das Parlament in Deutschland von oben eingesetzt worden; es war kein Ausdruck eines Befreiungskampfes, und der Deutsche fühlte sich immer als Untertan unter der hohen Behörde.
Die Verfolgung der Kommunisten und Sozialisten findet nur eine äußerst gelinde Kritik da und dort in der Presse des Auslandes. Sie ist natürlich nicht mit der bestialischen Grausamkeit der französischen Bourgeoisie gegen die Pariser Kommune zu vergleichen - es ist ja selbstverständlich, dass damals, bei einer gelungenen revolutionären Ergreifung der Macht durch die Arbeiter, die Wut der Bourgeoisie viel heftiger und maßloser war als hier, wo sie sich erst zum Angriff auf die Lebenshaltung des Proletariats anschickt. Dass aber die Misshandlungen in den Konzentrationslagern so wenig Protest auslösen, zeigt, wie sehr die Klassenlage die Rechtsempfindung bestimmt.
Dagegen haben die Verfolgungen gegen die Juden fast überall in der bürgerlichen Welt scharfe Kritik und Empörung geweckt. Überall wo der Kapitalismus herrscht, ist die Gleichheit aller Menschen vor dem Mammon als ein selbstverständliches Prinzip jedem Bürger in Fleisch und Blut übergegangen, dass die Proklamierung eines Rassenprinzips wie ein Rückfall in vorkapitalistische Unkultur empfunden wird. Dass der Mensch nicht nach seinem Geldbesitz bewertet wird, verstößt sicher gegen die kapitalistische Ethik. Und so sieht man in den Hauptstädten der Welt, in Westeuropa und Amerika, dass überall Protestversammlungen gegen die Judenverfolgung abgehalten werden. Und dabei wird dann, als Mittel um einen Druck auf die neuen deutschen Herrscher auszuüben, eine Boykottaktion, ein Boykott deutscher Waren proklamiert.
Dieser Vorschlag kommt nicht immer, oder in erster Linie, von den Juden, die ihren Stammesgenossen helfen wollen, sondern oft von anderen. Das bedeutet, dass die warenproduzierende Bourgeoisie anderer Länder aus dem Boykott ihrer Konkurrenten ihren Profit zu machen sucht. Auch unter den Arbeitern des Auslandes taucht die Frage auf, ob sie sich nicht an einem solchen Boykott beteiligen sollen. Nicht wegen der Juden allein, sondern um ihre Empörung über die Vernichtung aller politischen Freiheit und die Verfolgung ihrer Klassengenossen zu bekunden. Für Sozialdemokraten oder Parteikommunisten liegt der Gedanke auf der Hand, den Feind, der sie in Deutschland niederschlägt und verfolgt, in anderer Weise zu treffen und zu schädigen.
Für revolutionäre Kommunisten, die die gesellschaftliche Entwicklung in ihrem Zusammenhang zu erfassen suchen, liegt die Sache jedoch anders.
Aus mehreren Gründen. Erstens: Es hilft nichts. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus ist der Kampf gegen das deutsche Großkapital. Dieser Kampf kann nur durch die deutschen Arbeiter geführt werden. Dadurch, dass sie in Massenkämpfen gegen die großkapitalistische Diktatur rebellieren und dabei zur klaren Erkenntnis ihrer kommunistischen Ziele aufsteigen. Diese Aufklärung und dieser Kampf können durch einen ausländischen Boykott, an dem sich Arbeiter beteiligen, bloß gehemmt werden.
Denn - und das ist ein zweiter Grund - dabei würden Arbeiter in einer gemeinsamen Aktion mit ihrer Bourgeoisie gegen die deutsche Bourgeoisie zusammenstehen. Oder richtiger noch: Dabei würden Arbeiter sich im Schlepptau ihrer Bourgeoisie befinden für die Interessen und Ziele dieser Bourgeoisie. Denn da hinter einer noch so aufrichtigen sittlichen Entrüstung der Bourgeoisie immer als bewegende Kraft ihr Konkurrenzinteresse steht, wären die Arbeiter, unter dem Scheine schöner humanitärer Ziele, in Wirklichkeit Opfer einer nationalistischen Verirrung. Die einzige Wirkung könnte nur diese sein, dass in Deutschland der Nationalismus unter den Arbeitern erstarkt und der Kampf für kommunistische Aufklärung erschwert wird.
Wir bekämen dann eine Neuauflage von 1914, als die Arbeiter in jedem der beteiligten Länder sich den imperialistischen Kriegszielen der eigenen Bourgeoisie unterordnete und einander bekämpften.
Können Arbeiter der anderen, der westeuropäischen Länder oder Amerikas dann nichts tun, um ihren so schwer bedrängten und unterdrücken Kameraden in Deutschland zu helfen?
Sicher können sie das. In erster Linie dadurch, dass sie den Kampf gegen die eigene Bourgeoisie klar und energisch führen. Jeder Fall, jedes Beispiel eines wuchtigen Arbeiterkampfes in einem Lande wirkt anfeuernd und aufklärend auf die Arbeiter anderer Länder.
Neben dieser Einwirkung durch die Tat tritt die geistige Einwirkung. Nach dem Zusammenbruch der alten Taktik braucht die Arbeiterklasse Klarheit über die neue zu befolgende Kampfmethode. Das ist keine Frage nur eines Landes; sie betrifft das ganze internationale Proletariat, und daher hat man sich überall durch Studium und Diskussion daran zu beteiligen. Die Entwicklung und die Propaganda kommunistischer Ziele, die gegenseitige Aufklärung über Wesen und Ziele des Klassenkampfes, über Fragen von Staat und Revolution in einem Lande, wirkt auf alle anderen zurück.
Und solange die Propaganda in Deutschland so erschwert ist, werden die Kommunisten anderer Länder nötig sein, um die deutschen Kameraden in ihrer Arbeit zur Aufklärung zu unterstützen.
Der Berliner Korrespondent des Amsterdamer “Handelsblad” schreibt über den Empfang einer Anzahl ausländischer Zeitungsleute durch den bayerischen Gesandten in Berlin. “Die Bayern sind sympathische, gastfreie und gemütliche Leute.” Das Ziel dieser Gastfreiheit war sehr materialistisch: Sommerreisende für Bayern zu gewinnen. Deshalb sprach der neue nationalsozialistische Staatssekretär Bayerns zu den Besuchern, wie schön und sicher man in Bayern reiste. Auch wies er darauf hin, dass das neue Deutschland nichts zu verbergen hat; dass zwar in Bayern eine große Anzahl Politiker (soll heißen Kommunisten) hinter Schloss und Riegel sitzt oder in Konzentrationslagern eingeschlossen ist, aber dass es sich hier nur um eine zeitweilige Maßnahme handelt.
“Sobald diese Kommunisten und Sozialisten sich wieder regelmäßig Arbeit angewöhnt haben und gute Staatsbürger werden wollen, wird man sie in Freiheit setzen.”
Weder der Korrespondent noch die liberale Zeitung selbst wagen dabei die Bemerkung, dass es sich also um eine nackte Willkür handelt, um das völlige Fehlen jeder Rechtssicherheit. Für Rechtssicherheit ist die erste Bedingung, dass derjenige, der verhaftet wird, innerhalb bestimmter Zeit einem Richter vorgeführt wird, der über die Anklage urteilt. Als die Jagd auf Kommunisten losging, als sie misshandelt und in Konzentrationslager geführt wurden, hieß es zuerst, dass sie nachher wegen ihrer Verbrechen abgeurteilt werden sollen. Jetzt wird davon nicht mehr geredet. Sie werden ohne nachweisbare Gesetzesverletzungen einfach gefangen gehalten, vollkommen willkürlich, und einer infamen Behandlung unterworfen. Für unbeschränkte Zeit, bis sie Besserung versprechen, dem Kommunismus abschwören und brave Hitlerianer werden. Die liberale Zeitung berichtet das als etwas Selbstverständliches, ohne Kommentar. Ist es vielleicht, weil die holländische Regierung in Indien[56] ähnlich handelte, indem sie oppositionelle Elemente unter den Eingeborenen, obwohl sie kein Gesetz verletzt hatten - sonst wären sie von dem Richter verurteilt worden - einfach in die Wildnisse am Digoelfluss verbannte, unter Beifall desselben Blattes? Der Unterschied ist nur der, dass die Holländer in Indien als fremde Eroberer kamen und also nie den Eindruck erwecken konnten, dort einen Rechtsstaat zu gründen, während die deutsche Regierung dieses System der Rechtslosigkeit über Deutschland selbst verhängt.
Die Nemesis[57] der Geschichte hat die deutsche Sozialdemokratie ereilt. Selten war der Zusammenbruch einer politischen Bewegung so verdient, so eine regelrechte Konsequenz ihrer Verbrechen wie hier. Was die deutsche Sozialdemokratie am Proletariat gesündigt hat, wird ihr jetzt von der Hitlerpartei heimgezahlt.
Wie weit sollen wir zurückgehen? Bis in die 90er Jahre, als mit der anfangenden Prosperität das Gift des Reformismus sich allmählich einschlich? Bis 1914, als in allen Ländern die Sozialdemokratie das Proletariat in das Joch des bürgerlichen Nationalismus und des Krieges spannte?
Fangen wir mit 1918 an, als der Zusammenbruch des deutschen Imperialismus die Macht für den Augenblick in die Hände der Arbeiter legte.
Sozialdemokratische Parteiführer traten im November 1918 als “Volkskommissäre” an die Spitze der Regierung. Die Arbeiter erwarteten sozialistische Maßnahmen. Eine wirkliche Partei des proletarischen Klassenkampfes hätte als ihre Aufgabe gesehen: die noch unvollkommene Macht der Arbeiterklasse auszubauen und zu festigen zu einer starken Diktatur, die besitzende Klasse und die Offiziere zu entwaffnen, das Kapital mit kräftiger Hand anzufassen. Die Sozialdemokratie beeilte sich, durch Berufung einer “Nationalversammlung” in Weimar die Macht in die Hände der Bourgeoisie zu spielen. Die Vorhut der Arbeiter, die die Massen zur Organisierung der proletarischen Revolution mitzureißen suchte, ließ sie durch die Generäle mithilfe der bewaffneten Bourgeoisie niederschlagen und festigte diesen Sieg durch die Ermordung der revolutionären Führer, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Als Regierung der neuen Republik schützte sie das deutsche Kapital, damit es sich wieder herstellte, und hielt bei auflodernden Bewegungen der Arbeiter die Masse in Ruhe, mit den Worten Eberts: Dies ist Sozialismus!
Sie ließ die Bourgeoisie ihre Macht festigen und ausbauen und wurde zum Dank, als sie nicht mehr nötig war, aus den Ministerposten beseitigt - was sie nicht davon abhielt, die neuen Regierungen nach Kräften zu unterstützen unter der Losung: Sonst kommt der Wolf, die Reaktion, der Faschismus.
Der kapitalistische Wolf wütete schon während dieser ganzen Zeit. Das Kapital handelte seiner Natur nach, so wie Kapital immer handelt.
Durch Schiebung und Spekulationen konzentrierte es allen Besitz in seiner Hand; durch Finanzoperationen, durch Inflation und Deflation expropriierte es die Mittelschichten und verelendete es das Kleinbürgertum. Durch extreme Rationalisierung der Industrie stieß es die Arbeiter massenhaft aufs Pflaster, so dass schon vor der Krise, als in der übrigen Welt noch Prosperität war, eine erschreckend hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland herrschte.
Der Groll der kleinbürgerlichen Massen richtete sich gegen das Regierungssystem - reaktionär und anti-kapitalistisch zugleich -, weil die sozialistische Partei als Sachwalter und Helfer des Großkapitals auftrat, fand er seinen Ausdruck in der emporkommenden nationalsozialistischen Bewegung.
In dieser Bewegung trafen mehrere Strömungen zusammen. Die abgebauten Offiziere der alten Armee, durch die erzwungene Armeebeschränkung stellenlos geworden, hassten die Republik als Verkörperung ihrer Niederlage und des Verlustes ihrer früheren Machtposition. Die akademische Intelligenz, Hüter der nationalstolzen Ideologie, sah sich durch den Zustrom republikanischer und jüdischer Kreise, denen sie oft an Eifer und intellektueller Begabung nicht gewachsen war, in ihrem Anrecht auf amtliche Stellen und freie Berufe bedroht. Zu ihnen stießen die untergehenden Mittelständler, die in dem “jüdischen” Großkapital der Warenhäuser und Banken die Ursache ihres Niedergangs sahen.
Als dann 1929 die Weltkrise einsetzte, schwoll der Zustrom aller dieser vernichteten oder bedrohten Existenzen zu einer Flut an, die schließlich das ganze parlamentarische Regiment wegschwemmte.
Das wäre allerdings nicht möglich gewesen, wenn nicht zuletzt das Großkapital den Nationalsozialismus als Werkzeug in seinen Dienst genommen und ihn durch seine Unterstützung zur Macht gebracht hätte.
Nur durch die großen Subventionen seitens des Großkapitals war die riesige Entwicklung der Presse, der Propaganda und des Parteiapparates möglich, die diesen Aufschwung zuwege brachte. Das Kapital hatte vorher kein Interesse am Nationalsozialismus, da es unter den republikanischen Regierungen sich unbehindert bereichern und alle ihre Interessen zur Geltung bringen konnte.
Als aber die Weltkrise kam und sich immer mehr verschärfte, musste das Kapital um seine eigene Erhaltung kämpfen. Bankrott bedroht jedes Einzelkapital; für sie alle ist der gemeinsame Ausweg Verringerung aller Kosten, die die Produktion belasten, Herabsetzung der Löhne. Die Löhne wurden durch eine Tarifvertragsgesetzgebung geschützt; und so sehr dieser Schutz in der Praxis der Schiedsrichter immer wieder durchbrochen wurde, so wirkte er doch als ein Hemmnis für eine allgemeine Lohnreduktion. Dazu kam die Arbeitslosenunterstützung, übrigens zuerst durch die Arbeiter aus eigenen Mittel aufgebaut, musste auch dazu dienen, dem Kapital die notwendigen Arbeitskräfte für die nächste Prosperität zur Verfügung zu halten. Jetzt aber hat sich die Sache geändert.
Das deutsche Kapital sieht von dem alten Ehrgeiz ab, ein hochindustrielles Exportland für den Weltmarkt zu sein; es zieht sich in eine gewisse Autarkie zurück, wobei der innere Markt die Hauptsache und der industrielle Export Nebensache wird. Politisch wird es sich, und werden vor allem auch seine Freunde, die Junker, sich beruhigter fühlen, als dabei die rasche Zunahme des industriellen Proletariats in Deutschland gehemmt wird.
Also: das Kapital will die Kosten der Arbeitslosenunterstützung nicht mehr tragen, und wenn dabei die zu vielen, die überflüssigen Proletarier zugrunde gehen, um so besser.
Zu diesem Angriff auf das Proletariat braucht das Kapital Truppen. Die offizielle Wehrmacht des Staates, die Reichswehr und die Polizei, genügen nicht; sie bilden ein zu kleines Spezialkorps, das höchstens nachher als regulärer Kern dienen kann. Es braucht eine große, freiwillige Massenarmee. Und diese findet es im Nationalsozialismus. Hier wurden im allmählichen Aufbau die Anhänger gewonnen, durch die Ideologie des Nationalismus begeistert, die sich der festen Disziplin einer militärischen Organisation unterordnend, zur höchsten Kampfleidenschaft steigerte, voll von bürgerlichem Hass gegen den Arbeitersozialismus, den “Marxismus”, - Hitler konnte nicht ahnen, wie wenig die sozialdemokratische und die kommunistische Partei mit dem wirklichen Marxismus gemein hatten.
In ihnen hat das Kapital die Kampfbanden gefunden und weiter großgezogen, die es gegen die Arbeiterklasse brauchte: keine von der Staatsmacht eingezogene Soldaten, die auf die Dauer gegen das Volk unzuverlässig sind, sondern eine von Klassenhass erfüllte kleinbürgerliche Masse, zum Klassenkampf erzogen und bewaffnet.
Als dann die Wucht der Krise und die Macht der Propaganda den Nationalsozialismus zur mächtigsten Partei emporhob, hat das verbündete Großkapital und Junkertum seinen Führer zum Reichskanzler gemacht. Und sein erstes Werk war, die Sozialdemokratie und die kommunistische Partei niederzuschlagen.
Man hat sich gewundert, dass die Sozialdemokratie sich so ohne eine Spur des Widerstandes beseitigen ließ. Zwei Soldaten, so höhnte ein Gegner, genügten, um sie aus ihrer Machtposition, dem Polizeipräsidium Berlins, hinauszuwerfen. Sie, die Millionenpartei, die sich und anderen einredete, dass sie die Arbeiterklasse war oder wenigstens vertrat, deren Vorhut, deren Kampforganisation. Kein Arbeiter rührte eine Hand für sie, und sie versuchte nicht einmal, die Arbeiter dazu aufzurufen. Sie war nicht kampffähig, und sie wusste selbst, dass sie unfähig zum Kampf war. Sie war nur Fassade geworden, hinter der ein so morscher und verwitterter Bau stand, dass sie bei dem ersten Schlag des Gegners in Trümmer fiel.
Wie geprügelte Hunde saßen die Sozialdemokraten im Reichstag und wussten nichts vorzubringen, als dass sie doch nicht so schlecht seien - im nationalen Sinne - als man sie machte. Und als Hitler sie anherrschte: 14 Jahre sitzt ihr hier, und das deutsche Volk hat von eurem mysteriösen Sozialismus nie etwas gesehen - da traf er gerade den Nagel auf den Kopf. Nicht ihr Sozialismus, sondern ihr Mangel am Sozialismus war die Ursache des Sturzes.
Eine Niederlage an sich ist nicht schlimm; die Arbeiterklasse wird noch oft Niederlagen erleiden, wenn sie mit ungenügender Kraft den Kampf gegen das mächtigere Kapital aufnehmen muss, und solche Niederlagen sind Quelle späterer Siege. Aber dies war ein Zusammenbruch, kein Kampf, weil sie, die Sozialdemokratie, die Arbeiter nur wählen, aber nicht revolutionär kämpfen gelehrt hatte. Wie könnte sie auch - hatte sie ja selbst den revolutionären Kampf der Arbeiter niedergeschlagen für die Bourgeoisie. Der Untergang mag tragisch erscheinen, wenn man an Bebel und Liebknecht, an die vielen Kämpfer alter Zeit denkt, die in opfervoller Arbeit damals die Sozialdemokratie aufbauten.
Aber die Welt schreitet vorwärts, was der Vergangenheit ein Ideal, wird der Zukunft ein Hemmnis. Die Sozialdemokratie ist ein alter absterbender Ast am Baume der Arbeiterbewegung, und klein unter ihm, von ihm bisher bedrückt, sprießen die neuen Öste auf.
Die Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands zeigt uns das Bild einer Organisation, die zur Förderung und Führung der proletarischen Revolution in Westeuropa berufen schien, aber schon in ihrer ersten Jugend zu einer scheinrevolutionären Partei entartete.
Sie entstand aus den kleinen Gruppen, die während des Weltkrieges in schärfster Opposition zu der Sozialdemokratie durch revolutionäre Propaganda und Aktion den Kriegsimperialismus der Bourgeoisie bekämpften. Während der revolutionären Bewegungen nach dem Kriege unter dem anfeuernden Beispiel der russischen Revolution schlossen sie sich zur KPD zusammen, die den Klassenkampf zur Durchführung der proletarischen Revolution in Westeuropa auf ihre Fahnen schrieb und Massenaktion und Sowjetsystem an die Stelle des Parlamentarismus und der Gewerkschaften stellte. Aber die Aktionen der Arbeiter wurden gewaltsam niedergeschlagen und die hervorragenden Führer, Liebknecht und Rosa Luxemburg, ermordet. Da standen die deutschen Kommunisten vor der Frage ihrer weiteren Politik. Die Mehrheit der Partei sah ein, dass die Revolution in Westeuropa ein längerer Prozess sein wird, in der die Arbeiterklasse durch eine gründliche Aufklärung und die Praxis der Massenaktionen allmählich die Macht zur Beseitigung der Bourgeoisie aufbauen muss, und dass dazu in erster Linie das Überwinden der parlamentarischen Illusionen und der gewerkschaftlichen Führerherrschaft nötig war. Aber die Interessen Russlands standen dem entgegen. Russland wurde schwer durch die Angriffe der von Westeuropa unterstützten weißen Armee bedrängt, und es brauchte die Hilfe der westeuropäischen Arbeitermassen, die durch ihren Druck auf ihre Regierungen diese von weiteren Angriffen auf Russland zurückhalten sollten. Die Dritte Internationale, aus den vielen kommunistischen Parteien Europas gebildet, wurde zum Organ dieser russischen Politik. Dazu mussten möglichst große Arbeitermassen rasch für die Partei gewonnen werden und von ihren sozialdemokratischen Führern losgelöst werden; also Benutzung des Parlamentarismus und Eintreten in die Gewerkschaften, um sie, wie es hieß, zu revolutionieren, will sagen: die alten Führer durch neue russlandfreundliche zu ersetzen. Unter dem Einfluss der von Moskau gesandten russischen Parteivertreter, unter Benutzung der finanziellen Abhängigkeit von Moskau wurden 1919 die Vertreter einer westeuropäisch - revolutionären Taktik hinausgeworfen, und die KPD stellte sich auf den Boden des “revolutionären” Parlamentarismus und der Gewerkschaftstaktik.
Seitdem ist die KPD die deutsche Filiale von Moskau geblieben. Dabei bestimmten nicht nur die russischen Interessen, sondern auch das russische Beispiel ihre Taktik und ihre Anschauungen. Nach dem Vorbild Russlands sollten die Revolutionen in Europa gemacht werden. Der große Unterschied - in Westeuropa ein hochentwickelter Kapitalismus, wo ein entwickeltes Proletariat als Bevölkerungsmehrheit durch Aufbieten ihrer ganzen Klassenkraft die mächtige Bourgeoisie zu besiegen hat, Russland ein primitives Bauernland mit einer Minorität von Industriearbeitern - wurde dabei übersehen. Russland, wo eine unfähige und veraltete Regierung und eine schwache Bourgeoisie durch die Arbeiter mit Hilfe der Bauern gestürzt war, konnte als Bauernland nur durch eine kräftige zentrale Bürokratie regiert werden, die als Aufgabe die rasche Industrialisierung des Landes hatte. So wurde die bolschewistische Partei, namentlich ihre Bürokratie, zur Regierung des Landes; die Industrie wurde Organ des Staates und die Arbeiter standen im Dienst der staatlichen Indus-trie. Dieses sich in Russland entwickelnde System des Staatskapitalismus wurde mit dem traditionellen Namen des Kommunismus belegt; und diese - unkenntlich gewordenen “kommunistischen” Lehrbestimmungen - wurden Anschauungen und Ziele aller der Dritten Internationalen angeschlossenen kommunistischen Parteien.
Die Diktatur des Proletariats verwirklicht sich in der Diktatur der kommunistischen Partei - dieser Satz bildet ihre Grundlage. Anstatt der Selbstherrschaft des ganzen Proletariats tritt die Herrschaft der Partei über das Proletariat. Die revolutionäre Minorität, nicht die ganze Klasse, macht die Revolution. Die Kommunistische Partei ist es, nicht die proletarische Masse, die die Bourgeoisie besiegt und dann den Sozialismus durchführt - und in diesem Sozialismus wieder, wie in Russland, die Parteibürokratie als Leiter, als Meister, die Arbeiter als gehorsame Hände.
Natürlich spielt auch die Masse ihre Rolle, als Mitläufer, als Gefolgschaft, als Anhänger. Sie braucht nicht selbst von klarer revolutionärer Einsicht erfüllt zu sein; sie braucht nur den Losungen der Führer folgen. Wenn sie nur in entscheidenden Augenblicken mitgerissen werden kann - mag es sogar durch falsche Nachrichten sein - und durch ihre Wucht den Widerstand bricht und der Partei zum Siege verhilft, so hat sie ihre Aufgabe erfüllt. Der Massenbetrug ist der Hebel der Weltrevolution, so wurde schon 1919 diese Auffassung charakterisiert.
Massen als Anhänger gewinnen, damit die Partei Macht bekommt und ihre Ziele durchführen kann, das ist das Ziel des “revolutionären” Parlamentarismus. Seiner Qualität nach steht er also noch unter dem alten sozialdemokratischen Parlamentarismus, wo Erziehung der Massen zum Klassenbewusstsein und zu demokratischer Selbstständigkeit das proklamierte Ziel war. Er brauchte nicht mehr, als in radikalen Reden die sozialdemokratischen Forderungen zu übertrumpfen; aber gerade durch diesen Gegensatz gegen die vorsichtige Leisetreterei jener Partei bekam er einen revolutionären Schein und konnte so die Empörung der vom Kapital bedrückten Arbeiterschichten zum Ausdruck bringen - natürlich einen völlig wirkungslosen Ausdruck. Dieser Wortradikalismus hinderte die KP nicht, zugleich in Versuchen zu Koalitions- und Stellenpolitik die Prinzipienlosigkeit ihres scheinrevolutionären Parlamentarismus zu bekunden.
Massen als Anhänger gewinnen war auch das Ziel ihrer Gewerkschaftspolitik. Statt den Massen zu zeigen, dass die Gewerkschaften gegen das Monopolkapital unbrauchbare Waffen sind und dass hier Massenkämpfe nötig sind, die durch unmittelbar von den Arbeitern selbst abhängige Aktionsausschüsse, Arbeiterräte, geleitet werden und sich stets erweitern - suchte sie die Führung der Gewerkschaften in ihre Hand zu bringen. Könnte sie die bestehende Bürokratie beseitigen - indem sie die Machtlosigkeit der Gewerkschaften der Unfähigkeit oder dem bösen Willen dieser Leute zuschrieb - so hätte sie einen Apparat in der Hand, der ihre Parteimacht gewaltig steigern würde in allen von Moskau verordneten Wandlungen ihrer Gewerkschaftspolitik - bald hinein, um die Leitung zu erobern, bald hinaus, um möglichst große Teile als RGO abzusplittern, immer war der leitende Gedanke: Anhänger gewinnen und damit Parteimacht. Wo ein Konflikt zwischen Arbeitern und Kapitalisten ausbrach, mischten sie sich ein, nicht, wie die Sozialdemokraten, um zu beschwichtigen, sondern um den Kampf anzufachen; aber dabei war ihr Ziel nicht, die selbstständige Kampfführung durch die Arbeiter zu unterstützen, sondern die Führung des Kampfes selbst in die Hand zu bekommen. Wenn von der Partei eine Streikleitung eingesetzt war, nannte sie das: Leitung des Kampfes durch die Arbeiter selbst - ähnlich wie sie in Russland das Kommando des Fabrikdirektors über die Arbeiter mit dem Namen Selbstherrschaft der Arbeiterklasse mittels der KP bezeichnet.
Massen als Anhänger gewinnen - dazu griff sie nicht bloß zu dem Parlamentarismus, der immerhin noch einer alten sozialistischen Tradition entspricht. Als während der Ruhrbesetzung die Wellen des Nationalismus hochgingen, machte sie auch in Nationalismus. Sie suchte dem emporkommenden Nationalsozialismus Konkurrenz zu machen, biederte sich beim Stahlhelm an und ließ im Reichstag den nationalistischen Parteien ein Bündnis gegen Frankreich anbieten. Allerdings muss zur Entschuldigung gesagt werden, dass sie hier nicht aus eigenem Trieb sündigte, sondern dem Gebot aus Moskau gehorchte. Was in erschreckender Weise ans Licht trat war die Tatsache, dass auch die einfachsten Gebote des politischen Klassenkampfes gegen die Bourgeoisie vor den augenblicklichen Bedürfnissen russischer Staatspolitik weichen mussten.
Man fragt sich, wie die deutschen Kommunisten dies alles schluckten. Waren sie so blind, dass sie nicht den Widerspruch dieser ganzen Taktik zu den Bedingungen des Klassenkampfes in einem großkapitalistischen Lande erkannten? Gewiss, fortwährend traten Mitgliedergruppen in Opposition zu der Partei und wurden ebenso regelmäßig hinausgeworfen; aber da keine prinzipielle Klarheit, sondern Empörung über eine praktische Tat die Ursache war, blieben die abgesplitterten Gruppen meist auf halbem Wege stehen. Die materielle Abhängigkeit von Moskau, verbunden mit der mächtigen Tradition der russischen Revolution, verhinderte die geistige Entwicklung zu einem eigenen, selbstständigen Standpunkt. Indem diejenigen, die Bedenken trugen, die durch russische Interessen bedingten Wandlungen der Taktik mitzumachen, hinausflogen, blieb nur die schmiegsame Gefolgschaft der prinzipienlosen Parteiführer, immer wieder ergänzt durch jüngere Arbeiter, deren Kampflust und revolutionärer Tatendrang sich durch scheinkommunistische Losungen mitschleppen ließen. Ihre Begeisterung und Hingabe, nicht geleitet durch eigene Einsicht, wurde dabei zu einem gehorsamen Parteifanatismus, der jede wirklich kommunistische Kritik niederprügelte.
Aus solchen Anhängern wurden bewaffnete Kampfgruppen gebildet in Nachahmung der russischen Roten Armee. Die KP glaubte, sich damit den Kern der Armee zu bilden, mit der sie einmal die Macht erobern wollte. Damit wird das Bild vollständig: statt der Arbeiterklasse, die durch den Aufbau ihrer eigenen geistigen und organisatorischen Massenkraft fähig wird, die Bourgeoisie zu besiegen und ihre Herrschaft über die Gesellschaft aufzurichten, eine Partei, die geleitet durch Parteiführer, mit der Masse als unwissende Gefolgschaft und mit einem bewaffneten Partei-Freikorps die Bourgeoisie besiegen zu können glaubt. Als ob solche kindische Soldatenspielerei in irgendeiner Weise gegen die Militärmacht, die die Bourgeoisie sich mit ihren ungeheuerlichen staatlichen und finanziellen Mittel verschaffen kann, aufkommen könnte.
Als dann zuletzt die Bourgeoisie auftrat, den Nationalsozialismus großzog und ihn in die Macht setzte, da brach der ganze Scheinrevolutionarismus der KPD zusammen. Dann zeigte sich, wie sie all diese junge Begeisterung missbraucht und irregeleitet hatte. Statt sie zu einsichtsvollen Klassenkämpfern zu machen, mit denen eine nicht großmäulige, sondern wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung allmählich aufgebaut wäre, hat sie sie zu blinden Werkzeugen ihrer Parteiziele gemacht. Die vielen Tausende von Kommunisten, die jetzt im Konzentrationslager misshandelt werden, sie sind die Opfer der falschen Politik der KPD, die der deutschen Arbeiterklasse nur Ohnmacht gebracht hat. Opfer in erster Linie der Machthaber in Russland, die das Interesse des westdeutschen Proletariats und der Weltrevolution immer hinter ihre eigenen Interessen zurückstellten. Opfer auch alle diejenigen Wortführer, die vor 12 Jahren, entgegen allen Warnungen, die KPD auf diesen verhängnisvollen Weg des Opportunismus führten.
Dem deutschen - und internationalen - Proletariat wird es nicht leicht gemacht, den Weg zur Befreiung zu finden. Die Sozialdemokratie, die es in dem ersten halben Jahrhundert aufbaute, verwandelte sich in eine Reformpartei im Dienst der Bourgeoisie. Die KP, die die revolutionären Elemente dann aufbauten, verwandelte sich bald in ein scheinrevolutionäres Werkzeug des russischen Staatskapitalismus. Das Proletariat wird wieder von Neuem anfangen müssen.
Wir erhielten folgenden Artikel, welchen wir gekürzt abdrucken.
Was ist die NSBO? Wie der Name schon sagt eine Nachahmung bolschewistischer Zellentaktik zur Verseuchung der Betriebe, zur Verwirrung und Vernebelung der Arbeiterköpfe, zur Terrorisierung marxistischer Arbeiter, zur Niederschlagung jeder Ansätze klassenmäßigen Widerstandes gegen die Diktatur. Schon die Tatsache aber, dass ihre Funktion in die Produktionsstätten selber gelegt werden musste, dass sie von Betriebsarbeitern ausgeübt wird, hat schon in den ersten Wochen gezeigt, dass die Machthaber selbst auf dem Glatteis eines für sie gefährlichen gesellschaftlichen Bodens zu laufen hatten. Das ungeheure Tamtam, mit dem die Regierung sie in Szene setzte, der raffinierte Apparat von Feiern, Fackeln und Fahnen, die Phrasen von Ehre, Freiheit und Gleichberechtigung, mit denen man die Arbeiter umschmeichelt, bedeuten, dass man auf möglichst lange Zeit die Erfolge auf ideologischem Gebiet zu halten sucht. Trotzdem zeigen sich in verschiedenen Ansätzen, die natürlich nochmal weit von klassenbewusstem Handeln entfernt und eben überhaupt nur Ansätze sind, wie die Arbeiter - auch die nationalsozialistischen Arbeiter - keineswegs bereit sind, sich nur mit Versprechungen abspeisen zu lassen. Es entbehrt nicht einer gewissen Naivität, wenn die Nazi-Delegation des Ludwigshafener IG-Farbenwerks von ihrer Direktion die Beteiligung der Arbeiter bei der Dividendenausschüttung fordert, oder wenn die NSBO im Stahlwerk Haspe einen bei der Arbeiterschaft unbeliebten treu-nationalen Direktor festsetzt; in beiden Fällen haben sie sich wieder brav nach Hause schicken lassen - wie aber die Klassenkampftatsache ihres ganzen Lebens auch nationalsozialistische Arbeiter unbewusst klassenkampfmäßig reagieren lässt, das wird, wie verschüttet auch immer, in solchen kleinen Ereignissen blitzartig beleuchtet. Auch der Streik bei der Ullstein-Druckerei hat einen viel weitergehenden Inhalt als die deutschen Zeitungen berichten dürfen. Wenn auch hier die NSBO, ihrer Fahne treu, unter dem Banner des Antisemitismus gegen jüdische Redakteure und Verlagsleiter vorging, so gingen die Streikenden darüber noch hinaus. Sie forderten auch das Ausscheiden von zwei nationalsozialistischen Redakteuren, und zwar des verantwortlichen Redakteur Dr. Timm und des Gerichtssaalberichterstatters von Claas, ferner die Auswechslung des nationalsozialistischen Betriebsrats, weil er “nicht radikal genug” sei. Sie verlangten ferner die Herabsetzung der Spitzengehälter um die Hälfte.
Es wäre natürlich nichts falscher als solche Fälle zu verallgemeinern, oder gar in der NSBO Keime zu sehen, die sich zu revolutionären Betriebsorganisationen entwickeln könnten. Die Eroberung der NSBO wäre eine ebenso gefährliche Illusion wie die berühmte “Eroberung der Gewerkschaften” durch die marxistische “Linke”. Aber schon die bescheidenen Ansätze primitiven Klassengefühls, wie sie im Betrieb auch bei begeisterten Nationalsozialisten in Erscheinung treten müssen, sind gefährlich. Die Aufgaben der NSBO sollen sein und bleiben: die Verbreitung und Erhaltung der nationalsozialistischen Phraseologie, die Verdummung und Bespitzelung der Arbeiterschaft, ihre mit dem nötigen kasernenhofmäßigen Drill eingebläute Bindung und Versklavung an die Interessen der herrschenden Klasse. Ganz im Sinne dieser Aufgabe ist der Erlass, den die Berliner Staatskommissare Dr. Lippert, Dr. Marotzki und Engel für die städtischen und gesamtwirtschaftlichen Berliner Gesellschaften und Werke erlassen hat:
“Noch immer wird lebhaft Klage darüber geführt, dass die Betriebszellorganisationen ihre Funktionen überschreiten und in die Betriebe und die Leitung der Werke selbst einzugreifen bestrebt sind. Die NSBO hat nur die große Aufgabe, die hohe politische Idee unseres Führers innerhalb der Belegschaft der Werke zu verbreiten und zu vertiefen und neue Anhänger für den Nationalsozialismus zu werben. Dagegen ist es völlig unstatthaft und mit der großen Wiederaufbauarbeit in Staat und Volk, die der Führer in Angriff genommen hat, unvereinbar, dass die Obmänner und Mitglieder der Betriebszellen in die technische und kaufmännische Führung, in die Personalbesetzung oder gar in die Leitung des Betriebes eingreifen …”
Was Arbeiter von nationalsozialistischen Betrieben zu erwarten haben, das zeigen die Vorgänge in der Expedition von Goebbels “Angriff”[58]. Die Löhne der Zeitungsausträger sind um 33% gekürzt worden, worauf die Boten in Streik traten, so dass der “Angriff” teilweise am Freitagabend nicht ausgetragen werden konnte. Durch Zwangsmaßnahmen mithilfe der SS und SA wurden die Boten zum Nachgeben gezwungen. Im Zusammenhang mit all diesen Vorgängen ist folgender Befehl des NSBO-Leiters Schumann erlassen worden: “In den letzten Tagen haben verschiedene Belegschaften eigenmächtige Eingriffe in die Betriebsführung vorgenommen, die teilweise zur Stilllegung der betroffenen Betriebe führten. Dieses unverantwortliche Vorgehen ist geeignet, schwerste Erschütterungen hervorzurufen. Ich verbiete hiermit allen NSBO-Mitgliedern aufs Strengste, sich an diesen Aktionen zu beteiligen. Ich fordere von allen NSBO-Mitgliedern in jedem Betrieb, derartige Versuche im Keim zu ersticken …”
Es ist gar kein Zweifel, dass die NSBO gehorsam einschwenken wird und noch auf geraume Zeit Ansätze der geschilderten Art im Keim erstickt werden. Aber die weitere Entwicklung der Arbeiter in der NSBO, in den Gewerkschaften und den Betrieben überhaupt wird als Stimmungsbarometer ständig beobachtet werden müssen. Dabei kann vor Überschätzung lokaler Ereignisse nicht genug gewarnt werden.
Die Revolution des Nationalsozialismus hat der deutschen Arbeiterklasse, ohne es zu beabsichtigen oder es zu wollen, einen großen Dienst geleistet. Hat sie den äußeren Druck auf die Arbeiter erschwert, so hat sie zugleich die Hemmnisse aus dem Wege geräumt, die der Einheit und der Selbstständigkeit der Arbeiterklasse, jenen Vorbedingungen zur Befreiung, im Wege standen.
Die Arbeiter waren machtlos, weil sie gespalten waren in verschiedene Parteien und Gewerkschaften, und darin, unter dem Scheine der Demokratie, von den Parteihäuptern, von den Gewerkschaftsvorständen, von dem ganzen bürokratischen Apparat beherrscht wurden. Der Nationalsozialismus hat alle diese Apparate zerschlagen und vernichtet. Jetzt stehen die Arbeiter in den Werkstätten einfach als Arbeitsgenossen, als Klassengenossen nebeneinander.
Ihre Interessengemeinschaft kann nicht mehr durch die alten überlebten Trennungen verdunkelt werden. Ihre “Führer” sind nicht mehr Verbandsangestellte, die ihre Interessen verraten, sondern Regierungsagenten, die sie beaufsichtigen; also offene Gegner.
Sobald der Druck des Kapitals zu schwer wird, steht nichts mehr den Arbeitern im Wege, zusammen als eine geschlossene Einheit den Kampf gegen das Kapital und seine Agenten aufzunehmen.
Aber das alte Wort, dass die Befreiung der Arbeiter nur ihr eigenes Werk sein kann, gilt auch hier. Der Nationalsozialismus hat die äußeren Formen und Werkzeuge der Klassenspaltung zerschlagen. Aber die Arbeiter haben selbst das Wichtigste zu tun, diese Spaltung innerlich zu überwinden. In dem Geiste der meisten leben noch die alten Parteianschauungen, die alten Traditionen, die zu früheren Formen des Kampfes gehörten, die alten Gewohnheiten der Unterordnung unter dem Diktat der Führer und der Parteizeitungen.
Solange diese nicht überwunden sind, kann die Klasseneinheit nicht wirklich fest werden. Nur durch Selbstdenken können die Arbeiter ihre Selbstständigkeit in ihrer Einheit sichern. Nur durch Lernen durch Umlernen können die neuen Epochen des Befreiungskampfes kommen. Der erste und vernichtende Schlag der neuen Herrscher traf die KPD. Sie hatte auf weite Arbeiterkreise eine große Anziehungskraft ausgeübt, weil in ihr das Beispiel der russischen Revolution verkörpert war, weil ihre scheinrevolutionären Reden und Aufrufe die nach Kampf und Taten drängende Arbeitergeneration mitrissen, und weil sie durch die Finanzhilfe von Moskau eine große Propaganda führen konnte. Alles das konnte keine innere Kraft geben. Politisch war sie ein Werkzeug der Auslandspolitik der russischen Stalinregierung. Statt revolutionäre Kraft und Einsicht aufzubauen, verzettelte sie die Ansätze in fruchtloser Lärm- und Putschpolitik, die mit dem prinzipienlosesten Reformismus zusammengingen. Ihre Verherrlichung der revolutionären Gewalt, ohne die klare Erkenntnis der Ziele des proletarischen Klassenkampfes, hat dahin geführt, dass die jungen Köpfe vielfach zu einer Beute der nationalsozialistischen Propaganda wurden. Bei diesem Mangel an innerer Kraft kann auch eine opferbereite Verschwörertaktik nicht gegen den neuen Druck aufkommen. Die KPD wird sich von der Katastrophe nicht wieder erheben.
Aber in anderer Form können allerdings ihre Prinzipien sich aufs Neue behaupten; und daher ist es notwendig, diese ernsthaft und kritisch zu prüfen. Die russische Revolution als das größte welthistorischer Ereignis der letzten Jahrzehnte hört nicht auf, ihre Wirkung auf die deutschen wie auf die Arbeiter der ganzen Welt auszuüben. Was sie dabei mächtig anzieht, ist nicht das staatskapitalistische “Vaterland der Arbeiter” von heute, sondern der revolutionäre Freiheitskampf vor 15 Jahren. Nicht Stalin oder Molotow sind die großen Namen dieser Revolution, sondern Lenin und Trotzki. Und Trotzki ist schon in Frankreich damit beschäftigt, die oppositionellen und die Splittergruppen der früheren KPD um sich zu sammeln, um als Führer aller derjenigen Parteigruppierungen aufzutreten, die - im Gegensatz zu der Sozialdemokratie - den Kampf gegen Faschismus und Kapitalismus mit revolutionären Mitteln führen wollen. Es gehen allerdings Gerüchte herum, dass Agenten von Stalin mit Trotzki verhandeln, um zu einer Verständigung zu kommen; in diesem Fall käme es einfach zu einer Neuauflage der KPD-Geschichte, zu einer neuen Tragödie der Irrungen und Wirrungen, die das europäische Proletariat daran hindern werden, die richtige Lehre aus dem deutschen Zusammenbruch zu ziehen. Besser täte es der bolschewistischen neuen Trotzki-Partei, wenn sie nicht um der Augenblicksvorteile wegen ihre Zukunft auf das Spiel setzt dadurch, dass sie sich sofort in den Sumpf der Stalin-€˜schen Russlandpolitik hineinziehen lässt, sondern als internationale Opposition zur Dritten Internationale Stellung nimmt. Für die revolutionären Arbeiter macht es den Unterschied, dass sie sich dann prinzipiell mit dem Bolschewismus auseinanderzusetzen haben. Dabei handelt es sich dann nicht mehr um die russische Auslandspolitik, noch um die Sowjetgranaten für die Reichswehr, sondern um den Gegensatz zwischen Bolschewismus und Kommunismus, um die Prinzipien der proletarischen Revolution.
II.
Die Grundlagen des Bolschewismus, die Grundauffassung von Lenin und Trotzki, ist, dass die proletarische Revolution in Westeuropa nach dem Vorbilde, dem Muster der russischen Revolution stattfinden muss. In Russland war es die Kommunistische Partei, die die Arbeiter in den Kampf führte und nach dem Sieg die Herrschaft in die Hand nahm; in Westeuropa soll die Kommunistische Partei es genauso machen. Zu der Marx-€˜schen Losung der “Diktatur des Proletariats” proklamiert sie das Prinzip: “Die Diktatur des Proletariats verwirklicht sich in der Diktatur der kommunistischen Partei.”
Für Russland war es nicht anders möglich. Das Proletariat war weniger als ein Zehntel der Bevölkerung; nur zusammen mit den Bauern, die die übergroße Mehrheit bilden, konnte es die Bourgeoisie und die Grundbesitzer stürzen. Diese Bauernmasse, in der die Tendenz steckte, sich als Privateigentümer persönlich bereichern zu wollen, konnte nur durch eine starke, fest organisierte Zentralgewalt beherrscht werden. Die erste wirtschaftliche Notwendigkeit, im schnellen Tempo aus primitivster Barbarei zur modernen Höhe der Produktivität emporzusteigen, erforderte ebenfalls eine Konzentration der politischen Gewalt. Die russische Arbeiterklasse, zu einem bedeutenden Teil noch bäuerlich und mit dem Dorf verwachsen, musste sich dabei als Gefolgschaft der Führung seines entwickeltsten Teiles, eben der Partei, unterordnen.
Mit ungeheurer Begeisterung, Ausdauer und Opferwilligkeit hat die russische Kommunistische Partei ihre Aufgabe angefasst, die Organisation der Produktion als Staatssozialismus aufzubauen, die technischen Produktivkräfte zu heben, die Widerstände niederzuhalten, die alte Barbarei und Unwissenheit aufzuheben, die Jugend zu einem opferbereiten Nachwuchs zu erziehen. In einer stürmischen Entwicklung, unter den größten Schwierigkeiten, versuchte sie in Russland durchzuführen, was in Europa in einem Jahrhundert von bürgerlichen Revolutionen und von Kapitalismus sich entwickelte, mit noch dazu einem Teil dessen, was hier erst die proletarische Revolution leisten wird.
Nach diesem Muster soll nun, nach bolschewistischer Auffassung, auch in Westeuropa die proletarische Revolution gemacht werden. Eine bewusste revolutionäre Minorität tritt an die Spitze; sie kennt die Verhältnisse, sie beschließt die Taktik, und die große Masse hat nur als Gefolgschaft ihren Losungen zu gehorchen.
Daher schon 1919 die Taktik Lenins, große unklare, sozialdemokratische Gruppen wie die deutsche USP zum Anschluss an die Dritte Internationale zu bringen. Daher das unaufhörliche Bestreben, die Gewerkschaften zu “erobern”, das heißt, die Spitzen, die Vorstandsposten mit Leuten der Partei zu besetzen und damit die ganze Mitgliederschaft als gefügige Armee kommandieren zu können. Daher die Taktik des Parlamentarismus, wo auch die Wählermassen von Millionen als passive Gefolgschaft der Partei und der Parteiführer auftritt, die die eigentliche Arbeit machen. Die Partei bildet den Generalstab, das denkende Haupt, auf deren Anweisung die Massen, als die physische Kraft, den Gegner niederschlagen.
Diese Auffassung der Revolution passt völlig in die Tradition der früheren bürgerlichen Revolutionen. Auch da hatten die Massen die alte Herrschaft niederzuwerfen, aber die Führung hatte die Bourgeoisie inne. Es handelte sich um die Ersetzung einer alten Herrschaft durch eine neue, bessere, zeitgemäßere Herrschaft, ohne eine völlige Selbstbefreiung der Massen. Und daher war der zu überwindende Widerstand relativ gering, und die herrschende Klasse, eine dünne bedeutungslose Oberschicht, ohne Rückhalt in den Massen, war zu einem erfolgreichen zähen Kampf nicht fähig. So war es auch in Russland; die Bourgeoisie war schwach und die ganze Staatsgewalt desorganisiert, und daher konnte eine gute disziplinierte, klar bewusste kleine Partei, auf die großindustriellen Arbeitern sich stützend und die Bauernmassen mit sich ziehend, die Macht erobern und eine neue Herrschaft aufrichten.
III.
Aber für die politische Revolution in den Ländern des hoch entwickelten Kapitalismus, in Westeuropa und Nordamerika, liegen die Verhältnisse ganz anders. Es handelt sich hier um die Selbstbefreiung der ganzen proletarischen Klasse, und sie steht einem Gegner gegenüber, viel mächtiger als irgendeine frühere herrschende Klasse. Die kapitalistische Bourgeoisie besteht nicht bloß aus einer dünnen Oberschicht von reichen Fabrikanten und Monopolbesitzern, sondern aus einer großen Klasse von kleineren Unternehmen, Mittelschichten und Bauern, die alle fanatisch dem Prinzip der persönlichen Bereicherung ergeben sind und daher wie eine Mauer der Arbeiterklasse entgegenstehen. Sie verfügt nicht nur über die Machtmittel der Staatsgewalt, sondern auch noch dazu über unermessliche finanzielle und materielle Hilfsquellen, womit sie Gewaltmittel und Mietstruppen kaufen kann. Sie verfügt über alle Wissenschaft und Bildung einer hochentwickelten Gesellschaft; sie hält durch ihre geistigen Machtmittel, Schule, Kirche, Presse, Kino, und dergleichen die Massen in geistiger Abhängigkeit; und bürgerliche Grundanschauungen herrschen bis tief in die Arbeiterklasse hinein. Gegen eine solche Klassenmacht ist eine Partei, eine Minorität geschulter Revolutionäre, mag sie noch so fest diszipliniert sein, machtlos wie ein Kindersäbel aus Pappe. Gerade dieser Glaube, mittels einer Partei durch die Kraft fähiger Führer eine soziale Revolution machen zu können, ist eine bürgerliche Auffassung; er bekundet damit die geistige Macht der bürgerlichen Klasse, die bis in die Reihen der Revolutionäre selbst reicht und so das Proletariat schwächt. Ein solcher Glaube ist allerdings verständlich und verzeihlich für Osteuropäer, die nicht aus eigener Lebenserfahrung das Wesen der westeuropäischen bürgerlichen Welt kennen.
Die einzige ebenbürtige Macht, die die Bourgeoisie besiegen kann, ist die Arbeiterklasse. Das ist die Grundlage des Kommunismus, dass nur der Kampf der Klassen selbst, nur die Arbeiterklasse selbst, in ihrer Masse aktiv auftretend, die Revolution durchführen kann.
Zwar erscheint sie jetzt machtlos, durch die gewaltige Macht der Bourgeoisie bedrückt und in Respekt gehalten, durch deren geistige Macht gespalten, unsicher, ohne Ideale, unfähig zur Aktion, weit zurückstehend gegen die revolutionäre Tatkraft der russischen Arbeiter - daher forderten ja die Bolschewisten, dass die westeuropäischen Arbeiter als zurückgebliebene Schüler die Russen als ihr Vorbild anerkennen und ihnen nachfolgen sollten. Aber das westeuropäische Proletariat besteht noch aus ganz anderem Material: Durch seine Abstammung aus einem alten selbstständigen Kleinbürger - Bauerntum steckt ein kräftiger Individualismus in seinem Innern, später durch den Druck eines Jahrhunderts von Kapitalismus und durch die Schule der Maschine zu Organisation und Disziplin erzogen. Das ist keine Masse mit nur physischer Kraft, die von einer geistig überlegenen Gruppe geführt, befreit, gebildet und erzogen werden muss. Es ist eine Klasse, die, sobald und wo sie sich erhebt, immer ihre eigenen Geschicke in die Hand nimmt, als Gesamtheit ihre Aktion beschließt und durchführt, und damit sich selbst erzieht und zu stets größerer geistiger Macht und Einheit emporhebt.
Während in dem Parteisystem die Fähigsten als Gruppe sich von der Klasse absondern und sie zu beherrschen suchen, besitzt die Arbeiterklasse in dem Rätesystem die Organisationsform, die ihre Gesamtheit in einheitlichem Handeln zusammenfügt und auch die Kraft der Fähigsten in diese Gesamtheit einordnet.
Ist es dann nicht richtig, dass die Partei durch ihre Klarheit hoch über der zumeist unbewussten und gleichgültigen Masse steht?
Die Parteien sind in ihren Programmen und Theorien die Träger der Tradition früherer Kämpfe und Revolutionen. Darin liegt ihre Bedeutung, dass sie in ruhigen Zeiten die Lehren dieser früheren Erfahrung den jungen Generationen übermitteln. Daher erscheinen sie dann als die am meisten fortgeschrittene und revolutionäre Elite, und die Massen erscheinen ihnen gegenüber passiv und rückständig. Aber in Zeiten der Revolution ändert sich das Verhältnis. Da sind es gerade die Massen, die als schöpferische Kraft auftreten und neue Kampfmethoden gleichsam instinktiv anwenden - aus der Notwendigkeit der jeweiligen Klassenkampfsituation heraus. Vor der Ungeheuerlichkeit der Aufgabe, der Befreiung des Proletariats, wo sich nach jedem Erfolg riesiger die Macht des Feindes auftürmt, muss die Kraft einer Partei, einer Teilgruppe bald versagen. Sie wird sich daher auf den Teilerfolg, auf das beschränkte Ziel festlegen, zum Beispiel den Staatskapitalismus als Ziel proklamieren, und den Arbeitern einreden, dies sei das eigentliche praktisch erreichbare Ziel. Damit kann sie aber die Macht der Bourgeoisie nicht besiegen. Demgegenüber kann nur aus den Tiefen der Arbeiterklasse selbst, wo sie als aktive Gesamtmasse auftritt, die unerschöpfliche Kraft und die Rücksichtslosigkeit entspringen, die gegen jede neue Machtentfaltung des Gegners eine größere Macht entfaltet und ihn niederwirft. Der Kommunismus fordert von der ganzen Klasse die höchste Ausbildung ihrer geistigen und organisatorischen Kraft als notwendige Bedingung zu ihrer Selbstbefreiung, zu ihrer eigenen Herrschaft.
Der Bolschewismus, als Lehre der Unterordnung der Klasse als gehorsame Gefolgschaft einer bewussten Minorität einer Partei, kann diese Kraft nicht wecken.
Im Zusammenhang mit vorstehendem Artikel über Bolschewismus und Kommunismus einige Bemerkung über den oben erwähnten Kongress. Mit dem völligen Fiasko der “Leninistischen Taktik” in Mittel-Europa vor Augen beginnt man damit, den “Leninismus” in Neuauflage fortzusetzen. Es handelt sich dabei nicht um eine falsche Interpretation des Leninismus durch die Stalinknechte. Es handelt sich darum, dass wir klipp und klar aussprechen müssen, dass der Leninismus sowohl in der Fassung von Lenin selbst als auch in der von Stalin oder selbst der von Trotzki keine Klassenbasis abgeben kann für die Überwindung des hochindustriellen Kapitalismus. Lenin hat die entscheidenden Grundfragen des Kampfes um die Macht und von der Durchführung des Kommunismus auf den Kopf gestellt.
“Ergreifung der Macht durch das Proletariat” verwandelt der Leninismus in “Ergreifung der Macht durch die Partei”. (“Die proletarische Partei, die unter den heutigen geschichtlichen Bedingungen der Ergreifung der Macht ausweicht, begeht schlimmsten Verrat.” Aus der Resolution auf dem Pariser Kongress 1933.)
Die Diktatur des Proletariats erscheint als Diktatur der Partei. Und dieser Leninismus wird von den Geburtshelfern der Vierten Internationale als höchste Weisheit erklärt
Die Gründung einer neuen Internationalen auf dieser Grundlage bedeutet keinen Schritt vorwärts, sondern wirft die Arbeiterbewegung ein gutes Stück zurück. Denn, wie die Dinge jetzt liegen, hat der Leninismus sich im Besonderen in Deutschland schon praktisch überlebt. Es sind dort die Bedingungen geschaffen, dass die Arbeiterklasse auf der Grundlage der Arbeiterräte ihre Klassenmacht entfalten lernt. Die Reste der alten Arbeiterbewegung in Deutschland, wie diese noch in der SAP und den Bolschewiki-Leninisten verkörpert sind, geraten in Widerspruch mit den Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Und in dieser Lage suchen diese Reste nun Hilfe bei der Arbeiterbewegung in anderen Ländern, wo die Entwicklung noch lange nicht so weit fortgeschritten ist (im Besonderen die Unabhängigen in Holland), und bei den Trotzkisten in allen anderen Ländern.
Die alten Auffassungen suchen noch eine Rückendeckung im Auslande zu finden. Darum ist die Gründung einer Vierten Internationale auf dem Boden des “Leninismus” ein Schritt zurück; es ist das Zurechtflicken einer alten Auffassung, die ins Wanken geraten ist.
Wir stellen fest, dass die theoretischen und strategischen Auffassungen von Lenin in unüberbrückbarem Gegensatz zum “Marxismus”, zu den Bedingungen des Kampfes um die Macht in den hochindustrialisierten Ländern stehen. Und wenn die Geburtshelfer der neuen Internationale sagen “die Unterzeichneten (der Resolution) verpflichten sich, mit all ihrer Kraft dazu beizutragen, dass sich diese neue Internationale in möglichst kurzer Zeit herausbilde auf dem unerschütterlichen Fundament der von Marx und Lenin aufgestellten theoretischen und strategischen Prinzipien”, dann heißt das nur, dass man den Marxismus preisgibt. In Wirklichkeit steht man auf dem Boden des Leninismus, und man wird die marxistischen Auffassungen in den Grundfragen des Klassenkampfes aufgeben.
Denn: “Soll die neue Internationale ihren Aufgaben gerecht werden, so darf sie keinerlei Abweichung von den revolutionären Grundsätzen in den Fragen des Aufstands, der proletarischen Diktatur, der Sowjetform des Staates usw. zulassen.”
Damit ist dann gesagt, dass in dieser Internationale für die “linken” Marxisten kein Platz ist. Natürlich abgesehen davon, ob sie einem derartigen Gebilde angehören wollen. Es ist für die “Linken” kein Platz, weil die leninistische Auffassung der Diktatur im Widerspruch steht zu der “Sowjetform der Staates”. In der leninistischen Auffassung müssen die Räte der Partei untergeordnet sein, weil die Partei das “Organ der Diktatur” ist. Daher werden die Räte entmannt, gerade wie in Russland, denn die Räte dürfen die Politik der Partei nicht durchkreuzen. Das aber führt zu Niederlagen für das Proletariat und darum stellen die “Linken” die Losung: “Alle Macht den Räten!”
II.
Die Frage des Verhältnisses der Partei zu der Diktatur ist auch von einschneidender Bedeutung für den Aufbau des Kommunismus. Und auch hier zeigen die Befürworter der Vierten Internationale, dass sie nicht auf dem Boden des Marxismus, sondern auf dem Boden des Leninismus, das heißt des Staatskapitalismus, stehen. Das ist zu ersehen aus der Beurteilung der heutigen soziologischen Verhältnisse in Russland. Es heißt: “Ihrer Klassenbasis, ihrer sozialen Grundlagen, den unbedingt herrschenden Eigentumsformen nach, bleibt die UdSSR auch heute ein proletarischer Staat, das heißt ein Werkzeug zur Errichtung der sozialistischen Gesellschaft.”
Wir verneinen das auf Entschiedenste. Das Wesentliche eines proletarischen Staates ist doch gerade, dass der alte bürokratische über den Massen stehende Apparat gebrochen, zerschlagen ist und die Leitung der politischen und ökonomischen Prozesse auf das Proletariat übergeht. Darum ist die Losung “Alle Macht den Räten!” der wesentliche Grundplatz der neuen Arbeiterbewegung. Aber der Werdegang der russischen Revolution zeigt ein fortwährendes Zurückdrängen der Massen gerade in diesem entscheidenden Punkt. Die Räte mussten immer weitere Funktionen, die sie im Anfang der Revolution hatten, an die staatliche Parteiorganisation abgeben. Die Beherrschung des gesellschaftlichen Stoffwechselprozesses durch das Proletariat verliert in der russischen Gesellschaft damit bald jede Bedeutung. Von der leninistischen Zielsetzung: “Staatskapitalismus unter Kontrolle der arbeitenden Massen” blieb schließlich nur der Staatskapitalismus übrig. Die Bolschewiki haben nicht den bürokratischen Apparat zerschlagen, sondern die Ansätze der kommunistischen Selbstbefreiung.
III.
Schließlich müssen wir noch darauf hinweisen, dass der russische Staatskapitalismus wahrscheinlich doch noch die neue Vierte Internationale ins Schlepptau nehmen wird, und zwar im Hinblick auf den kommenden Weltkrieg. Wie die Dinge jetzt liegen, ist ohne Weiteres zu sehen, dass es sich bei einem neuen Weltkrieg nicht um einen Generalangriff der kapitalistischen Mächte auf Russland handelt. Bei dem kommenden Krieg kämpfen die verschiedenen Staatenblocks um eine neue Aufteilung der Welt, und Russland wird sich in einem dieser Blocks befinden. Russland kämpft an der Seite von kapitalistischen “Bundesgenossen”.
Darum kann “die Verteidigung Sowjetrusslands” jetzt nicht mehr auf dem Programm einer proletarischen Internationalen stehen. Es würde nichts anderes bedeuten, als sich einsetzen für den Sieg der mit Russland verbündeten Staaten. Und doch stellen die Befürworter der Vierten Internationale sich noch auf diesen Standpunkt. Es heißt: “Die Verteidigung der Sowjetunion vor dem Imperialismus und der inneren Konterrevolution wird die neue Internationale als eine ihrer Hauptaufgaben auf ihre Fahne schreiben.”
Damit wird sich dann beim Ausbrechen des neuen Krieges das Spiel von 1914 wiederholen!
De ontwikkeling van het boerenbedrijf [Umschlagtitel]; Ontwikkelingslijnen in de landbouw. [Amsterdam], Bussum: Persdienst van de Groepen van Internationale Communisten, 1930. - 47 Seiten.; auch gedruckt in: De Nieuwe Weg, Jahr 1930 (hier nicht verwendet); Quelle: aaap.be. Die Übersetzung des Textes in die deutsche Sprache durch die Herausgeber geschah mit Hilfe des GOOGLE-Übersetzers.
Es ist eine bekannte Aussage, dass jede neue Form der Gesellschaft aus dem Schoße der alten geboren wurde. Der Kapitalismus schafft in seiner schnellen Entwicklung stets stärker und mächtiger konzentrierte Produktionsstätten, wobei der Anteil derjeniger, die einen entscheidenden Einfluss haben, immer kleiner wird. Ob das Eigentum an den Produktionsmitteln in immer weniger Hände fällt, ist eine andere Frage, die wir hier nicht beantworten wollen. Mit dem Übergang von dem alten Zustand, wo der Eigner einer Fabrik zugleich der Leiter der Produktion war, zu den Aktiengesellschaften, sind breite Kreise von kleinen Besitzern, die über ein paar tausend Gulden verfügen, zu “Co-Eigentümern” der immensen Fabrikkomplexe geworden. Es ist für sie jedoch ein merkwürdiger “Besitz”, weil sie praktisch kein Verfügungsrecht über ihren Besitz haben. Dieses Recht bleibt mehreren Großaktionären vorbehalten, die die Führung der Gesellschaft bestimmen. Die große Masse der Aktionäre besitzt nichts weiter als ein Papier, das ihnen einen Teil des Betriebsgewinns verspricht, während sie, selbst wenn sie “Miteigentümer” der Industriekomplexe sind, nicht einmal ein “Mitspracherecht” haben. Lassen wir unberücksichtigt, ob die Anzahl der “Mitbesitzer” steigt oder fällt, sicher ist, dass das Verfügungsrecht über die Produktionsmittel sich in immer weniger Händen befindet.
Die berühmte Aussage von Marx, dass jede neue Form der Gesellschaft aus dem Schoße der alten geboren wird, wird jetzt von den sozialistischen und kommunistischen Parteien so verstanden, dass sie den Kommunismus oder Sozialismus als eine Weiterentwicklung des kapitalistischen Konzentrationsprozess begreifen, wobei auch das Verfügungsrecht noch stärker konzentriert wird. Die Branchen sind “sozialisiert”, “verstaatlicht” oder “vergesellschaftet”, oder weniger hochtrabend, aber richtiger ausgedrückt: Sie werden in die staatliche Verwaltung übernommen. Die Führer des wirtschaftlichen Lebens beherrschen dann “im Namen der Gesellschaft” “den Produktionsapparat”, sie legen fest, wie, wo, wann und wie viel produziert und verteilt wird, sie bestimmen die Preispolitik, kurz gesagt, sie nehmen die Funktionen der ehemaligen Industriebarone wahr. Während die vormaligen Kapitalmagnaten, obwohl nicht die Besitzer des Produktionsapparates, dennoch die Entscheidung hatten, so haben die [sozialistischen] Staatsbeamten, obwohl sie nicht die Eigentümer sind, doch die Entscheidung über die Produktivkräfte und das Sozialprodukt.
Obwohl wir der Meinung sind, dass dieser Staatskommunismus direkt zu einer faschistischen Diktatur gegen die Arbeiterklasse führen muss (wie in Russland) und die wirtschaftlichen Probleme von Produktion und Vertrieb nicht lösen kann, wollen wir diese Art von “Kommunismus” nicht weiter untersuchen, weil wir jetzt nur untersuchen wollen, ob das, was derzeit als Sozialismus oder Kommunismus auf dem Markt ist, nichts anderes ist, als dem Staat das Verfügungsrecht über die Produktionsmittel zu bringen. In dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und dem Moskauer Kommunismus.
Wenn wir neben der Entwicklung der Industrie auch die Entwicklungslinien der Landwirtschaft betrachten, erhalten wir ein völlig anderes Bild. Trotz aller Vorhersagen renommierter Marxisten, dass sich auch die Landwirtschaft konzentrieren sollte, dass der kleine und mittlere Bauer durch große landwirtschaftliche Konsortien ersetzt werden würde, ist nur sehr wenig von dieser Entwicklung zu beobachten. Nicht nur der mittlere Landwirt, sondern auch die kleinen Bauern haben es geschafft, sich zu behaupten, während das große Unternehmen im oben genannten Sinne nicht wächst. Ja, es gibt sogar ein starkes Wachstum von Kleinunternehmen.
Dieser Umstand ist für die Theoretiker des Staatskommunismus sehr enttäuschend. Die Arbeit in der Industrie bekommt einen immer mehr gemeinschaftlichen Charakter, während die der Bauern vereinzelt bleibt. In der Industrie werden die Unternehmen immer “reifer” für den Kommunismus oder was auch immer sie damit meinen, und in der Landwirtschaft wollen sie einfach nicht für die Staatsverwaltung “reifen”! Aus Sicht des Staatskommunismus ist und bleibt die Landwirtschaft ein Stolperstein für die Umsetzung des Kommunismus. Unserer Ansicht nach hat der Kapitalismus jedoch auch die objektiven Bedingungen für den Kommunismus in der Landwirtschaft hervorragend umgesetzt. Es kommt nur darauf an, wie man die Dinge sieht, ob man die Produktion in die Hände der Zentralregierungsbüros legen will oder ob man sie in die Hände der Produzenten selbst legt.
Wenn wir den gegenwärtigen Charakter der Landwirtschaft betrachten, sehen wir hier nicht die immense Konzentration der Produktion, wie wir sie in der Industrie kennen. Trotzdem ist die Landwirtschaft durch und durch kapitalistisch geworden, weil sie jetzt nach den Maßstäben kapitalistischen Wirtschaftens funktioniert. Eines der Merkmale der kapitalistischen Produktion ist, dass es sich um “Waren”produktion handelt. “Waren” sind Utensilien, die der Produzent nicht für sich selbst, sondern für andere herstellt. Er arbeitet also für den Markt. Der “Waren”produzent produziert, was er nicht konsumiert, und er konsumiert genau das, was er nicht selbst produziert. Er arbeitet so nicht für sich, sondern für andere, für die Gesellschaft, und seine Arbeit ist daher “soziale” Arbeit. Im Stoffwechselprozess der Gesellschaft sind also alle “Waren”produzenten miteinander verbunden, sie leben von und in der gegenseitigen Abhängigkeit und bilden somit in Wirklichkeit ein geschlossenes Ganzes.
Die alte Landwirtschaft kannte die “Waren”produktion nur als Nebeneffekt. Sie war ein fast geschlossenes System, und fast alle Bedürfnisse wurden von der eigenen Arbeit befriedigt. Der Bauer arbeitete nicht für andere, für die Gesellschaft, sondern für seinen eigenen Familienkreis. Nur was nicht in den privaten Konsum floss, der Überschuss der Produktion, war für den Markt bestimmt, so dass diese Produkte die “Waren”form annahmen. Der Hof war daher nicht Teil der gemeinschaftlichen Arbeit, und somit hatten die Bauern eine “unabhängige” Existenz.
Die industrielle “Waren”produktion hat diese Geschlossenheit jedoch durchbrochen. Einerseits gelang es ihr, einen Strom billiger Produkte über die Erde zu verteilen, andererseits erhöhte sich durch die Eigengesetzlichkeit des Kapitalismus die Pacht, während der Staat auch immer höhere Steuern forderte. Die Landwirtschaft brauchte daher immer mehr Geld, um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können. Sie kann jedoch nur Geld verdienen, wenn sie als “Waren”produzent auftritt und mehr Produkte vermarktet. Zwei Möglichkeiten standen offen: Entweder musste der Landwirt bei gleicher Produktivität weniger selbst konsumieren oder er musste die Produktivität seiner Arbeit steigern. Es ist jedoch eine der Unmöglichkeiten, noch weniger als ein Landwirt der alten Schule zu konsumieren, so dass nur eine Steigerung der Produktivität in Frage kam.
Und das ist nun der Punkt, wo die Ökonomen in ihren Überlegungen einen Fehler gemacht haben: Sie nahmen für die Landwirtschaft die gleiche Entwicklung an wie für die Industrie. In der Industrie wurde eine immer größere Produktivität erreicht durch Kapitalkonzentration, durch einen produktiveren Maschinenpark, der nur in riesigen Unternehmen verwendet werden konnte. Dementsprechend waren sie der Ansicht, dass der gleiche Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft stattfinden muss, so dass die Klein- und Mittelbauern weitgehend verschwinden müssen, während die landwirtschaftlichen Konsortien die entscheidende Rolle in der landwirtschaftlichen Produktion spielen sollten.
Unsere Ökonomen haben sich in dieser Hinsicht bisher zutiefst geirrt. Und es ist bemerkenswert, dass die industrielle Entwicklung, die die Konzentration der Landwirtschaft bewirken sollte, selbst den Grundstein für eine völlig andere Entwicklung der Landwirtschaft legte. Insbesondere der Motor, die Düngemittel und die Agrarwissenschaft konnten die Arbeitsproduktivität um ein Vielfaches steigern, ohne auf eine industrielle Konzentration zurückgreifen zu müssen. Aufgrund der modernen Düngung spielt die Beschaffenheit des Bodens nicht mehr die entscheidende Rolle, der Ertrag pro Hektar stieg erheblich, so dass der Landwirt viel mehr “Waren” vermarkten konnte als früher, während der moderne Verkehr für die Verteilung der Waren sorgte.
Gleichzeitig mit der Erhöhung des Ertrags pro Hektar trat jedoch ein weiteres Phänomen von großer Bedeutung auf. Sobald die Produktion wissenschaftlich fundiert ist, wird das Phänomen der Spezialisierung unabdingbar. “Der Spezialist ist ein Höhlenmensch”, sagt Multatuli irgendwo, “er sieht nur einen kleinen Ausschnitt des Universums, aber er sieht ihn sehr deutlich.” So sehen wir, dass die Landwirte genötigt sind, nur ein oder sehr wenige Produkte anzubauen, um den höchsten Profit zu erzielen, der mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft und seiner finanziellen Leistungsfähigkeit erreicht werden kann. Der Landwirt organisiert sein Geschäft gemäß dieser Spezialisierung: Er verfügt nur über die Spezialwerkzeuge und -geräte, die für sein Spezialprodukt erforderlich sind.
Dies ist der heutige Stand der Landwirtschaft in Westeuropa, Amerika und Australien. Der Landwirt ist im wahrsten Sinne des Wortes ein “Waren”produzent geworden. Was er produziert, benutzt er nicht selbst und was er selbst braucht, wird nicht von ihm hergestellt. Die Landwirtschaft (im Gartenbau und in der Tierhaltung hat sie sich noch stärker entwickelt) ist somit voll in die gesellschaftliche Arbeit eingebunden. Die Selbstversorgung wurde durch Spezialisierung zerstört, die Landwirtschaft usw. ist zur “industriellen Produktion” übergegangen.
Während der Landwirt oft noch der “Eigentümer” seines Grundstücks bleibt, hat sich seine Position enorm verschlechtert. Jetzt, da er ausschließlich für den Markt arbeitet, ist er auch vollständig von den Wechselfällen dieses Marktes abhängig. Die Unsicherheit begleitete seine Spezialisierung. Diese Unsicherheit war viel größer als bei Industrieunternehmen, weil diese nicht so naturabhängig produzierten. Während die Existenzunsicherheit der Industrieunternehmen zu einer immer stärkeren Konzentration führte, entschied die Landwirtschaft sich für eine völlig andere Richtung. Diese Richtung wurde durch den Stand der Technik in Verbindung mit den Produktionsbedingungen des Hofes bestimmt.
Um so mächtig wie möglich auf dem Markt aufzutreten, schlossen sich die Landwirte zu landwirtschaftlichen Genossenschaften zusammen, was ihnen eine etwas bessere Kontrolle über die Preisgestaltung gestattete und es ihnen ermöglichte, sich gemeinsam mit modernen Maschinen für die Verarbeitung der Ernte auszustatten. Die Landwirte konnten auch selbst Fabriken errichten, so dass die Milchindustrie nun direkt zum Hof -€‹-€‹gehört. Die Molkerei ist zum Zentrum geworden und dominiert einen weiten Kreis. Die Bauern haben durch ihre Genossenschaften ein Organ geschaffen, das sie alle untrennbar miteinander verbindet. Landwirtschaft und Tierhaltung sind daher sehr konzentriert, aber keine Konzentration der Unternehmen im industriellen Sinne.
Wenn wir einige Dinge zusammenfassen, erkennen wir, dass die derzeitige Landwirtschaft durch die Spezialisierung geprägt ist und daher vollständig zur “Waren”produktion übergegangen ist. Eine Steigerung der Produktivität konnte durch moderne Technologie erreicht werden, ohne die Unternehmen in einer Hand zu konzentrieren. Parallel dazu entstehen landwirtschaftliche Genossenschaften, die die Unternehmen durch Bedarfsgemeinschaften miteinander verbinden, wobei die Landwirte häufig ihre “Freiheit” verlieren (wenn sie zum Beispiel die freie Verfügung über ihr Produkt verlieren).
Es ist typisch, aber auch verständlich, dass die gegenwärtige Arbeiterbewegung diese kapitalistische Entwicklung in der Landwirtschaft nicht sehen will. Verständlich, weil diese Wachstumslinien nicht zu ihrer staatskommunistischen Theorie passen. Das landwirtschaftliche Geschäft ist vergesellschaftet worden, die Bauernhöfe wurden zusammengeschmiedet und handeln gemeinsam, aber sie sind absolut nicht für die staatliche Verwaltung geeignet. Die sogenannte sozialistische Arbeiterbewegung schließt daraus natürlich nicht, dass ihre staatskommunistische Theorie falsch ist, aber sie kommt zu dem Schluss, dass der Kommunismus unmöglich ist, solange sich die Landwirtschaft nicht so entwickelt, wie sie es nach dem scholastischen Marxismus für notwendig hält.
Eine merkwürdige Leistung schulischer Blindheit bietet S. J. Rutgers[59], der jahrelang als Ingenieur in Sowjetrussland arbeitete, in seinen Überlegungen zur “Die Bauernfrage in Sowjetrussland, Europa, Amerika, Indien und China”. (Hrsg. Brusse in Rotterdam). Rutgers ist mit der technischen Entwicklung der Landwirtschaft nicht zufrieden, weil “das landwirtschaftliche Geschäft hauptsächlich noch im gleichen Entwicklungsstadium wie vor Jahrhunderten existiert” (S. 7) und darüber hinaus “in Westeuropa ein trostloser Rückgang der Landwirtschaft und das Fehlen eines Plans zur tatsächlichen Verbesserung”. (S. 22).
Wenn wir fragen, was Rutgers unter “dem gleichen Entwicklungsstand wie vor Jahrhunderten” und unter diesem “trostlosen Niedergang der Landwirtschaft” versteht, lautet die Antwort, dass “kleine Unternehmen sich zu einem großen Teil in der Landwirtschaft erhalten haben”, während “die Industrialisierung in der Landwirtschaft kaum Einzug gehalten hat” (S. 7). Unter “Industrialisierung” versteht er die Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen in großen landwirtschaftlichen Unternehmen. Er ist sicher auch der Ansicht, dass Wissenschaft und Technologie für die Landwirtschaft erheblich fortgeschritten sind, aber “trotz einer großen Anzahl von Maschinen und verbesserter Methoden in der Landwirtschaft schreitet die Anwendung in der Praxis äußerst langsam voran, und das primitive Kleinunternehmen bleibt erhalten, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sogar wieder zunahm” (S. 15)
Die hartnäckige Beharrlichkeit kleiner Unternehmen ist für Rutgers der Höhepunkt der Rückständigkeit, indem er behauptet:
“Arbeitssparende Maschinen wie Traktoren und Dreschmaschinen sowie intensivere landwirtschaftliche Methoden wie Bewässerung, Rückgewinnung usw. sind mit kleinen Unternehmen nicht vereinbar.” [?] “Sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie” (S. 9). Kein Wunder, dass Rutgers zu dem Schluss kommen muss: “Der Prozess des Wachstums von Kleinunternehmen geht mit einem Rückgang der technischen Ressourcen einher.” (S. 21)
Ohne vorerst auf den eigentlichen Zweck von Rutgers Schreiben einzugehen, möchten wir zunächst untersuchen, inwieweit das Bild, das es von der Entwicklung bzw. dem Niedergang der Landwirtschaft vermittelt, richtig ist. Zu diesem Zweck werden wir zunächst auf die Zunahme kleiner Unternehmen achten.
Dies ist in der Tat überall zu beobachten, wofür wir als Demonstration nur wenige Zahlen für Holland angeben.
Größe und Anzahl der landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Betriebe von 1904 bis 1921 in den Niederlanden
1-5 ha | 5-10 ha | 10-20 ha | 20-50 ha | 50-100 ha | 100 ha und mehr | |
---|---|---|---|---|---|---|
1921 | 112.607 | 48.945 | 34.509 | 22.692 | 2.646 | 250 |
1910 | 109.620 | 41.439 | 30.821 | 23.798 | 3.278 | 216 |
1904 | 92.639 | 34.798 | 29.797 | 22.025 | 3.089 | 184 |
Zu - oder Rückgang seit 1904 | + 20% | + 40% | + 15% | + 3% | -16% | + 35% |
Für Unternehmen unter 20 Hektar (ha) bedeutet dies einen durchschnittlichen Anstieg von 25%, einen Rückgang bei mittelständischen Unternehmen und einen starken Anstieg bei großen Unternehmen (35%). Die Schwierigkeiten der mittelständischen Unternehmen spiegeln sich auch darin wider, dass die Zahl der Pächter unter 20 ha konstant blieb, bis 10 ha anstieg und über 100 ha und mehr wieder abnahm. Die Großen und Kleinen könnten sich daher am besten in den Niederlanden behaupten. Obwohl die angegebenen Zahlen zu verschiedenen Beurteilungen führen können, tun wir dies jetzt nicht, da wir nicht mehr wollen, als darauf hinzuweisen, dass kleine Unternehmen tatsächlich stark zugenommen haben.
Die eigentlich starke Zunahme kleiner Unternehmen kann man in anderen Regionen Europas beobachten, nämlich in Russland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Griechenland, Bulgarien, Jugoslawien und der Tschechoslowakei, wo nach dem Krieg das große Landeigentum fragmentiert wurde und die Zahl der Kleinbauern um mehrere Millionen stieg.
Wenden wir uns jetzt der Entwicklung des Bodenertrags zu.
Wenn Rutgers pessimistische Ansicht, dass “der Prozess des Wachstums von Kleinunternehmen mit einem Rückgang der technischen Ressourcen einhergeht”, richtig ist, sollte sich dies in den Ergebnissen der Unternehmen widerspiegeln. Wir wollen daher den in Deutschland erzielten Ertrag pro Hektar bebauter Fläche über 43 Jahre angeben. Die Zahlen stammen von J. Conrad: “Politische Ökonomie”[60], IV. Teil, Jena, 1924, S. 192.
Bodenertrag in Deutschland pro Hektar in Kilogramm
Roggen | Weizen | Hafer | Gerste | Kartoffeln | |
---|---|---|---|---|---|
1880 | 840 | 1290 | 1130 | 1320 | 7.100 |
1890 | 1010 | 1440 | 1260 | 1370 | 8.000 |
1900 | 1440 | 1870 | 1720 | 1820 | 12.300 |
1910 | 1700 | 1990 | 1840 | 1850 | 13.200 |
1920 | 1150 | 1630 | 1730 | 1500 | 11.480 |
1923 | 1530 | 1960 | 1830 | 1810 | 11.950 |
Bis zum Weltkrieg sehen wir einen stetigen, starken Anstieg des Ertrags pro Hektar. Danach gab es einen großen Rückschlag, der sich noch nicht erholt hat. Dies hängt mit der durch den Krieg verursachten völligen Desorganisation sowie mit den Kriegslasten zusammen, die Deutschland auferlegt wurden. Wenn wir daher 1910 als letztes “normales” Jahr berechnen, sehen wir, dass der Ertrag pro ha für Roggen in 30 Jahren um mehr als 100% gestiegen ist, für Weizen um fast 55%[61], für Hafer um fast 63%, für Gerste über 40% und für Kartoffeln 86%. Der Heuertrag pro Hektar stieg von 1893 bis 1913, also in 20 Jahren um fast 123%. (J. Conrad, S. 198).
Um die Entwicklung des Ertrags pro ha in den verschiedenen Ländern genauer betrachten zu können, stellen wir die folgende Tabelle zur Verfügung. Hierbei ist zu beachten, dass die Zahlen für 1901/1905 nicht für einen genauen Vergleich mit den anderen geeignet sind, da die Zahlen für 1909/1913 und 1923/1926 nach der aktuellen politischen Spaltung berechnet wurden. Wir glauben jedoch, dass wir sie für einen globalen Vergleich verwenden können. (siehe Tabelle “Bodenerträge in 100 Kilogramm pro Hektar”).
Wenn wir uns zunächst den Zeitraum von 1900 bis 1914 ansehen, stellen wir sofort einen allgemeinen Anstieg der Intensität der Landwirtschaft in fast allen Ländern Europas fest. Dieser Anstieg ist am größten in Industrieländern oder in Ländern, die dazwischen liegen (Holland, Dänemark, Deutschland, Schweden, Belgien), in denen kleine und mittlere Unternehmen vorherrschen. Dies sagt natürlich nichts darüber aus, ob ein modernes Großunternehmen mehr pro Hektar erbringt als ein modernes Kleinunternehmen, über das derzeit nicht diskutiert wird, aber die Zahlen zeigen dennoch hinreichend, dass es nicht in erster Linie kleine Unternehmen sind, die die Entwicklung in der Landwirtschaft bremsen. Leider können wir keine Vergleichszahlen für den Bodenertrag im Gartenbau liefern, bei dem es sich speziell um kleine Unternehmen handelt. Jeder weiß jedoch, dass der Bodenertrag in diesem Sektor bereits sehr stark gestiegen ist.
Die landwirtschaftlichen Flächen mit Großgrundbesitz weisen bis 1914 ebenfalls eine Steigerung des Bodenertrags auf, in den westeuropäischen Ländern waren jedoch größere Fortschritte zu verzeichnen, so dass Osteuropa noch weiter zurückblieb und sich somit relativ verschlechterte. Die allgemeine Steigerung des Bodenertrags für ganz Europa bedeutet jedoch nichts anderes, als dass sich die Landwirtschaft technisch in eine Vorwärtsrichtung bewegte.
Wenn wir jetzt die Nachkriegszahlen besichtigen, erhalten wir kein so homogenes Bild. In Dänemark, Deutschland, Rumänien, Ungarn und Schweden gingen die Bodenerträge zurück und konnten das “Friedensniveau” noch nicht erreichen. Russland verbessert seine Kartoffelkultur erheblich. Spanien verbessert seinen Weizenanbau um 25%, Roggen um etwa 6%, während Kartoffeln und Rübenkarotten stark zurückgehen. Darüber hinaus bewegt sich der Bodenertrag der verschiedenen Länder wieder auf dem Niveau von 1913, während einige Länder dies bereits überschritten haben: Belgien, die Niederlande, Frankreich, Italien, Bulgarien. Wir werden auf die Entwicklung des Bodenertrags in den osteuropäischen Staaten zurückkommen.
Bodenerträge in 100 kg pro Hektar
(nach den Statistiken von der Int. Agricultural Institute in Rom, 1910, 1925/1926 und 1926/1927)
Weizen | Roggen | Kartoffeln | Möhren | ||
---|---|---|---|---|---|
Dänemark | 1901-1905 | 27.2 | 17.2 | 120.0 | 267.9 |
1909/1913 | 33.1 | 16.8 | 148.3 | 306.0 | |
1923/1926 | 28.0 | 15.5 | 133,5 | 284.4 | |
Belgien | 1901-1905 | 22.9 | 21.3 | 156.4 | 299.9 |
1909/1913 | 25.3 | 22.1 | 186.4 | 274.9 | |
1923/1926 | 26.4 | 23.1 | 186.6 | 287.7 | |
Großbritannien & Irland | 1901-1905 | 21.9 | 132.0 | ||
1909/1913 | 21.2 | 156.4 | 164,5 | ||
1923/1926 | 22.0 | 153.6 | 194.2 | ||
Die Niederlande | 1901-1905 | 21.3 | 16.0 | 129.7 | 304.6 |
1909/1913 | 23.5 | 18.1 | 142.9 | 306.4 | |
1923/1926 | 27.4 | 18.9 | 193.1 | 317.4 | |
Deutschland | 1901-1905 | 19.0 | 15.6 | 133.9 | |
1909/1913 | 22.7 | 18.6 | 137.7 | 299.7 | |
1923/1926 | 19.2 | 14.8 | 127.2 | 250.9 | |
Schweden | 1901-1905 | 16.7 | 13.5 | 87.6 | |
1909/1913 | 21.3 | 15.5 | 102.8 | 307.1 | |
1923/1926 | 20.3 | 15.9 | 108.1 | 277.8 | |
Norwegen | 1901-1905 | 15.3 | 16.2 | 149.3 | |
1909/1913 | 16.6 | 16.4 | 151.0 | ||
1923/1926 | 15.9 | 16.9 | 163.3 | ||
Frankreich | 1901-1905 | 13.6 | 10.6 | 82.5 | 255.1 |
1909/1913 | 13.1 | 10.6 | 87.1 | 239.1 | |
1923/1926 | 13.9 | 11.1 | 88.3 | 243.6 | |
Rumänien | 1901-1905 | 12.5 | 10,0 | 26.2 | 189.9 |
1909/1913 | 12.9 | 9.2 | 50.1 | 205.5 | |
1923/1926 | 8.5 | 7.9 | 56.2 | 161.2 | |
Österreich | 1901-1905 | 12.4 | 11.6 | 100.0 | 243.9 |
1909/1913 | 13.7 | 13.6 | 83.4 | 204.7 | |
1923/1926 | 13.0 | 12.0 | 95,8 | 255.7 | |
Ungarn | 1901-1905 | 12.0 | 11.1 | 75.0 | 204.2 |
1909/1913 | 13.2 | 11.8 | 80.2 | 254.2 | |
1923/1926 | 12.7 | 11.0 | 74.0 | 203.7 | |
Bulgarien | 1901-1905 | 11.4 | 11.1 | 41.5 | 143.1 |
1909/1913 | 6.2 | 7.8 | 37.6 | 128.6 | |
1923/1926 | 9.1 | 8.7 | 410 | 151.2 | |
Italien | 1901-1905 | 8.9 | |||
1909/1913 | 10.5 | 11.0 | 57.6 | 335.5 | |
1923/1926 | 12.1 | 13.1 | 59.2 | 290.8 | |
Spanien | 1901-1905 | 8.7 | 7.9 | 226.8 | |
1909/1913 | 9.2 | 8.7 | 118.1 | 241.8 | |
1923/1926 | 11.6 | 9.2 | 86.3 | 182.8 | |
Europäisches Russland | 1901-1905 | 6.9 | 7.4 | 65.9 | 147.5 |
1909/1913 | 6.9 | 7.5 | 69.1 | 161.1 | |
1923/1926 | 7.2 | 7.5 | 85.2 | 122.1 |
Die Nachkriegszeit zeigt daher kein so homogenes Bild. Es ist daher nicht direkt möglich, aus der Zunahme oder Abnahme des Bodenertrags abzuleiten, ob die technische Entwicklung in dieser Zeit rückwärts oder auf dem gleichen Niveau fortgeschritten ist. Wir müssen dieses Problem daher aus einem anderen Blickwinkel betrachten, was wir bei der Erörterung der Düngemittelindustrie und der Spezialisierung tun werden. Bevor wir dies tun, sollte jedoch beachtet werden, dass eine Steigerung des Ertrags pro Hektar keineswegs ein Beweis dafür ist, dass es den Landwirten gut geht. Im Gegenteil!
Abgesehen von den Ländern, die sich aus dem Krieg herausgehalten haben, ist der finanzielle Druck zu einer unerträglichen Belastung für die Landwirte (und nicht nur für die Landwirte) geworden. Der enorme Anstieg der Staatsverschuldung in allen Ländern hat den Parasitismus der Kreditgeber auf ein beispielloses Niveau getrieben. Die Zinszahlungen umfassen international Milliarden, was nicht mehr bedeutet, als dass die Inhaber der Staatsanleihen jährlich Milliarden von Produkten parasitär aus der Gesellschaft abziehen. Die Steuerschraube muss daher bis zum Anschlag festgezogen werden, während der Landwirt auch durch die Parasiten des Landes und des Hypothekenkapitals belastet wird. Er muss einen erheblichen Teil seiner Ernte den rein parasitären Formen unserer heutigen Gesellschaft opfern.
Dieser Druck auf die Landwirte wirkt in zwei Richtungen. Einerseits behindert die große finanzielle Belastung sie bei der technischen Entwicklung ihres Unternehmens, weil sie nicht genügend moderne Werkzeuge und Düngemittel kaufen können. Der Druck verlangsamt somit die technische Entwicklung. Auf der anderen Seite ist der Landwirt nun jedoch genötigt, aus seinem Land herauszuholen, was er herausholen kann. Er muss seine Produktion für den Eigenbedarf aufgeben, falls sie noch stattfindet, um ausschließlich für den Markt zu arbeiten. Er muss sich spezialisieren, damit der Ertrag pro Hektar steigt. Die Steigerung des Bodenertrags ist daher kein Ausdruck des Wohlstands der Landwirte, sondern vielmehr des Bedarfs, in dem sie leben.
Da die finanzielle Belastung in zwei Richtungen wirkt, eine, die den Bodenertrag fördert und eine, die ihn hemmt, müssen sich die Staatsverwalter auf das Segeln zwischen Skylla und Charybdis[62] konzentrieren. Im Gegenteil, sie können die Belastung für die Landwirte so groß machen, dass ein gewisser Raum für die Gewinnerwirtschaftung der Landwirte verbleibt, so dass sie die Notwendigkeit erkennen, den Ertrag pro Hektar zu steigern, während der erhöhte Ertrag wiederum fast vollständig dem parasitären Kapital zufällt.
Nachdem wir gezeigt haben, dass gerade in den Ländern, in denen kleine und mittlere Unternehmen vorherrschen - Holland, Dänemark und Belgien - an der Spitze der landwirtschaftlichen Entwicklung in Europa stehen, glauben wir sagen zu können, dass die Aussage von Rutgers über das primitive Kleingeschäft völlig falsch ist. Wir wollen jetzt sehen, wie es um den Rückgang der technischen Hilfsmittel bestellt ist.
Einer der wichtigsten Faktoren, die den Ertrag pro Hektar steigern, ist sicherlich die Verwendung von Düngemitteln. Nach der Gründung der ersten Superphosphat-Fabrik in England im Jahr 1843 entwickelte sich der Verbrauch zunächst langsam und dann immer schneller, so dass der weltweite Verbrauch nun Milliarden Kilogramm beträgt. Jede technische Verbesserung in der Düngemittelindustrie kam direkt der Landwirtschaft zugute, so dass die Bedingungen für die Ausbringung von Düngemitteln günstiger wurden. Hier besteht daher ein direkter Zusammenhang zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Entwicklung. Der “primitive” Bauer in Holland verbraucht, neben seinem Stickstoff, Kali und 400.000 Tonnen Thomas-Mehl[63], 50 Kilogramm Superphosphat pro Hektar Anbaufläche. Die Bauern in Dänemark sind so “primitiv”, dass nur 7-½% kein Superphosphat verwenden! Die Sache läuft also darauf hinaus, dass der “primitive” Bauer große Teile seiner Landwirtschaft nicht direkt auf seinem Hof zur Verfügung -€‹hat, sondern dass sie auf der ganzen Welt verteilt sind. So wie die industrielle Produktion bei der Steigerung der Produktivität zur “Geschäftsausweitung”, zum Bau neuer Fabrikkomplexe und zur Inbetriebnahme neuer, produktiverer Maschinen übergeht, tut die Landwirtschaft dasselbe, nur … die Eigentumsverhältnisse sind unterschiedlich. Aber es bleibt das Gleiche in seinem wirtschaftlichen Ergebnis, und das ist der Punkt hier!
Die Integration der Landwirtschaft in die industrielle Produktion hat sich in den letzten 25 Jahren beschleunigt, was hauptsächlich mit der Entwicklung von Chemie und Technologie zusammenhängt. Mit einer Verbesserung der Stahlzubereitung sehen wir beispielsweise, dass einer der Hauptdünger, Thomas-Mehl, hergestellt wird. Der Stahl besteht aus Gusseisen, was einen Reinigungsprozess erfordert. Die meisten Arten von Gusseisen enthalten als Verunreinigung eine Menge Phosphor, die zunächst nicht daraus entfernt werden konnte. Da Schweden und England Erze mit einem sehr geringen Phosphorgehalt verarbeiteten, erhielten sie die besten Stähle und hatten daher praktisch das Stahlmonopol. Thomas gelang es jedoch, ein Verfahren zu finden, um den Phosphor relativ leicht aus dem Gusseisen zu entfernen. In diesem Fall schwebte eine phosphorhaltige “Schlacke” auf dem flüssigen Material. Diese Schlacke ist jetzt fein gemahlen und wird als Phosphordünger vermarktet. Beispielsweise führte eine Verbesserung der Stahlaufbereitung zur Erschließung neuer Produktivkräfte in der Landwirtschaft.
Die Beziehung zwischen Landwirtschaft und Industrie ist auch bei der Herstellung von Stickstoffdüngern vollkommen klar. Bei der Gasproduktion im Gaswerk enthält das “Rohgas”, wie es aus der Kohle gewonnen wird, verschiedene Verunreinigungen, die daraus entfernt werden müssen. Beispielsweise wird es mit Ammoniakgas gemischt, das durch Zirkulieren des “rohen” Gases durch Wasser daraus extrahiert wird. Das Wasser wird so zu Ammoniakwasser, das als stickstoffhaltiger “Dünger” über die Felder gesprüht wird. Gegenwärtig bringt man es in eine feste Form, indem es mit Schwefelsäure verknüpft wird. So erhält man Schwefelsäure-Ammoniaksalz, das im Handel erhältlich ist. Hier sehen wir auch, wie ein Fortschritt in der technischen Entwicklung, der Übergang zur Gasproduktion, gleichzeitig neue Produktivkräfte für die Landwirtschaft eröffnete.
Die auf diese Weise erhaltene Menge an schwefelhaltigem Ammoniak war natürlich insofern begrenzt, als es als Nebenprodukt der Gasherstellung auftrat. Die Landwirtschaft konnte jedoch viel mehr Stickstoff aufnehmen, so dass Mittel eingesetzt wurden, um die Herstellung stickstoffhaltiger Düngemittel unabhängig von der Gasproduktion zu machen. Dies wurde relativ früh erreicht (1893), obwohl das Verfahren erst 1904 von einer Fabrik in Italien in etwas größerem Umfang angewendet wurde.
Die eigentliche große Entwicklung der Stickstoffdüngerindustrie ist viel jünger. 1913 wurde in Ludwigshafen die erste Fabrik gegründet, in der die Ammoniaksynthese von Haber-Bosch angewendet wurde, und 1917 wurde das bekannte Leuna-Werk geschaffen, das nach dem gleichen Verfahren arbeitet. Hierbei wird zunächst Ammoniakgas erzeugt (das gleiche wie das aus dem “rohen” Leichtgas gewonnene), wonach es auch in Wasser gelöst wird und dann die Grundlage für die vielen Arten von Stickstoffdüngern bildet, wie sie von den Leuna-Werken verkauft werden. In diesem Prozess stehen die neuesten Erkenntnisse der Technologie und Wissenschaft im Dienst der Landwirtschaft. Der Stickstoff aus der Luft wird mit Wasserstoffgas bei einer Temperatur von 500 bis 600 Grad Celsius unter einem Druck von 200 Atmosphären kombiniert, wobei dann unter dem Einfluss eines Katalysators Ammoniakgas gebildet wird.
Ludwigshafen und Leuna liefern derzeit 600.000 Tonnen Dünger pro Jahr. Wenn die verschiedenen Arten von Stickstoffdünger in schwefelhaltiges Ammoniak umgewandelt werden, beträgt die Produktion 1 Ballen pro Sekunde oder 60 Ballen pro Minute oder 3600 Ballen pro Stunde usw. (Daten aus “Getreide, Tierfutter, Dünger”, 21. Dezember 1928).
In diesem Zusammenhang erscheint es uns etwas falsch, unter diesen Umständen von einem “Rückgang der technischen Hilfsmittel in der Landwirtschaft” zu sprechen, wie es Rutgers tut. Im Gegenteil, sie sind seit 1913 enorm vorangekommen, und auch ihre Nutzung nimmt zu. Seit 1913 hat sich der weltweite Einsatz von Stickstoff zur Düngung verdoppelt, Kali ist um 40% gestiegen, während der Verbrauch von Phosphorsäure konstant geblieben ist.
Die Vereinigten Staaten verwenden 14% mehr Dünger als 1913, was fast ausschließlich auf Stickstoff zurückzuführen ist. In Deutschland stieg der Stickstoffverbrauch um mehr als 100%, der Kaliverbrauch um 33% und der Phosphorsäureverbrauch um 13%. In Frankreich stieg der Stickstoffverbrauch um 100%, der Kaliverbrauch um 400% und die Phosphorsäure um 16%. Die Niederlande haben einen Anstieg des Stickstoffverbrauchs um 250%, des Kaliumverbrauchs um 200% und der Phosphsäure um 25%. England behielt seinen Düngemittelverbrauch von 1913 bei.
Der Verbrauch von Düngemitteln für verschiedene Länder ist wie folgt:
Niederlande | Deutschland | Frankreich | England | Vereinigte Staaten |
100 | 50 | 20 | 16 | 5 |
(Daten stammen aus “Granen” [Getreide] usw., 14. Juni 1929) [Unklar ist dem Übersetzer die Aussage der Tabelle. Ist es der prozentuale Vergleich des Düngemittelverbrauchs?]
Ein zweiter Faktor, der den Bodenertrag in Westeuropa erhöhte, war die Spezialisierung als zweite Anwendung der Agrarwissenschaft. Hatte Liebig 1840 den Grundstein für die Düngemittellehre gelegt, ging es nun darum, die Eigenschaften jeder einzelnen Kultur zu untersuchen und experimentell festzustellen, welche und wie viel von jedem Düngemittel von einer bestimmten Pflanzenart verbraucht wurde und wie hoch der Wassergehalt des Bodens sein muss, wie tief gepflügt werden muss. Dann hatte jede Pflanze ihre Krankheiten, die jeweils einzeln untersucht werden mussten, um Mittel zu finden, um erfolgreich damit umgehen zu können. Darüber hinaus mussten die erblichen Merkmale überprüft werden, um die Arten zu verbessern und auf einem hohen Niveau zu halten. Kurz gesagt: Agrarwissenschaften im Allgemeinen und Düngung, Vererbung und medizinische Wissenschaften im Besonderen erhielten einen ersten Platz in der Anwendung der modernen Landwirtschaft und Tierhaltung.
Natürlich sind nicht alle Landwirte über die Ergebnisse der Untersuchungen informiert. Das ist weder möglich noch notwendig. Um die höchste Produktivität zu erreichen, die ihm seine Mittel erlauben, ist er auf ein bestimmtes Produkt spezialisiert und verwendet die Ergebnisse der Wissenschaft praktisch, soweit sie sich auf sein Produkt beziehen. Infolgedessen kann der “primitive” Landwirt aus einem Hektar Land so viel Produkt gewinnen, wie in der nichtwissenschaftlichen Landwirtschaft drei Hektar erforderlich wären. Der “primitive” Landwirt ist somit nicht nur mit mächtigen Fabrikkomplexen verbunden, in denen Düngemittel hergestellt werden, sondern auch mit den Laboren und Teststationen landwirtschaftlicher Hochschulen. Man könnte auch sagen: Die Landwirtschaft hat sich so spezialisiert, dass die Produktionsweise perfekt parallel zur industriellen Produktion verläuft. Die Chemiker befassen sich ausschließlich mit der Lehre und Herstellung von Düngemitteln, die Techniker der Düngemittelfabriken mit der Technologie dieser Branche, die Biologen mit der Untersuchung von Wachstum und Lebensbedingungen und den Krankheiten. Die Spezialisierung ist so weit gegangen, dass einzelne Unternehmen nur Saatgut und Pflanzkartoffeln herstellen, also “Saatgutfabriken”. Der eigentliche “Bauer” führt nun folgende Teilaktivität aus: Er bringt den Samen zur Frucht. Der Prozess der Teilarbeit steht bei den Viehzüchtern bereits ganz klar im Vordergrund. Während die Milch früher “zu Hause” zu Butter und Käse verarbeitet wurde, geht die “rohe” Milch jetzt als “Rohstoff” an die Molkerei, die das “Endprodukt” produziert.
Vom alten “Bauernhof” ist nur noch der Name übrig. Die Landwirte sind sich dessen sehr wohl bewusst, was durch ein Gespräch deutlich wird, das der Schreiber dieser Zeilen in einem Nahverkehrszug in Overijssel belauscht hat. Ein Bauer sagte in seinem Dialekt zu einem Mitreisenden: “Joa, es ist heutzutage eine seltsame Zeit. Es ist doch so: Es sieht oft anders aus, als es in Wirklichkeit ist.” Und als sie weiter über die Veränderungen in der “Bauernschaft” sprachen, sagte er: “Bauern? Joa, Bauern! Heutzutage kann jeder ein Bauer sein. Es gibt Bauern, die keine Bauern sind. Wenn sie nur melken und Milchkannen auf die Straße bringen können, dann sind sie bereits Bauern. Ein Bauer ist heutzutage Teil einer Fabrik.”
Die Landwirtschaft wurde durch Technologie und Wissenschaft so differenziert, dass sie in eine Kette von Teilprozessen zerfällt, wobei “der Landwirt” nur ein Glied in der Kette ist, die von der Spitzenwissenschaft bis zur direkten Bodenbearbeitung reicht. Was für eine enorme Veränderung durch die industrielle Produktion im letzten Jahrhundert! Der Bauer löste sich aus seiner Isolation und wurde in den Prozess der Gesellschaftsarbeit einbezogen! Der “unabhängige” Bauer, der es über Jahrhunderte geschafft hat, sich zu behaupten, ist nur noch ein Zahnrad im großen Ganzen, wie alle anderen auch!
Es versteht sich von selbst, dass die Spezialisierung in der Landwirtschaft nicht weltweit mit der gleichen Kraft durchgeführt wurde, was bedeutet, dass der Bauer nicht überall gleichermaßen intensiv in den Kreis der kapitalistischen Produktionsweise hineingezogen wurde. Dies gilt insbesondere für die Bauern Osteuropas, die nur noch ihre “Freiheit” erobern können, wenn sie als “unabhängige” Kleinbauern von der Eigenversorgung zur kapitalistischen “Warenproduktion” übergehen. Trotz der unterschiedlichen Entwicklung der Spezialisierung ist der Prozess auf der ganzen Welt so schnell und allgemein, dass hier ein wesentliches Entwicklungsgesetz der Landwirtschaft klar erkennbar wird. Was durch jahrelange mühsame Bemühungen mit Erfolg und Misserfolg in die Wege geleitet wurde, scheint plötzlich gereift zu sein, so dass die Landwirtschaft in Amerika, Europa und Australien in die gleiche Richtung geht. Diese neue Richtung, die seit Jahren verfolgt und ergriffen wird, setzt sich nun energisch fort: Es ist der Weg der Spezialisierung, aus dem die Standardisierung von Produkten als nächster Entwicklungsschritt hervorgeht.
Nach 1914 begannen immer mehr Länder, gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, in denen die Anforderungen festgelegt sind, die landwirtschaftliche Erzeugnisse erfüllen müssen, um exportfähig zu sein. Milchprodukte müssen einen vorgeschriebenen Fettgehalt usw. haben, für Eier sind normalerweise die Größe, die Eigelbmasse und der Luftgehalt vorgeschrieben usw. Typischerweise stammten diese Bestimmungen häufig hauptsächlich von den vereinigten Erzeugern selbst. Zum Beispiel werden die Standards in Holland ausschließlich von den Landwirten selbst festgelegt und sie üben auch Kontrolle über die Qualität des Produkts aus. Indem sie die Produkte mit ihrem Qualitätszeichen garantieren, versuchen sie, ihre Verkaufsmöglichkeiten zu erweitern.
Es ist für alle offensichtlich, dass gleichwertige Qualitäten nur durch Normierung der Arbeitsmethoden erreicht werden können, was direkt zu einer Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktionsmethoden führt. Die Rationalisierung findet also sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie statt, nicht nur durch zentralisierte Großunternehmen, sondern durch die Normierung des Produkts. Die Landwirte sind verpflichtet, “mit der Zeit zu gehen” und wissenschaftliche Produktionsmethoden umzusetzen. Wenn sie dies nicht tun, erhalten sie ein abweichendes Produkt, das außerhalb des Standards liegt, dessen Qualität nicht garantiert ist und das daher nicht vermarktbar ist.
Diese Normierung ist vom Standpunkt der gesellschaftlichen Arbeit von enormer Bedeutung. Erstens ist die Ernte sehr vereinfacht. Das vereinheitlichte Produkt ist viel einfacher in der Masse zu transportieren, und die Waren können jetzt auch problemlos in Lagern gelagert werden, bis sie verbraucht werden, weil:
“Das Sammeln und Lagern der leicht verderblichen landwirtschaftlichen Produkte zum Zeitpunkt der Ernte, das Verhindern des Verderbens und das rechtzeitige Verteilen bei Bedarf ist ein notwendiger Bestandteil der Produktion” (Sekretär der Landwirtschaft in den USA in einer Rede im Jahr 1924).
Amerika ist führend bei der Normierung der Landwirtschaft.
“Die Entwicklung der nationalen Standardisierung landwirtschaftlicher Erzeugnisse erfolgte schrittweise [?]. Die wirklichen Fortschritte auf diesem Gebiet wurden jedoch während der letzten Depression erzielt, die die Landwirtschaft erdulden musste, als alle Anstrengungen unternommen werden mussten, um jeden Teil der Distribution für landwirtschaftliche Produkte zu rationalisieren. Die Spezialproduktion förderte diese Entwicklung in der Landwirtschaft.” (Rundschreiben des US-Landwirtschaftsministeriums vom 1. August 1927).
Wie jung diese Entwicklung ist, zeigt die Tatsache, dass erst 1913 ein “Bureau of Markets” eingerichtet wurde, um die Bedingungen für die Normierung zu untersuchen, was 1916 zur Einführung des ersten Gesetzes über die Normierung führte. Die Mindestqualitäten sind in den einschlägigen Bestimmungen festgelegt, und die Festlegung der besseren Qualitäten folgt kleinschrittig. Je besser die Spezialisierung umgesetzt wird, desto kleiner ist der Spielraum für die verschiedenen Qualitätsstandards. Gegenwärtig sind in Amerika normiert: Öpfel, Birnen, Pflaumen, Pfirsiche, Kirschen, Erdbeeren, Trauben, Melonen, Tomaten, Gurken, Zwiebeln, Sellerie, Bohnen, Karotten, Rüben, Kohl, Spinat, Blumenkohl, Spargel, Reis, Kartoffeln, Tabak, Mais, alle Arten von Weizen, Eier, Butter, Käse, Honig, alles Fleisch und Geflügel (sowohl lebend als auch geschlachtet), Wolle und Baumwolle.
Daraus sehen wir, dass in Amerika praktisch die gesamte Landwirtschaft normiert ist. Dies bedeutet, dass die Landwirtschaft vollständig auf die “Waren”produktion umgestellt wurde und die Lücke zwischen Landwirtschaft und Industrie geschlossen wurde! In Amerika gibt es nur Industrie!!
Nur noch ein Wort zur Lagerung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die in direktem Zusammenhang mit der Normierung steht. Neben den Vorschriften, denen die Produkte entsprechen müssen, finden wir auch Bestimmungen für die Lagerung der Waren, die gesetzlich geregelt sind. Am 1. November 1924 enthielten die großen Kühlhäuser 264.000.000 kg Fleisch, 27.715.000 kg gefrorenes Geflügel, 62.125 kg Butter, 43.600.000 kg Käse, 2.000.000.000 Eier und 5.573.000 Barrel Öpfel. [Wahrscheinlich beziehen sich die Daten auf die USA.] Die Lagerung und Konservierung leicht verderblicher Güter hat sich gleichzeitig zu einem neuen Geschäftszweig entwickelt, der nur wissenschaftlich betrieben werden kann und der seine Aufgabe nur durch die Anwendung moderner Technologie erfüllen kann. Landwirtschaft und Technik sind auch hier direkt aufeinander angewiesen.
Die Frage ist nun, ob diese Entwicklung spezifisch amerikanisch ist oder ob die landwirtschaftlichen Entwicklungstendenzen der Welt hier am deutlichsten zum Ausdruck kommen. Die Antwort auf diese Frage geben die Gesetze, die in den verschiedenen Ländern nach dem Weltkrieg erlassen wurden. Generell kann gesagt werden, dass Europas Normungsgesetze noch auf die Milchindustrie beschränkt ist. Hier ist der Prozess jedoch viel weiter fortgeschritten, als sich aus der Anzahl der Gesetze ableiten lässt, da die Landwirte selbst viele Produkte normiert haben, d.h. ohne staatliche Eingriffe. Dies ist insbesondere in Holland der Fall, wo fast die gesamte Landwirtschaft normiert ist, während der Staat als solcher nichts damit zu tun hat. Dänemark hat Butter, Käse, Eier und Fleisch normiert, Norwegen Butter und Käse, Schweden Butter, Käse und Fleisch, Finnland Butter und Käse. Estland erhielt 1924 seine Standardisierung für Milchprodukte sowie für Eier. Lettland Butter und Eier. In Holland sind Milchprodukte seit 1904 standardisiert und heute auch Zuckerrüben, Kartoffeln, Gemüse, Obst und Eier. Die Kontrolle des Produkts erfolgt ausschließlich durch die Bauerngenossenschaften. England erhielt 1928 seine Normungsvorschriften für Milchprodukte, Obst und Eier. Irland standardisierte bereits 1924 Milchprodukte und Eier, während 1927 bestimmte Ausfuhrbestimmungen eingeführt wurden. In der Schweiz und in Ungarn sind Normungsgesetze in Vorbereitung. In Neuseeland und Australien wurde eine Standardisierung für Milchprodukte und teilweise für Fleisch eingeführt. Deutschland hat keine allgemeinen Vorschriften für das gesamte Reich. In Schleswig-Holstein, Rheinland, Oldenburg, Hannover, Bayern, Württemberg wurden jedoch mehrere Produkte standardisiert.
Die wenigen Jahre, die hier beschrieben wurden, zeigen deutlich, dass diese Entwicklung ein Ausdruck der neuesten Zeit ist. Es bedeutet nichts anderes, als dass die seit langem umgesetzte Spezialisierung nun auch in Europa zu einem weiteren Schritt in der Entwicklung hin zur gesellschaftlichen Produktion führt: zur Normierung. Mit Solmssen[64] können wir tatsächlich sagen:
“Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die die gesamte Landwirtschaft der Welt erfasst.”
Für die weitere Entwicklung der Landwirtschaft in Europa ist daher zu erwarten, dass die “Industrialisierung” rasch voranschreitet, was keineswegs bedeutet, dass sich die Lage der Landwirte und Landarbeiter verbessern wird. Der Druck, den das parasitäre Kapital der Landbesitzer und Hypothekenbanken auf die Bauern ausübt, zwingt zu einer äußersten Notwendigkeit einer “Rationalisierung” in Form der Normalisierung des Produkts. Die Früchte dieser Rationalisierung fallen dem parasitären Kapital zu, so dass der unvermeidliche Zusammenbruch der Landwirtschaft nur noch verschoben wird, bis die Landwirtschaft in noch höherer Form von Organisation und Produktion in die Gesellschaftsarbeit einbezogen wird.
Neben der Entwicklung der Industrie, die den Grundstein für eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität legte, brachte sie dem Landwirt auch die kollektive Zusammenarbeit. Dies geschah auf verschiedene Weise und lässt sich im Wort “Genossenschaft” zusammenfassen.
Die Bauerngenossenschaften entwickeln sich auf der ganzen Welt mit großer Geschwindigkeit. Dieser Prozess hat während und nach dem Weltkrieg an Fahrt zugenommen. In Amerika begann die Vereinigung der Bauern sehr früh (1867), in Europa erst um 1890. Der Wachstumsprozess scheint in allen Ländern unterschiedlich zu sein: Hier beginnt er bei den Kleinbauern, dort bei den Großen. Er beginnt in Amerika vor allem bei Vertriebsorganisationen, in Europa sind Einkaufsverbände und das kooperative Treiben der Agrarwirtschaft stärker vertreten. Da es derzeit nicht möglich ist, einen kurzen Überblick über die Größe der landwirtschaftlichen Genossenschaften zu geben, können wir das bekannte Phänomen der Genossenschaftsbildung anhand eines einzigen Beispiels demonstrieren. Wir möchten daher zunächst einige Anmerkungen zu den Niederlanden machen.
Um 1890-1895 waren die niederländischen Landwirte gezwungen, sich gegen die schwarzen Schafe unter den Düngemittellieferanten zu wehren. Dünger ist ein Artikel, den der Landwirt wie “eine Katze im Sack” kauft: Er muss glauben, dass ihm gute Ware und kein Müll verkauft wird. In der Tat sind viele Fälschungen aufgetreten! Um sich gegen diese Betrügereien zu rüsten, mussten die Bauern gemeinsam handeln, gemeinsam eine Probe kaufen und dann untersuchen lassen. Neben dem ruhigen Gefühl, nicht betrogen worden zu sein, hatten sie sofort den Vorteil, billiger zu kaufen. In den Niederlanden erhöhte sich der kooperative Einkauf nach dem Krieg sehr stark, ein Phänomen, das Menschen in allen Ländern wahrnehmen können. Für die Niederlande war die Entwicklung wie folgt:
Kooperative Käufe von Dünger, Saatgut, Futter, usw. | |||
Betrag in Gulden | Anteil der teilnehmenden Genossenschaften | Anzahl der Mitglieder | |
1904 | 11.880.000 | 855 | 56.192 |
1913 | 37.362.000 | 1177 | 104.455 |
1924 | 91.156.000 | 1586 | 156.054 |
Berechnet man die Gesamtzahl der Betriebe, so kauften 1924 bereits 70% der Landwirte kooperativ. Neben dem Einkauf durch Genossenschaften haben sich Verkaufsorganisationen auch als Schutz gegen das Handelskapital herauskristallisiert. Dies wurde in jüngster Zeit sehr deutlich im sogenannten Schlachtkonflikt im Mai 1929 zum Ausdruck gebracht, der zwischen den Viehzüchtern einerseits und den Viehhändlern andererseits aufgetreten war. In der Zeitschrift des Handelskapitals Vieh- und Fleischhandel[65] lesen wir dazu Folgendes:
“Bundesvorsitzender Trompetter wies in den Abteilungen des Viehhandelsverbandes zu Recht auf die rasch wachsende Gefahr einer Zusammenarbeit hin, die die Kontrolle der Viehausfuhren betrifft. Der kooperative Rinderexportschlachthof in Akkrum baut seinen Handelseinfluss im In- und Ausland rasch aus. [?] Es ist an der Zeit [?], dass wir uns weigern, Kühe für den Markt in Utrecht und Rotterdam vom Makler der Friesche Coöperatie zu kaufen. Alle Viehhändler müssen den Kauf dieses Viehs boykottieren. Dann wird es weniger bringen und die Bauernkooperatoren werden merken, was es bedeutet, den Handel zu beenden. [?] Hier muss der Viehhandel selbsterhaltend sein, bevor seine Stärke durch die allmählich expandierende Genossenschaft vollständig untergraben wurde. [?] Hier durfte der Gewerkschaftspräsident warnen: Schützen Sie Ihre Interessen, indem Sie sich gemeinsam für die alten Rechte des freien Viehhandels einsetzen.”
Eine zweite Richtung, in der sich die Bauern zusammengeschlossen haben, bezieht sich direkt auf die Bewirtschaftung des Landes und die Ernte. Laut Rutgers sind “arbeitssparende Maschinen wie Traktoren und Dreschmaschinen nicht mit kleinen Unternehmen kompatibel”. Die lebendige Realität sieht jedoch anders aus. Auch hier ist es die Genossenschaft, die die Landwirte miteinander verbindet, um Traktoren und Dreschmaschinen gemeinsam zu nutzen.
Wer also anhand der Anzahl der eingesetzten Traktoren und Dreschmaschinen feststellen will, inwieweit die Landwirtschaft mechanisiert ist, irrt sich gründlich. Dies macht sich umso mehr bemerkbar, als wir bedenken, dass es auch für den Dorfschmied oder die Autowerkstatt üblich ist, solche Maschinen zu besitzen, um sie an die Kleinbauern zu vermieten. In den intensiven Agrarländern Westeuropas ist dieser Teil der Landwirtschaft bereits weitgehend mechanisiert. Trotz der Zunahme kleiner Unternehmen gibt es keine Anzeichen für einen “Rückgang der technischen Ressourcen”. Natürlich wollen wir nicht behaupten, dass die Mechanisierung voll entwickelt ist. Andererseits: Wir sind ja erst am Anfang der Entwicklung.
Die Industrie arbeitete jedoch auch in einer anderen Richtung an der Vereinigung der Landwirte. Verschiedene Industrien, die direkt von der Landwirtschaft abhängig sind, wie Zucker, Kartoffelmehl, Strohbrett und Molkereien, nutzten die Zersplitterung der Bauern, um den Bauern ihre Rohstoffe zu einem schändlich niedrigen Preis abzunehmen. Als Gegenmaßnahme führte dies einerseits zum Verkauf durch die Genossenschaften, andererseits führten diese Praktiken dazu, dass die Landwirte solche Fabriken selbst errichteten. Beispielsweise gibt es in den Niederlanden derzeit 18 Strohplattenfabriken, von denen 10 kooperativ sind. Die niederländischen Strohplattenfabriken kontrollieren 90% des Angebots auf dem Weltmarkt, während 60% der Produktion in den Händen der Genossenschaften liegen. 33% der Zuckerfabriken liegt in den Händen der Genossenschaften. 1925 wurden 25% der in den Niederlanden produzierten Butter und 45% des gesamten Käses von Genossenschaftsmolkereien verarbeitet.
Die Situation in den Niederlanden ist jetzt so, dass “der Handel mit Düngemitteln, Tierfutter und anderen Geschäftsgütern, mit Eiern und Kleinvieh, mit Milchprodukten, Saatgut und Pflanzmittel sowie mit Agrarkrediten mehr oder weniger kooperativ organisiert ist. Wir haben auch kooperative Fabriken für Kartoffelmehl, Strohbrett, Zucker, Viehfutter und Düngemittel.” (“Handelingen van de Groninger Maatschappij van Landbouw”, Jahr 1923/1924, S. 86).
Diese Situation gilt jedoch keineswegs ausschließlich in den Niederlanden. Zum Beispiel schreibt Meschernakow in einem Artikel über “Die landwirtschaftlichen Genossenschaften” in “Agrar-Probleme”, [Moskau], Band 1, Heft 1, 1928, auf Seite 36[66]:
“Die Teilnahme an der landwirtschaftlichen Genossenschaft ist heute für jeden Landwirt ein Muss. Im hoch entwickelten Kapitalismus kann der Landwirt, der sich nicht an der Bauerngenossenschaft beteiligt, sein Geschäft zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht weiterführen.”
Die bereits erwähnte Standardisierung von Produkten ist ein wesentlicher Anreiz für die Bildung von Genossenschaften. Sie ist ein wechselseitiger Prozess, mit anderen Worten: Kooperation und Normierung sind funktional voneinander abhängig. Eine Standardisierung ist erst möglich, wenn die Genossenschaft gegründet und die Standardisierung für bestimmte Produkte umgesetzt wurde. Dann müssen die Landwirte, die noch außerhalb der Genossenschaft geblieben sind, endgültig beitreten.
“Standardisierung führt zur gemeinsamen Behandlung ähnlich großer Produktmengen. Sie setzt daher den Zusammenschluss einer großen Anzahl von Herstellern voraus, die das gleiche Produkt herstellen und das gleichzeitig ihre wirtschaftliche Grundlage bildet. Dies führt zur Befreiung des einzelnen Landwirts von seiner Isolation, um ihn zu einem Teil eines größeren Ganzen zu machen. [?] Die Normierung schließt somit die Kluft zwischen den Betrieben zum gemeinsamen Handeln und damit zur Idee einer kooperativen Arbeit.” (“Bankierstag”, S. 231).
Es ist daher nicht verwunderlich, dass gerade die Länder, die mit der Standardisierung von Produkten begonnen haben, ein intensives kooperatives Leben führen. In Dänemark beispielsweise sind 85% der Milch- und Rinderzüchter kooperativ miteinander verbunden. Die Milch von 86% der dänischen Milchkühe wird in Genossenschaftsfabriken verarbeitet. Darüber hinaus kontrollieren die dortigen Genossenschaften fast 100% der Schweineexporte und 25% der Produkte aus der Geflügelzucht. Finnland verarbeitet 92% der Butter und 70% des Käses gemeinsam. Estland 84% der Butter und 84% des Käses. Australien 91% der Butter und 91% des Käses. Neuseeland 80% der Butter und 80% des Käses. 1925 wurde -…™ der gesamten landwirtschaftlichen Produktion in Amerika kooperativ verkauft. Vor 1928 wurde es jedoch bereits auf -¼ geschätzt. Wie schnell die Genossenschaftsbewegung im Land der Normalisierung noch wächst, zeigen die folgenden Zahlen:
1913 | 3099 Verkaufsgenossenschaften mit einem Umsatz von 310 Millionen US-Dollar. |
1915 | 5424 Genossenschaften mit einem Umsatz von 635 Millionen USD. |
1925 | 10.803 Genossenschaften mit insgesamt 2.700.000 Mitgliedern. Einnahmen 2,4 Milliarden USD. Darunter waren nur 1.217 Einkaufsgenossenschaften mit insgesamt 247.000 Mitgliedern und einem Umsatz von 135 Millionen USD. |
Wir sind also mit dem globalen Phänomen konfrontiert, dass das Genossenschaftsgeschäft immer mehr an Bedeutung gewinnt. Selbst wenn die Bauern bereits eigene Kreditbanken eingerichtet haben, können die immensen Beträge, die jetzt im Genossenschaftshandel anfallen, unmöglich von ihnen geliefert werden, so dass sie Millionen von Krediten von den Privatbanken leihen müssen. Die Genossenschaften stehen somit unter dem Einfluss des Bankkapitals, das nun die gesamte Landwirtschaft in seinen Tätigkeitsbereich einbeziehen wird.
Das Bankkapital wird jetzt wirklich für das gesamte Wirtschaftsleben “Politik machen”, also nimmt es jetzt die Landwirtschaft unter seine Kontrolle wie die Industrie. Wir wissen nicht, welche kontrollierende Rolle es dabei bereits spielt. Auf jeden Fall ist dies für den Landwirt sicher, dass er, um die Ausbeutung durch das Handelskapital zu vermeiden, jetzt im Bann des noch mächtigeren Bankkapitals steht. Einen Parasiten hat er sich vom Hals geschafft, bekam aber dafür einen anderen.
Wir haben bereits bemerkt: Der größte Teil des enormen Wachstums kleiner landwirtschaftlicher Betriebe ist auf Osteuropa zurückzuführen. Russland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Griechenland, Bulgarien, Jugoslawien und die Tschechoslowakei beschlossen, die großen Grundstücke zu zerschlagen und an die Bauern zu verteilen. Zweifellos führt dies zuallererst zu einem “trostlosen Einbruch” in der Landwirtschaft, da gleichzeitig die vorhandenen Produktionsmaschinen, so schlecht sie auch funktionieren mögen, zerstört werden und die neuen Eigentümer, die Klein- und Mittelbauern, weder über die notwendigen Mittel noch über kooperative Grundstandards, die notwendig sind, um die Produktivität auf dem alten Niveau zu halten. Nach Rutgers Schulweisheit setzt dies einen regressiven Prozess in Gang, hingegen zeigt die westeuropäische Realität, dass hier der Grundstein für einen neuen fortschrittlichen Zyklus gelegt wird.
In den großen Gebieten arbeiten die Landwirte oft noch nach Methoden, wie sie 1000 Jahre lang in Westeuropa angewendet wurden. Von der Anwendung der Agrarwissenschaften und moderner Werkzeuge ist daher keine Rede, was sich darin äußert, dass beispielsweise der primitive niederländische Landwirt viermal so viel Hektar Land bearbeitet wie der Grieche, der Bulgare, der Rumäne oder der Russe. Die Bauern dort leben noch fast vollständig in der Selbstversorgung. Was sie für ihren Lebensunterhalt brauchen, stellen sie selbst her. Neben dem Bauernhof sind sie ihre eigenen Bäcker, Metzger, Schneider, Zimmerleute, Ölhersteller usw. Sie haben kaum Geld, so dass sie oft sogar die Pacht, die sie an die Großgrundbesitzer zahlen mussten, in Form von Sachleistungen bezahlten. Diese Landwirte sind daher noch nicht in die gesellschaftliche Arbeit eingetreten. Sie arbeiten noch nicht primär für den Markt, sondern für ihren Familienkreis. Nur was übrig bleibt, nachdem sie für ihre eigenen Bedürfnisse gesorgt haben, kommt auf den Markt, wonach sie mit dem erhaltenen Geld einige Industrieprodukte kaufen können, sei es Werkzeuge oder auch anderes.
Es versteht sich von selbst, dass die ausschließliche Produktion für den Eigenbedarf nicht überall beibehalten wurde. Die kapitalistische Entwicklung in Westeuropa untergrub ständig die Grundlagen, weil die industrielle “Warenproduktion” immer versuchte, Waren zu importieren, die in dieser Selbstversorgungswirtschaft hergestellt wurden. So durchbrechen die Agrarländer, die den Industriezentren am nächsten liegen, die Selbstversorgungswirtschaft zuerst (z. B. Estland, Lettland, Finnland sowie die Tschechoslowakei und Ungarn), während Russland, Bulgarien und Rumänien es am längsten und vollständig durchhalten.
Rutgers teilt uns mit, dass für Russland diese Situation in großen Gebieten noch nicht überwunden wurde. Wenn er über die Preispolitik der russischen Herrscher spricht, sagt er, dass die Industrieprodukte über den Kosten verkauft werden, so dass eine indirekte Steuer auf sie erhoben wird. Es versteht sich von selbst, dass dies die Entwicklung der Landwirtschaft bremsen sollte, da es den Preis für landwirtschaftliche Geräte, Metallwaren und Textilprodukte erhöht. Rutgers glaubt jedoch, dass “die armen Bauern sehr wenig davon betroffen sind”, weil sie “nur sehr wenige Industrieprodukte kaufen”.
“In einigen Bereichen haben kleine Unternehmen praktisch immer noch die Möglichkeit, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, einschließlich Kleidung und einfacher Werkzeuge, so dass höhere Industriepreise dort eine sehr untergeordnete Rolle spielen.” (Rutgers, S. 80).
In einfachem Niederländisch übersetzt bedeutet dies, dass diesen Landwirten immer noch die Früchte der gesellschaftlichen Arbeit vorenthalten werden und dass die Ergebnisse einiger hundert Jahre technischer Entwicklung für sie nicht existieren. Wir glauben, dass genau diese Bauern von indirekten Abgaben betroffen sind, und die Möglichkeit, in den Kreis dieser gesellschaftlichen Arbeit hineinzuwachsen, dadurch behindert oder zumindest sehr erschwert wird.
Dies weist unserer Meinung nach hinreichend auf den typischen Unterschied zwischen der Landwirtschaft in Ost- und Westeuropa hin. Bei uns kann ein spezialisiertes landwirtschaftliches Unternehmen nur mit Hilfe moderner Industrie und Technologie arbeiten, wenn der Bodenbesitz ausreicht, um das Geschäft eines “Landwirts” zu betreiben. Neben Land wird ein beträchtlicher Geldbetrag für den Kauf von Düngemitteln und Saatgut sowie für den kooperativen Einsatz moderner Geräte benötigt. In Westeuropa ist daher der primitive Slogan “Land für den Bauern!” völlig sinnlos. Wenn der “Bauer” hier nur Land hat, hat er immer noch nichts. In Osteuropa konnte dieser Slogan jedoch solche psychischen Kräfte freisetzen, weil die Landwirtschaft immer noch so primitiv praktiziert wird. Wenn der Landwirt dort ein Stück Land hat, reicht das als Grundlage seiner Arbeit praktisch aus. Vorerst wurde die Bauernfrage dort sehr einfach gelöst, wobei die russischen Bauern dies am radikalsten taten: “Die Bauern teilten das Land und nahmen die Produktionsmittel weg, wobei nicht die ärmsten, sondern die am besten gestellten Bauern den größten Anteil bekamen.” (Varga:”Wirtschaftspolitische Probleme der proletarischen Diktatur”[67], S. 103). Sicherlich hätten die ärmsten Bauern ein größeres Grundstück nehmen können, aber das ergab für sie keinen Sinn, weil sie sowieso kein größeres Grundstück bearbeiten konnten. Die Reicheren, die Lohnarbeiter beschäftigen konnten, um das Land zu bearbeiten, profitierten jedoch: Sie konnten es auch bearbeiten. Somit war die Agrarrevolution in Russland in jeder Hinsicht “natürlich”.
Bei der Einschätzung der wahrscheinlich schleppenden Entwicklung der Landwirtschaft in Osteuropa (in Russland wird sie schneller sein) können wir nicht von der marxistischen Lehre ausgehen, die die Größe des Landes, die Zunahme der Zahl der Traktoren und die Zunahme des landwirtschaftlichen Proletariats in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Amerika, Australien und Westeuropa haben bewiesen, dass die kapitalistische Entwicklung in der Landwirtschaft über die kooperative Zusammenfassung des gesamten landwirtschaftlichen Geschäfts läuft. Die Zusammenarbeit der Landwirte steht daher im Mittelpunkt der Untersuchung des Agrarproblems. Darüber hinaus sollte auf den Ertrag pro Hektar sowie auf den Verbrauch von Düngemitteln geachtet werden, da dies eine der Formen der Akkumulation in der Landwirtschaft ist, sowie auf die Spezialisierung und Standardisierung.
Wie sieht es nun in Osteuropa aus? Hat die Zunahme kleiner Unternehmen auch zu einem “Einbruch” geführt? Gibt es eine Verschlechterung der technischen Hilfsmittel? Angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Umwälzungen sind unsere Erwartungen nicht zu hoch.
Bodenertrag in 100 Kilogramm pro Hektar (nach Statistik des Int. Agricultural Institute)
[TABLE]
Anmerkungen zur vorherigen Tabelle: Zunächst müssen wir noch einmal darauf hinweisen, dass die Zahlen für 1901/1905 wenig Vergleichswert haben, da sie über die alten Gebiete berechnet werden. Die Zahlen für die Tschechoslowakei sind ebenfalls nicht vergleichbar, da nur der Ertrag für ein Jahr verfügbar ist und nicht der Durchschnitt einiger Jahre.
Russland hat bereits den “Friedensertrag” für Weizen und Roggen erreicht, für Kartoffeln liegt er deutlich darüber, während der Ertrag für Rüben-Karotten noch weit zurückliegt. Generell kann daher gesagt werden, dass die Verteilung großer Grundstücke den Ertrag pro Hektar nicht hemmt.
Finnland verzeichnet einen Anstieg von etwa 30% bei Weizen und etwa 55% bei Kartoffeln, während Rübenkarotten stark zurückgehen.
Estland bewegt sich auf einem Vorkriegsniveau mit einer Tendenz zum Anstieg.
Litauen ist auf ganzer Linie auf dem Vormarsch, insbesondere im Kartoffelanbau.
Polen bewegt sich um den Vorkriegsdurchschnitt. Die Kartoffelkultur hat sich sehr verbessert. Zuckerrüben gingen zurück.
Griechenland - ein hoffnungsloser Zusammenbruch.
Bulgarien erlebte von 1900 bis 1914 einen katastrophalen Zusammenbruch unter großem Landbesitz. Nach dem Krieg fand eine beispiellose Verbesserung statt. Der Weizenertrag verbessert sich um 50%, der Roggenertrag um 14%, während Kartoffeln und Rübenkarotten ebenfalls starke Fortschritte machen.
Jugoslawien verbessert den Ertrag von Weizen, Roggen und Kartoffeln, ist jedoch bei Rübenkarotten rückläufig.
Das Gesamtbild ist daher bei weitem nicht so trostlos wie erwartet. Die meisten Länder haben den Ertrag pro Hektar bereits auf das Vorkriegsniveau zurückgebracht, und manchmal auch erheblich überschritten. Abgesehen von Griechenland können wir sagen, dass die Verteilung der großen Grundstücke in Osteuropa nicht zu einem Rückgang des Ertrags pro Hektar geführt hat.
Lassen Sie uns nun sehen, wie die Situation mit dem Rückgang der technischen Hilfsmittel ist.
Rückgang der technischen Ressourcen?
Aus unserer Sicht sind Düngemittel eine technische Hilfe für die Landwirtschaft, darum untersuchen wir die Entwicklung des Düngemittelverbrauchs der betroffenen Länder. Für einige Länder, die wir derzeit in Betracht ziehen, liegen uns jedoch keine Zahlen für den Stickstoff- und Kaliumverbrauch vor, so dass wir uns auf die von Superphosphat beschränken müssen. Dies reicht auch für den beabsichtigten Zweck aus, da wir nur prüfen wollen, ob die technischen Ressourcen zurückgehen. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, muss der Verbrauch rückläufig sein. Wenn er einen Aufwärtstrend aufweist, bedeutet dies eine Erhöhung der technischen Ressourcen.
Der Verbrauch von Düngemitteln in 1000 kg
[TABLE]
Polen. Die Länder des heutigen Polens haben bereits vor dem Krieg 1-½ Millionen Tonnen Dünger verbraucht. Dies fiel auf praktisch Null. Nach einer gewissen Stabilisierung der Proportionen stieg der Verbrauch jedoch regelmäßig und schnell wieder an. Dennoch hatte es 1925 nur 40% des Vorkriegsverbrauchs erreicht. Die Verbrauchszahlen zeigen jedoch einen stetigen Anstieg, so dass der Rückstand bald wieder aufgeholt zu sein scheint. Die angegebenen Zahlen beinhalten die Gesamtmenge der Düngemittel, nämlich Kali, Phosphate und Stickstoff. Polen selbst hat 15 Superphosphatfabriken, die einen regelmäßigen Düngemittelverbrauch fördern.
Die Tschechoslowakei hat auch eine eigene Düngemittelindustrie. Der Anstieg des Superphosphatverbrauchs findet eine Parallele zur Ausweitung der Zuckerrübenkultur, aus der abgeleitet werden kann, dass der Düngemittelverbrauch in den anderen Zweigen, wenn überhaupt, nicht gestiegen ist. [Rückschluss?]
Estland ist ausschließlich auf Düngemittelimporte angewiesen. Die angegebenen Zahlen beziehen sich nur auf Superphosphat. Von 1923 bis 1927 stieg der Verbrauch um mehr als 65%.
Lettland. Die Zahlen betreffen nur den Verbrauch von Superphosphat. Innerhalb von vier Jahren beobachten wir einen Anstieg des Verbrauchs um 243%, was auf eine Erholung der Intensität der Landwirtschaft hinweist. Für 1926 wurde kein Verbrauch gemeldet, da in diesem Jahr eine “eigene” Superphosphatindustrie eröffnet wurde. Wir wissen nicht, wie viel in diesem Jahr von der Landwirtschaft über die nationale Industrie verbraucht wurde.
Litauen ist ausschließlich auf den Import von Düngemitteln angewiesen. Die Zahlen betreffen wiederum nur Superphosphat. Von 1924 bis 1926 eine Steigerung von 117%.
Griechenland hat eine “nationale” Düngemittelindustrie, die fast ausschließlich Mischdünger vermarktet. Die Zahlen geben daher den Verbrauch von Mischdüngern an. Der Rückgang des Verbrauchs nach 1925 war darauf zurückzuführen, dass am 1. Januar 1926 hohe Einfuhrzölle auf Superphosphat gezahlt werden mussten, um die staatliche Industrie zu schützen.
Bulgarien arbeitet oft noch nach dem Zwei- oder Drei-Felder-System. Dünger war und ist praktisch unbekannt. Aber auch hier beginnt der Konsum von Düngemitteln. Im Jahr 1926 wurden 425 Tonnen aller Arten von Düngemitteln importiert.
Russland. Obwohl Dünger in Russland vor 1905 so gut wie unbekannt war, war der Phosphatverbrauch allein bis 1914 bereits auf 600.000 Tonnen gestiegen. Die nationale Industrie lieferte davon 158.300 Tonnen. Während der Revolution verlor das alte Zarenreich jedoch genau die Gebiete, in denen sich die Düngemittelfabriken befanden, so dass Sowjetrußland von vorne beginnen musste. In fieberhafter Eile wird derzeit daran gearbeitet. Von einem Import von Superphosphat kann keine Rede sein, denn Russland hat sich gegen dieses Produkt mit dem höchsten Einfuhrzoll geschützt. Ob die Ursache dafür vielleicht gesucht werden sollte, dass Großimporte die Zahlungsbilanz überlasten würden oder dass die heimische Industrie viel teurer ist, können wir nicht beurteilen.
Da der Düngemittelverbrauch in Osteuropa stetig zunimmt, stellen wir fest, dass die technischen Hilfsmittel weiterentwickelt werden. Die Kette, die die Landwirtschaft zur gesellschaftlichen Arbeit macht, wird enger. Auch hier ist die Landwirtschaft auf dem Weg zur industriellen Produktion.
Es bleibt jedoch eine offene Frage, inwieweit Kleinbauern an diesem Prozess beteiligt sind. Aus der Tatsache, dass Estland, Lettland und Finnland bereits ihre Normungsgesetze haben und Ungarn sie vorbereitet, sowie der Tatsache, dass diese Länder mächtige Bauerngenossenschaften haben, kann geschlossen werden, dass auch sie bereits in den Kreis der industriellen Produktion eingetreten sind, dass sie auf dem Weg zur Spezialisierung sind. Es ist daher eine Frage der Zeit, dass dieser Prozess überall stattfindet.
Rutgers macht in seiner Broschüre -€˜Het Boerenvraagstuk-€˜ darauf aufmerksam, dass der Großgrundbesitz in so kleine Teile aufgeteilt ist, dass es dem Kleinbauern unmöglich ist, sein Land mit den Methoden der extensiven Landwirtschaft zu bearbeiten, wie es in Osteuropa üblich ist, so dass er auf den großen Gütern als Lohnarbeiter arbeiten muss. Wir kennen auch diese Kategorie von Arbeitern in Westeuropa: Hier nennen wir sie Landarbeiter mit einem Stück Land. Rutgers schließt nun aus dieser Situation, dass die technische Entwicklung der Landwirtschaft aufgrund der Armut der Kleinbauern nicht voranschreiten kann. Wir sind jedoch der Ansicht, dass bei der Bewertung einige Vorsicht geboten ist.
In unserer Diskussion über den Ertrag pro Hektar in Westeuropa haben wir gesehen, dass die Landwirtschaft sich in zwei Richtungen bewegt, eine, die die technische Entwicklung verlangsamt, und eine, die tatsächlich zu einer Steigerung der Produktivität führt. Die holländischen Verhältnisse sind Rutgers gewiss nicht fremd, daher kann er wissen, dass auch hier eine Verlagerung von “Landarbeitern mit einem Stück Land” hin zur Ausübung der Landwirtschaft als “Hauptbeschäftigung” stattgefunden hat. Die Notwendigkeit führt die Landwirte zur Zusammenarbeit und Spezialisierung: zur Rationalisierung des Unternehmens. Nur wenn die Kosten so hoch sind, dass eine Akkumulation unmöglich geworden ist, kann auch der Spezialisierungsprozess nicht fortgesetzt werden. Aber das ist in Osteuropa nicht der Fall! Angesichts des enormen Rückstands beim Bodenertrag pro Hektar ist klar, dass nicht viel erforderlich ist, um ihn um 30-40% zu erhöhen, was den Landwirten erheblichen Spielraum für Akkumulationen bietet. Ein typisches Beispiel hierfür ist Italien, wo sich die Landwirte für eine “Battaglia del Grano”, eine Weizenkampagne, entschieden haben. Der Ertrag für Roggen, Weizen und Mais stieg gegenüber dem Vorkriegsniveau um etwa 20% und für Hafer und Gerste um 30-40%. In Ländern mit einem viel niedrigeren Niveau als Italien ist ein solcher Anstieg noch leichter zu erreichen. In diesem Zusammenhang erinnern wir uns an Bulgarien, wo die Bodenerträge seit 1914 ohne Verwendung von Düngemitteln um 14-50% gestiegen sind. Auch in Polen gibt es Möglichkeiten für die Ausweitung landwirtschaftlicher Betriebe, was wir aus der Tatsache ableiten, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Baumwolle von 2 kg im Jahr 1924 auf 3,3 kg im Jahr 1927 gestiegen ist.
Nach Rutgers Ansicht über die Aufteilung des Großgrundbesitzes sind diese Veränderungen der Eigentums- bzw. Besitzverhältnisse praktisch bedeutungslos. Dies scheint uns für eine Bewegung, die unter dem Drang der Bauernschaft entstanden ist und die sich vom Eismeer bis zum Mittelmeer und zur asiatischen Grenze erstreckt, nicht zutreffend zu sein. Es besteht daher bereits eine starke Tendenz, die darauf hinweist, dass mit den neuen Eigentumsverhältnissen mehr aus dem Boden gewonnen werden kann als mit den alten, obwohl nicht in erster Linie die Landwirte davon profitieren.
Während sich die Landwirtschaft in Westeuropa der Industrieproduktion zugewandt hat und sich organisch vereinigt hat, steht die deutsche Landwirtschaft bereits vor einem sofortigen Zusammenbruch, wobei etwa die Hälfte der Ernte in verschiedenen Formen für Bank- und Hypothekenkapital verwendet wird. In den letzten Jahren ist eine Akkumulation durch die Bauern unmöglich geworden. Wenn die deutschen Landwirte noch die Kraft haben, ihre Betriebe im Hinblick auf die Standardisierung des Produkts zu rationalisieren, können sie ihre Verpflichtungen für einige Zeit wieder erfüllen. Wenn sich dies als unmöglich herausstellt, wird das Deutsche Reich mit der Landwirtschaft zusammenbrechen: Die soziale Revolution steht vor der Tür! Die Lösung kann dann nur kommen, indem man sich vom Bank- und Hypothekenkapital befreit, d.h., indem man die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft bricht.
Anders in Osteuropa. Die Bauern mussten sich nicht vom Bank- und Hypothekenkapital befreien, sie mussten den Kapitalismus nicht besiegen, sondern nur das parasitäre Landkapital, das ihre Produktivitätssteigerung, ihren Eintritt in den “Rohstoff”-Markt behinderte. Sie mussten daher nur das Bodenkapital angreifen, um Platz für ihre eigene kapitalistische Entwicklung zu machen, die wir in Westeuropa bereits abgeschlossen haben.
Mögen die Landwirte in Osteuropa auch auf breiter Front auf den Weg der Genossenschaft gedrängt werden, dieser Prozess wird in Russland am schnellsten stattfinden. Dieses Land befindet sich in dem “besonderen” Umstand, dass die Interessen des Industriekapitals (95% im Staat konzentriert) derzeit parallel zu den Interessen der Bauern stehen. Die große Schwierigkeit der russischen Industrie besteht darin, dass sie in hohem Maße von Importen aller Arten von Rohstoffen, Maschinen und Werkzeugen aus dem Ausland abhängt, die sich Russland unter den gegenwärtigen Umständen jedoch nicht leisten kann. Wenn sie Industrieprodukte selbst ins Ausland exportieren könnte, könnte sie beispielsweise verschiedene Lieferungen für den gleichen Betrag wieder importieren. Die russische Industrie kann jedoch unmöglich auf dem Weltmarkt konkurrieren, da ihre Preise viel zu hoch sind. Es wird angenommen, “wenn alles gut geht”, dass die Kostenpreise 1932 aufgrund der Rationalisierung der Produktion im Vergleich zu 1927 um 16,5% fielen, aber immer noch 10% über dem Weltmarktpreis liegen.
Dennoch muss Russland auf jeden Fall Ressourcen finden, um die ausländischen Produkte beschaffen zu können. Ein großer langfristiger Auslandskredit würde bereits eine Lösung bieten, aber das internationale Kapital ist noch nicht bereit, darauf zu reagieren. Ob dies auf politischen Erwägungen beruht oder ob die Bourgeoisie den Außenhandel eines rückständigen Agrarlandes, der vollständig vom Erfolg oder Misserfolg der Ernte abhängt, als unzureichende Garantie für Rückzahlung und Zinszahlungen betrachtet, interessiert uns jetzt nicht. Tatsache ist, dass noch kein großer Auslandskredit vergeben wurde.
Unter diesen Umständen ist Russland ausschließlich auf steigende Exporte seiner eigenen Produkte angewiesen.
Bis 1926 hatten sich die Exporte von Industrieprodukten auf 258 Millionen Rubel entwickelt, was seinen Grund in einer bedeutenden Expansion der Erdölindustrie im Jahr 1932 auf 636 Millionen Rubel haben soll.
Eine weitere Quelle, die Ansprüche im Ausland generieren sollte, sind Getreideexporte. 1932 sollen sie um 380 Millionen gestiegen sein, wofür aber die gesamte landwirtschaftliche Produktion um 63% steigen musste. Wenn all dies nach dem “Plan” abläuft, sind die Gesamtexporte, die sich 1926 auf 750 Millionen Rubel beliefen, auf das Niveau von 1913 zurückgekehrt, nämlich 1.500 Millionen Rubel.
Die “besondere” Situation, in der sich die russische Landwirtschaft und Industrie befinden, liegt daher in der Tatsache, dass sich beide gemeinsam in gegenseitiger Verflechtung entwickeln müssen. Die Landwirtschaft kann nur durch die Industrie ertragreicher werden, die Industrie kann nur durch die höhere Produktivität der Landwirtschaft produktiver werden, eine Situation wie in keinem anderen Land der Welt. So sehen wir das Phänomen, dass Industriekapital (hier der Staat) die Entwicklung der Landwirtschaft fördert.
Die wichtigste Hilfe, die der Staat leisten kann, besteht darin, die Bauern immer aufzufordern: “Mach es selbst und gründe Genossenschaften!”, wo dann die treibende Kraft ist: “Bereichere dich selbst!” (Dieser Slogan wurde von Bucharin bei der Einrichtung der N.E.P. zitiert).
Die Landwirte haben den Slogan verstanden, so dass wir ein kräftiges Wachstum des Genossenschaftssektors beobachten können. Die russische Agrarentwicklung folgt damit genau den gleichen Wegen, die wir in Westeuropa seit rund dreißig Jahren kennen und die derzeit weltweit beschritten werden. Von den 21.400.000 landwirtschaftlichen Betrieben in Russland waren bereits 1927 36% verbunden. 1924 kontrollierten die Genossenschaften 1,7% der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, 1925 bereits 21,5% und 1927 waren es 25%. Berechnet über einzelne Produkte kontrollierten sie 27% des Getreides, 44% Flachs, 84% Baumwolle und 92% Butter. (Zahlen von Rutgers).
Es ist auch von Bedeutung, dass die Anzahl der Traktoren von 1924 auf 1928 gestiegen ist, also in 4 Jahren von 9.000 auf 32.000, was einer Steigerung von 255% entspricht. Die Ausgaben für landwirtschaftliche Geräte stiegen von 62 Millionen Rubel im Jahr 1924 auf 149 Millionen im Jahr 1927. Dies entspricht einer Steigerung von 140% in drei Jahren. Obwohl diese Zahlen für ein riesiges Reich wie Sowjetrussland nicht viel bedeuten, geht es nicht in erster Linie um absolute Größe oder Wachstum.
Die Funktionen der russischen Genossenschaften unterscheiden sich nicht von denen ihrer Schwesterorganisationen im Rest der Welt, was selbstverständlich ist, da das landwirtschaftliche Geschäft ein “privates” Unternehmen ist, das wie überall gewinnbringend arbeitet. Auch hier bilden die Genossenschaften Einkaufs- und Verkaufsorganisationen, um die bestmögliche Position auf dem heimischen Markt zu sichern, um gegen die zentrale Sowjetregierung kämpfen zu können. Darüber hinaus bilden sie auch genossenschaftliche Kreditbanken, da die Klein- und Mittelbauern nur auf diesem Weg Kredite erhalten können, während sie Organisationen für den kooperativen Einsatz landwirtschaftlicher Geräte gründen.
Im Kampf gegen die Sowjetregierung haben die Bauern bereits mehrfach erfolgreich gehandelt. 1921 gelang es ihnen, den Freihandel auf dem Inlandsmarkt zu erobern, 1928 wurde der Regierung eine bedeutende Niederlage zugefügt, da die Bauern sich weigerten, zu den von der Regierung festgelegten Preisen zu verkaufen, und es schließlich gelang, einen höheren Preis durchzusetzen. Infolgedessen wurden die Getreideexporte zu einem finanziellen Misserfolg für die Regierung, was die staatliche Industrie in ernsthafte Schwierigkeiten brachte und das “Wiederaufbauprogramm” völlig scheiterte. Der Staat ist daher gezwungen, sich gegen die individualistische Bauernschaft zu stellen. Die Herrscher befürchten ein Bauernmonopol auf Getreide, und so hat der Bau von “staatlichen Getreidefabriken” begonnen, dieses Monopol zu brechen.
Die staatlichen Getreidefabriken sind ein “sozialistischer Sektor” in der individualistischen Landwirtschaft. Sie machen nur 2% der bebauten Fläche aus, werden aber, “wenn alles gut geht”, bereits 1933 17,5% abdecken, während sie dann 15,5% der Gesamtproduktion liefern werden. Der “privatkapitalistische Sektor” wird dann “nur” 73,2% des Produkts kontrollieren, während mehr als 11% auf die “kollektiven Unternehmen” oder auf das zurückzuführen sind, was wir in Holland als “produktive Vereinigungen” bezeichnen würden.
Die russischen Herrscher zählen diese produktiven Assoziationen als Teil der kommunistischen Produktion. In der Tat ist es ein Merkmal beider Verbände und der staatlichen Produktion, dass beide auf Profit beruhen, den sie mit der gesamten kapitalistischen Produktion im Rest der Welt gemeinsam haben. Der Unterschied zwischen den staatlichen Unternehmen und den Verbänden liegt jedoch in der Verteilung der erzielten Gewinne.
Im staatlichen Unternehmen fallen sie dem Staat zu, der bestimmt, wie sie verwaltet werden. Über die Verbände fließt der Gewinn den einzelnen Mitgliedern zu, die nach eigenem Ermessen mit ihnen handeln. Auch für sie gilt “Bereichere dich!” nach Bucharin. Die Assoziationen unterscheiden sich also nicht von irgendeiner Form kapitalistischer Genossenschaften, wie wir sie auf der ganzen Welt kennen. Sie fallen daher nicht in den Rahmen einer “geplanten” staatlichen Produktion. Wir sind daher der Meinung, dass der “privatkapitalistische Sektor” nicht auf 73,2%, sondern auf 73,2 + 11 = 84,2% festgelegt werden sollte. Das heißt, wenn die Pläne bezüglich der staatlichen Getreidefabriken, die vorerst nur auf dem Papier existieren, umgesetzt wurden.
Wie wir gesehen haben, ist es das Wichtigste für die russischen Herrscher, dass Russland so bald wie möglich als Getreideexportland wieder auf dem Weltmarkt erscheint, weshalb gehofft wird, die landwirtschaftliche Produktionskapazität 1932 um 63% zu erhöhen. Bis 1926 wurde angenommen, dass diese Produktionssteigerung durch die Vergrößerung der Aussaatfläche und durch die Intensivierung der Landwirtschaft erreicht wird. Neue Landgewinnung ist notwendig, um die Aussaatfläche zu vergrößern, während die Produktivität auf verschiedene Weise gesteigert wird.
Daher werden neben der moralischen Unterstützung bei der Gründung der Genossenschaften hohe Beträge für die Landgewinnung ausgegeben und den Landwirten erhebliche Kredite zur Verfügung gestellt. Letzteres muss natürlich später mit Zinsen zurückgezahlt werden, denn der Gewinn ist die Grundlage aller russischen Produktion. In der Zeit von 1927 bis 1932 plant die Sowjetregierung eine Milliarde Rubel für die Verbesserung, Rückgewinnung und Bewässerung von Land, für den Kauf von Vieh und Maschinen 290 Millionen, für die Verbesserung der Landwirtschaft und Teststationen 211 Millionen und für die Kooperativen und Industrialisierung werden 251 Millionen zur Verfügung gestellt. (Die Zahlen stammen von Rutgers.)
Dies sind zweifellos beträchtliche Beträge, die zum Teil aus direkten, zum größten Teil aus indirekten Steuern, zum Teil aus Unternehmensgewinnen und zum Teil aus Zinszahlungen des staatlichen Kreditkapitals stammen, während das Außenhandelsmonopol auch eine bestimmte oder vielmehr eine sehr ungewisse Einnahmequelle ist. Was den Millionen Menschen des Sowjetreichs auf diesen verschiedenen Wegen entzogen wird, wird so genutzt, dass die Bucharin-Formel “sich bereichern!” für die Besitzer der 21.400.000 Bauernhöfe, die Russland 1927 gezählt hat, erfüllt werden kann.
Man fragt sich jedoch vergeblich, was das alles mit Kommunismus zu tun hat. Die gesamte russische Wirtschaft basiert auf kapitalistischer “Rohstoff”-Produktion, während eine bedarfsgerechte Produktion nicht in Frage kommt. Die russische Revolution brachte Russland einen enormen Sprung nach vorne, indem sie die alten Hindernisse für die Entwicklung des Kapitalismus zerstörte, die verhinderten, dass die Landwirtschaft Teil der gesellschaftlichen Arbeit wurde. Damit legte diese Revolution den Grundstein für die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Die Bedingungen für eine echte proletarische Revolution werden erst jetzt vorbereitet.
Kein geringerer als Lenin bezeugt dies ganz klar. In Lenins “Gesammelten Werken”, Teil 1 von Band XI, S. 78-79 (Moskauer Ausgabe)[68], heißt es:
“Der Sieg der bürgerlichen Revolution [in Russland - P.I.C.] ist als Sieg der Bourgeoisie unmöglich. Die Dominanz der Bauernbevölkerung, ihre schreckliche Unterdrückung durch halbfeudalen Landbesitz, die Bewusstseinskraft des Proletariats, das bereits in einer sozialistischen Partei organisiert ist, all diese Umstände verleihen unserer bürgerlichen Revolution einen besonderen Charakter. Diese Besonderheit hebt den bürgerlichen Charakter der Revolution nicht auf. Diese Besonderheit bestimmt nur den konterrevolutionären Charakter unserer Bourgeoisie und die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats und der Bauern für den Sieg einer solchen Revolution.” (kursiv von uns - P.I.C.).
Lenin wusste also genau, dass “die Diktatur des Proletariats und der Bauern für den Sieg einer solchen [bürgerlichen] Revolution notwendig war”! Er rechnete jedoch damit, dass die deutsche Arbeiterklasse beim Zusammenbruch des Deutschen Reiches ihre proletarische Revolution vollziehen und damit den Aufbau des Kommunismus wesentlich vorantreiben würde. Weil: “Der volle Sieg der sozialistischen Revolution ist in einem Land undenkbar. Er erfordert die engste Zusammenarbeit zumindest einiger Industrieländer, auf die wir nicht zählen können.” (Lenin auf dem X. Kongress der C.P.R. Siehe “In Inprekorr”[69], 6. Band, Nr. 139, S. 1426[70]).
Russland blieb jedoch allein. Es konnte daher nur die bürgerliche Revolution durchführen, das heißt, sie konnte nur den Weg für die Entwicklung des Warenkapitalismus in Russland ebnen.
“Die Arbeiterklasse übernahm 1917 die Macht. Aber sie konnte nicht daran denken, zum Beispiel das kleinbürgerliche Geschäft und insbesondere das landwirtschaftliche Geschäft zu sozialisieren. Und 1921 stellte sich heraus, dass die russische Wirtschaft sich immer noch gegen Veränderungen wehrt und dass die Macht der proletarischen Staatsmaschine nicht über die Erhaltung der Großindustrie hinausgeht und sie nicht einmal vollständig sozialisiert.” (Bucharin, “Theorie des historischen Materialismus”, S. 310)[71].
Die Umsetzung des Kommunismus war wegen der Rückständigkeit der Landwirtschaft unmöglich. Was die Bolschewiki aufgrund ihres Prinzips, der Zerstörung des Lohnsystems, der Abschaffung der kapitalistischen Warenproduktion, zu tun hatten, konnten sie nicht durchführen. Was sie im wirtschaftlichen Gefüge des Landes tun mussten, widersprach ihren Grundsätzen. Kurz gesagt, die Bolschewiki waren in einen Zustand gekommen, den Engels in seinem “Deutschen Bauernkrieg” so treffend darstellt:
“Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Maßregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert. Was er tun kann, hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von der Höhe, auf die der Gegensatz der verschiedenen Klassen getrieben ist, und von dem Entwicklungsgrad der materiellen Existenzbedingungen, der Produktions- und Verkehrsverhältnisse, auf dem der jedesmalige Entwicklungsgrad der Klassengegensätze beruht. Was er tun soll, was seine eigne Partei von ihm verlangt, hängt wieder nicht von ihm ab, aber auch nicht von dem Entwicklungsgrad des Klassenkampfs und seiner Bedingungen; er ist gebunden an seine bisherigen Doktrinen und Forderungen, die wieder nicht aus der momentanen Stellung der gesellschaftlichen Klassen gegeneinander und aus dem momentanen, mehr oder weniger zufälligen Stande der Produktions- und Verkehrsverhältnisse hervorgehn, sondern aus seiner größeren oder geringeren Einsicht in die allgemeinen Resultate der gesellschaftlichen und politischen Bewegung. Er findet sich so notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma: Was er tun kann, widerspricht seinem ganzen bisherigen Auftreten, seinen Prinzipien und den unmittelbaren Interessen seiner Partei; und was er tun soll, ist nicht durchzuführen. Er ist, mit einem Wort, gezwungen, nicht seine Partei, seine Klasse, sondern die Klasse zu vertreten, für deren Herrschaft die Bewegung gerade reif ist. Er muss im Interesse der Bewegung selbst die Interessen einer ihm fremden Klasse durchführen und seine eigne Klasse mit Phrasen und Versprechungen, mit der Beteuerung abfertigen, dass die Interessen jener fremden Klasse ihre eignen Interessen sind. Wer in diese schiefe Stellung gerät, ist unrettbar verloren. In der neuesten Zeit noch haben wir Beispiele davon erlebt; wir erinnern nur an die Stellung, die in der letzten französischen provisorischen Regierung die Vertreter des Proletariats einnahmen, obwohl sie selbst nur eine sehr untergeordnete Entwicklungsstufe des Proletariats repräsentierten. Wer nach den Erfahrungen der Februarregierung - von unsern edlen deutschen provisorischen Regierungen und Reichsregentschaften nicht zu sprechen - noch auf offizielle Stellungen spekulieren kann, muss entweder über die Maßen borniert sein oder der extrem-revolutionären Partei höchstens mit der Phrase angehören.”[72] [MEW Bd. 7, S. 400 f. - vollständiges Zitat, die Herausgeber]
Mit übermenschlicher Anstrengung versuchten die Bolschewiki in den ersten drei Jahren ihrer Herrschaft, diesem Schicksal zu entkommen. Militärische Macht wurde gegen die Bauern eingesetzt, mit der einzigen Konsequenz, dass die Bauern nicht mehr Land bewirtschafteten, als zur Deckung ihrer armen Bedürfnisse notwendig war. Die Bauern forderten Freihandel, weil sie Profit machen wollten, weil sie als kapitalistische “Rohstoffproduzenten” auftreten wollten. 1921 beharrten sie auf (die N.E.P.) und legten damit den Grundstein für die neue kapitalistische Entwicklung in Russland, die Lenin auf dem X. Kongress der C.P.R. so formulierte:
“Wir alle wissen, wenn wir nur das ABC des Marxismus kennen, dass aus dieser Wendung [zur N.E.P. - PIC] und zum Freihandel unwiderruflich die Aufteilung der Warenproduzenten in Kapitalbesitzer und Eigentümer von Arbeitskraft resultiert, die Aufteilung in Kapitalisten und Lohnarbeiter, d.h. die Wiedereinführung der kapitalistischen Lohnsklaverei, die nicht vom Himmel fällt, aber auf der ganzen Welt wächst die landwirtschaftliche Produktion.”[73].
Trotzdem steuerte Lenin nach dem Fiasko der kommunistischen Experimente unter den Bauern ganz zielgerichtet zum Kapitalismus. Und das liegt daran, dass er den Kapitalismus als Fortschritt gegenüber der rückständigen, alten Landwirtschaft ansah. Lenin wählte daher den Slogan: Vorwärts zum Kapitalismus mittels der N.E.P. In dieser Rede auf dem X. Kongress sagte er:
“Der Kapitalismus ist im Vergleich zum Sozialismus ein Übel. Der Kapitalismus ist ein Segen im Vergleich zu kleinen Unternehmen und der Bürokratie, die mit der Fragmentierung kleiner Produzenten verbunden ist.”[74].
Russland bewegt sich damit in die Richtung einer kapitalistischen Entwicklung der Landwirtschaft in Verbindung mit einem Staatskapitalismus in der Industrie. Die Bolschewiki geraten in eine außerordentlich “verzerrte Position”. Sie entwickeln den Kapitalismus “im Namen des Kommunismus”, “im Namen des Kommunismus” ein Bündnis mit dem aufstrebenden Landwirtschaftskapital. (“Wir müssen unsere staatlichen Produktionsmaschinen auf dem Bauernhof der Mittelklasse anpassen, die wir im Laufe von drei Jahren nicht umbauen konnten.” Lenin, X. Kongress [des R.C.P.])[75]. “Im Namen des Kommunismus” wird jeder, der sich all dem widersetzt, ins Gefängnis geworfen oder nach Sibirien verbannt! Ein Bauernfaschismus, angeführt von der Kommunistischen Partei!
Obwohl die Abschaffung des Kapitalismus das erklärte Ziel der Arbeiterbewegung ist, gibt es in der Literatur der Arbeiterklasse nur sehr wenige Hinweise, die das Programm zur Umsetzung der sozialen Revolution darstellen. Die sozialdemokratischen und Moskau-kommunistischen Bewegungen gehen nicht über den Satz hinaus, dass die Produktionsmittel in die Hände der Gesellschaft gelangen müssen, womit sie bedeuten, dass sie zur staatlichen Ausbeutung benutzt werden müssen. Die anarchistische Bewegung ist direkt gegen den Staatskapitalismus, erschöpft sich aber schließlich in dem Slogan “Die Unternehmen in Arbeiterhand” mit “Abschaffung des Lohnsystems”. Es gibt jedoch weder ein weiteres Programm, um dieses Ziel zu erreichen, noch eine Erklärung dafür, wie die Wirtschaft eines solchen Systems bereits im Herzen des Kapitalismus vorbereitet wird. Und wo sich ein Anarchist einem “Gemälde” seiner Fantasie hingibt (Sébastien Faure[76] (16): Das universelle Glück, Ausgabe: De Roode Bibliotheek[77]), scheint sein spirituelles Arsenal nur mit Konzepten zu arbeiten, die sich auf den Staatskapitalismus von Moskau und London beziehen. Faure beschönigt vieles mit “freien Vereinbarungen”, aber das bedeutet für die Arbeiter in “seinem System” nicht, dass sie etwas zu sagen haben.
Der Übergang von der kapitalistischen Produktionsweise zur kommunistischen Produktionsweise besteht nicht nur darin, die Produktionsmittel in die Hände der “Gesellschaft” zu geben. Dies ist umso dringlicher, als verschiedene bürgerliche Reformer sich zu Wort melden, die das Gefühl haben, dem Strom des Kommunismus nicht widerstehen zu können und deshalb auch für “Gemeinschaftseigentum” sind, aber? unter Beibehaltung der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Warenproduktion! (Erich Horn). Die kommunistische Produktion und Verteilung erfordern jedoch genau die Abschaffung dieser Bewegungsgesetze, die Abschaffung der Produktion auf der Grundlage von Löhnen, Preisen und Gewinnen. Für die Verteilung ist die Abschaffung der Löhne bei gleichmäßiger Verteilung der Einnahmen aus menschlicher Arbeit erforderlich. Diese gleichmäßige Verteilung enthält unzählige “Ungerechtigkeiten”, ist jedoch als Übergangsmaßnahme zum ausgewachsenen Kommunismus “je nach Bedarf nehmen” notwendig.
Wir möchten jetzt insbesondere darauf hinweisen, dass sich die gegenwärtige Arbeiterbewegung vollständig von ihrer wesentlichen Aufgabe zurückzieht, neue Bewegungsgesetze an Stelle des Warenverkehrs umzusetzen. Sie sieht ihren Verdienst immer noch in der sogenannten “Verstaatlichung” oder “Sozialisierung” der “reifen” Unternehmen, d.h., sie will die großen Industrie- und Landwirtschaftsunternehmen in die staatliche Ausbeutung einbeziehen. Kleine Industrieunternehmen und fast die gesamte Landwirtschaft bleiben in “Privateigentum” und müssen daher weiterhin nach den Gesetzen der kapitalistischen “Waren”-Produktion arbeiten. Es ist daher unmöglich, die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise von Löhnen, Preisen und Gewinnen zu zerstören und neue wirtschaftliche Bewegungsgesetze als Alternative zum Warenverkehr zu erlassen. Das heißt, weder Lohnarbeit noch Ausbeutung können abgeschafft werden, während von einer gleichmäßigen Verteilung des Produkts überhaupt keine Rede sein kann. Der Kapitalismus wird nicht besiegt, sondern erscheint in einer neuen Form: Der Staatskapitalismus wird zur vorherrschenden Produktionsform in Westeuropa: Die Warenproduktion wird auf breiter Front aufrechterhalten. Vor diesem Hintergrund ist der Moskauer Slogan “Ein Bund der Arbeiter und Bauern” in Wirklichkeit die Aufgabe der Ziele der proletarischen Revolution, ein Kompromiss mit dem Kapitalismus, die Unfähigkeit, die wirklichen Grundlagen für den Kommunismus zu legen.
Die Gruppe der Internationalen Kommunisten lehnt all diese “Sozialisierungsprojekte” ab, die zur gewalttätigen Unterdrückung der Arbeiterklasse führen sollen (darauf können wir jetzt nicht eingehen[78]), und sieht die Umsetzung neuer Bewegungsgesetze für die Verteilung der Produkte als eigentliche Aufgabe der sozialen Revolution. Die Revolution stellt allgemeine Regeln auf, auf die alle Unternehmen ihre Produktionsberechnungen unabhängig anwenden. Jedes Unternehmen selbst kümmert sich nicht um einen Mehrwert und berechnet nur die Produktionszeit der Produkte, so dass die gesellschaftlich durchschnittliche Produktionszeit der Produkte zur Grundkategorie des kommunistischen Geschäfts werden kann. Hier verschwindet der Unterschied zwischen großen und kleinen, technisch fortgeschrittenen oder technisch primitiven, industriellen oder landwirtschaftlichen, “administrativen” oder “produktiven” Unternehmen. Sie alle können berechnen, wie viele gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitsstunden in ihrem Produkt investiert werden. Die Umsetzung des Kommunismus ist also nicht die Aufgabe kluger Staatsmänner, sondern das Ergebnis der lebendigen Tätigkeit der Massen selbst. Somit betreibt der “Staat” kein Geschäft in der Produktion als solches, der Staat produziert nicht, Produktion und Vertrieb erfolgen durch die Initiative von Produzenten und Verbrauchern. Diese führen selbst die geplante Produktion, die Verknüpfung der Unternehmen auf der Grundlage des Arbeitszeitkontos durch. Die Einführung des neuen Bewegungsgesetzes ist daher das wesentliche Ziel der Revolution. Die siegreiche Arbeiterklasse fordert über ihre Rätekongresse alle Klassenkameraden in Stadt und Land auf, alle Unternehmen unter folgenden Gesichtspunkten unter ihre eigene Kontrolle und Leitung zu stellen:
Geld wird ab einem bestimmten Datum für wertlos erklärt, und die Arbeitsstunde wird als neue Rechnungseinheit eingeführt.
Alle Unternehmen bestimmen die Produktionszeit ihrer Produkte.
Öhnliche Unternehmen versammeln sich sofort, um die gesellschaftlich durchschnittliche Produktionszeit ihres Produkts zu bestimmen.
Damit hat sich die gesamte bisherige Geschäftswelt zur kommunistischen Produktion gewandelt, alle Produktionsmittel wurden sozialisiert: Sie sind in die Hände der Gemeinschaft übergegangen. (Für eine genauere Betrachtung des Arbeitszeitberichts verweisen wir auf den Aufsatz “Anmerkungen zur kommunistischen Ökonomie” in der Zeitschrift Klassenstrijd, Nr. 4, 5 und 6 des 3. Bandes)[79].
Die Position der Gruppe der Internationalen Kommunisten gegenüber dem Wesen der proletarischen Revolution ergibt sich nicht zuletzt aus der Entwicklung der Bauernschaft in den hochkapitalistischen Ländern. Es ist Tatsache, dass die Landwirtschaft voll in die gesellschaftliche Arbeit eingebunden ist, dass die Landwirtschaft in den Prozess der gesellschaftlichen Arbeitsteilung einbezogen ist. Dass sich die Landwirtschaft der industriellen Produktion zugewandt hat und dennoch nicht organisch in den “Sozialismus” oder “Kommunismus” integriert werden kann, wirft starke Zweifel an der Stimmigkeit “kommunistischer” Theorien auf. Die gesamten “Verstaatlichungs-” oder “Sozialisationstheorien” erweisen sich somit als nichts anderes als ein reformistisches Aufgeben der proletarischen Ziele.
Wir haben in diesem Papier festgestellt, dass es in Landwirtschaft und Industrie keinen wesentlichen Unterschied mehr gibt, so dass beide Produktionszweige denselben Vergesellschaftungsgesetzen unterliegen. Eine andere Frage ist natürlich, wie die soziale durchschnittliche Produktionszeit für landwirtschaftliche Produkte bestimmt wird. Dies ist jedoch ein Thema für sich und gehört nicht in diese Ausführungen, da dies bedeuten würde, dass wir nicht über “Entwicklungslinien in der Landwirtschaft” schreiben, sondern über die Anwendung der Arbeitszeitberechnung in Landwirtschaft und Industrie. Wir können daher hier nur darauf hinweisen, dass die moderne “Kostenrechnung” heute im spezialisierten Agrarsektor genauso gut angewendet wird wie in der Industrie (siehe: “Kostenrechnung in der Landwirtschaft” von S. King, London[80]), aber nur möglich ist, wenn beide Produktionszweige den gleichen Gesetzmäßigkeiten folgen.
Es ist unmöglich zu sagen, welche Haltung die Bauern gegenüber der proletarischen Revolution einnehmen werden, da wir diesbezüglich wenig Erfahrung haben. (Zu gegebener Zeit werden wir auf die Haltung der Bauern in der deutschen Revolution zurückkommen[81]). So viel ist sicher, dass sie niemals “Pioniere” der Revolution werden, weil ihre Ideologie der “Besitzer” dies verhindert. Die Kleinbauern in Deutschland befürworten nachdrücklich die “Enteignung”? außer wenn es um sie selbst geht. Die soziale Revolution, die der Kommunismus als neues Bewegungsgesetz für den Warenverkehr ansieht, hat den Bauern jedoch etwas zu bieten. Neben der Befreiung von allen Pachtverträgen, Hypotheken und Unternehmensschulden führt die gleichmäßige Verteilung des gesellschaftlichen Produkts zu einer unmittelbaren und vollständigen Gleichsetzung von Stadt und Land, was in der Praxis zur Bevorzugung des Landwirts führt. Das landwirtschaftliche Proletariat, diese Parias der kapitalistischen Gesellschaft, macht jedoch einen enormen Sprung nach vorne, so dass es jedes Interesse daran hat, die Landwirtschaft in die kommunistische Produktion zu integrieren.
Wenn wir die Frage stellen, welche Bedeutung die gegenwärtigen Bauerngenossenschaften für die Umsetzung des Kommunismus in der Landwirtschaft haben, ist die Antwort, dass sie mit dem Kapitalismus verschwinden werden. Sie haben ihre Existenzberechtigung verloren, die ihnen eine günstige Position auf dem Markt sichern soll und sind so überflüssig geworden. Sie haben jedoch ihre Aufgabe im Entwicklungsprozess erfüllt: Sie haben den Landwirten beigebracht, was Organisation ist und was sie erreichen können. Sie haben den Bauern beigebracht, dass sie im Großen und Ganzen nur ein Zahnrad im Getriebe der Marktwirtschaft sind. Dies ist das Wesentliche, das sich in der Revolution in einer völlig neuen Form offenbart. Die alte Organisationsform wurde zerstört, das Organisationsprinzip bleibt in einer neuen Form erhalten. Auch in dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen Landwirtschaft und Industrie. So wie die Industriearbeiter die Form der alten Organisationen, der Gewerkschaften, zerstören, aber das Organisationsprinzip in den Industrieorganisationen und -räten wiederbeleben, macht auch die Form der Bauerngenossenschaften einer Räteorganisation Platz. Wie sich die Räteidee auf dem Land entwickeln wird, wie der Aufbau, die Struktur der Industrieorganisationen und der Räte auf dem Land aussehen werden, darüber gibt es noch sehr wenig zu sagen, da eine Revolution in Westeuropa noch nicht stattgefunden hat und die entsprechenden Erfahrungen fehlen. Und es ist nicht unsere Aufgabe, Organisationsformen für den reibungslosen Ablauf der Produktion zu entwickeln. Wir betreten nicht den Weg der Fantasie und müssen uns daher mit dem Allgemeinen, dem wesentlichen Inhalt der Dinge zufriedengeben und darauf warten, in welcher Form sich dieses Universelle manifestiert.
Hinweis: Die Daten für die Standardisierung basieren zu einem guten Teil auf “Verhandlungen des VII. allgemeinen Deutschen Bankierstages zu Köln am 9., 10. und 11. September 1928”, S. 204-272. Ausgabe: Walter de Gruyter & Co., Berlin, 1928. Die anderen Quellen sind im angegebenen Text enthalten.
Das Hauptmerkmal des Faschismus ist die Organisation der kleinkapitalistischen und bürgerlichen Mittelklasse mit ihrem engstirnigen Geist des Privatkapitals zu einer Massenorganisation, stark genug, um die proletarischen Organisationen zu kontrollieren und zu schlagen. Diese Klasse, die zwischen den Kapitalisten und der Arbeiterklasse eingequetscht und nicht in der Lage ist, den Kapitalismus zu bekämpfen, ist immer bereit, sich gegen den Klassenkampf der Arbeiter zu wenden. Sie hasst das Großkapital und setzt antikapitalistische Parolen auf, sie ist dennoch ein Werkzeug in den Händen des Kapitalismus, der sein politisches Handeln bezahlt und auf die Unterwerfung der Arbeiter ausrichtet.
Seine Ideen und Theorien richten sich vor allem gegen den Klassenkampf, gegen die Arbeiter, die sich als eigenständige Klasse fühlen und handeln. Dagegen bringt sie ein starkes nationalistisches Gefühl hervor, die Idee der Einheit der Nation gegen fremde Nationen. In diesem Land haben die Arbeiter ihren Platz nicht als eine eigene Klasse, sondern zusammen mit den Arbeitgebern als industrielle und agrarische Produktionsgruppen. Vertreter dieser Gruppen bilden Beiräte für die Regierung. Dies wird der Korporativstaat genannt, der auf der direkten Repräsentation der wirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft, auf der kapitalistischen Arbeit gegründet ist. Sie ist gegen das parlamentarische System, von dem der Faschismus kaum Gebrauch macht und das er als eine Macht der Zerrüttung anprangert, ein Mahnmal der Zerstrittenheit der Nation.
Der Parlamentarismus ist Ausdruck der Vorherrschaft des Volkes, der Bürger und der Abhängigkeit der Regierung. Der Faschismus stellt den Staat über die Bürger. Der Staat als Organisation der Nation ist das übergeordnete Ziel, dem die Bürger untergeordnet sind. Nicht die Demokratie, nicht das Recht des Volkes, sondern die Autorität, die Pflichten des Volkes stehen an erster Stelle. Er stellt den Parteichef als Diktator an die Spitze des Staates, um mit seinen Parteigefährten ohne Einmischung der Parlamentsabgeordneten zu regieren.
Es ist klar, dass diese Regierungsform den Bedürfnissen des modernen Kapitalismus entgegenkommt. In einem hochentwickelten Kapitalismus wurzelt die Wirtschaftsmacht nicht, wie im Frühkapitalismus, in einer Vielzahl unabhängiger Produzenten, sondern in einer kleinen Gruppe großer Kapitalisten. Ihren Interessen kann besser gedient werden, indem man eine kleine Gruppe absoluter Herrscher beeinflusst, und ihre Handlungen scheinen sicherer zu sein, wenn alle Opposition der Arbeiter und jede öffentliche Kritik mit eiserner Faust zurückgehalten werden. Daher ist in allen Ländern eine Tendenz sichtbar, die Macht der Zentralregierung und der Staatschefs zu erhöhen. Wenn dies manchmal auch Faschismus genannt wird, macht es einen Unterschied, ob die parlamentarische Kontrolle aufrechterhalten wird oder ob eine offene diktatorische Herrschaft etabliert wird, die auf dem Terrorismus einer mächtigen Parteiorganisation beruht.
In Deutschland fand etwas später eine analoge Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung statt. Die Revolution von 1918 hatte den Sozialismus an die Macht gebracht, aber diese Macht wurde genutzt, um den Kapitalismus zu schützen. Die Sozialisten in der Regierung ließen die Kapitalisten so arbeiten, wie sie wollten. Die kleinkapitalistischen Klassen, die ihre Gegner auf beiden Seiten als neue vereinte und sozialistische Funktionäre, die in üble kapitalistische Angelegenheiten verwickelt waren, identifizierten, sahen in der sozialistischen Staatsführung und der kapitalistischen Spekulation ein gemeinsames Prinzip der Korruption einer internationalen Bande von Gaunern. Sie standen gegenüber dem ehrenwerten Kleinunternehmen der Kleinkapitalisten und den konservativen Altbauern. Junge Intellektuelle der Universitäten, die ihr früheres Monopol auf öffentliche Ömter durch “verabscheuungswürdige” sozialistische Führer verletzt fanden, und ehemalige Offiziere, die durch die Verkleinerung der Armee arbeitslos waren, organisierten die ersten Gruppen von Nationalsozialisten.
Sie waren eifrige Nationalisten, weil sie zur kapitalistischen Mittelschicht gehörten und gegen den Internationalismus der herrschenden Sozialdemokratie waren. Sie nannten sich sozialistisch, weil ihr kleinkapitalistisches Gefühl dem Großkapital und der großen Finanzwelt feindlich gegenüberstand. Sie waren auch stark antisemitisch. Zum einen, weil das jüdische Kapital in Deutschland vor allem im Handel eine überaus wichtige Rolle spielte und die Geschäfte der kleinen Ladenbesitzer ruinierte. Zum anderen, weil zahlreiche jüdische Intellektuelle die Universitäten und die Ausbildungsberufe überschwemmten und durch ihren eifrigeren Verstand oft - z. B. als Anwälte und Örzte - ihre deutschen Konkurrenten hinter sich ließen.
Finanziell wurden diese Nationalsozialisten von vielen großen kapitalistischen Konzernen unterstützt, vor allem von der Rüstungsindustrie, die ihre Interessen durch die zunehmenden Abrüstungskonferenzen gefährdet sah. Sie bildeten die illegalen Kampfgruppen des Kapitalismus gegen den aufkommenden Bolschewismus. Dann kam die Weltkrise, die die Bedingungen in Deutschland - erschöpft durch die Friedensvertragsentschädigungen - verschärfte. Die Revolte der verzweifelten Mittelschicht machte die Nationalsozialistische Partei zur mächtigsten Partei und ermöglichte ihr, die politische Macht zu ergreifen und ihren Führer zum Diktator Deutschlands zu machen.
Anscheinend richtet sich diese Diktatur der bürgerlichen Ideen gegen den großen Kapitalismus sowie gegen die Arbeiterbewegung. Es ist jedoch klar, dass mit einem kleinstkapitalistischen Programm die Rückkehr in frühere Zeiten des Kleinunternehmens nicht gelingen kann. In Deutschland wurde schnell deutlich, dass der Großkapitalismus und die landbesitzende Aristokratie immer noch die wahren Herren hinter der regierenden Nationalsozialistischen Partei sind. In Wirklichkeit fungiert diese Partei als Instrument des Kapitalismus, um die Arbeiterorganisationen zu bekämpfen und zu zerstören.
Die Macht der neuen Parolen war so stark, dass sie sogar eine große Anzahl von Arbeitern mit sich zogen, die der Nationalsozialistischen Partei beitraten. Die Arbeiter hatten gelernt, ihren Führern zu folgen, aber diese Führer, die sie enttäuscht hatten, wurden von den stärkeren Führern geschlagen. Die Pracht und die geistige Macht der sozialistischen und kommunistischen Ideale hatten nachgelassen. Der Nationalsozialismus versprach den Arbeitern einen besseren Sozialismus, durch Klassenfrieden statt durch Klassenkrieg: Wenn ihnen ihr angemessener Platz in der Nation als Mitglieder des vereinigten Volkes und nicht als einer eigenen Klasse angeboten wird.
Durch den Sieg des Faschismus oder seines Öquivalents in anderen Ländern wurden die Arbeiterklassen in diesen Ländern in ihrem systematischen Klassenkampf um die Befreiung zurückgeworfen. Ihre Organisationen wurden ausgelöscht, oder im Falle der Gewerkschaften direkt unter das Kommando der kapitalistischen Staatsbeamten gestellt. Die Arbeitsverträge wurden ignoriert, die Redefreiheit verboten, sozialistische und kommunistische Propaganda verboten und mit Gefängnis, Konzentrationslagern oder langer Inhaftierung bestraft. In der erzwungenen Meinungsdiktatur gab es keinen Raum für revolutionäre Lehren. Der Weg zur proletarischen Machtergreifung durch die Entwicklung von Einsicht und Organisation durch Propaganda und Diskussionen, der Weg zu Revolution und Freiheit, wird durch die Mauer der Reaktion blockiert.
So erscheint es auf der Oberfläche. Aber wenn man sich das Problem genauer anschaut, bedeutet dies nur, dass für die Arbeiter der reibungslose und friedliche Weg des Machtwachstums blockiert ist. Wir haben vorhin gesagt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Organisation, das Recht auf Propaganda und die Bildung politischer Parteien für den Kapitalismus notwendig sind. Es bedeutet, dass sie notwendig sind, um ein regelmäßiges Funktionieren der kapitalistischen Produktion und der kapitalistischen Entwicklung zu gewährleisten. Das bedeutet, dass, sobald sie wegfallen, die Klassengegensätze endlich in schweren Aufständen und gewalttätigen revolutionären Bewegungen explodieren müssen. Die kapitalistische Klasse muss entscheiden, ob sie dies vorzieht.
Sie hat ihre Gründe, diesen Weg zu gehen. Sie spürt stark, dass die schwere Weltkrise von heute das kapitalistische System im Herzen erschüttert. Sie weiß, dass die verminderte Produktion nicht in der Lage ist, die gesamte Arbeiterklasse zu ernähren und gleichzeitig ausreichende Gewinne zu hinterlassen. Sie ist entschlossen, die Verluste nicht selbst zu tragen. So erkennt sie, dass die durch Arbeitslosigkeit hungernden Arbeiter aufstehen und revoltieren. Und sie versucht, die Revolte zu verhindern, indem sie ihre eigene Position stärkt, indem sie die ganze kapitalistische Klasse zu einer starken Einheit schmiedet, indem sie die Staatsmacht aufrüstet, indem sie die Arbeiter durch starke Fesseln an diesen Staat bindet, indem sie ihnen ihre alten Verteidigungsmittel, ihre sozialistischen Sprecher und ihre Organisationen raubt. Das ist der Grund, warum der Faschismus in den letzten Jahren mächtig wurde.
Der Kapitalismus schien einst auf dem besten Weg zu sein, die Arbeiter durch Scheindemokratie und Scheinreformen zu täuschen. Jetzt wendet sie sich in die andere Richtung, zu schwerer Unterdrückung. Das muss die Arbeiter zum Widerstand und zu entschlossenen Klassenkämpfen treiben. Warum handelt der Kapitalismus so? Nicht aus freiem Willen, sondern gezwungen durch materielle, wirtschaftliche Kräfte, die seiner innersten Natur innewohnen; durch die schwere Krise, die ihre Profite gefährdet und ihre Angst vor der Revolution weckt.
Der triumphale Faschismus rühmt sich, den Weg zum Kommunismus für immer versperrt zu haben, weil er die Arbeiterbewegung zerschlagen hat. Was er wirklich zerstörte, waren nur die ineffektiven, primitiven Formen. Er zerstörte die Illusionen, die alten sozialistischen Überzeugungen, die sozialistischen und kommunistischen Parteien - alles veraltete Dinge, die den Fortschritt behinderten. Er zerstörte gleichzeitig die alten Parteispaltungen, die Arbeiter gegen Arbeiter aufstachelte. Sie hat damit die natürliche Klasseneinheit wiederhergestellt.
Parteien sind Gruppen gemeinsamer Meinung, Organisationen sind abhängig von der Mitgliedschaft - beide sind von zweitrangiger Bedeutung. Die Klasse ist die primäre Realität, die in der Natur des Kapitalismus selbst begründet ist. Traditionell betrachteten die Arbeiter die politische Meinung und die Organisationszugehörigkeit als die wirkliche Unterscheidung zwischen Arbeitern und Kapitalisten. Sie dachten und fühlten sich in Bezug auf Parteien und Gewerkschaften - und traditionell kann dies noch eine Weile so bleiben. Jetzt sind sie gezwungen, klassenbezogen zu denken und zu fühlen. Ohne Mauern der Trennung stehen sie nebeneinander und sehen, dass sie alle Genossen sind, die derselben kapitalistischen Ausbeutung unterworfen sind. Keine Parteidisziplin kann sie zum Handeln aufrufen; sie werden sich überlegen und ihr eigenes Handeln verantworten müssen, wenn sich die Last des faschistischen Kapitalismus zu stark bemerkbar macht. Der Nebel gegenparteiischer Meinungen, politischer Parolen, der Beschränkung durch die Parteipropaganda, die das natürliche Klassenbewusstsein verdunkelte, ist zerstört worden. Scharf und unerbittlich wird das Proletariat mit der Realität des Kapitalismus konfrontiert, um ihn mit dieser Erkenntnis zu bekämpfen. Sie haben nur sich selbst, ihre Klasseneinheit, auf die sie sich verlassen können.
Die politischen Parteien der Arbeiterklasse - wir sprechen von Deutschland und Italien - sind verschwunden; nur die Führer im Exil sprechen weiterhin, als wären sie die Parteien. Das bedeutet nicht, dass sie für immer verschwunden sind. Wenn es zu einem Aufstand der Arbeiterklasse kommen sollte, werden sie zurückkommen und sich wieder als Führer präsentieren. Sie müssen zum zweiten Mal besiegt werden, jetzt von den Arbeitern, indem sie bewusst erkennen, dass die alten Arbeiterführer obsolet sind.
Das bedeutet nicht, dass es in Zukunft keine Parteien mehr geben wird, dass ihre Rolle beendet ist. Zweifellos werden in revolutionären Perioden neue Parteien entstehen, um in neuen Situationen die unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Arbeiterklasse zum Ausdruck zu bringen. Parteien in diesem Sinne sind notwendige Elemente der sozialen Entwicklung. Die Arbeiterklasse kann nicht von einer Diktatorenpartei, die behauptet, die Denkarbeit für sie zu tun, vorgefertigte Meinungen und Plattformen erhalten und unabhängige Meinungen sich verbieten lassen. Die Arbeiterklasse muss nachdenken und den Weg für sich selbst finden. Dann werden die Meinungen darüber, was ist und was getan werden muss, unterschiedlich sein, weil ihr Leben - im Wesentlichen eher gleich - im Einzelnen unterschiedlich war. Es werden Gruppen gemeinsamer Meinung gebildet, die ihre Ideen diskutieren und propagieren, um die Propagandisten der kapitalistischen Klasse zu bekämpfen und den geistigen Wettbewerb mit anderen Gruppen zu führen. Das ist der Weg der Selbsterziehung der Arbeiterklasse.
Parteien in diesem Sinne können “Pfadfindergruppen im Hauptstadtdschungel” genannt werden. Sie müssen herausfinden, wie sie Wissenschaft und Umstände studieren und diese in gegenseitiger Debatte diskutieren, ihre Ideen, ihre Erklärungen, die Ratschläge ihren Kollegen vorlegen. Das sind die notwendigen Instrumente, um die intellektuelle Kraft der Arbeiterklasse aufzubauen.
Ihre Aufgabe besteht nicht darin, anstelle der Arbeiter zu handeln, die wirkliche Kampfarbeit für die Arbeiter zu leisten und die Klasse hinter sich herzuschleppen. Sie werden nicht die Macht haben, sich an die Stelle der Klasse zu stellen. Klasseneinheit, Klassenaktionen werden an erster Stelle stehen, die Parteimeinung bleibt untergeordnet.
-…¡.
Es gibt Berührungspunkte zwischen dem faschistischen Italien und Deutschland und dem bolschewistischen Russland. Sie werden von Diktatoren regiert, den Chefs der Diktatorenparteien - der Kommunistischen Partei in Russland, der Faschistischen Partei in Italien, der Nationalsozialistischen Partei in Deutschland. Diese Parteien sind große, stark organisierte Gruppen, die durch ihren Eifer und Enthusiasmus, ihre Hingabe an die Sache, durch ihre Disziplin und Energie in der Lage sind, Staat und Land zu beherrschen und ihnen den Stempel einer harten, großen Einheit aufzudrücken.
Aber sie ähneln sich nur in der Form; der Inhalt ist unterschiedlich. In Russland baut der Staatskapitalismus die Produktivkräfte auf; privates Kapital wird nicht toleriert. In Italien und Deutschland sind Staat und Regierungspartei eng mit dem privaten Großkapitalismus verbunden. Aber auch hier ist eine bessere, geplante Wirtschaftsorganisation in den faschistischen Zielen enthalten.
Big Business bedeutet immer eine bestimmte Organisation von Produktion, Transport und Bankwesen in den Händen einer kleinen Anzahl von leitenden Personen. Und diese vergleichsweise wenigen Personen haben Kontrolle und Macht über die Masse der kleinen Kapitalisten. Politische Herrscher waren schon vorher mit diesen großen Kapitalisten verbunden. Nun erklärt das faschistische Programm, dass es die Aufgabe der Staatsmacht ist, die Wirtschaftsmacht zu lenken und zu regulieren. Die Zunahme des Nationalismus in allen Ländern und die Vorbereitung auf den Weltkrieg, wie sie in dem Slogan der Autarkie zum Ausdruck kommt, d. h. die vollständige Abhängigkeit jedes Staates von seinen eigenen Ressourcen, zwingt die politischen Führer zu einer engen Zusammenarbeit mit den Führern der Industrie. Wenn im alten Kapitalismus der Staat ein notwendiges Instrument der Industrie war, wird nun auch die Industrie zum notwendigen Instrument des Staates. Die Herrschaft über den Staat und die herrschende Industrie wird zu einer Herrschaft zusammengeführt. Die Regulierung der Privatwirtschaft bedeutet nun, dass durch die faschistische Macht der Großteil der kleinen Kapitalisten noch vollständiger dem Großkapital unterworfen ist.
Gewiss hält die herrschende Klasse im faschistischen Kapitalismus am Prinzip des Privatunternehmens fest, wenn nicht für andere [schließlich handelt es sich hier um Konkurrenzsubjekte, d. Hrsg.], dann zumindest für sich selbst. Der stille Wettstreit der Großkapitalisten, Monopolisten, Banker um Vorherrschaft und Profit geht hinter den Kulissen weiter. Wenn jedoch die Wirtschaftskrise anhält, dann wird das zunehmende Elend, die Rebellionen der Arbeiter oder der Mittelschicht die Herrscher zu effizienteren Regulierungen des Wirtschaftslebens zwingen. Schon jetzt betrachten kapitalistische Ökonomen Russland und studieren seine Ökonomie als mögliches Modell und als Ausweg. “Planned Economics” ist das Gerede von Politikern in vielen Ländern. Eine Entwicklung des europäischen und amerikanischen Kapitalismus in diese Richtung und in irgendeiner Form des Staatskapitalismus kann sich als Mittel anbieten, um eine proletarische Revolution zu verhindern oder zu vereiteln oder zurückzudrehen. Das wird dann Sozialismus heißen. Vergleicht man es mit dem letzten Programm, dem “Plan” der belgischen Sozialdemokratischen Partei, die den Kapitalismus reguliert, so ist der Unterschied nicht grundlegend. Der belgische “Plan” kann in der Tat als Versuch bezeichnet werden, mit dem Faschismus in einer Heilsaktion für den Kapitalismus zu konkurrieren. Wenn wir jetzt diese drei Parteien, die Sozialdemokratische Partei, die Kommunistische Partei, die Faschistische Partei, vergleichen, stellen wir fest, dass sie ihr Hauptziel gemeinsam haben. Sie wollen die Arbeiterklasse beherrschen und regieren. Natürlich, um die Arbeiter zu retten, sie glücklich zu machen, um sie freizumachen. Das sagen alle.
Ihre Mittel, ihre Plattformen sind unterschiedlich; sie sind Konkurrenten, und jeder missbraucht die anderen, die sie als Konterrevolutionäre oder Kriminelle bezeichnen.
Die Sozialdemokratie appelliert an die Demokratie; die Arbeitnehmer wählen ihre Herren durch Abstimmung. Die Kommunistische Partei greift zur Revolution; die Arbeiter werden auf Weckruf der KP aufstehen, die kapitalistische Herrschaft überwinden und der KP die Macht verleihen. Die Faschisten appellieren an nationale Gefühle und kleinkapitalistische Instinkte. Sie alle streben nach einer Form des Staatskapitalismus oder des Staatssozialismus, wo die Arbeiterklasse vom Staat, von der Gemeinschaft der Führer, Direktoren, Beamten, der Produktionsleiter kommandiert und ausgebeutet wird.
Ihre gemeinsame Grundlage ist die Beurteilung, dass die arbeitenden Massen nicht in der Lage sind, ihre eigenen Angelegenheiten zu führen. Die vielen Unfähigen und Dummen, wie sie glauben, müssen von den fähigen Wenigen geführt und erzogen werden.
Wenn die Arbeiterklasse um ihre wirkliche Freiheit kämpft, um die Produktion und die Herrschaft der Gesellschaft in ihre eigenen Hände zu nehmen, wird sie mit allen diesen Parteien konfrontiert, die dagegen sind.
[1] Pressedienst der GIK: Der Unterschied in den Auffassungen der IWW und der Rätebewegung in Deutschland III. “Wir bauen die Struktur der neuen Gesellschaft in der Hülle der alten.” Amsterdam, April 1931, [S. 133]
[2] Siehe auch Pressedienst Juli 1930 [1], S. 93f
[3] Der deutsche Kommunist Jan Appel konzipierte während eines Gefängnisaufenthaltes, der ihm aufgebrummt worden war, weil er angeblich ein Schiff gekapert hatte, das ihn zu einem Kongress der III. Internationale bringen sollte, die Schrift “Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung”.
[4] Siehe: Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland): Internationale Rätekorrespondenz 1934-1937. Herausgegeben von Thomas Königshofen und Hans-Peter Jacobitz in Zusammenarbeit mit aaap.be und dem IISG. ISBN-13 : 979-8551636052, Taschenbuch: 504 Seiten, Preis: -‚¬13,41. Erhältlich bei Amazon.de.
[5] Der Pressedienst war ein Diskussionsorgan, das das weite Spektrum der rätekommunistischen Anschauungen widerspiegelte. Darum war auch die Qualität der Artikel sehr unterschiedlich. Neben sehr informativen und überzeugenden Artikeln - wie die Beiträge zur Agrarpolitik - finden sich auch Berichterstattungen, die nicht nur wegen ihrer formalen Mängel inakzeptabel waren. So die Kritik des Anarchosyndikalismus in Spanien: Sie kommt äußerst wortradikal daher, der inhaltliche Gehalt ist hingegen ziemlich dürftig. Die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft CNT wird des Arbeiterverrates bezichtigt: “Unserer Meinung nach ist die Rolle der CNT in der spanischen Revolution ein Arbeiterverrat, wie er noch nie dagewesen ist ?” (S. 135, PIK vom Dezember 1931). Und die Begründung dieser wagemutigen These wird bezogen aus einer selbst verfertigten Prognose: “Denn wenn die CNT die Macht in die Hände bekommt (was gar nicht unmöglich ist), dann wird aus den neuen Führern in der Wirtschaft eine neue Bourgeoisie, und diese gerät zu den spanischen Arbeitern in Gegensatz.” (S. 137 ebd.)
[6] J. Harper (Anton Pannekoek): The Role of Fascism, in: International Council Correspondence, Vol. II (1935-1936), No 8 (July 1936). [http://aaap.be/Pages/International-Council-Correspondence.html#vol3]
[7] KAZ: Kommunistische Arbeiter-Zeitung der KAPD
[8] Über die verschiedenen anarchistischen Fraktionen finden sich gute Informationen auf Wikipedia:
[ https://de.wikipedia.org/wiki/Anarchismus_in_den_Niederlanden ]
[9] The Industrial Worker, “the voice of revolutionary industrial unionism,” is the magazine of the Industrial Workers of the World (IWW).
[https://en.wikipedia.org/wiki/Industrial_Worker]
[10] Henriette Roland Holst (1869-1952) war eine niederländische Dichterin und Kommunistin.
[ https://de.qaz.wiki/wiki/Henriette_Roland_Holst ]
[11] Jacques de Kadt (1897 - 1988)[1] war ein prominenter holländischer Kommunist und nach dem II. Weltkrieg Parlamentsabgeordneter der Partij van de Arbeid. Er kämpfte für die Unabhängigkeit Indonesiens. [ https://en.wikipedia.org/wiki/Jacques_de_Kadt ]
[12] Frank van der Goes (1859-1939) war ein holländischer Schriftsteller, marxistischer Theoretiker und Gründer der SDAP (Sociaal-Democratische Arbeiderspartij ).
[ https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Frank_van_der_Goes ]
[13] Mohammad Hatta, (1902-1980) war Vizepräsident und Ministerpräsident von Indonesien.
[ https://de.wikipedia.org/wiki/Mohammad_Hatta ]
[14] Edo Fimmen (1882-1942) war ein niederländischer und internationaler Gewerkschaftsfunktionär [ https://de.wikipedia.org/wiki/Edo_Fimmen ]
[15] [15] Empfehlung der Herausgeber: Hartmann / Wimmer: Die Kommunen vor der Kommune 1870/71 Lyon - Le Creusot - Marseille - Paris. ISBN 978-3-86241-483-3, erschienen 02/2021, 144 Seiten, 14,00 -‚¬
[16] Arthur Henderson (1863-1935) war ein britischer Politiker. “1924 stellte die Labour Party unter Premierminister Ramsay MacDonald erstmals die Regierung, in der Henderson vom 23. Januar 1924 bis 4. November 1924 als Innenminister fungierte. In dieser Funktion beteiligte er sich am Genfer Protokoll über Abrüstungsfragen. Im zweiten Kabinett MacDonald war er vom 8. Juni 1929 bis 24. August 1931 Außenminister. In dieser Funktion war er unter anderem an den Haager Konferenzen zur Neuregelung der Reparationszahlungen des Deutschen Reiches sowie an der Flottenkonferenz von 1930 beteiligt. 1929 nahm Großbritannien unter seiner Ögide erstmals wieder diplomatische Beziehung zur Sowjetunion auf.”
[ https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Henderson ]
[^(^(\[17\]))](#_ftnref17){#_ftn17} James Connolly (1868-1916 in Dublin) war ein irischer Gewerkschafter, marxistischer Sozialist, Theoretiker und Revolutionär. Connolly wird heute sowohl von Sozialisten, Gewerkschaftern als auch irischen Republikanern als ein Vorkämpfer geehrt. Er wurde nach dem Scheitern des Osteraufstands 1916 als Anführer der Irish Citizen Army von britischen Besatzern in Dublin hingerichtet.
[ https://de.wikipedia.org/wiki/James_Connolly_(Gewerkschafter) ]
[18] Der Pressedienst zitiert hier Cunow sehr freizügig. Im Original heißt es: “Allerdings will Marx im Gegensatz zu der Cobdenschen Schule letzten Endes wieder eine feste Regelung des Wirtschaftsprozesses, aber nicht durch den Staat, sondern durch eine Verbindung der freien Assoziationen der sozialistischen Gesellschaft.” (Cunow: Marxsche Staatstheorie. S. 309, 1. Bd.)
[19] Ergänzung des Zitats durch die Herausgeber
[20] Roelof Stenhuis, geboren am 26. März 1885, gestorben am 13. Juni 1963, war in den zwanziger Jahren Vorsitzender der Gewerkschaft NVV. Er befürwortete angesichts der Weltwirtschaftskrise eine Strategieänderung der Gewerkschaft im Hinblick auf eine sozialistische Umgestaltung. Für die SDAP war er von 1923 bis 1928 Abgeordneter im Senat und ab 1925 im Repräsentantenhaus. Während der deutschen Besetzung der Niederlande sympathisierte Stenhuis mit den sozialpolitischen Ideen der Nazis.
[21][ https://www.historici.nl/pdf/kpp/revolutionair_socialistische_partij.pdf ]
[22] Eduard Douwes Dekker (1820-1887) war ein niederländischer Schriftsteller. Bekannt wurde er unter dem Pseudonym Multatuli (lat. etwa: “ich habe vieles ertragen”). [ https://de.wikipedia.org/wiki/Multatuli ]
[23] Scheinwissenschaft
[24] MEW Bd. 20, S. 280ff
[25] MEW Bd. 19, S. 19
[26] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/hilferding/1910/finkap/index.html
[27] Sébastien Faure (1858-1942) war ein französischer Anarchist und Reformpädagoge.
[https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A9bastien_Faure]
[28] Ludwig Heinrich Edler von Mises (* 29. September 1881-1973, ab 1919: Ludwig Heinrich Mises (Adelsaufhebungsgesetz)) war ein österreichisch-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Theoretiker des klassischen Liberalismus und Libertarismus.
[https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_von_Mises]
[29] https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb11128522.html?pageNo=1
[30] Original: Nehmen
[31] Irving Fisher (1867 - 1947) war ein US-amerikanischer Ökonom. ? “Wenige Tage vor dem Börsenkrach machte Fisher - der auch ein Unterstützer des damaligen Präsidenten Herbert Hoover war - seine berühmte Aussage, dass -€šAktienkurse ein - wie es scheint - dauerhaft hohes Niveau erreicht haben.-€˜ Selbst in den Monaten nach dem Börsencrash fuhr er fort, Investoren zu versichern, dass eine Erholung bald kommen würde.” [https://de.wikipedia.org/wiki/Irving_Fisher]
[32] http://pombo.free.fr/grossmann29.pdf
[33] https://archive.org/details/DieMaterialistischeGeschichtsauffassung
[34] Siehe auch Brief von Paul Mattick an Anton Pannekoek, S. 37
[35] De ontwikkeling van het boerenbedrijf, 1930
[https://www.aaap.be/Pages/Pamphlets-GIC-1930-De-Ontwikkeling-Van-Het-Boerenbedrijf.html]. Deutsche Übersetzung ab S. 174
[36] Lenin-Werke, Bd. 15, S. 129
[37] Pollock, Friedrich: Die planwirtschaftlichen Versuche in der Sowjetunion, 1917-1927, C.L. Hirschfeld 1929 (PDF-Datei)
[https://de.b-ok.as/book/5294726/6d41da]
[38] Lenin-Werke Bd. 25, S. 440
[39]http://www.left-dis.nl/nl/GIC_De%20ontwikkeling%20van%20het%20boerenbedrijf_1930.pdf, S. 39
[40] Paul Mattick
[41] “Wobblies” ist ein Spitzname für “Industrial Workers of the World”.
[42] Der folgende Text in eckigen Klammern ist eine Rekonstruktion aus der niederländischen Ausgabe. In der Reproduktion fehlt diese Seite.
[43] Miguel Primo de Rivera y Orbaneja, Marqués de Estella (1870-1930) war ein spanischer General und von 1923 bis 1930 Diktator. Primo de Rivera war im kolonialen Rifkrieg für die flächendeckende Vergasung der aufständischen Rif-Kabylen und Zivilbevölkerung um Al Hoceïma verantwortlich.
[https://de.wikipedia.org/wiki/Miguel_Primo_de_Rivera]
[^(^(\[44\]))](#_ftnref44){#_ftn44} Alfons XIII. (1886-1941 in Rom) war von 1886/1902 bis 1931 König von Spanien.
[https://de.wikipedia.org/wiki/Alfons_XIII.]
[^(^(\[45\]))](#_ftnref45){#_ftn45} Niceto Alcalá Zamora y Torres (1877-1949) war Rechtsanwalt, spanischer rechtsliberaler Politiker und erster Staatspräsident der Zweiten Republik.
[https://de.wikipedia.org/wiki/Niceto_Alcal%C3%A1_Zamora]
[46] Francesc Macià i Llussà (1859-1933) war als katalanischer Politiker der 122. Präsident der Generalitat von Katalonien und diente früher als Offizier der spanischen Armee.
[https://www.wikiwand.com/en/Francesc_Maci%C3%A0]
[47] Alexander Fjodorowitsch Kerenski (1881-1970) war ein russischer Politiker und zeitweise Chef der Übergangsregierung zwischen Februar- und Oktoberrevolution im Jahr 1917.
[48] Der Nieuwe Rotterdamsche Courant (deutsch Neuer Rotterdamer Anzeiger) war eine überregionale niederländische Tageszeitung mit Redaktionssitz in Rotterdam.
[https://de.wikipedia.org/wiki/Nieuwe_Rotterdamsche_Courant]
[49] Die Guardia Civil ist eine spanische Polizeieinheit mit mehr als 80.000 Angehörigen. Sie nimmt sowohl militärische als auch zivile Funktionen wahr. Aufgrund ihrer doppelten Rolle untersteht die Guardia Civil sowohl der Befehlsgewalt des Ministeriums des Inneren (Ministerio del Interior) als auch des Verteidigungsministeriums (Ministerio de Defensa).
[https://de.wikipedia.org/wiki/Guardia_Civil]
[50] Ã?ngel Pestaña Núñez (1886-1937) war ein spanischer Syndikalist, mehrmaliger Sekretär der Confederación Nacional del Trabajo (CNT), Gründer des Partido Sindicalista (PS) und Abgeordneter in den Cortes Generales.
[https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%81ngel_Pesta%C3%B1a]
[51] Da Form und Inhalt der ursprünglichen deutschen Version dem Transkribisten unverständlich waren, wurde dieser Passus aus dem niederländischen Persdienst ins Deutsche übersetzt. Persdienst, 4e jg., no. 14, september 1931, no. 3 (aaap.be)
[52] Auch hier eine Übersetzung aus dem Niederländischen nach Persdienst, 4e jg., no. 14, september 1931, no. 3 (aaap.be).
[53] Önderungsantrag zu einem Gesetzentwurf
[54] “The natives of Lucai islands are leis tawny than those of St. Domingo and Cuba. But so few of either now remain, that the relations of the first voyagers of these countries can derive no support from them. These people, it has been alleged, were governed by kind o chiefs, called Caeiques; and that they hat priests and physicians.”
Count de Buffon: Natural History - General and Particular. The Third Edition in nine Volumes. Vol. III., London 1791, S. 174 f
[55] Der Nederlandsch Syndicalistisch Vakverbond (Niederländischer Syndikalistischer Gewerkschaftsbund) spaltete sich 1923 von dem bereits seit 1893 bestehenden syndikalistischen Gewerkschaftsdachverband “Nationaal Arbeids Secretariat” (NAS) ab (1922/23: 22 500 Mitglieder), da darin die SU-treue, parteikommunistische Fraktion an Einfluss gewonnen hatte. Als anarchosyndikalistische Organisation in den Niederlanden war der NSV der anarchosyndikalistischen Internationalen Arbeiter-Assoziation angeschlossen.
[56] Indonesien
[57] ausgleichende, vergeltende, strafende Gerechtigkeit (Duden)
[58] Der “Angriff” war die Gauzeitung der Berliner NSDAP und wurde von 1927 bis zur Auflösung der Partei herausgegeben. [https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Angriff]
[59] Zu Sebald Justinus Rutgers (1879-1961) siehe: b.w.s.a. (Biografisch Woordenboek van het Socialisme en de Arbeidersbeweging in Nederland) “Het boerenvraagstuk in Sovjet-Rusland, Europa, Amerika, Indië, China” / S. Rutgers. - Rotterdam : WL & J. Brusse, 1929. - 142 p.
[60] Grundrißzum Studium der Politischen Ökonomie, IV. Teil: Statistik / J [ohann]. Conrad. - Jena: A. Hesse, 1924. - 233 p.
[61] Im Original steht: “80%”. Die Steigerung des Weizenertrags um 700 kg/ha zwischen 1880 und 1910 bedeutet jedoch eine Steigerung um 700/1290 oder 54,3%.
[62] Skylla und Charybdis sind Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie, die in der Straße von Messina lebten und jeweils eine Seite der Meerenge besetzten. (wiktionary.org)
[63] Thomas-Mehl ist ein phosphatreiches Düngemittel, das sich der britische Metallurg Sidney Thomas (1850-1885) als Nebenprodukt der Eisen- und Stahlerzeugung hat patentieren lassen.
[https://www.chemie.de/lexikon/Thomasmehl.html]
[64] Vermutlich der deutsche Bankier Georg Solmssen (1869-1957); siehe: Wikipedia (de).
[65] De Vee- en Vleeschhandel, Fachmagazin für Viehhändler, Metzger, Exporteure; es erschien von 1916 bis 1971.
[66] Agrar-Probleme, herausgegeben vom Internationalen Agrar-Institut [Meždunarodnyj Agrarnyj Institut], Moskau. - Berlin: Verlagsbuchhandlung Paul Parey, 1928.
[67] Die Wirtschaftlichen Probleme der proletarischen Diktatur / E [ugen]. Varga. - Hamburg: Bericht der Kommunistischen Internationale, 1921. - 158 p. - (Bibliothek der Kommunistischen Internationale; VII).
[68] Lenin, Zur Einschätzung der politischen Revolution, 1908, in: Lenin-Werke. - Berlin: Dietz Verlag, 1972, Bd. 15, S. 45-46.
[69] Inprekorr, Abkürzung für Internationale Pressekorrespondenz (1921-1939).
[70] Dieses Zitat scheint von Lenin zu stammen, Referat über die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch die Naturalsteuer, 15. März 1921, in: Lenin-Werke. Bd.32, Dietz Verlag Berlin, 1972, S. 216-217. Die Formulierungen unterscheiden sich von denen in der Quelle, die die G.I.C. zitiert.
[71] N.I. Bucharin: Theorie des historischen Materialismus: Gemeinverständliches Lehrbuch der Marxistischen Soziologie [autorisierte Übersetzung aus dem Russischen von Frida Rubiner] Verlag der Kommunistischen Internationale, Hamburg: Auslieferungsstelle für Deutschland, C. Hoym Nachf., 1922, Kapitel7.
[72] Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg. MEW Bd. 7, S. 400 f
[73] Lenin: Referat über die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch die Naturalsteuer, 15. März 1921, in: Lenin-Werke. - Berlin: Dietz Verlag, 1972, Bd. 32, S. 220.
[74] Lenin: Über die Naturalsteuer; Die Bedeutung der neuen Politik und ihre Bedingungen, 1921, in: Lenin-Werke. - Berlin: Dietz Verlag, 1972, Bd. 32, S. 364.
[75] Lenin: Referat über die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch die Naturalsteuer, 15. März 1921, in: Lenin-Werke. - Berlin: Dietz Verlag, 1972, Bd. 32, S. 230.
[76] Sébastien Faure (1858-1942), französischer Anarchist seit 1888; 1914 verteilt er pazifistische und antimilitaristische Flugblätter, in denen er zur Desertation aufruft; 1936 tritt er während des spanischen Bürgerkriegs der Durruti-Kolonne bei.
[77] Het Universeele Geluk (mijn kommunisme) / Sébastien Faure. - Zandvoort: De Roode Library, 1921. - 398 p. - (3 Teile).
[78] Siehe G. I. C., Grondbeginselen van de communistische productie en distributie, 2. Auflage 1935, folgende Auszüge: XII. - De opheffing van de markt, a., b., c.; XV. - De doorvoering van het communisme in het boerenbedrijf, a., b., c.; und: Anhang.
[79] Klassenstrijd; Revolutionäres Monatsmagazin; 1926-1928, herausgegeben von Henriëtte Roland Holst-van der Schalk und Henk Sneevliet; vorhanden in der I.I.S.G. , Amsterdam, 3. Jahrg. (1928), Nr. 4, 5 und 6; Fortsetzung als De Nieuwe Weg; Unabhängige, revolutionäre sozialistische Monatszeitschrift (1929-1935), in der 1930 “De ontwikkeling van het boerenbedrijf” der G.I.C. abgedruckt wurde.
[80] Cost Accounting Applied to Agriculture as an Aid to Productive Farming / John Sidney King. - Oxford: Oxford University Press, 1927. - 182 p.
[81] Siehe Anmerkung 19.
[82] Deutsche Übersetzung (mit Hilfe des GOOGLE-Übersetzers): die Herausgeber. Vorlage: Reproduktion der “International Council Correspondence”, Vol. II., No. 8, 1936, S. 10 - 16 (aaap.be)